1.12. – 2.12.2020
Zusammengefasst von Gudrun Eigelsreiter
Anlässlich des Internationalen Tages für die Rechte von Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember hat die EU-Kommission gemeinsam mit dem Europäischen Behindertenforum (EDF) die EU Tage der Menschen mit Behinderungen abgehalten.
Diese jährliche Veranstaltung dient der Bewusstseinsbildung der politischen Entscheidungsträger*innen auf EU-Ebene und auf Ebene der Mitgliedsstaaten für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Eröffnet wurde die Veranstaltung von der Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen, sowie von EDF Präsident Yannis Vardakastanis.
Neben dem Hauptthema „neue EU-Behindertenstrategie“ („EU disability rights agenda 2021-2030“), die 2021 in Kraft tritt und die Rechte von Menschen mit Behinderungen, sowie ihre Inklusion auf allen gesellschaftlichen Ebenen erheblich stärken soll, wurde auch die COVID-19 Krise thematisiert sowie ihre Folgen für Menschen mit Behinderungen und die „EU-Access-City-Awards“ verliehen.
EU-Behindertenstrategie 2021-2030:
Die noch aktuelle EU-Behindertenstrategie 2010-2020, wurde genauso wie die neue Strategie ins Leben gerufen, um die UN-Behindertenstrategie in der Europäischen Union umzusetzen. Die EU hat die UN-BRK (UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen) unterzeichnet und sich damit auch zu ihrer Umsetzung verpflichtet. Die aktuelle EU-Behindertenstrategie mit ihren acht Aktionsbereichen – Barrierefreiheit, Teilhabe, Gleichstellung, Beschäftigung, Bildung, sozialer Schutz, Gesundheit und Außentätigkeiten – wurde evaluiert. Die Evaluierung wurde durch eine Studie vom ICF[1] begleitet. Diese untersuchte wie die Strategie sowohl auf EU-Ebene als auch auf Ebene der Nationalstaaten die Umsetzung der UN-BRK befördert hat. Dafür wurde sowohl eine öffentliche Konsultation durchgeführt (jeder konnte von Juli bis November an einer Online-Umfrage teilnehmen), dann wurden zivilgesellschaftliche Organisationen und Vertreter*innen der Nationalstaaten und Stakeholder auf europäischer Ebene befragt. Folgende Ergebnisse wurden präsentiert:
Zielerreichung der Aktionsbereiche:
- während nur 36% Verbesserungen auf dem Gebiet der Bildung von Menschen mit Behinderungen sahen, gaben 82% der Befragten an, dass es auf dem Gebiet der Gleichstellung zu Verbesserungen kam.
Verbesserung der allgemeinen Situation:
- 56% aller Befragten gaben an, dass sich die allgemeine Situation für Menschen mit Behinderungen während der Dauer der ersten Behindertenstrategie verbessert hat. 31% stimmten gar nicht zu, 3% gaben an es nicht einschätzen zu können und 10% wollten weder zustimmen noch ablehnen.
Beitrag der EU-Behindertenstrategie zur Verbesserung:
- 52% aller Befragten meinten, dass die EU-Behindertenstrategie zur Verbesserung der Situation beigetragen hat, 27% waren der Ansicht, dass sie gar nichts dazu beigetragen hat.
Fortschritte in den einzelnen Aktionsbereichen:
- Der Großteil der Befragten gab an, dass es in den Bereichen Barrierefreiheit, Teilhabe und Gleichstellung signifikant positive Veränderungen gab. Im Mittelfeld lagen die Bereiche Arbeit und Sozialschutz. Nur wenig positive Veränderungen sahen die Befragten in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Außentätigkeiten.
