Bericht über das EDF Webinar von Gudrun Eigelsreiter
Zum Thema:
Das Europäische Jahr der Bahn ist eine gute Möglichkeit um für die Fahrgastrechte von Menschen mit Behinderungen im Bahnverkehr zu lobbyieren und das Recht auf Bewegungsfreiheit aller EU-Bürger*innen auch für Menschen mit Behinderungen einzufordern. Denn selbst im Jahr 2021 gibt es in vielen EU-Ländern nur wenig, bis gar keine durchgängige Barrierefreiheit bei Reisen mit der Bahn. In den meisten EU-Ländern müssen sich Menschen mit Behinderungen 48 Stunden vor Antritt der Reise anmelden, damit sie barrierefrei mit der Bahn reisen können. Dadurch wird es Menschen mit Behinderungen erschwert spontan und selbstbestimmt zu reisen.
Inhalt des Webinars:
Nach einleitenden Worten des EDF Vize-Präsidents John Patrick Clarke wurde ein Video der belgischen Organisation VFG gezeigt, in dem anschaulich dargestellt wurde, mit welchen Barrieren Menschen mit Behinderungen täglich im Bahnverkehr konfrontiert sind. Das Video ist hier abrufbar: https://twitter.com/VFG_vzw/status/1306473511540711424
Die EU-Kommissarin für Verkehr Adina Ioana Vălean hielt in ihrer Videobotschaft fest, dass Barrierefreiheit eines der Schlüsselelemente des Europäischen Jahrs der Bahn ist und wichtig, um Bahnfahren als attraktives Verkehrsmittel für alle zu positionieren.
In der darauffolgenden Gesprächsrunde mit Pablo Fabregas Martinez, Kabinettsmitglied der EU-Kommissarin für Transport, Eddy Liégeois, Abteilungsleiter der EU-Generaldirektion Verkehr (EU-Kommission) und Dovilė Juodkaitė, Präsidentin des Litauischen Behindertenforums wurden die Entwicklungen auf EU-Ebene zum Thema besprochen.
Verbesserungen durch die EU sind beispielsweise:
- die Neuauflage der „EU-Verordnung über die Bahn-Fahrgastrechte“ („Rail Passenger Rights Regulation“), welche die Voranmeldungszeit für Assistenz während der Bahnreise für Menschen mit Behinderungen auf 24 Stunden vor Reisebeginn verkürzt hat, ein verpflichtendes Training des Bahn-Assistenzpersonals vorsieht bezüglich Menschen mit Behinderungen vorsieht, das Recht einen Assistenzhund auf die Bahnreise mitzunehmen und Schadenersatz für verlorene oder beschädigte Ausrüstung
- die „EU-Verordnung über die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität bezüglich der Zugänglichkeit des Eisenbahnsystems der Union für Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität“ („Rail Accessibility Regulation“), die technische Spezifikationen für barrierefreie Bahnstationen und Bahnzüge vorsieht. Um diese Verordnung besser umsetzen zu können, versucht die EU-Kommission einen Aktionsplan zu entwickeln, der dies sicherstellen sollen.
- und die Vorteile, welche die „EU-Richtlinie über Barrierefreiheit“ („European Accessibility Act“) mit sich bringen wird. Sie muss von den EU-Mitgliedsländern – so auch von Österreich – bis 2025 umgesetzt sein.
- Auch Artikel 37 der „TEN-T-Verordnung“ verlangt, dass die TEN-T-Infrastruktur (TEN-T ist das transeuropäische Transportnetzwerk) eine nahtlose Mobilität und Barrierefreiheit für alle Nutzer*innen, einschließlich Menschen mit Behinderungen, ermöglicht. Die Mitgliedstaaten müssen dieser Forderung nachkommen, wenn sie EU-Mittel zur Entwicklung der Infrastruktur verwenden. Zur Verbesserung des TEN-T plant die Europäische Kommission eine Überarbeitung.
- In Litauen unterzeichneten im Jahr 2019 das litauische Behindertenforum, die litauische Eisenbahngruppe und das Verkehrsministerium eine Absichtserklärung mit dem Ziel, die EU-Vorschriften durch einen nationalen Aktionsplan mit konkreten Fristen bis 2024 und folgenden 4 Säulen umzusetzen:
- die Barrierefreiheit der Informationssysteme zu verbessern,
- die Bahnhöfe und Infrastruktur physisch barrierefrei zu machen,
- die Unterstützungsdienste während der gesamten Fahrt bereitzustellen und
- die Barrierefreiheit zu gewährleisten
- Da die Eisenbahnsysteme nicht auf nationale Grenzen beschränkt sind, braucht es eine starke Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern und eine Harmonisierung der Barrierefreiheit auf EU-Ebene.
