Gesetz soll beschlossen werden, ohne Expert*innen zu hören
Unter massiver Kritik aus allen Richtungen wurde das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz auf Bundesebene erlassen. Überdurchschnittlich viele Begutachtungen von einem breiten Expert*innenkreis wurden eingebracht, führten zu einigen Verbesserungen und eröffneten Spielräume für die Landesregierungen. Nun will das Land Niederösterreich das NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz per Initiativantrag und ohne Begutachtung beschließen und die Möglichkeiten, die das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz für Menschen mit Behinderungen vorgesehen hatte, kaum nutzen.
Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz ist ein Bundesgesetz. Damit dieses Gesetz in den Bundesländern angewendet werden kann, müssen Ausführungsgesetze erlassen werden. In Niederösterreich ist die Verabschiedung des Gesetzes bereits für die Sitzung am 13.06.2019 geplant, obwohl die Bundesländer bis Ende 2019 dafür Zeit haben. Der Föderalismus in Österreich sieht vor, dass in der Ausführungsgesetzgebung jedes Bundesland seinen Handlungsspielraum nutzt, um auf regionale Anforderungen eingehen zu können. Komplexe und wichtige Gesetze werden üblicherweise Organisationen und Institutionen mit der jeweiligen Expertise zur Begutachtung vorgelegt. Diese Begutachtung ist gerade zum Thema Behinderung sehr wichtig, da die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen sehr vielfältig sind und wir aus Erfahrung wissen, dass es an Wissen dazu fehlt. Die NÖ Landesregierung möchte das NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz jedoch ohne Begutachtung beschließen.
Die zwei wichtigsten Kritikpunkte betreffend Menschen mit Behinderungen sind:
Im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz ist die Möglichkeit vorgesehen, dass Menschen mit Behinderungen als eine eigene Bedarfsgemeinschaft gelten, egal mit wem sie zusammenleben. Viele Menschen mit Behinderungen leben beispielsweise mit ihren Eltern zusammen, die sie unterstützen. Das NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz sieht jedoch keine eigene Bedarfsgemeinschaft vor.
Gemäß dem Gesetzesentwurf werden Leistungen Dritter (zum Beispiel Unterhalt) auf die Sozialhilfe angerechnet. Dies bedeutet, dass erwachsene Menschen mit Behinderungen ihre Eltern klagen müssen, um Sozialhilfe zu erhalten. Dieser Zwang muss beseitigt werden, wie es im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz vorgesehen ist.
Hier finden Sie alle Kritikpunkte im Detail
„Bei unzähligen Gesprächen mit der Bundespolitik wurde uns zugesichert, dass die Bundesländer die dringend notwendigen Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen in ihre Landesgesetze aufnehmen werden. Nun prescht Niederösterreich als erstes Bundesland vor und will ein Sozialhilfe-Ausführungsgesetz in der denkbar schlechtesten Version für Menschen mit Behinderungen verabschieden. Die von der Politik geschürten Erwartungen der Menschen mit Behinderungen werden dadurch maßlos enttäuscht“, Herbert Pichler, Präsident des Österreichischen Behindertenrates.