Sechs Ideen konnten überzeugen.
Der Ideenwettbewerb für unterstützende Technologien UNIKATE hat mit der Preisverleihung im Veranstaltungszentrum Catamaran in Wien am 17. September einen weiteren Höhepunkt erreicht. Sechs in Teamarbeit entwickelte Prototypen wurden vorgestellt und als UNIKAT ausgezeichnet. Warum der Ideenwettbewerb UNIKATE top aktuell und wichtig ist, wurde im Rahmen der Abendveranstaltung erneut ersichtlich. In seinen Eröffnungsworten seitens der UNIQA Stiftung erinnerte Filip Kisiel an das Bestehen von UNIKATE und die Zusammenarbeit mit TU Wien und Österreichischem Behindertenrat seit mittlerweile 10 Jahren. Die Einreichungen werden von Jahr zu Jahr mehr. Das zeigt, dass das gemeinsame Engagement für die inklusive Entwicklung assistiver Technologien gefragt, inspirierend und bedeutsam ist.
„Vorher fragen, nachher arbeiten“
Mit dieser einfachen Empfehlung hat Andreas Weidenauer auf der Bühne einleitend die wünschenswerte Herangehensweise bei der Entwicklung von Produkten unterstrichen. Er selbst lebt mit einer Sehbehinderung und weiß aus eigener Erfahrung, wie häufig etwa Apps so mangelhaft gestaltet werden, dass sie für Menschen mit Behinderungen am Ende nicht verwendbar sind. „Vorher fragen, nachher arbeiten“ ist eine zentrale Botschaft von UNIKATE. Der Ideenwettbewerb geht mit gutem Beispiel voran. Andreas Weidenauer stand im Rahmen des Ideenwettbewerbs selbst als Experte zur Verfügung. Seine Rückmeldungen im Inkubator Workshop und bei Projektbesprechungen vor neun Monaten haben dazu geführt, dass so manches Projekt verändert wurde. So wie er haben fünf weitere Menschen mit Behinderungen die Ideenentwicklungen bereits in einer frühen Phase unterstützt. Moderatorin Barbara Sima-Ruml hat der Bedeutung dieser Einbindung Rechnung getragen und einen Dank an alle beteiligten Expert*innen mit Behinderungen ausgesprochen.
Kostengünstig und open source Projekt „Kissenschalter“
Unterstützende Technologien für Menschen mit Behinderungen sind am Markt oft extrem teuer. Dadurch bleibt die Nutzung dieser technischen Entwicklungen Menschen mit Behinderungen nicht selten verwehrt. Das Technikum Wien verfolgt seit Jahren konsequent einen gegenteiligen Ansatz. Bei der Entwicklung werden kostengünstige Einzelteile und ein kostenloser Open-Source Baukasten für assistive Technologien namens AsTeRICS verwendet. Auf diese Weise gelang es Studierenden des Technikum Wien, auch bei der Entwicklung eines Kissenschalters für einen zwölfjährigen Burschen hohe Kosten zu vermeiden und eine individuelle Lösung zu schaffen. Ausgangspunkt war der Wunsch, Radiosender abzuspielen, oder Musikprogramme zu bedienen. Der junge Nutzer verwendet einen Rollstuhl, kann Finger nur etwas bewegen, dafür mit Kopf und Augen Bewegungen ausführen. Da eine Lippenmaus, ein Joystick für den Mund, aufgrund der Gefahr epileptischer Anfälle nicht in Frage kam, wurde stattdessen die Idee weiterverfolgt, per Kopfbewegung einen Kissenschalter zu betätigen. Dazu wurde eine günstige Blutdruckmanschette verwendet und umgebaut. Wird Druck auf den Kissenschalter ausgeübt, ertönt ein Klang, dessen Tonhöhen sich mit dem Druck auf das Kissen verändert. Der Klangeffekt, sowie die Möglichkeit den Kissenschalter zur Spielsteuerung für Roboter zu verwenden, hat beim jungen Anwender große Freude ausgelöst. Das System ist zudem weiter ausbaufähig. Es lassen sich damit Geräte im Haushalt bedienen oder auch eine Computermaus.
