Rund 700 chronisch psychisch kranke Personen leben in Kärnten in sogenannten „Zentren für psychosoziale Rehabilitation“ (ZPSR), oft auf entlegenen Bauernhöfen, unter Bedingungen, die der UN-Behindertenrechtskonvention widersprechen. Echte Rehabilitation findet nicht statt. Die Bewohnerinnen und Bewohner verrichten Hilfsarbeiten wie Putzen oder Arbeiten, beispielsweise in der Küche oder im Garten. Im Gegenzug erhalten sie ein geringes Taschengeld.
Das Hauptaugenmerk der ZPSR liege, so Volksanwalt Kräuter, auf pflegerischen Aspekten: „Bemühungen, Betroffene auf einen selbstständigen Alltag vorzubereiten, sodass sie die ländlichen Einrichtungen irgendwann verlassen und zum Beispiel in betreute WG übersiedeln können, gibt es nicht.“ Die Expertenkommission der Volksanwaltschaft besuchte rund 10 dieser insgesamt 30 Einrichtungen, manche davon mehrmals.
Kräuter: „Chronisch psychisch kranke Menschen haben ein Menschenrecht auf möglichst weitreichende Selbstbestimmung und Teilhabe an der Gesellschaft. Die Zentren für Psychosoziale Rehabilitation (ZPSR) in Kärnten entsprechen nicht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention. Personen, die dort leben, werden unzureichend betreut und sind somit eklatant benachteiligt.“
Bereits im Jahr 2017 trafen alle drei Volksanwälte daher eine gemeinsame kollegiale Missstandsfeststellung. Das Land Kärnten sagte daraufhin zu, Personen, die in ZPSR leben, in das Kärntner Chancengleichheitsgesetz aufzunehmen. Das würde bedeuten, dass auch diesen Menschen Förderung der Erziehung und Entwicklung, eine fähigkeitsorientierte Beschäftigung und berufliche Eingliederung, Assistenz- und Unterstützungsleistungen zukommen würden. Diese wichtige Reform ist jedoch in der aktuell vorgelegten Novelle des Kärntner Chancengleichheitsgesetzes nicht enthalten. Darin erblickt die Volksanwaltschaft eine völlig unsachliche gesetzliche Diskriminierung.
Volksanwalt Kräuter: „Die Kärntner Landesregierung muss zu ihrem Wort stehen und diese sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung endlich beseitigen.“ Teilhabe, Inklusion und Chancengleichheit dürfen kein Lippenbekenntnis bleiben.
Dringender Handlungsbedarf im Bereich der dezentralen Versorgungsleistungen
Die Kärntner Anwältin für Menschen mit Behinderung, Isabella Scheiflinger, teilt die Einschätzung der Volksanwaltschaft, weist aber auch darauf hin, dass neben dem Handlungsbedarf auf gesetzlicher Ebene auch ein dringender Handlungsbedarf im Bereich der dezentralen Versorgungsleistungen besteht.
„Uns muss bewusst sein, dass die Zielgruppe der Menschen mit psychischen Behinderungen bzw. Erkrankungen eine wachsende Zielgruppe ist. Wir müssen hier daher rasch die Voraussetzungen schaffen, damit auch Menschen mit psychischen Behinderungen bzw. Erkrankungen möglichst lange selbstbestimmt eigenständig wohnen bzw. auch möglichst lange im Erwerbsleben tätig bleiben können“. Laut Scheiflinger sind z. B. der rasche Ausbau der mobilen sozial-psychiatrischen Dienste, die Schaffung von zusätzlichen gemeindeintegrierten und wohnortnahen Angeboten wie z. B. Ambulatorien sowie die Verkürzung der Wartezeiten auf kostenlose Therapien geeignete Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Menschen mit psychischen Behinderungen/Erkrankungen ihre sozialen Kontakte beibehalten oder ausbauen können. „Die Vereinsamung der betroffenen Menschen sowie fehlende Unterstützungs- und Hilfsangebote sind oft Gründe, warum eine Aufnahme in z. B. eine vollinterne ZPSR-Einrichtung überhaupt notwendig wird“ erläutert Scheiflinger und empfiehlt als Gegenmaßnahme eine neue Leistung, nämlich die „Persönlichen Assistenz“ auch für Menschen mit psychischen Behinderungen bzw. Erkrankungen zugängig zu machen.
Behinderungsbedingte Unterstützung steht nicht ausreichend zur Verfügung
Herr Erich Mahler, Betroffenenvertreter der Kärntner Empowerment Bewegung (KEB), berichtet über die häufigen gesellschaftlichen Diskriminierungen, die Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. Behinderungen immer wieder erfahren. „Wir empfinden uns oft als Menschen zweiter Klasse. Dabei möchten wir einfach nur die gleichen Rechte und Pflichten zuerkannt bekommen. Vor allem brauchen wir aber behinderungsbedingte Hilfen und Unterstützung, die derzeit nicht ausreichend zur Verfügung stehen.“
Behindertenrat fordert strukturierten Prozess zur Auflösung der Ungleichbehandlung
Der Österreichische Behindertenrat, die Dachorganisation der österreichischen Organisationen im Themenfeld Behinderung, schließt sich der Kritik der Volksanwaltschaft an. „Die Situation in Kärnten entspricht nicht mehr einem modernen Verständnis von Unterstützung für ein gelingendes Leben mit Behinderungen. Schon der Name ‚ZPSR – Zentren für psychosoziale Rehabilitation‘ ist ein Etikettenschwindel. Den betreibenden Organisationen werden nicht die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt, um die Aufgabe der Rehabilitation zu erfüllen“, so Eva Leutner, Vizepräsidentin des Behindertenrats und Geschäftsführerin von Pro Mente Kärnten. Sie ergänzt: „Wir fordern schon lange die gleichen Rahmenbedingungen, wie sie für alle anderen Organisationen der Behindertenhilfe gelten. Die Leistungen der ZPSR müssen dafür in das Kärntner Chancengleichheitsgesetz aufgenommen werden. Es ist an der Zeit, dass das Land Kärnten die nötigen Gelder dafür budgetiert und einen strukturierten Prozess startet, die Ungleichbehandlung aufzulösen.“