„Selbstbestimmtes Leben durch Inklusion in sämtlichen Lebenslagen“ wählten die Grünen als Thema der Aktuellen Stunde in der Nationalratssitzung vom 28. Februar 2024. Wir haben die Redebeiträge von NAbg. Bedrana Ribo, Sozialminister Johannes Rauch, NAbg. Kira Grünberg, NAbg. Verena Nussbaum, NAbg. Christian Ragger, NAbg. Sibylle Hamann, NAbg. Fiona Fiedler, NAbg. Norbert Sieber, NAbg. Petra Tanzler, NAbg. Dagmar Belakowitsch und NAbg. Markus Koza, NAbg. Martina Künsberg Sarre zusammengetragen.
Zu Beginn der Sitzung wurde der frühere und nun abermalige Nationalratsabgeordnete Josef Schellhorn (NEOS) im Nationalrat angelobt, nachdem Julia Seidl (NEOS) auf ihr Mandat verzichtet hat.
NAbg. Bedrana Ribo
In ihrer einleitenden Stellungnahme erklärte NAbg. Bedrana Ribo, die seit September 2023 den Bereich Menschen mit Behinderungen im Parlamentsklub der GRÜNEN, dass die Aktuelle Stunde einberufen worden sei, um den Blick auf das Leben von Menschen mit Behinderungen zu richten, auf deren Rechte, aber auch auf die vielen Barrieren, vor denen diese stünden.
„Selbstbestimmt leben bedeutet, sein Leben innerhalb eines gesellschaftlichen Rahmens so zu gestalten, wie man selbst möchte“, definierte Ribo. Die meisten Menschen bekämen dabei nicht all das, wovon sie träumen, doch „ gewisse Gestaltungsspielräume sollten uns allen in der Gesellschaft zustehen.“ Grund- und Freiheitsrechte würden sich beispielsweise auf das Recht auf Familienleben, freie Wohn- und Berufswahl, Privatsphäre, Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit auswirken. „Durch diese Grund- und Menschenrechte entscheiden wir also, wo, mit wem und wie wir leben, was wir essen möchten, wer in unsere Wohnung darf und wo und mit wem wir uns treffen möchten“, erläuterte Bedrana Ribo.
„Inklusion wiederum bedeutet, dass Menschen mit Behinderung an diesen Rechten teilhaben können müssen. Das MÜSSEN ist wichtig – gemeinsam mit ohne Behinderung“, so die Behindertensprecherin der Grünen, die hinzufügte, dass die Realität leider anders aussehe.
Menschen mit Behinderung – und das habe auch die UNO im Rahmen der Staatenprüfung Österreichs bestätigt, hätten in sehr vielen Fällen nicht diese Rechte. „Diese Rechte umzusetzen, scheint uns allen – nicht nur hier im Hohen Haus, sondern wahrscheinlich auch in der gesamten Gesellschaft – wichtig, und niemand würde sich dagegen aussprechen“, verdeutlichte Ribo. Erst vergangene Woche sei wieder ein Ministerratsvortrag zu diesem Thema verabschiedet worden.
Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention werde Ribo zufolge immer schwieriger. Sobald es um die Umsetzung gehe, heiße es: „Ja, stimmt. Aber irgendwie ist es doch etwas aufwändig. Ja, es kostet halt doch etwas Geld.“ Und es schwebe immer die Frage im Raum: „Braucht es das überhaupt?“ Das Thema Inklusion und Selbstbestimmung rutsche aufgrund vorherrschender Themen auf der Prioritätenliste immer wieder nach unten.
„Das sage ich auch selbstkritisch. Die Regierung hat zuletzt im Bereich Menschen mit Behinderung einige wichtige Schritte nach vorne gesetzt – Stichwort Pilotprojekt Persönliche Assistenz oder die Möglichkeit für junge Menschen mit Behinderung, AMS- und SMS-Angebote in Anspruch zu nehmen, da die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit bis 25 nicht mehr verpflichtend ist“, erklärte Bedrana Ribo. Das seien wichtige Schritte, und sie verstehe auch die Kritik der Community und der Opposition.
Die Corona-Krise habe Ribo sehr viel mit dem Thema Inklusion und Selbstbestimmung zu tun gehabt. „Auf einmal waren wir alle in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Wir konnten nicht dort hingehen, wo wir wollten, es war gewissermaßen eine kollektive Erfahrung von Behinderung.“
Die Regierung habe wesentliche Schritte gesetzt. So nehme der Bund 100 Mio. Euro in die Hand, um Persönliche Assistenz außerhalb des Arbeitsplatzes mit den Ländern co- zu finanzieren. Dadurch könnten Menschen mit Behinderung selbst entscheiden, wer sie wo wohin unterstützt – etwa in der Wohnung, beim Kinobesuch, beim Feierabend. „Das ist Selbstbestimmung, das ist Inklusion“, so Ribo.
Die Abgeordnete dankte Minister Johannes Rauch, „der sehr dahinter war hinter diesem Projekt. Man sehe an diesem Projekt, dass alleine die Zurverfügungstellung der Finanzmittel nicht reiche. Es brauche den Willen aller, denn in diesem Fall habe der Bund 100 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, aber die Länder würden das Geld nicht abholen. Die Gründe dafür seien unterschiedlich: In einigen Bundesländern würden Persönliche Assistent*innen in sehr prekären Arbeitsverhältnissen tätig sein. „Wir als Bundesregierung wollen, dass die Persönlichen Assistent*innen angestellt werden“, verdeutlichte Bedrana Ribo.
Dass sich Wien nicht am Pilotprojekt Persönliche Assistenz nicht beteiligt, zeige, dass der Bund das Thema Inklusion und Selbstbestimmung allein nicht umsetzen könne. „Österreich ist ein föderaler Staat – und leider, leider ist der Föderalismus nicht barrierefrei. […] Wenn wir wollen, dass Menschen mit Behinderung in Linz dieselben Rechte haben wie Menschen, die in Graz wohnen, dann müssen wir […] vieles neu denken“, so Ribo. Konzepte für Inklusion und Selbstbestimmung müssten über alle staatlichen Ebenen und für alle Menschen – mit oder ohne Behinderung – funktionieren.