Faktoren, die zur Umsetzung der EU-Behindertenstrategie beigetragen haben, waren u.a.:
- Änderung des Diskurses hin zu einem menschenrechtlichen Ansatz von Behinderung (statt dem medizinischen Modell von Behinderung);
- Mehrere, unterschiedliche Umsetzungsansätze, statt nur einen einzigen;
- Nutzung von bestehenden, politischen Strategien und von EU-Geldern;
- Austausch von good-practices und Bewusstseinsbildung
Faktoren, die für die Umsetzung der EU-Behindertenstrategie hinderlich waren u.a.:
- Es gab keine Indikatoren, um die Umsetzung der Zielsetzungen zu messen;
- Die Maßnahmen waren nicht mit eigens dafür abgestelltem Budget ausgestattet wodurch ihre Umsetzung erschwert wurde;
- Die Ausarbeitung der Strategie hätte enger mit der UN-BRK verknüpft sein müssen;
- Die Strategie hätte besser auf nicht sichtbare Probleme mit Behinderungen eingehen können;
- Wenn es Focal Points innerhalb der Generaldirektionen der Europäischen Kommission gegeben hätte, wäre ein besseres Disability-Mainstreaming möglich gewesen
Empfehlungen für die neue EU-Behindertenstrategie 2021-2030 u.a.:
- Behindertenorganisationen sollten eine zentrale Rolle bei der Konzeption, Umsetzung und Überwachung der neuen Strategie spielen;
- Alle acht Aktionsbereiche sollten weiterhin relevant bleiben;
- Die EU muss gesetzgeberische Maßnahmen ergreifen, um die Anforderungen der UN-BRK tatsächlich umzusetzen und die vorhandenen Lücken zu schließen;
- Ein spezielles Budget für die Umsetzung der Behindertenstrategie, in Kombination mit vorhandenen EU-Mitteln ermöglicht die Umsetzung im größeren Umfang;
- Verstärkte Koordinierung innerhalb und zwischen EU-Institutionen und verstärkte Anstrengungen zur Bewusstseinsbildung, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen sich ihrer Möglichkeiten bewusst sind;
- Die neue Strategie braucht klare Indikatoren und Zeitpläne, um den Umsetzungsfortschritt zu überwachen;
- Daten zur Intersektionalität (z. B. zu Frauen mit Behinderungen) sollte bei der Überwachung der künftigen Strategie berücksichtigt werden;
Panel zu COVID-19 und Menschen mit Behinderungen in Europa:
Viele Staaten Europas erheben keine Daten zu Menschen mit Behinderungen in der COVID-19 Krise. Manche Staaten erheben sie, aber möchten sie nicht veröffentlichen. Für Großbritannien gibt es diese Daten, hier sind 3-mal mehr Menschen mit Behinderungen an COVID-19 gestorben als Menschen ohne Behinderungen. Aus den vorhandenen Arbeitsmarktdaten der EU-Staaten kann man entnehmen, dass Menschen mit Behinderungen durch die COVID-19 Krise in einem größeren Ausmaß von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Menschen ohne Behinderungen.
Eine Vertreterin des EU-Zentrums zur Prävention von Krankheiten (ECDC) präsentierte allgemeine Daten zur COVID-19 Krise (Stand 26.11.2020): Weltweit gibt es 60 Millionen COVID-19 Erkrankungen/ Fälle und 1,4 Millionen Todesfälle aufgrund von COVID-19. In der EU (inklusive Großbritannien) gibt es 13 Millionen COVID-19 Erkrankungen/Fälle und 300000 Todesfälle.
Alle Menschen waren und sind von der COVID-19 Krise und von den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus negativ betroffen (Lock-Down, Ausgangsbeschränkungen, Einschränkung der sozialen Kontakte, Schulschließungen, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit usw.). Aber vor allem jene aus medizinischer Sicht gefährdeten – wie alte Menschen, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Vorerkrankungen und chronischen Erkrankungen – und jene die sozial gefährdet sind, also durch die Folgen der Maßnahmen – wie Frauen durch Zunahme der CARE-Arbeit und der Gewalt an Frauen und Mädchen, Kinder und Jugendliche, von Armut betroffene Menschen, arbeitslose Menschen, Menschen ohne Internetzugang, usw. – haben unter der COVID-19 zu leiden.
