Anfang März fand das EDF Board Meeting in Brüssel statt. Das EDF ist das Europäische Behindertenforum und vertritt europaweit rund 80 Millionen Menschen mit Behinderungen. Hierbei kommen die Vorstandsmitglieder des Europäischen Behindertenforums sowie Vertreter der europäischen Behindertenrechtsbewegung zusammen. Ich vertrat unsere Kollegin Christina Wurzinger, welche ein Boardmitglied des EDFs ist.
SDGs – Sustainable Development Goals
Das leitende Thema der Konferenz waren die SDGs – die nachhaltigen UN-Entwicklungsziele. Im Rahmen dessen wurde auch der 2. Menschenrechtsbericht des EDFs vorgestellt zum Thema SDGs und Menschen mit Behinderungen. Während die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) rechtlich bindend ist, sind die SDGs eine politische Vision. Beide verfolgen jedoch ein gemeinsames Ziel die Entwicklung unserer Gesellschaft nachhaltiger und inklusiver zu gestalten und die Armut zu reduzieren. Das Motto der SDGs „leave no one behind“ zeugt davon. Die UN-BRK kann als Rahmen für die Implementierung und das Monitoring der SDGs sowohl innerhalb der EU, als auch weltweit dienen. Es gibt hierbei auch die Möglichkeit eines freiwilligen Überprüfungsprozesses „voluntary national review“. Während des Board-meetings wurde auch die EDF-Resolution über die SDGs beschlossen für Menschen mit Behinderungen.
Einschätzung von Behinderung
Ein großes Thema war auch die Einschätzung von Behinderung. Berichten zur Folge bestehen hier vielerorts Missstände. So müssen beispielsweise in Estland Personen, deren Behinderung festgestellt werden soll, gar nicht anwesend sein. In den Niederlanden wird die Feststellung der Behinderung durch ein privates Versicherungsunternehmen vorgenommen und in Schweden muss man sich alle zwei Jahre dieser „Begutachtung“ unterziehen. Diese Praktiken entsprechen weder dem sozialen Modell von Behinderung, noch der UN-BRK. Die UN-BRK wurde sowohl von der Europäischen Kommission, als von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert. Sie sind somit verpflichtet, diese in all ihren Belangen umzusetzen. Menschen mit Behinderungen in ihrer Selbstbestimmtheit zu stärken wäre eine Voraussetzung hierfür. In diesem Zusammenhang würde die Europäische Behindertenkarte, die ebenfalls thematisiert wurde, eine Rolle dabei spielen, die Situation zu verbessern. Diese Europäische Behindertenkarte ist ein Projekt der Europäischen Kommission und wurde letztes Jahr in 8 Ländern eingeführt: Belgien. Zypern, Estland, Finnland, Italien, Malta, Rumänien und Slowenien. Diese Karte sollte EU-weit akzeptiert werden und Menschen mit Behinderungen Zugang zu Unterstützung und Dienstleistungen sicherstellen. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn diese Karte in allen EU-Mitgliedsländern ausgestellt und akzeptiert werden würde. Viele der Anwesenden haben sich für eine umfassende, europäische Behindertenkarte ausgesprochen, da es das Leben von Menschen mit Behinderungen erheblich verbessern würde, vor allem das Reisen, das sich im Moment schwierig gestaltet. Freier Personenverkehr ist außerdem eine der vier Grundfreiheiten der EU (neben freien Waren-, Diensleistungs- und Kapitalverkehr).
Europäische Säule Sozialer Rechte
Ein weiterer Programmpunkt war die Europäische Säule Sozialer Rechte. Diese sollte von politischen Verantwortlichen der EU auch tatsächlich in die Tat umgesetzt werden mit starker gesetzlichen Basis und adäquaten Budget, beispielsweise aus dem ESF (Europäischer Sozialfonds). Das EDF möchte nicht nur besseren Zugang zu Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen, sondern auch adäquaten, sozialen Schutz, um Menschen aus Armut zu befreien, auch wenn sie nicht arbeiten können. Die Europäische Säule Sozialer Rechte besteht aus 20 Prinzipien, das 17.Prinzip hat Menschen mit Behinderungen zum Thema, darin sind das Recht auf ein eigenes Einkommen festgeschrieben, sowie das Recht auf Assistenz/Services die es ihnen ermöglichen am Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Europäische Behindertenstrategie 2020-2030
Auch die neue Europäische Behindertenstrategie 2020-2030 wurde thematisiert. Im Moment gibt es europaweit 80 Millionen Menschen mit Behinderungen, das sind 16 Prozent der EU-Bevölkerung. Bis 2021 soll diese Zahl auf 120 Millionen steigen. Umso wichtiger ist es, dass die neue Behindertenstrategie weiterhin an der Umsetzung der UN-BRK arbeitet.