BM Johannes Rauch
Bundesminister Johannes Rauch erklärte zu Beginn seiner Rede, dass es in erster Linie darauf ankomme, „ob wir Menschen mit Behinderungen auf Augenhöhe begegnen und nicht nur über sie reden, sondern mit ihnen.“ Das sei jedenfalls das Motto im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Menschen mit Behinderungen und ihre Vertretungen immer zu beteiligen und mit einzubeziehen.
Die Überprüfung der Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention im Zuge der Staatenprüfung habe aufgezeigt, wo Österreich noch Nachholbedarf habe. „Wir haben uns im Zuge der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet dazu, Menschen mit Behinderungen Gleichberechtigung in allen Lebenslagen, Barrierefreiheit zu garantieren. […] Wir haben dazu den Nationalen Aktionsplan Behinderung (NAP) als zentrale Strategie vorliegen“, erklärte Minister Rauch. Dieser Aktionsplan decke alle Lebensbereiche in acht Kapiteln und 55 Unterkapiteln ab. „Er wurde erarbeitet – und das ist wichtig – unter Einbindung logischerweise der Bundesländer, aller Bundesministerien und vor allem auch unter Einbindung der Menschen mit Behinderung und deren Vertretungen.“ Für Rauch sei der NAP II kein abgeschlossenes Dokument, sondern ein laufender Prozess, „in den wir laufend neue Verbesserungen einarbeiten müssen“.
In den letzten Jahren seien viele Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen erzielt worden. Die im August 2023 stattgefundene Staatenprüfung Österreichs durch den UN-Fachausschuss habe aber gezeigt, dass es in einigen Bereichen Verbesserungsbedarf gebe – insbesondere im Bereich der inklusiven Bildung und auch wenn es darum gehe, die Deinstitutionalisierung voranzutreiben.
Rauch zufolge brauche es einen Perspektivenwechsel, wenn es darum geht, Menschen mit Behinderungen in erster Linie daran zu messen, was sie können – und nicht daran, was sie nicht können. „Menschen mit Behinderungen sind in der Lage, in viel höherem Ausmaß am Arbeitsmarkt, an der Gesellschaft teilzunehmen als es ihnen gemeinhin zugetraut wird. Das heißt, die Devise: Wir schauen d’rauf, was sind für Potentiale, Chancen und Talente da, und rücken die in den Fokus“, appellierte der Sozialminister. Dies sei ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, und hier sei die berufliche Teilhabe besonders wichtig. Denn Menschen, die im Berufsleben stehen, hätten die Möglichkeit, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und würden dadurch auch im Alltag sichtbar.
„Wir haben mehr Budget für Menschen mit Behinderungen, um die berufliche Teilhabe zu stärken. Wir haben für dieses Jahr insgesamt 380 Mio. Euro, das sind 40 Mio. mehr als im vergangenen Jahr“, erklärte Rauch. Diese Mittel würden in viele wichtige Projekte einfließen. Schließlich sei ein guter Start ins Berufsleben eine Voraussetzung für eine selbstbestimmte Zukunft.
Persönliche Assistenz sei für Tausende Menschen mit Behinderungen schlicht und einfach essentiell. Bislang habe es in den Bundesländern völlig unterschiedliche Systeme im Bereich der Persönlichen Assistenz gegeben. Für die Harmonisierung der Persönlichen Assistenz stünden 100 Mio. Euro zur Verfügung. Ziel sei, die Persönliche Assistenz in allen Lebensbereichen zu schaffen. Drei Bundesländer hätten sich Rauch zufolge bereiterklärt, an einem Pilotprojekt teilzunehmen, zwei weitere stünden kurz davor. „Ich appelliere an die restlichen Bundesländer, sich daran zu beteiligen“, so Rauch.
Bezugnehmend auf die Inklusion am Arbeitsmarkt sei es zudem wichtig, das Alter der Arbeitsunfähigkeitsprüfung nach hinten zu verlegen und erst mit 25 Jahren vorzunehmen. Denn werde jemand mit einer Behinderung bereits sehr früh von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ausgeschlossen, würden für Menschen, die durchaus Entwicklungspotential haben, Chancen verbaut. Seit Januar 2024 sei festgelegt, dass eine Überprüfung auf Arbeitsfähigkeit erst im Alter von 25 Jahren erfolge.
Viele Menschen mit Behinderungen seien in Werkstätten tätig und stünden nicht in einem „normalen“ Beschäftigungsverhältnis, wofür sie lediglich mit einem Taschengeld entlohnt würden. Dies sei eine nicht hinnehmbare Situation, „weil ich es selbst oft erlebt habe, dass Menschen mit Behinderungen in diesen Werkstätten Tätigkeiten verrichten, die andernorts – etwa in sozial-ökonomischen betrieben oder Arbeitsprojekten – auch so verrichtet werden, dass die Menschen dort entlohnt und versichert sind.“ Das Sozialministerium habe über die Wirtschaftsuniversität dazu eine Studie erstellen lassen, die Ansatzpunkte aufgezeigt habe. „Wir sind jetzt dabei, mit den Ländern Pilotprojekte aufzustellen, um Lohn statt Taschengeld auch zu verankern“, erklärte der Sozialminister. „Ich persönlich bin der Überzeugung: Das geht.“ Es komme nämlich nur darauf an, die beiden Systemwelten des Sozialministeriumservice, des Arbeitsmarktservice und der Maßnahmen auf Bundesländer- und Bundesebene zu verknüpfen“, so Rauch. Es müsse nichts neu erfunden werden, die Strukturen seien vorhanden. Nun müsse der Wille gezeigt werden – durchaus mit Unterstützung von Bund und Bundesmitteln – ins Tun zu kommen. „Die Arbeiten sind weit fortgeschritten, wir werden das vor dem Sommer noch hinbekommen“, erklärte Johannes Rauch.
NAbg. Kira Grünberg
NAbg. Kira Grünberg, ÖVP-Sprecherin für Menschen mit Behinderungen und Inklusion, strich heraus, was die Bundesregierung im Bereich Menschen mit Behinderungen in den letzten Jahren bewegt habe.
