Gewaltgefahr ausgesetzt, unsichtbar und fremdbestimmt
Die COVID-19 Pandemie ist eine enorme Belastung für alle. Besonders aber für jene Gruppen, für die es davor schon schwer war. Menschen mit Behinderungen erleben massive Einschränkungen und viele auch ein erhöhtes Gesundheitsrisiko. Frauen erleben die Verschärfung von Ungleichheiten und eine Zunahme von bedrohlichen Verhältnissen. Bei Frauen mit Behinderungen kommt beides zusammen und potenziert sich.
Anfang März 2020 war die Stimmung im Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen des Österreichischen Behindertenrates optimistisch und kämpferisch. Laut, sichtbar und voller Energie wurden Forderungen präsentiert. Ziel der Forderungen war und ist ein sicheres und selbstbestimmtes Leben für alle Frauen mit Behinderungen.
Doch mit der COVID-19 Pandemie erleben Frauen mit Behinderungen eine potenzierte Belastung. Es gibt viel zu wenig spezifische Angebote und Unterstützungsmaßnahmen. Angestoßene Entwicklungen befinden sich im Stillstand oder werden sogar ausgesetzt. Frauen mit Behinderungen erleben massiv die Verschärfung der bestehenden Ungleichheiten der Geschlechter. Viele müssen als Mütter oder pflegende Angehörige übermäßig viel Care-Arbeit leisten, gleichzeitig sind viele von den wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie – Arbeitslosigkeit und Armutsgefährdung – überdurchschnittlich betroffen.
Im Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen erleben wir, wie Einsamkeit, psychische Belastungen, gesundheitliche Risiken, der Wegfall von Unterstützungsstrukturen und das erhöhte Gewaltrisiko, das Leben von Frauen mit Behinderungen belastet. Gleichzeitig rückt das Thema „Frauen mit Behinderungen“ in den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund.
Expertinnen mit Behinderungen und Mitglieder des Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen:
Heidemarie Egger (Österreichischer Behindertenrat)
„Das Thema Frauen mit Behinderungen muss weiterhin Priorität haben. Frauen mit Behinderungen sind kein ‚Nettes Nischenthema‘, dem man sich nur widmet, wenn gerade die Ressourcen da sind. Sie vereinen zwei der am schwersten von der Pandemie betroffenen Gruppen – Frauen und Menschen mit Behinderungen.“
Christine Steger (Unabhängiger Monitoringausschuss)
„Österreich hat sich mit der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dazu verpflichtet, Frauen und Mädchen gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe in allen Lebensbereichen zu garantieren. Diese Aufgabe darf, auch angesichts der enormen Belastungssituationen während der Pandemie, keinesfalls in den Hintergrund geraten – denn es gibt noch viel zu tun.“
Jasna Puskaric (WAG Assistenzgenossenschaft)
„Durch die Pandemie-Situation und Kontaktbeschränkungen fallen soziale Kontakte und damit Unterstützungsstrukturen weg. Frauen mit Behinderungen sind vermehrt auf familiäre und private Unterstützung angewiesen, sie werden in eine Bittstellerrolle gedrängt und mit Fremdbestimmung und Gewaltgefährdung konfrontiert. Persönliche Assistenz hat sich als sichere Unterstützungsform für Frauen mit Behinderungen gezeigt, doch in Österreich fehlt noch immer die bundesweit einheitliche Regelung – das muss sich endlich ändern!“
Isabell Naronnig (ZEITLUPE)
„Frauen* mit Behinderungen* sind ihr ganzes Leben lang Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt. Durch die Auswirkungen der Pandemie im Verlauf des letzten Jahres wurde besonders deutlich, wie wichtig und notwendig bedarfsgerechte Assistenzleistungen im Alltag sowie barrierefreie psychosoziale Unterstützungsangebote wie Peer-Beratung für Frauen* mit Behinderungen* sind. Gerade in Krisenzeiten müssen diese Angebote ausgebaut werden – mit dem Ziel, die Lebensqualität von Frauen* mit Behinderungen* nachhaltig zu verbessern!“
Julia Moser (myAbility/Forum für Usher Syndrom und Taubblindheit)
„Die ökonomische Selbstbestimmung von Frauen mit Behinderungen ist durch die zusätzliche Mehrfachbelastung aus Home-Office oder Jobverlust, Home-Schooling und Isolation noch gefährdeter als sonst. Die Politik darf diese Frauen nicht alleine lassen!“
Beate Koch (ÖZIV Steiermark)
„Die Lage von Frauen mit Behinderungen am Land hat sich durch die Pandemie zugespitzt. Die fehlende Infrastruktur von psychiatrischer oder psychologischer Begleitung verschlimmert die Situation von Frauen im ländlichen Raum dramatisch. Einsamkeit, Isolation und Ängste sowie eine größere Gefährdung, Gewalt ausgesetzt zu sein, sind neben der gesundheitlichen Gefahr, Bedrohungen für die Leben von Frauen mit Behinderungen.“