Gudrun Eigelsreiter vom Österreichischen Behindertenrat übersetzte diesen Text ins Deutsche. Der Originaltext stammt vom European Disability Forum.
„Die EU? Das sind nur Bürokraten? Warum sollte ich sie wählen?“ Eine Frage (eine Aussage?) die wir immer wieder hören.
Das stimmt aber nicht. Die EU hat großen Einfluss auf das Leben von Menschen mit Behinderungen. Sie hat mehrere Initiativen gestartet, die direkt oder indirekt (über die nationale Gesetzgebung der EU-Staaten) das Leben von Menschen mit Behinderungen verbessert hat.
Die nächsten Wahlen für das Europäische Parlament werden von 23.-26.Mai (in Österreich am 26.Mai) stattfinden. Hier findet ihr 10 Gründe, warum ihr wählen gehen solltet (wenn ihr keiner der 800000 EU-BürgerInnen mit Behinderungen seid, die derzeit durch diskriminierende, rechtliche Umstände nicht an politischen Wahlen teilnehmen dürfen.)
1. Weil die EU für Barrierefreiheit kämpft
EU-Institutionen arbeiten hart, um sicherzustellen, dass beides, die physische und virtuelle Welt barrierefreier für Menschen mit Behinderungen wird. Unter anderem sind der öffentliche Transport und die öffentlichen Webseiten barrierefreier geworden (beispielsweise, sind Flughäfen verpflichtet Menschen mit Behinderungen Assistenz für Menschen mit Behinderungen anzubieten. EU-Staaten sind auch verpflichtet alle neuen Zugstationen barrierefrei zu machen).
Die EU hat auch erst kürzlich einem Gesetz zugestimmt, dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen barrierefreier gestalten wird: dem European Accessibility Act.
Diese Gesetze, einige davon müssen dann noch in nationales Recht umgesetzt werden, haben nicht nur die Barrierefreiheit innerhalb der EU verbessert, sondern Länder wie Spanien dazu veranlasst weiter zu gehen.
Wichtig zu wissen ist, dass die von der EU verabschiedeten Gesetze „Minimum Standards“ sind. Das heißt, dass (anders als manche Menschen denken) ein EU Gesetz, bereits vorhandene Rechte nicht reduzieren kann. Beispielsweise verpflichtet die EU ihre Mitgliedsstaaten alle neuen und renovierten Zugstationen barrierefrei zu gestalten, aber natürlich können Mitgliedsstaaten auch ältere Zugstationen ins Gesetz inkludieren und barrierefrei gestalten.
2. Weil die EU unsere Arbeit schützt
Im Jahr 2000 hat die EU ein Gesetz verabschiedet, dass Diskriminierung in der Arbeitswelt verbietet. Das heißt, dass wir gegen Diskriminierung geschützt sind, wenn wir arbeiten oder eine arbeitsbezogene Ausbildung absolvieren. Das bedeutet auch, dass ArbeitgeberInnen den Arbeitsplatz für ArbeitnehmerInnen mit Behinderungen adaptieren müssen.
Obwohl die Situation weit davon entfernt ist, perfekt zu sein, ist es diesem Gesetz zu verdanken, dass man sich an ein Gericht wenden oder um die Unterstützung einer Anti-Diskriminierungsstelle ansuchen kann, wenn man z.B. in einem Bewerbungsprozess für einen Job diskriminiert wurde, entlassen wurde oder wenn ArbeitgeberInnen sich weigern Anpassungen für den Arbeitsplatz vorzunehmen.
3. Weil EU-Geld die Inklusion von Menschen mit Behinderungen fördert
EU-Geld hat der Österreicherin Selina geholfen ihren Traumjob in Oberösterreich zu finden. EU-Geld hat Nicolas geholfen an einem Projekt von Frankreich und Spanien teilzunehmen, in dem es um das politische Wahlrecht ging.
EU-Geld unterstützt Menschen mit Behinderungen in Griechenland und finanziert den Bau von Krankenhäusern in Portugal. Es wird auch verwendet, um Häuser zu renovieren und sie barrierefreier zu gestalten. Viele EuropäerInnen wissen gar nicht, dass sie durch EU-Fonds unterstützt werden. Trotz ihrer Beschwerden, sind sogar die reichsten Länder auf EU-Geld angewiesen, um Menschen mit weniger Chancen oder Menschen, die das Risiko von sozialer Exklusion tragen zu unterstützen.
4. Weil man den EU-Parkausweis in allen EU-Ländern nutzen kann
Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf den EU-Parkausweis. Dieser Parkausweis wird in allen EU-Mitgliedsstaaten anerkannt und erlaubt in reservierten, für Menschen mit Behinderungen vorgesehenen Parkplätzen überall in der EU zu parken. Wenn man also in ein anderes EU Land reist, muss man nicht extra um einen Parkausweis für Menschen mit Behinderungen ansuchen. Ein gutes Beispiel dafür wie Bürokraten, Bürokratie reduzieren.
Man kann den Parkausweis von der jeweils verantwortlichen Stelle des Landes beantragen, in dem man den Hauptwohnsitz hat.
5. Weil man in einem anderen EU-Land leben kann und dann noch immer (einige) Versicherungs-Vorteile nutzen kann.
EU-BürgerInnen können in ein anderes EU-Land ziehen und sind dann nach wie vor in der Lage einige soziale Leistungen zu beziehen (z.B. die originale Pension). Bei behinderungsbedingten Leistungen ist es komplizierter: Menschen mit Behinderungen haben zwar Anspruch, die Leistungen in derselben Höhe zu beziehen, wie die StaatsbürgerInnen dieses Landes, aber man muss darum ansuchen und einen neuen Einschätzungsprozess der Behinderung durchlaufen.