„Wir sind sehr große Themen angegangen – wie eben die Persönliche Assistenz. Das ist eine Forderung, die gibt es in der Behindertencommunity seit Jahrzehnten“, erklärte Grünberg. Gerade solch große Themenblöcke würden viel Kraft und Anstrengung erfordern. In Österreich werde zwischen bundeseinheitliche geregelter Persönlicher Assistenz am Arbeitsplatz und jener in allen anderen Lebensbereichen unterschieden, die der Kompetenz der Länder unterliege. „Die Länder haben es leider bis jetzt nie geschafft, irgendwie sich zusammenzusetzen und hier eine Vereinheitlichung zusammenzubringen. Und deshalb haben wir als Bundesregierung einen Fördertopf mit 100 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, einheitliche Rahmenbedingungen geschaffen – gemeinsam eben auch mit der Community“, so Kira Grünberg. Die Länder seien gefordert, an diesem Projekt teilzunehmen, damit es in Österreich einheitliche Regelungen gibt und jeder Mensch mit Behinderung die gleichen Möglichkeiten habe, Persönliche Assistenz in Anspruch zu nehmen.
Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Arbeitsunfähigkeit. Menschen mit Behinderungen seien in den letzten Jahren teilweise relativ früh in die Arbeitsunfähigkeit geschoben worden. „Wir haben im Dezember ein Gesetz beschlossen, womit die Arbeitsunfähigkeit frühestens ab dem 25. Lebensjahr festgestellt werden muss. Man kann es freiwillig natürlich auch schon früher machen, aber man ist erst ab dem 25. Lebensjahr dazu verpflichtet“, erläuterte Grünberg. Dies bedeute für Menschen mit Behinderungen, dass sie mehr Möglichkeiten haben, am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dies sei ein großer Schritt in Richtung Inklusion.
„Wir dürfen nicht vergessen: Menschen mit Behinderungen sind extrem gute Problemlöser und -löserinnen. Denn wir sind täglich mit Barrieren konfrontiert.“ Menschen mit Behinderungen müssten täglich überlegen, wie Hindernisse überwunden werden können. Diese Fähigkeiten sollte man viel mehr wahrnehmen.
Zum Thema Lohn statt Taschengeld erklärte NAbg. Grünberg, dass das Thema wohl jedem ein Begriff sei. „Es steht auch im Österreichplan von unserem Bundeskanzler. Es ist uns ein sehr großes Anliegen, damit Menschen mit Behinderungen aus den Werkstätten hinaus kommen und eben am ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen“, so Grünberg. Noch vor dem Sommer würden hier Maßnahmen gesetzt werden, damit Menschen mit Behinderungen besser Unterstützung bekommen aus den Werkstätten hinaus in den ersten Arbeitsmarkt.
NAbg. Verena Nussbaum
NAbg. Verena Nussbaum, Bereichssprecherin für Menschen mit Behinderungen der SPÖ, erklärte zu Beginn ihrer Rede: „Das Thema Inklusion ist in unser aller Munde. Doch was heißt es eigentlich, unsere Gesellschaft inklusiv zu gestalten?“ Nussbaum stellte den Lebenslauf eines Menschen mit Behinderungen vor, beginnend mit dem Zeitpunkt Geburt: „Die Eltern erhalten von Expertinnen und Experten individuelle Unterstützungsleistungen, die sie benötigen, um ihr Kind angebracht auf der Welt begrüßen zu können. Diese Expert*innen begleiten die Eltern und das Kind auch nach der Geburt weiter. Die Eltern können alle staatlichen gesundheitlichen Unterstützungsleistungen bei einer Behörde einbringen, die für alle Thematiken im Behindertenbereich zuständig ist, sogenannte One Stop Shops. Die Zeit, die sich die Eltern mit den Behördengängen ersparen, können sie dafür verwenden, wertvolle Zeit mit ihrem Kind zu verbringen. Dann beginnt die zeit im Kindergarten, wo Kinder nicht nur gemeinsam spielen, sondern auch voneinander lernen.“ Inklusion im Kindergarten lege Nussbaum, zufolge den Grundstein für die gesellschaftliche Entwicklung eines Kindes. Hier lerne das Kind gesellschaftliche Werte wie Akzeptanz oder Solidarität. Versäumnisse bei Kindern in diesem Alter könnten im späteren Lebensweg nur sehr schwer aufgeholt werden. „Nach dem Kindergarten besucht das Kind die Schule, in die es möchte“, führte NAbg. Nussbaum fort.
Das Recht auf Schule und Bildung solle für alle Kinder gleichermaßen gelten. „In der Schule werden die Kinder mit Behinderungen von Schulassistent*innen im Schulalltag unterstützt. In den Klassen werden behinderte Kinder gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung unterrichtet. Sie alle lernen gemeinsam und unterstützen sich gegenseitig.“ Der Schulweg sei barrierefrei gestaltet, was dem Kind ermögliche, mit öffentlichen Verkehrsmitteln selbstständig in die Schule zu fahren.“ Nach der Pflichtschule habe das Kind die Wahl zwischen lehre oder Matura. Für den Fall, dass die Jugendliche eine Lehre absolvieren möchte, stehe eine Arbeitsassistenz bereit. Sollte der weitere Schulweg gewählt werden, geben es hinsichtlich der Schulwahl keine Einschränkungen. Dies gelte auch im Universitätsbereich. Der Übergang vom Bildungssystem zum Arbeitsplatz dürfe nicht von Barrieren begleitet sein.
„Inklusion am Arbeitsplatz bedeutet, dass Talente und Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen – unabhängig von individuellen unterschieden. Jeder und jede sollte die Möglichkeit haben, seinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten“, betonte Nussbaum. Im Erwachsenenalter spiele die Wahl des Wohnorts eine wichtige Rolle. Es gebe ausreichend Zugang zu leistbarem und barrierefreiem Wohnraum und zu Persönlicher Assistenz, die im täglichen Leben und der Freizeit unterstützt. „Und zu guter Letzt kann die behinderte Person auch in Pension gehen, ihren wohlverdienten Ruhestand in finanzieller Sicherheit genießen“, so geht der Lebenslauf zu Ende.
Dieser Lebenslauf höre sich Nussbaum zufolge sehr leicht und selbstverständlich an. „Aber jetzt komm der Filmriss: Wo stehen wir in Österreich derzeit? Wir sind Lichtjahre von einer vollständigen Inklusion von Menschen mit Behinderungen entfernt“, so die Nationalratsabgeordnete.
Es gebe große Versäumnisse bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Im Bildungsbereich gebe es sogar Rückschritte. Zudem hätten Kinder mit Behinderungen in Österreich noch immer nicht die Möglichkeit, ihre schule frei zu wählen. In Kindergärten fehle es fast gänzlich an Plätzen für Kinder mit Behinderungen, und noch immer sei der überwiegende Teil von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Sonderschulen untergebracht. „Danach werden die Jugendlichen in Tagesstrukturen und Wohneinheiten untergebracht, wo sie nur ein kleines Taschengeld erhalten und ein Leben lang von ihren Eltern abhängig sind“, schilderte die Sprecherin der SPÖ.