Konkrete Barrieren für Fahrgäste mit Behinderungen bei Reisen mit der Bahn, sowie mögliche Lösungen dafür wurden von folgenden Personen geschildert:
- Soufiane El Amrani, Selbstvertreter und leichte Sprache Experte von „Inclusion Europe“,
- Laura Alčiauskaitė, Projektkoordinatorin von „TRIPS vom Europäisches Netzwerk für selbstbestimmtes Leben (ENIL)“ und
- Blaž Pongračič, Leitender Politikberater für Fahrgäste der Gemeinschaft Europäischer Eisenbahn- und Infrastrukturunternehmen (CER)
Soufiane El Amrani, schildert seine Erfahrungen mit Bahnreisen in Belgien als Person mit Lernschwierigkeiten. Viele Rahmenbedingungen erschweren ihm das selbstbestimmte und barrierefreie Reisen mit der Bahn. Nicht nur weil Bahnhöfe und Züge kaum barrierefrei sind, sondern auch was die Reiseinformationen und den Kartenkauf betrifft. Ein weiterer Faktor, der ihm das spontane Bahnreisen erschwert, ist die 48-Stunden-Voranmeldung seiner Reise. Seine Lösungsvorschläge: Zugfahrpläne und Fahrkartenautomaten-Informationen sollten in leichter Sprache und in der Schriftart „Arial“ Schriftgröße „14“ geschrieben sein – davon würden auch ältere Leute profitieren.
Laura Alčiauskaitė stellte das Projekt „TRIPS“ (https://trips-project.eu/) vor, an dem sich Organisationen von Menschen mit Behinderungen, Stadtverwaltungen, und Bahnunternehmen beteiligen, um barrierefreie Lösungen für den Transport zu schaffen. Sieben europäische Städte sind daran beteiligt: Bologna, Brüssel, Cagliari, Lissabon, Sofia, Stockholm und Zagreb. Um die konkreten Probleme im öffentlichen Verkehr mit der Bahn zu erfassen, wurden Interviews mit Menschen mit Behinderungen geführt. Sie hatten unterschiedliche Behinderungen und beantworteten Fragen zu den Barrieren, denen sie beim Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln begegnen. Die Auswertung der Interviews kam zu folgenden Ergebnisse:
Die meisten Probleme hängen mit folgenden Faktoren zusammen:
- Sehr frühe Vorbuchungszeiten
- Mangelnder Hilfeleistung
- Nicht barrierefreien Fahrzeugen und Infrastrukturen
- Der uneinheitlichen Gestaltung von Bahnhöfen und Haltestellen
- Der diskriminierende Haltung des Personals und anderer Passagiere gegenüber Menschen mit Behinderungen
Investitionen wurden vor allem in folgende Elemente getätigt:
- In technische Lösungen, wie beispielsweise Rampen, die es Rollstuhlfahrern ermöglichen, die Ebene zu wechseln
- Audioinformationen zur Unterstützung sehbehinderter Menschen
ABER: leider wird der Aspekt der psychischen Gesundheit übersehen bei der Verbesserung der Barrierefreiheit und des „Fahrgasterlebnisses“ im Bahnverkehr
Blaž Pongračič stellte die Praktiken für mehr Wohlbefinden von Fahrgästen und Barrierefreiheit von drei europäischen Bahnunternehmen vor:
Von der „Deutschen Bahn“, der französischen „SNCF“ und der niederländischen „NS“. Er stellte vier Hauptbereiche vor, in denen diese Unternehmen versuchen, sich zu verbessern:
- Digitale Lösungen mit Apps: wie der deutschen Bahn App „Bahnhof live“ – hier können Fahrgäste vorab feststellen, ob es am jeweiligen Bahnhof einen stufenlosen Zugang gibt. Es gibt auch eine Liste aller Aufzüge, die an dieser Station zu finden sind. Die SNCF hat eine digitale Lösung entwickelt, um gehörlosen Passagieren Informationen durch visuelle Informationen bereitzustellen. Auf diese Weise können sie den geschriebenen Text von Audiodurchsagen auf ihrem Handy lesen.
- Barrierefreiheit: In den Niederlanden führen die niederländischen Bahnen Schiebetreppen in Zügen ein, damit Fahrgäste mit Rollstuhl oder anderen Mobilitätshilfen spontan und unabhängig reisen können. Langfristig soll dies in allen niederländischen Zügen bis 2045 gewährleistet sein. Die Deutsche Bahn plant zudem einen stufenlosen und unabhängigen Zugang zu den neuen „ECx“-Talgo-Zügen, die ab 2023 in Betrieb gehen sollen.
- Annehmlichkeiten an Bord: die Ausstattung an Bord der SNCF-Zügen wurde aktualisiert – nun mit taktilen Anzeigen an der Toilettentür, die anzeigen, ob die Toilette frei oder besetzt ist.
- Zusammenarbeit mit Benutzervertreter*innen: Die SNCF führt auch monatliche Treffen zwischen Bahnbetreibern und Infrastrukturbetreibern durch, an denen sich französische Behindertenorganisationen beteiligen.
Gunta Anca (die Generalsekretärin des EDFs) forderte am Ende des Webinars die politischen Entscheidungsträger*innen auf, Barrierefreiheit zu einem verpflichtenden Bestandteil der Pläne für nachhaltige städtische Mobilität zu machen und sicherzustellen, dass sie sowohl Bahnverbindungen als auch intermodale Verbindungen (also wenn bei einer Reise zwei oder mehr Verkehrsträger zum Einsatz kommen) umfasst.