Das ECDC hat auch Herausforderungen erhoben, mit denen Menschen mit Lernschwierigkeiten („intellectual disabilities“) während der COVID-19 Krise konfrontiert sind, u.a.:
- Höheres Risiko zu erkranken und auch ein höheres Sterbe-Risiko
- Kein oder kaum Zugang zu klaren Informationen in leichter Sprache zur COVID-19 Krise und Maßnahmen der jeweiligen Regierung des Landes
- Diskriminierung beim Zugang zum Gesundheitssystem und beim Zugang zu Schutzausrüstung
- Aufhebung von Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen
- Isolation: Unterstützungspersonen durften und dürfen oftmals nicht zu Menschen mit Lernschwierigkeiten
Ein Vertreter der EASPD (der europäische Dachverband der Dienstleistungsanbieter für Menschen mit Behinderungen) präsentierte Informationen zu EU-Fonds und wie sie bei der Bewältigung der COVID-19 Krise helfen. Die Geldmittel aus dem European Regional Development Fonds (Regionaler Entwicklungsfonds der EU) betragen rund 200 Mrd. Euro für den Zeitraum 2021-2027. Sie sollen den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zwischen und innerhalb der EU-Staaten stärken. Mit diesen Geldmitteln sollen auch Projekte zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte umgesetzt werden, also beispielsweise Investitionen in die Infrastruktur (inklusive der sozialen Infrastruktur und der Umsetzung von Barrierefreiheit), in den Zugang zu Dienstleistungen (inklusive zu sozialen Dienstleistungen), in IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) und in Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK usw.
Der „ESF+“ (Europäischer Sozialfonds+) ist der maßgebliche Fonds für das sozialpolitische Programm der EU von 2021-2027. Er verfügt über ein Budget zwischen 87 und 97 Mrd. Euro.
Der „React-EU“ Fonds ist die Abkürzung für „Recovery Assistance for Cohesion and the Territories of Europe“ (Aufbauhilfe für den Zusammenhalt und die Gebiete Europas) und ist eine Initiative, mit der die Maßnahmen zur Krisenbewältigung und zur Linderung der Krisenfolgen im Wege der Investitionsinitiative zur Bewältigung der COVID-19 Krise und der Investitionsinitiative Plus zur Bewältigung der COVID-19 Krise weitergeführt und ausgebaut werden. Sie wird zu einer grünen, digitalen und stabilen Erholung der Wirtschaft beitragen. Dieser Fonds umfasst zusätzliche Geldmittel in Höhe von 55 Mrd. EUR, die im Zeitraum 2014-2020 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) und den Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (FEAD) bereitgestellt werden.
Der “Recovery and Resilience Facility Fonds” (Fonds für Aufbau und Resilienzfazilität) hat einen Umfang von 672,5 Mrd. EUR zur Unterstützung von Reformen und Investitionen der EU-Länder. Er ist das größte finanzielle Instrument der EU, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern. Darüber hinaus sollen Wirtschaft und Gesellschaft in Europa nachhaltiger und krisenfester werden und besser auf die Herausforderungen des ökologischen sowie digitalen Wandels vorbereitet sein. Um Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität beantragen zu können, erstellen die Mitgliedstaaten derzeit ihre jeweiligen Aufbau- und Resilienzpläne. Die nationalen politischen Entscheidungsträger*innen sollten mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten um diese nationalen Aufbau- und Resilienzpläne zu erstellen. Die Zivilgesellschaft kann dann dahingehend beeinflussen, dass die UN-BRK eine Priorität in der Verwendung der EU-Gelder ist.
Auch die „EU Access City Awards“ wurden wie jedes Jahr während der EU-Tage für Menschen mit Behinderungen verliehen. Dieses Mal gingen die Preise für Barrierefreiheit an folgende europäischen Städte:
- Der 1. Platz ging an die Stadt Jönköping in Schweden
- Der 2. Platz ging an die Stadt Bremerhaven in Deutschland
- Der 3. Platz ging an die Stadt Gdynia in Polen
Dieses Jahr gab es auch drei Sonderpreise:
- Der Sonderpreis „Barrierefreiheit von öffentlichen Dienstleistungen in Zeiten der Pandemie“ ging an die Stadt Poznan in Polen
- Der Sonderpreis “Barrierefreiheit als Möglichkeit für die ganze Stadt“ ging an die Stadt Komotini in Griechenland
- Der Sonderpreis „Bauliche Umgebung“ ging an die Stadt Florenz in Italien
[1]ICF= ein globaler Anbieter für Beratung und Technologie