02.04.2020, Übersetzung von Gudrun Eigelsreiter (Originaldokument: http://edf-feph.org/newsroom/news/updated-statement-guaranteeing-rights-women-and-girls-disabilities-disability)
Für EDF Mitgliedsorganisationen und andere Organisationen von und für Menschen mit Behinderungen:
Richtlinie, um geschlechtsspezifische Schritte zu setzen für Frauen und Mädchen mit Behinderungen, sowie für Frauen, die sich um ihre Angehörigen mit Behinderungen kümmern:
- Sicherstellen, dass Daten aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Behinderung verfügbar sind, wenn ihr in euren Organisationen Informationen sammelt und eine Gender-Analyse macht. Wo möglich, sollen spezifizierte Infektionszahlen erhoben werden, sowie Infos zu Barrieren mit denen Frauen mit Behinderungen konfrontiert sind, wenn sie versuchen humanitäre Hilfe zu bekommen und Zahlen zu häuslicher und sexueller Gewalt.
- Inkludieren der Gender-Dimension in die Reaktionen, die eure Organisationen Menschen mit Behinderungen zur Verfügung stellen. Sie sollten die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen mit Behinderungen differenzieren, aber auch jene spezifischen Bedürfnisse, die sie in den unterschiedlichen Behinderungsgruppen haben. Hier geht es auch darum, dass ALLE Menschen mit Behinderungen – die es benötigen – von Assistenz profitieren, ohne diskriminiert zu werden.
- Bezieht Frauen mit Behinderungen in allen Phasen eurer Reaktionen, sowie in alle Entscheidungsprozesse innerhalb eurer Organisation mit ein! Glücklicherweise verfügen viele von euren Organisationen über Frauenkommissionen oder Frauen-Arbeitsgruppen, die ihr für effektive Konsultationen nutzen könnt. Ihr könnt auch informelle Netzwerke für Frauen aufbauen, die am meisten unter der Krise leiden, wie beispielsweise Frauen, die in Institutionen leben müssen, ältere Frauen, Frauen die ihre Angehörigen pflegen, etc. Die Möglichkeit mit diesen Frauen über WhatsApp oder soziale Medien zu interagieren, können für sie wirkliche Rettungsanker und Lebensretter sein!
- Sicherstellen, dass Frauen mit Behinderungen, die im Gesundheitssystem, in Wohninstitutionen oder in anderen sozialen Dienstleistungsangeboten (viele in Reinigungs- und Kochtätigkeiten) arbeiten, aufgrund der potentiellen Infektionsgefahr adäquaten Schutz erhalten. Dafür müssen wir Unterstützung bieten, um den Zugang zu Informationen über persönliche Schutzausrüstungen, für Menstruations-Hygiene-Produkte und für die Förderung von flexiblen Arbeitsmethoden zu ermöglichen.
- Förderung von Konsultationen mit Organisationen für Frauen mit Behinderungen, zur aktuellen Situation, in der sich Frauen mit Behinderungen befinden, v.a. bezüglich ihrer Bedürfnisse während der Pandemie und die nötigen Schritte, die jetzt gesetzt werden müssen. Es muss sichergestellt werden, dass ihre Gedanken, Interessen, Beiträge und Vorschläge in die Reaktionen eurer Organisationen eingebunden werden. Obwohl es nicht in allen EU-Ländern NGOs für Frauen mit Behinderungen gibt, existieren viele Organisationen, die auf diesem Gebiet einen großen Erfahrungsschatz haben und eure Organisationen damit unterstützen können. Das EDF Frauenkomitee steht euch zur Verfügung und auf folgender Liste sind eigene Organisationen von und für Frauen und Mädchen mit Behinderungen aufgelistet: http://edf-feph.org/organisations-and-committees-women-and-girls-disabilities-europe
- Lokale Organisationen von Frauen mit Behinderungen oder gemeindenahe Gruppen von Frauen mit Behinderungen müssen unterstützt werden, um sicherzustellen, dass Präventionsstrategien barrierefrei und verständlich aufbereitet sind, um ALLE Frauen erreichen zu können! Es ist notwendig die Kapazitäten von lokalen, informellen Gruppen von Frauen mit Behinderungen zu erhöhen. Denn gerade diese Gruppen sind wichtig, wenn es darum geht Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die Opfer von Gewalt wurden, zu identifizieren und in der Gemeinschaft zu unterstützen.
- Sicherstellen eines barrierefreien Zugangs zu reproduktiven Gesundheitsdienstleistungen, inklusiver pränataler und postnataler Gesundheitsversorgung (Vor- und Nachbehandlung von Frauen, die ein Baby erwarten). Es ist notwendig, gemeinsam mit spezialisierten NGOs, genaue Informationen für schwangere Frauen mit Behinderungen, ihre PartnerInnen und Familien zur Verfügung zu stellen. So können Frauen mit Behinderungen eine verantwortungsvolle Entscheidung für ihre Gesundheit und die ihres Kindes treffen. Dabei geht es auch um das Thema Geburt während der COVID-19 Krise und das Recht von Frauen mit Behinderungen eine freie und informierte Zustimmung zu Operationen zu geben (z.B. Kaiserschnitt, Unterbindung der Eierstöcke).
- Verabschiedung von Maßnahmen, damit informelle ArbeitnehmerInnen mit Behinderungen, inklusive Angestellte im Gesundheitssystem, Hauspersonal, MigrantInnen und jene ArbeitnehmerInnen in anderen von der Pandemie am stärksten betroffenen Arbeitsfeldern eine direkte, finanzielle Vergütung erhalten. Es ist wichtig für die Behindertenrechtsbewegung v.a. alleinerziehende Mütter mit Behinderungen zu identifizieren, um ihnen einen prioritären Zugang zu ökonomischer Unterstützung, Lebensmitteln, Wohnmöglichkeiten und andere Arten von Unterstützung zukommen zu lassen.