Die Daten des Projekts stehen außerdem open source hier zur Verfügung: https://github.com/asterics/unikate-kissenschalter
Blindenschrift Lerntool „Brailleant“ eine brilliante Neuerung
„Wenn schon ein Projekt, dann wollen wir auch einen sozialen Mehrwert.“ In diesem Sinne haben drei Schüler*innen der HTL Mössingerstraße in Klagenfurt ihre Diplomarbeit im Bereich Biomedizin und Gesundheitstechnik verwirklicht. Entstanden ist ein Prototyp, der blinden Menschen ein selbstständiges Erlernen der Braille-Schrift ermöglicht. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber den bisherigen Lernmethoden, wo eine Lehrperson anwesend sein muss oder auf teure Spezialgeräte zurückgegriffen werden muss. Die Ideenfindung erfolgte im Austausch mit einem Blinden- und Sehbehindertenverein in Klagenfurt sowie einer Lehrperson für Menschen mit Sehbehinderungen. Das entwickelte Gerät ähnelt äußerlich einem Plattenspieler. Auf Lern-Scheiben befinden sich unterschiedliche Zeichen, Silben oder kurze Wörter in Braille-Schrift. Per Schrittmotor wird auf die gewünschte Position der Lernscheibe und somit auf den zu erlernenden Buchstaben gesteuert. Zur Wahl stehen eine Lern- und eine Testfunktion. Bedient wird die Lernmaschine über eine App. Ziel der HTL Schülerinnen war es „den Menschen ein Maß von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu geben, sowie das Erlernen der Blindenschrift einfacher und moderner zu gestalten.“ Wie das große Interesse blinder Menschen an der Lernmaschine bereits auf der Veranstaltung gezeigt hat, wurde mit der Entwicklung des Lerntools Brailleant eine sehr willkommene neue Technologie geschaffen.
„Find my Stuff“ – App für mehr Selbstständigkeit
Schüler*innen des Bundesblindeninstituts in Wien haben nicht länger warten wollen und die Dinge selbst in die Hand genommen. Gebraucht wurde eine technische Unterstützung zum Ordnen und Auffinden von Gegenständen. Entstanden ist mit Unterstützung eines Technikers eine App. Mit dieser lassen sich Dinge im Haushalt leichter finden. Konkrete Gegenstände werden mit der Beschreibung des Ortes, an denen sie abgelegt werden, eingetragen. So wird etwa der Aufbewahrungsort des Reisepasses festgehalten und kann bei Bedarf abgerufen werden. Die App ist barrierefrei gestaltet, sodass sie von Menschen mit Sehbehinderungen und blinden Menschen gut verwendet werden kann. Kontrast, Schriftgröße und Sprache sind anpassbar. Die App ist von jedem Screenreader auslesbar und soll auf jedem Betriebssystem laufen können. Die Verwendung der App ermöglicht Nutzer*innen mehr Selbstständigkeit.
Erkennung von Verkehrszeichen – KIVE
Ein Schülerteam der HTL Braunau präsentierte auf der Bühne wie ihre App zur Erkennung von Verkehrszeichen funktioniert. Über die Kamera des Smartphones werden 25 verschiedene Verkehrszeichen erkannt. Darunter die Verkehrszeichen Schutzweg, Baustelle, Andreaskreuz, Gehweg, Gehwegende, Geh- und Radweg, Geh- und Radwegende, Begegnungszone, Begegnungszonenende, Fußgängerampel rot und grün, sowie Zebrastreifen. „Im Freien funktioniert sie gut, die App erkennt Zeichen und misst die Distanz auf Meter genau. Straßenname und Hausnummer werden auf Befehl angezeigt“, wird berichtet. Auf der Bühne demonstrieren zwei Schüler die Verwendung der App unter zu Hilfenahme eines Tablets auf dem das Bild des zu erkennenden Verkehrszeichens aufscheint. Zu hören ist die Stimme eines Klassenkollegen. Dafür hat sich das Projektteam bewusst entschieden: „Es ist angenehm eine menschliche Stimme zu haben, eine Roboterstimme wäre auch möglich.“ Für blinde Menschen und Menschen mit Sehbehinderungen ist eine Akustikausgabe zur Nutzung der App eine Voraussetzung. Entsprechend wichtig war die Ankündigung des Projektteams, diese noch zu inkludieren.