„Wir haben noch extrem viel zu tun, um eine inklusive Gesellschaft tatsächlich leben zu können. Dafür brauche es One Stop Shops, ein echtes inklusives Bildungssystem unter dem Motto ‚Jedem Kind die gleichen Chancen‘. „ Darüber hinaus sei barrierefreier Wohnraum und Barrierefreiheit im öffentlichen Raum nötig, Die Umsetzung von Lohn statt Taschengeld mit voller sozialversicherungsrechtlicher Absicherung und vor allem das Mitdenken von Inklusion in allen Lebensbereichen und auch in allen Ministerien sei dafür erforderlich. Und natürlich müsse auch die Finanzierung gesichert sein. „Denn eines muss klar sein: Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif“, schloss Nussbaum.
NAbg. Christian Ragger
NAbg. Christian Ragger, FPÖ-Sprecher für Menschen mit Behinderungen zufolge sei Inklusion nichts Anderes als „unter uns“. Unter uns heiße, dass diese Menschen, die eine Behinderung haben, die eine Beeinträchtigung haben, die heute es in ihrer Lebenssituation schwerer haben, hier integriert zu werden, das nicht können.
Ragger erklärte die Ausgangssituation in Österreich: „Sie kommen heute als Mutter zu einer Organisation oder vielleicht zu einer öffentlichen Stelle und sagen: ‚Entschuldigen Sie, ich habe ein beeinträchtigtes Kind. Wie helfen Sie mir?‘ Und dann haben Sie verschiedene Stellen […] und Sie brauchen einen Treppenlift. Dann schicken sie Sie zuerst einmal zur Gemeinde, weil die Gemeinde ist zuständig für die Bauordnung. […] Dann brauchen Sie einen Zuschuss, da müssen Sie dann zum Land gehen, weil das Land gibt Ihnen einen Zuschuss für diesen Menschen mit Beeinträchtigung. Wenn Sie dann fertig sind, dann können Sie eine Assistenz beantragen, dann können Sie zum Bund gehen. Und auf dieser Basis haben Sie jetzt erst einmal die Institutionen zusammen, aber noch keine Sicherheit dafür, dass Sie etwas bekommen. Und das ist die Ausgangssituation in Österreich, für die ein Minister zuständig ist, für die ein Landeshauptmann zuständig ist und für die eine Gemeinde zuständig ist. Und dann frage ich Sie, ob das kritikfähig ist, wenn diese Menschen nicht unter uns weilen können“, verdeutlichte Christian Ragger. Dies sei alles hausgemacht, so Ragger. Und es sei noch nicht die Rede von einer UN-Behindertenrechtskonvention, die noch weitere Kritikpunkte aufzähle.
„Und jetzt gehen Sie dann mit diesem Kind, das haben Sie die ersten sechs Jahre durchgebracht, in eine Schule. Und jetzt müssen Sie wissen, dass Österreich aufgebaut ist auf zwei große Gruppen: Einmal links – SPÖ – und einmal rechts – ÖVP. Und die hat sich nach 55 alles aufgeteilt in diesem Land, auch die auszuführende ideologische Bildung“, so Ragger. Daher werde das Kind, das beeinträchtigt in die Schule gebracht werden muss, zuerst einmal zu einem Lehrer kommen. Jetzt müsse dieser Lehrer ausgebildet werden, aber das sei nicht so einfach, weil der Lehrer vom Bund bezahlt werde. „Aber wie er eingeteilt wird, das zahlt das Land und organisiert das Land. Und wer letztendlich für diesen Behinderten letztendlich die Schulklasse zur Verfügung stellt, das ist die Gemeinde“, erklärte der Nationalratsabgeordnete.
Die Freiheitlichen würden für einen anderen Ansatz stehen, „nämlich dahin, dass wir ganz einfache Denkmuster haben. Nämlich das, was wir auch in der Mindestsicherung in unserer Regierungsperiode vorgezeigt haben und auch umgesetzt haben: Nämlich, dass sie Mindestsicherung Bundessache ist.“ Und das könne es auch nicht sein, dass es neun verschiedene Einrichtungen für Behindertenumsetzungen gebe. „Der Fisch fängt am Kopf zum Stinken an. Und daher ist es in erster Linie mal wichtig, dass wir eine bunderechtliche Regelung, und in der nächsten Regierungsperiode sollte man darüber nachdenken, sofern die Freiheitlichen in der Regierungsverantwortung sind, wird es auch dazu eine Grundsatzgesetzgebung geben, damit nicht die ganzen Landesfürsten immer tun und lassen können, was sie wollen, sondern dass sie ganz klare Vorgaben haben, was wir für diese Menschen, wenn wir es ernst nehmen, auch umsetzen wollen“, so Ragger.
Am 27. Februar 2024 habe die Regierung die Wohnbau-Milliarde präsentiert. Dabei habe aber genau der Einbringer dieser heutigen „Aktuellen Stunde“, nämlich die Grünen, „wieder auf unsere Mitmenschen mit besonderen Bedürfnissen vergessen. Denn sie haben es nicht geschafft, die Zweckbindung im Behinderten-Bereich festzulegen und dass die Länder dies in ihren die Wohnbauförderungsgesetzen umsetzen können. Da haben ÖVP und Grüne wieder einmal versagt! Wenn das Steuergeld für so viele Bereiche so locker sitzt, wieso ist es der Regierung dann nicht gelungen, im Finanzausgleich entsprechende zusätzliche Finanzmittel vorzusehen? „, erklärte Ragger.
Die UN-Behindertenrechtskonvention gebe den Freiheitlichen in ihrer Kritik Recht und habe die Regierungspolitik dafür durch Sonne, Mond und Sterne geschossen, dass sie es nicht zustande gebracht habe, die De-Institutionalisierung durchzuführen, ihre Strukturen ins Reine zu bringen und auch die dringend notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Es wäre ein Leichtes gewesen, das im Finanzausgleich sicherzustellen, so Ragger.