Der Grund dafür liegt darin, dass die EU zwar die sozialen Sicherungssysteme koordiniert, aber einige EU-Länder sich noch immer nicht überall beteiligen: beispielsweise haben sie vor ein paar Wochen neue Regeln verboten, welche ein integrierteres System bereitgestellt hätten! Das ist ein weiterer Grund dafür, PolitikerInnen zu wählen, die sich für die Bewegungsfreizügigkeit für Menschen mit Behinderungen einsetzen.
Die positiven Auswirkungen dieser Versicherung werden durch den negativen Effekt, den ihr Verlust mit sich bringt verdeutlicht: beispielsweise befinden sich EU BürgerInnen, die in Großbritannien leben, in einer Art Schwebezustand, weil sie nicht sicher sein können, dass sie nach dem BREXIT (dem Austritt Großbritanniens aus der EU) weiterhin ihre Beitragsleistungen erhalten.
6. Weil man in einem anderen EU-Land den Dienst von Krankenhäusern in Anspruch nehmen kann:
Wenn man in einen anderem EU-Land einen Unfall hat oder erkrankt kann man ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis aufsuchen. Dank der Europäischen Krankenversicherungskarte gelten hierbei dann dieselben Konditionen wie bei StaatsbürgerInnen und man muss nicht seinen Aufenthalt/Reise unterbrechen, weil unerschwingliche Kosten zu tragen wären.
Achtung: die Karte kann nicht für geplante Behandlungen genutzt werden.
7. Weil die EU das Projekt „EU-Behindertenpass“ (EU Disability Card) fördert:
Momentan ist es so, wenn man ein anderes EU-Land besucht, dass der nationale Behindertenpass und andere Dokumente nicht anerkannt werden, aufgrund zahlreicher praktischer Ursachen (verschiedene Formate, Sprachen, unterschiedliche Einschätzungen von Behinderung). Der EU-Behindertenpass, ein Projekt das aktuell in acht Ländern läuft, würde all das vermeiden in dem eine Behindertenkarte geschaffen wird, die überall das gleiche Format hat. Das heißt, dass man auch Zugang zu herabgesetzten kulturellen Aktivitäten und Freizeitangeboten hat: Museum, Sport Einrichtungen, Transport, etc.
Nachdem der EU-Behindertenpass nur in 8 EU-Staaten existiert, solltest du die EU überzeugen, ihn in allen EU-Staaten einzuführen – WIE? Indem du bei der EU-Wahl im Mai wählen gehst.
8. Weil du in anderen EU-Ländern Freiwilligenarbeit leisten und studieren kannst und dafür auch Unterstützung erhältst:
Das bekannte „ERASMUS+ Programm“, stellt finanzielle Unterstützung zur Verfügung, um StudentInnen ein Auslandssemester in einem anderem EU-Land zu ermöglichen. Dieses Programm beachtet auch die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen: Wir haben Anspruch auf finanzielle Unterstützung um Extra-Kosten abzudecken, wie beispielsweise Persönliche Assistenz oder barrierefreie Unterbringung.
Der „Europäische Solidaritätskorps“ ist ein Programm, dass Freiwilligenarbeit in anderen EU-Ländern finanziert.
9. Weil 800.000 Menschen mit Behinderungen wählen möchten, aber nicht dürfen:
Wenn all die genannten Gründe dich nicht überzeugt haben, wird es vielleicht dieser Grund tun: 800000 EuropäerInnen können in Folge diskriminierender Gesetze, die sie aufgrund ihrer Behinderung ausschließen nicht wählen. Um diesen Missstand zu ändern, solltest du am 26.Mai wählen gehen.
10.Weil wir zusammen besser kämpfen können:
Können sich die Dinge zum Besseren ändern? Definitiv! Die EU kann und sollte mehr barrierefreie Gesetzgebung haben. Sie kann und sollte mehr Förderungen für Menschen mit Behinderungen lukrieren. Sie kann und sollte Gesetze verabschieden, die uns in allen Bereichen des Lebens vor Diskriminierung schützen. Das ist der Grund, warum wir wählen gehen müssen! Durch deine Stimmabgabe bei der EU-Parlaments-Wahl sagst du den PolitikerInnen, dass du eine EU möchtest, die sich um die Anliegen der Menschen mit Behinderungen bemüht und hierfür mehr leistet.
Wen soll man wählen?
Wir werden nicht sagen „wähl diese oder jene Partei“. Was du machen kannst: check die KandidatInnen die den „pledge“ die Verpflichtung zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen unterschrieben haben (10 österreichische KandidatInnen haben bis jetzt unterzeichnet, Stand: 03.05.2019). Du kannst diese KandidatInnen kontaktieren und ihnen sagen, dass du dir vorstellen kannst sie zu wählen, aufgrund ihrer Unterschrift zu dieser Verpflichtung. Wenn du FavoritInnen hast, die nicht auf der Liste stehen: kontaktiere sie und sag ihnen, dass sie den „pledge“ unterzeichnen sollen.
Wie kann man an der Wahl teilnehmen?
Du kannst den EU-Parlaments-Leitfaden wie man wählen soll, ansehen. Um die Bedingungen deines Landes zu sehen, wähle die Sprache deines Landes aus, an der Schaltfläche auf der oberen, rechten Seite der Webseite.