Sammelbox für barrierefreien Unterricht
Den Abbau von Barrieren und die Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe im Schulbereich hat ein einzigartiges Projekt einer Studierenden der Pädagogischen Hochschule Steiermark zum Ziel. Das Projekt einer „virtuellen und haptischen Sammelbox für barrierefreien Unterricht“ wurde, aufgrund persönlicher Verhinderung der Studentin, stellvertretend von Paul Panek, der das Projekt seitens der TU Wien wissenschaftlich begleitet hat, vorgestellt. Die Grundidee des Vorhabens ist, eine europäische Norm so aufzubereiten, dass sie in den Schulen Verwendung finden kann. Bei der Norm handelt es sich um den Standard EN 301 549. Dieser beschreibt die barrierefreien Funktionalitäten von Produkten – Geräte, Hardware, Software, Internet, usw. – des Bereichs der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Sammelbox stellt nun den – ursprünglich auf 180 Seiten in englischer Fachsprache abgefassten – Standard möglichst praxisnah und leichtverständlich dar. Die Sammelbox dient der Verwendung durch Schulleiter*innen, Lehrer*innen und Eltern. Sie bietet Schritt für Schritt Anleitungen, Texte in einfacher Sprache, Videos mit Österreichischer Gebärdensprache für gehörlose Personen, sowie Dokumente in Braille. Teil der virtuellen Sammelbox ist eine barrierefreie Webseite.
Tandem für ein Nebeneinander
Den glitzernden Abschluss der Projektpräsentationen machte ein Prototyp, gefertigt aus Flugzeugaluminium. Ein Team der HTL Wiener Neustadt hat ein Tandem für einen Vater und dessen Tochter mit Trisomie-21 konstruiert. Beide haben mit einem älteren Dreirad bereits 8000 km zurückgelegt. Ziel war es nun, mit einer Neuentwicklung Verbesserungen umzusetzen. Beim neuen Tandem sitzen Vater und Tochter nebeneinander und können sich so besser unterhalten. Der Prototyp des Tandems mit drei Rädern ist keine Schweißkonstruktion, sondern durch die Verwendung von Schrauben veränderbar gestaltet. Die Zerlegbarkeit war von Beginn an ein Ziel, da nur so eine Mitnahme in einem PKW möglich ist. Federgabel und Federung an der Hinterachse und eine Gewichtsreduktion um 20 kg zum vorherigen Modell werden inklusive Ausfahrten stoßfreier und leichter machen.
Technik für Menschen
In seinem abschließenden Statement betrachtet Paul Panek den Slogan der TU Wien „Technik für Menschen“ immer wieder als „Impuls zu hinterfragen, ob es so ist.“ So gesehen besteht bei jedem Entwicklungsprozess aufs Neue die Herausforderung und Pflicht, darauf zu achten, für wen und für welche Anforderungen Technik entwickelt wird und was sie bewirkt. Michael Svoboda, Präsident des Österreichischen Behindertenrates, spricht in seinem Statement die zunehmenden Möglichkeiten und seine Begeisterung darüber an „wie es gelingen kann für die Lebensnotwendigkeiten technische Hilfsmittel“ zu entwickeln.
Nach der Überreichung der Urkunden an die sechs ausgezeichneten Teams verlagerte sich die Veranstaltung von der Bühne hin zum Buffet und hin zum Testen der Prototypen. In Gesprächen mit Entwickler*innenteams wurden noch lange Erfahrungen ausgetauscht, das Erreichte gefeiert und neue Ideen besprochen.
Mehr Informationen zu UNIKATE:
Der Ideenwettbewerb für neue technologische Entwicklungen UNIKATE findet jährlich statt.
Ideen können bis November eingereicht werden.
www.behindertenrat.at/projekte/unikate-ideenwettbewerb