Die Kernpunkte der FPÖ im Bereich der Behindertenpolitik seien relativ einfach, erklärte Ragger: Lohn statt Taschengeld für Menschen mit Beeinträchtigung, eine Wohnbaufinanzierung, „wo wir sehen, dass die Menschen hier auch integriert werden können“, und eine „Ausbildung für unsere Menschen, die ein Miteinander unter uns gewährleisten.“
NAbg. Sibylle Hamann
NAbg. Sibylle Hamann, Bildungssprecherin der Grünen, ortet im „Sortierungswahn“ ein Grundproblem. Österreich wende „wahnsinnig viel Energie dafür auf, Menschen auseinanderzusortieren und in Kastln und Schubladen, in Diagnosen, in Wohnhäuser und Schultypen einzuteilen“, so Hamann. Man wolle Menschen dort einordnen, wo sie quasi dazupassen, wo sie unter ihresgleichen sind, statt Menschen einfach so zu nehmen, wie sie sind – mit all ihren individuellen Eigenheiten und in all ihrer Vielfalt. Sie halte dies für einen großen, kostenintensiven Fehler und führte dies anhand von Beispielen aus dem Bereich Bildung aus.
Bisher habe es „diese erbarmungslose Sortierung in arbeitsfähig und nicht arbeitsfähig“ gegeben. Diese Aussortierung mit 16 sei nun abgeschafft worden. Den Jugendlichen mit Behinderung stünden jetzt Ausbildungen und AMS-Schulungen sowie Einrichtungen des Jugendcoaching, Programme wie Ausbildungsfit, Lehrberufe und auch Teilqualifizierungen offen. Bis zum Alter von 25 Jahren hätten diese nun Zeit, am Arbeitsmarkt einen Platz zu finden.
„Dort, wo wir als Grüne nicht direkt Verantwortung tragen, ist es ein bisschen schwieriger, Dinge anzuschieben, aber auch dort kämpfen wir um jeden Zentimeter Fortschritt. Das Beispiel Kindergärten wurde schon erwähnt. Es sollte – na selbstverständlich, wie Kollegin Nussbaum vorhin gesagt hat – jedes Kind einen Platz haben, aber so ist das nicht. In ganz vielen Gemeinden wird Eltern gesagt: Dein Kind ist irgendwie anders, wir wissen nicht genau, wie wir damit umgehen sollen, gehe lieber woanders hin, bevor es zu kurz kommt!“ Für Eltern sei das oft ein Spießrutenlauf. Selbst im Land Wien, wo das Kindergartenwesen an sich ja gut ausgebaut sei, fehlten 900 inklusive Plätze in Kindergärten.
Im Bereich Pflichtschule sei der Sortierungswahn besonders deutlich sichtbar. „Da haben wir nämlich etwas, das in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Italien, längst abgeschafft wurde, nämlich voneinander getrennte Häuser. In die einen kommen alle Kinder, die anders sind, und diese Häuser heißen Sonderschulen. Dort sind Kinder mit verschiedensten Behinderungen unter sich. Was bedeutet das gleichzeitig für die Gesellschaft? Dass einem draußen niemand mehr begegnet“, so Hamann. Das große Paradox sei, dass diese Trennung im Schulsystem enorm viel koste. Schulgebäude seien in vielen Gemeinden oft großzügig eingerichtet, es gebe dort viel Expertise und gutes Personal. „Vergleichen Sie das einmal mit den inklusiven Klassen in normalen Schulen! Das ist oft wirklich erschreckend: Da fehlen Räume, da fehlt Expertise, da fehlt qualifiziertes Personal, da werden immer mehr Kinder mit SPF in eh schon volle Klassen gesteckt. Manchmal vermute ich tatsächlich, dass dahinter ein System steckt: dass man vielleicht die inklusiven Klassen tatsächlich nicht ganz so attraktiv machen will, um die schönen Sonderschulen vollzukriege“, meinte Sibylle Hamann, die „uraltes Denken“ konstatierte. Interessant sei, dass dies – anders als Christian Ragger vorhin vermutet habe – parteipolitisch nicht unbedingt so deutlich zuordenbar sei.
Am weitesten in puncto Inklusion seien die unterschiedlich regierten Länder Kärnten und Steiermark. Die allerhöchsten Sonderschulquoten hätten paradoxerweise das rot regierte Wien und das schwarz regierte Niederösterreich. Aus grüner Sicht sei Hamann klar: Es brauche einen Schub in die andere Richtung. „Wir müssen Mittel radikal umverteilen. Wir müssen weg von dem getrennten Sonderschulwesen hin zu inklusiven Settings. Wir müssen die Sonderschulgebäude öffnen und das große Wissen, das dort ist, für alle in dieser Gesellschaft nutzbar machen. Das sage übrigens nicht nur ich, sondern das sagt auch der Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Warum? – Weil das Sortieren endlich aufhören muss und weil Kinder gemeinsame Erfahrungen machen müssen, damit Inklusion in diesem Land gelingen kann“, schloss die Bildungssprecherin.
NAbg. Fiona Fiedler
NAbg. Fiona Fiedler, Bereichssprecherin für Menschen mit Behinderungen (NEOS), zeigte sich verwundert, dass ausgerechnet die Grünen das Thema Inklusion auf die Tagesordnung setzen, weil gerade in letzter Zeit alle konstruktiven Vorschläge der Opposition heillos vertagt worden seien.
Kollegin Bedrana Ribo habe angesprochen, dass Menschen mit Behinderung mit Persönlicher Assistenz dann selbst entscheiden können, wie sie ihr Leben leben würden. Das Problem sei immer noch, dass diese Menschen darum bitten müssen, Persönliche Assistenz für einen Kaffee zu bekommen, für eine Freizeitaktivität – das müsse. aufhören! Persönliche Assistenz sei nicht etwas, was ein Mensch gerne in Anspruch nimmt. Das seien Menschen, die einen im intimsten Lebensalltag begleiten, und es müsse möglich sein, dass man, wenn man die Anfrage stellt, diese Unterstützung ohne Wenn und Aber bekommt.
In puncto Arbeitsfähigkeitsprüfung sei von mehreren Seiten ausführlich erklärt worden, wie wichtig dies für Menschen sei – und dann führe man eine Stichtagsregelung ein. Entsprechend der Stichtagsregelung habe jemand, der vor dem 1.1.2023 als arbeitsunfähig erklärt wurde, nicht mehr die Möglichkeit auf Aufhebung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Diese Stichtagsregelung gehöre abgeschafft.