- Förderung von politischen Maßnahmen, die dazu führen, dass unbezahlte CARE-Arbeit zu Hause, wie die Pflege von Angehörigen mit Behinderungen, registriert, reduziert und gerecht verteilt wird. Organisationen in der Behindertenrechtsbewegung sollten gratis Telefon-Hotlines zur Verfügung stellen, die psychologische Unterstützung für Frauen – hierbei handelt es sich oft um Mütter – zur Verfügung stellen.
- Sicherstellen, dass Dienstleistungen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen mit Behinderungen bestehen bleiben und dort wo sie nicht vorhanden sind, geschaffen werden. Entwickeln von neuen, inklusiven Methoden der Dienstleistungserbringung im aktuellen Kontext und erhöhte Unterstützung für spezialisierte Organisationen für und von Frauen mit Behinderungen, um lokale und regionale Unterstützungsdienstleistungen zu erhalten.
Brief von Ana Paláez Narváez (Vizepräsidentin des EDFs und Mitglied des UN CEDAW Komitees)
02.04.2020 Übersetzung von Gudrun Eigelsreiter (Originaldokument: http://edf-feph.org/newsroom/news/message-ana-pelaez-narvaez-women-disabilities-and-covid-19)
Liebe Schwestern mit Behinderungen in Europa und liebe Schwestern der europäischen Behindertenrechtsbewegung!
Die COVID-19 Krise hat EntscheidungsträgerInnen in ganz Europa dazu gebracht, drastische Maßnahmen zu ergreifen – wie Isolation – um die Verbreitung des Virus zu kontrollieren, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems zu stärken, sowie ökonomische Maßnahmen. Solche Maßnahmen wurden noch nie ergriffen und wir hätten alle nicht gedacht, dass es soweit kommen würde.
Wir, das EDF, sind stolz auf die Bemühungen der europäischen Behindertenrechtsbewegung und auf die unserer Partner in der humanitären Hilfe und anderen Menschenrechtsorganisationen und wollen euch für eure Arbeit danken.
Wir arbeiten alle unermüdlich daran, PolitikerInnen, sowie nationale und europäische EntscheidungsträgerInnen daran zu erinnern, wie das COVID-19 Virus Menschen mit Behinderungen und ihre Familien plötzlich noch verletzlicher gemacht hat.
Wir müssen sicherstellen, dass dieselben nationalen und europäischen EntscheidungsträgerInnen uns berücksichtigen. Danke an euch alle. Wir werden erfolgreich sein.
Heute, mehr denn je denke ich an die vielen Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die häusliche und sexuelle Gewalt erleben, aufgrund von erhöhten Spannungen zu Hause. Ich denke an Frauen, die sich um abhängige Angehörige kümmern (fast immer Mütter), die ihre Wohnungen nicht verlassen dürfen und gerade Angst haben, da sie durch die Streichung von Sozialen Dienstleistungen mit zahlreichen Aufgaben überschüttet werden. Ich denke an ältere Frauen mit Behinderungen, deren Zustand sich durch die Jahre in Institutionalisierung, in Heimen, in Psychatrien, in denen sie isoliert und ignoriert wurden und werden, stark verschlechtert hat.
Um es kurz zu machen: Ich denke an den Preis, den Frauen mit Behinderungen zahlen müssen und zahlen werden während und nach der globalen Pandemie und v.a. an die Frauen, die ihre Angehörigen mit Behinderungen versorgen. Unsere Bemühungen müssen sich auch auf sie fokussieren.
Am 17.März 2020 hat „UN Women“ folgendes Dokument veröffentlicht: „COVID-19 in Südamerika und den karibischen Staaten: wie kann man Frauen und Gendergerechtigkeit im Management der Kristenbewältigung integrieren?“
Dieses Dokument widmet sich den Auswirkungen des COVID-19 Virus auf die Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen erleben. Hier wird auch vor dem erhöhten Risiko Opfer von häuslicher Gewalt zu werden, gewarnt, gerade in einer Notsituation, wie jene die wir gerade erleben.
Es wird auch darauf hingewiesen, dass Überlebende von Gewalt mit zusätzlichen Hindernissen konfrontiert sind, um gewaltvollen Situationen zu entkommen, beim Zugang zu Schutzmaßnahmen oder zu grundlegenden Dienstleistungen, die Leben retten können. Ursache dafür sind die Quarantänemaßnahmen und der Lockdown.
In dem Dokument wird auch betont, dass die ökonomischen Folgen der Pandemie noch größere, zusätzliche Barrieren erzeugt, um eine gewaltvolle Beziehung zu verlassen und höhere Risiken von sexueller Ausbeutung schafft.
Ich bin enttäuscht, dass „UN Women“ bezüglich Frauen mit Behinderungen nur einen Verweis auf Pflegekräfte macht, deren Rolle im Managen dieser Krise natürlich zentral ist. Aber wo sind die 19,2 % der gesamten, weiblichen Bevölkerung? Wo sind Frauen und Mädchen mit Behinderungen?
Hier findet ihr Richtlinien auf unserer Webseite, damit ihr in eure Arbeit geschlechtsspezifische Schritte für Frauen mit Behinderungen und für Frauen, die sich um ihre Angehörigen mit Behinderungen kümmern setzen könnt.
Wir, das EDF Frauenkomitee (EDF Women´s Committee) sind hier für euch, um für Frauen und Mädchen mit Behinderungen in Europa zu arbeiten. Zusammen werden wir das meistern, für euch, für mich, für uns alle!
Herzliche Grüße,
Ana Paláez Narváez
(Vizepräsidentin des EDFs und Mitglied des UN CEDAW Komitees)