European Accessibility Acts
Über den aktuellen Stand des EAA´s European Accessibility Acts (EU-Richtlinie für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen) wurde ebenfalls informiert. Der EAA soll barrierefreie Dienstleistungen und Produkte EU-weit ermöglichen. Diese Woche hat der erste Trilog zum EAA (Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament) begonnen. Während der EU-Ratspräsidentschaft Bulgariens, sollen insgesamt 4 Triloge und 9 technische Meetings stattfinden. Der Text des EU-Rats hat den ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission stark verwässert. Die Sorge besteht, dass innerhalb der Trilog-Verhandlungen weitere Einschränkungen passieren. Ein starker EAA wäre aber wichtig, um Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu Dienstleistungen und Produkten zu gewährleisten.
CEDAW Komitee Wahl
Ein weiterer wichtiger Programmpunkt war die Kandidatur der Vizepräsidentin des EDFs und Vorsitzende des EDF-Frauenkomitees Ana Peláez Narváez für einen Sitz im CEDAW-Komitee. CEDAW ist die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Das gleichnamige Komitee besteht aus 23 Experten und Expertinnen die die Einhaltung der Konvention überwachen. Warum ist ihre Kandidatur wichtig? Um die Perspektive von Frauen mit Behinderungen stärker einzubringen. Ana ist selbst blind und eine internationale Expertin auf dem Gebiet der Menschenrechte. Das EDF und seine Mitglieder unterstützen ihre Kandidatur natürlich und hoffen auf ihre Wahl.
CRPD Komitee Wahl
Bei der nächsten Konferenz der Mitgliedsstaaten im Juni 2018 werden die Mitgliedsstaaten 8 neue Mitglieder zum CRPD Komitee wählen. Sehr erfahrene Europäische Mitglieder verlassen das Komitee Ende 2018, außerdem herrscht ein Ungleichgewicht unter den Mitgliedern: unter den 18 Mitgliedern befindet sich nur eine Frau. Das EDF ruft die EU-Staaten dazu auf starke europäische Kandidaten zu nominieren vor allem qualifizierte Frauen.
2021 Jahr für Menschen mit Behinderungen
2021 soll nächstes Jahr für Menschen mit Behinderungen werden. Dieses Jahr soll dazu genutzt werden, die Agenden der Menschen mit Behinderungen stärker auf politischer Ebene zu verankern. Ziel ist Bewusstseinsbildung und die tatsächliche Umsetzung der UN-BRK voranzutreiben.
Oviedo Konvention
Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates mit dem Ziel Mindeststandards zum Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte in Europa sicherzustellen und trat im Jahr 1999 in Kraft. Leider befindet sich das Übereinkommen nicht in Linie mit der UN-Behindertenrechtskonvention, genauer gesagt das neueste Zusatzprotokoll, da es Bestimmungen enthält die gegen die UN-BRK stehen, wie die gezwungene medizinische Behandlung und Unterbringung von Menschen mit Behinderungen vorsieht.
EU-Budget
Auch das EU-Budget wurde thematisiert, da aufgrund des BREXITs der Umfang der Geldmittel der EU erheblich reduziert werden wird. Die Sorge besteht, dass dadurch das Risiko steigt, dass die Mittel für den sozialen Bereich gekürzt werden und so auch die Geldmittel für die Menschen mit Behinderungen stark gekürzt werden. Das zukünftige Budget sollte aber im Gegenteil in Menschen investiert werden, um Armut und Ungleichheit zu reduzieren. Dies würde auch der 2030 Agenda der UN entsprechen und den SDGs entsprechen, die von der EU unterzeichnet wurde. Gegenwärtig und zukünftig sollen die EU-Fonds in Zusammenarbeit mit Organisationen von Personen mit Behinderungen und in vollen Respekt für fundamentale Menschenrechte. Durch den Austritt Großbritanniens aus der Europäische Union wird es im nächsten Budgets zu Kürzungen kommen und das Risiko, dass im sozialen Bereich gespart wird und hierzu zählen auch Förderungen für Menschen mit Behinderungen. Deshalb lobbyiert hier das EDF auf europäische Ebene, damit es nicht soweit kommt.
EDF-Meetings dienen der Information und dem Austausch über dringende politische Themen sowie aktuelle Entwicklungen auf europäischer Ebene. Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderungen profitieren davon, hier genauere Informationen zu erhalten, denn die europäische Rechtssetzung hat enormen Einfluss auf die nationale Rechtssetzung der EU-Mitgliedsstaaten. Das was auf europäischer Ebene entschieden wird, betrifft uns am Ende alle, weshalb auch die Arbeit des EDF´s als Interessensvertretung der Europäer und Europäerinnen mit Behinderungen so wichtig ist.
Von Gudrun Eigelsreiter