Auch zu „Lohn statt Taschengeld“ komme Fiedler zufolge irgendwann ein Pilot. Das sei gut so, die NEOS würden das begrüßen, aber dafür sei es schon längst an der Zeit. Es steht ja auch im Regierungsprogramm. Die Kritik richte sich nicht nur an die Grünen, sondern auch an die 37 Jahre lang regierende ÖVP, die schon längst ins Tun hätte kommen müssen.
Weiters kritisierte Fiedler, dass das Thema elftes und zwölftes Schuljahr für Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sei vertagt worden sei und es keinen Rechtsanspruch gebe.
„Was wir haben, ist die UN-Behindertenrechtskonvention, die wir seit 2008 ratifiziert haben. Das heißt, wir haben 16 Jahre ins Land ziehen lassen, ohne etwas zu tun. Was uns bleibt, sind zwei Nationale Aktionspläne, die verstaubt in der Lade liegen, die meiner Meinung nach ein zahnloses Dokument sind. Es wird immer betont, dass es kein starres Dokument ist: Wo findet man denn die Anpassungen, die da ständig passieren? Das würde mich interessieren, denn die habe ich noch nicht gefunden. Es gibt Handlungsempfehlungen der Vereinten Nationen zu dieser desaströsen Staatenprüfung. Auch da wäre es dringend notwendig, ins Tun zu kommen. Inklusion in allen Lebenslagen – ganz ehrlich: Es gibt keine Harmonisierung zwischen den Bundesländern, es gibt keinen inklusiven Arbeitsmarkt. Es gibt keine umfassende und einheitliche Barrierefreiheit. Es gibt keine einheitliche Regelung zur Persönlichen Assistenz. Und es gibt keine inklusive Bildung, die der Grundstein für Inklusion, für gelebte Inklusion wäre. Ganz ehrlich – ich appelliere an Sie alle, an 182 Abgeordnete: Drehen Sie Ihr Mindset! Werden Sie Botschafter für Inklusion! Tragen Sie den Inklusionsgedanken hinaus, denn nur dann können wir alle Inklusion leben, wenn Sie alle hier herinnen das verstanden haben! Diese Aktuelle Stunde richtete sich auch nicht an einen konkreten Minister. Ich freue mich, dass Sie hier sind (in Richtung Bundesminister Rauch), weil Sie einer der wenigen sind, die in diesem Bereich wirklich etwas tun, aber ganz ehrlich: Ich hätte mir gewünscht, dass einer aus den anderen Ministerien hier sitzt, denn es betrifft jedes einzelne Ministerium“, schloss die NEOS-Behindertensprecherin.
NAbg. Norbert Sieber
NAbg. Norbert Sieber (ÖVP) erklärte einleitend, Österreich sei im Bereich der Inklusion und der Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung auf einem guten Weg. „Wir haben viel umgesetzt, nicht nur diese Regierung, auch Regierungen davor haben auf diesem Weg gearbeitet, damit wir eben einen guten Stand haben“, so Sieber.
Wenn man über dieses Thema spreche, sollte man auch nicht auf die Personen vergessen, die viele Jahre für dieses Thema gekämpft haben. „Zum einen möchte ich Herbert Pichler erwähnen, den leider allzu früh verstorbenen Präsidenten des Behindertenrats, der wirklich ein Vorbild in seinem Einsatz für die Rechte von Behinderten war. Ich möchte an Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus erinnern: an Kollegin Theresia Haidlmayr, eine Frau mit Ecken und Kanten, die sich wirklich massiv für die Rechte von Behinderten eingesetzt hat, oder auch an Kollegin Helene Jarmer, die uns mit ihren Reden gezeigt hat, welche Möglichkeiten durch Inklusion gegeben sind, und uns vor Augen geführt hat, was diese Menschen für unsere Gesellschaft bedeuten können. Ich möchte an Herrn Dr. Franz-Joseph Huainigg mit einem sehr hohen Grad an Behinderung erinnern, der seine Reden hier im Rhythmus seines Beatmungsgerätes halten musste: was er uns mitgeben konnte, was er für Ideen miteingebracht hat und wie wertvoll seine Arbeit auch für dieses Haus war.“ Auch seine Kollegin Kira Grünberg setze sich trotz ihrer Behinderung ebenfalls ganz massiv für Behindertenrechte ein. „Wenn ich mir – wie vielleicht auch manche andere von Ihnen – die Videos auf YouTube beziehungsweise auf Facebook ansehe, dann bin ich immer tief beeindruckt von der Lebensleistung dieser Person und der Lebensleistung vieler anderer Personen“, so Sieber.
Man müsse mit den Leistungen, die bereits auf den Weg gebracht worden seien, nicht hinter dem Berg halten. „Denken wir an die erhöhte Familienbeihilfe, die für Menschen mit Behinderung bis 18 Jahre ausbezahlt wird! Da bekommt man zu den 164 Euro 67 Euro Kinderabsetzbetrag und auch noch eine erhöhte Familienbeihilfe von 180 Euro. Diese Beträge valorisieren wir jetzt jährlich“, so Sieber. Seit dem 1. März 2023 sei überdies eine Verwaltungsvereinfachung umgesetzt, wobei Daten aus dem Behindertenpass – einmalig erfasst – reichen würden. Seit dem 1. Jänner 2023 werde der Betrag von 60 Euro nicht mehr auf das Pflegegeld angerechnet, sondern verbleibe bei den Menschen. Das jährlich valorisierte Pflegegeld betrage im Jahr 2024 von 192 Euro in der Stufe 1 bis zu 2.061 Euro in der Stufe 7. Das sei im internationalen Vergleich ein wirklich guter Wert.
Auf Initiative auch von Kira Grünberg würden Menschen mit Behinderung jetzt nicht mehr nur von der Vignettenpflicht befreit, sondern auch von Beträgen für Streckenmauten. Natürlich gebe es auch eine Reihe von Gebührenbefreiungen für Behinderte, aber auch Steuererleichterungen.
„Meine Damen und Herren, weil es schon mehrfach angesprochen wurde: Es geht um das Thema Lohn statt Taschengeld. Wir bekennen uns alle dazu, aber eines möchte ich auch klar sagen: Das System mit dem Taschengeld war kein schlechtes. Es hat sich sehr flexibel an die Bedürfnisse der Menschen angepasst und hat auch in der Systematik gut gepasst. Trotzdem verstehen wir vollkommen, dass Menschen mit Behinderung, die einer Arbeit nachgehen, einen Lohn für ihre Arbeit haben wollen – kein Taschengeld, sondern eben einen Lohn“, verdeutlichte Norbert Sieber. Deswegen sei es wichtig, „dass wir die Überführung dieses Systems Taschengeld in ein System Lohn so machen, dass schlussendlich nicht Möglichkeiten und Vorteile des alten Systems über Bord gehen oder vergessen werden, sondern dass das neue System Lohn auch wirklich alle Vorteile des alten Systems beinhaltet. Das ist eine Herausforderung, dieser stellt sich nicht nur unser Minister Rauch, sondern die gesamte Regierung. Ich bin sehr zuversichtlich, Herr Minister, dass wir das noch in dieser Regierungsperiode über die Bühne bringen“, schloss der Abgeordnete.
NAbg. Petra Tanzler
NAbg. Petra Tanzler (SPÖ) erklärte, dass sie es skurril finde, wenn die Grüne Partei Inklusion als Thema der Aktuellen Stunde wähle, da sie ja gemeinsam mit der ÖVP in diesem Bereich sehr wenig bis gar nichts weitergebracht habe. Norbert Sieber empfahl sie, bei Kollegin Grünberg im Bereich Inklusion Nachhilfe zu nehmen.
Mit der Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen habe sich Österreich verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten, zu schützen und zu achten. Das gehe laut Tanzler mit der Verpflichtung der Regierung einher, der Inanspruchnahme des Rechts auf inklusive Bildung entgegenstehende Barrieren zu beseitigen.
Es müsse daher ein inklusives Bildungssystem geben. „In Österreich gibt es aber nach wie vor immer noch das Integrationsprinzip; das ist ein Riesenunterschied. Es fehlen viele gesetzliche Grundlagen, die Bildung nach der Pflichtschule ermöglichen, oder auch Möglichkeiten, um eine Schule frei zu wählen“, so Tanzler. Das bedeute, dass junge Menschen zusätzlich behindert würden. Sie würden seit Jahren ihrer Chancen und einer guten Zukunft beraubt, und jenen, die in den letzten fünf Jahren als ÖVP-Grüne-Regierung nichts dafür getan hätten, so wie auch die ÖVP-FPÖ-Regierung davor. Seit die SPÖ nicht mehr in Regierungsverantwortung sei, bewege sich dieser Bereich Tanzler zufolge in homöopathischen Dosen weiter. Seit 2022 solle ein Bundesbildungsplan vorliegen, im Nationalen Aktionsplan fänden sich jedoch nur Überschriften, keine Maßnahmen und keine Umsetzungen.
„Im vergangenen Jahr habe ich einen Antrag gestellt, in dem die Beseitigung sämtlicher Barrieren im schulischen Bereich gefordert wurde, und ebenso einen Antrag betreffend das Recht auf ein elftes und zwölftes Schuljahr für Jugendliche mit Behinderung. Dieser wurde jedoch mit den Stimmen der Regierungsparteien abgelehnt. Es gab dazu auch eine Petition, die wir unterstützt haben. Im Hinblick darauf kann man somit sagen: Sie ignorieren diese Bedürfnisse, und Sie richten damit Kindern und ihren Eltern aus, dass ihre Bildung weniger wert ist und dass sie weniger wert sind“, meinte Petra Tanzler.
Die SPÖ habe die Ausarbeitung eines Lehrplans für österreichische Gebärdensprache gefordert und viele, viele andere Vorschläge eingebracht. Es brauche dringend und endlich im Bereich des sonderpädagogischen Förderbedarfs eine einheitliche Vergabe und eine Aufhebung der Deckelung. Notwendig seien auch vermehrte Angebote im Bereich Aus- und Fortbildung für Pädagoginnen und Pädagogen. Zudem sollte jedes behinderte Kind auch einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz haben.
Tanzler ergänzte abschließend: „Wir waren bereit, mitzuarbeiten, wir haben uns eingebracht, wir haben aufgezeigt, was fehlt. Einzig und allein Sie, werte Regierungsparteien, inklusive Bildungsminister – das muss man sagen –, sind in Ihrer Arbeit säumig gewesen, haben die Handlungsempfehlungen, die Ihnen wiederholt vorgelegt wurden, nicht umgesetzt, und das ist das Ergebnis.
NAbg. Dagmar Belakowitsch
NAbg. Dagmar Belakowitsch (FPÖ) erklärte, dass Menschen mit Behinderungen nicht alle gleich seien. „Das ist ein Überbegriff für Menschen mit Beeinträchtigungen, die völlig unterschiedlich sind“, so Belakowitsch, die kritisierte, dass es keinen Rechtsanspruch auf das elfte und zwölfte Schuljahr gebe. „Da wurde hier wirklich eine Ungleichbehandlung beschlossen, und zwar – im Übrigen – noch unter einem roten Sozialminister. Das sollte man nicht vergessen, das ist auch Kindesweglegung, wenn Sie das hier jetzt machen. Da braucht es natürlich eine Gleichbehandlung, und wir Freiheitliche bekennen uns zu den Sonderschulen […], weil es nämlich für Betroffene positiv ist.
Die FPÖ-Gesundheitssprecherin war der Regierung vor, die Ausbildung der Sonderpädagogen verkürzt zu haben. In Richtung ÖVP meinte sie: Der Familiensprecher der ÖVP stellt sich hierher und sagt: Die Bundesregierung ist grandios, großartig und tut sehr viel! Ich nenne Ihnen jetzt ein ganz aktuelles Beispiel: Ich habe einen schwer behinderten Sohn. Sein Behindertenpass läuft mit 30. März aus. Ich habe daher einen Antrag auf Verlängerung gestellt, und er wurde für sechs Monate verlängert. Meine Damen und Herren! Bekanntlich sind das Bundesangelegenheiten, und wenn man als Angehöriger alle sechs Monate einen neuen Antrag für jemanden einbringen muss, der zu 100 Prozent behindert ist und bei dem es keinerlei Chance gibt, dass es besser wird, dann fühlt man sich wirklich nicht gut behandelt. Das ist meines Erachtens etwas, was man mit einem Federstrich ändern und verbessern kann, dazu hat diese Bundesregierung aber nichts beigetragen, überhaupt nichts“, so die Abgeordnete.
Es gebe eine Antragsflut, überallhin müssten Befunde geschickt und noch einmal geschickt werden, man müsse sie dahin und dorthin schicken. Das könne jeden treffen. Alte Personen, die etwa einen Umbau im Badezimmer brauchen, weil es behindertengerecht umgebaut werden muss, würden oft eineinhalb Jahre auf einen Bescheid warten, dass sie einen Zuschuss bekommen. Diesbezüglich bestehe Handlungsbedarf, und das sei Bundesangelegenheit.
NAbg. Markus Koza
NAbg. Markus Koza (Grüne) sprach über einen geht um den Paradigmenwechsel im Bereich der jugendlichen Menschen mit Behinderung. „Im Jahr 2024 haben wir endlich den fast menschenverachtenden Automatismus von Sonderschule, Arbeitsunfähigkeit, Werkstatt und Sozialhilfe durchbrochen“, so Koza. Für junge Menschen mit Behinderung unter 25 Jahren werde künftig die Überprüfung der Arbeitsfähigkeit ausgesetzt, Betroffenen würden künftig Zugang zu Leistungen, Unterstützungen und Hilfen des Arbeitsmarktservice beziehungsweise des Sozialministeriumservice bekommen. Anstelle des automatischen Abschiebens in die Werkstatt werde es für jeden Jugendlichen mit Behinderung einen Perspektivenplan geben, der Möglichkeiten und Schritte zur Arbeitsmarktintegration aufzeige und insbesondere auch dabei helfe, mit Qualifizierungsprogrammen die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Betroffenen zu heben.
Anstelle der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach rein medizinischen Kriterien werde künftig insbesondere darauf geachtet, welche Fähigkeiten der junge Mensch mitbringe, welche Potenziale er habe, und es wird vor allem darauf geschaut, welche Maßnahmen denn notwendig seien, um eine entsprechende Arbeitsmarktintegration zu unterstützen. Zusätzlich werde aus dem Arbeitsmarktbudget ein spezielles Budget unter anderem auch für Menschen mit Behinderung im Ausmaß von 50 Millionen Euro bereitgestellt, damit die entsprechenden Arbeitsmarktmaßnahmen finanziert werden können.
„Wenn wir es mit Lohn statt Taschengeld aber wirklich ernst meinen, dann heißt das insbesondere, dass wir uns bemühen müssen, Menschen mit Behinderung in den sogenannten Ersten Arbeitsmarkt zu bringen, dorthin, wo tatsächlich Löhne, kollektivvertragliche Löhne bezahlt werden, wo die Menschen sozialversicherungsrechtlich, arbeitsrechtlich abgesichert sind“, betonte Koza, der hinzufügte, dass die Arbeitsmarktpolitik entsprechend unterstützen und entsprechend dabei helfen werde, dass Menschen mit Behinderungen ihr eigenes Geld verdienen können und künftig eine Arbeitswelt vorfinden, in der sie nicht behindert werden, sondern in der ihre Fähigkeiten und Potenziale gehoben werden.
NAbg. Martina Künsberg Sarre
NAbg. Martina Künsberg Sarre (NEOS) wunderte sich zu Beginn ihrer Rede: „Wenn man den Rednern von Grünen und ÖVP zuhört, dann meint man ja, dass man hier in Österreich in einem inklusiven Paradies ist. Diese Chuzpe möchte ich haben: dass Sie alle sich hier herausstellen und von den vielen, vielen Fortschritten sprechen, die wir in den letzten fünf Jahren beim Thema Inklusion gemacht haben.“ Der Rechtsanspruch auf das elfte und zwölfte Schuljahr für Kinder mit Behinderungen sei nicht umgesetzt. Dabei sei Bildung der Schlüssel für alles Weitere im Leben.
2023 habe die UN einen Staatenbericht verfasst, der für Österreich desaströs sei. „Wir haben im Bereich der Inklusion, der inklusiven Bildung nicht nur keine Fortschritte gemacht, sondern sogar Rückschritte. Was ist passiert? – Nichts. Fakt ist, die Inklusion ist nichts Freiwilliges. Das ist kein Goodwill, das ist nicht: Heute in der Früh stehe ich auf und mache einen auf Inklusion, aber morgen dann nicht mehr, weil es vielleicht zu anstrengend ist! – So läuft das nicht“, meinte Künsberg Sarre.
2008 habe Österreich die Behindertenrechtskonvention unterzeichnet, und es sei eine Verpflichtung, diese umzusetzen. Der Deckel für sonderpädagogischen Förderbedarf sei seit 1992 nicht angehoben worden. Dieser liege bei 2,7 Prozent und entspreche längst nicht mehr der Realität.
An Minister Johannes Rauch gewandt, sagte Künsberg Sarre: „Sie sind zwar nicht direkt dafür zuständig, aber mit Minister Polaschek in einer Regierung: Die Bundesregierung hat eine Studie in Auftrag gegeben, um eine bessere Ausgangsposition betreffend den sonderpädagogischen Förderbedarf bei den Finanzausgleichsverhandlungen zu bekommen. Die Veröffentlichung wurde hinausgeschoben. Zuerst hat es geheißen: Frühjahr 2023, dann: Frühsommer, Spätsommer, Herbst. Und wann wurde die SPF-Studie veröffentlicht? An dem Tag, als der Finanzminister das Ergebnis der Finanzausgleichsverhandlungen kundgetan hat.“
Die Bundesregierung und alle von ÖVP und Grünen hätten Martina Künsberg Sarre zufolge im Bereich der inklusiven Bildung in den letzten fünf Jahren nichts weitergebracht. „Sie klopfen sich hier auf die Schultern, dabei sind es fünf verlorene Jahre für Kinder mit Behinderung; es sind fünf verlorene Jahre für Kinder ohne Behinderung; es sind fünf verlorene Jahre für alle Kinder und für uns als Gesellschaft.“
Künsberg Sarre zufolge brauche es mehr als Lippenbekenntnisse. Was die Regierung in den letzten fünf Jahren auf den Weg beziehungsweise nicht auf den Weg gebracht habe, sei ein Armutszeugnis. Es reiche nicht, die ganze Zeit nur darüber zu reden.
Service-Links
Aktuelle Stunde auf der Website des Österreichischen Parlaments
Staatenbericht Vereinte Nationen vom 28. September 2023:
Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Abschließende Bemerkungen zum kombinierten zweiten und dritten periodischen Bericht Österreichs (PDF)