5. September 2022: Stellungnahme des Österreichischen Behindertenrates zur Oö Sozialhilfe-Ausführungsgesetz-Novelle 2022 (PDF)
Mit dem gegenständlichen Gesetzesvorhaben soll u.a. die mit 11. Juni 2022 in Kraft getretene Änderung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes (SH-GG) auf landesgesetzlicher Ebene zur Umsetzung gelangen. Insbesondere die vorgeschlagenen Regelungen, dass Menschen mit Behinderungen im teilbetreuten Wohnen den vollen Richtsatz bekommen und die Möglichkeit Einkünfte aus fähigkeitsorientierten Aktivitäten nicht anzurechnen werden vom Österreichischen Behindertenrat positiv bewertet.
Es bestehen jedoch weiterhin Problembereiche im Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz für Menschen mit Behinderungen.
Der Österreichische Behindertenrat fordert daher das Land Oberösterreich auf, bei den nachstehenden Punkten die vom Sozialhilfe-Grundsatzgesetz vorgegebenen Handlungsspielräume zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu nutzen und damit die finanzielle Absicherung von Menschen mit Behinderungen zu verbessern und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Zu den einzelnen Regelungen
Zu § 7 Abs 4:
Der Zuschlag für Menschen mit Behinderungen wird nur gewährt, sofern nicht höhere Leistungen auf Grund besonderer landesgesetzlicher Bestimmungen, die an eine Behinderung anknüpfen, gewährt werden. Diese auch in § 5 Abs 2 Z 5 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz vorgesehen Regelung wird in Oberösterreich so ausgelegt, dass alle Hauptleistungen nach § 8 Oö. Chancengleichheitsgesetz (Heilbehandlung, Frühförderung, Arbeit und fähigkeitsorientierte Aktivität, Wohnen, persönliche Assistenz und mobile Betreuung und Hilfe) auf den Behindertenbonus nach § 7 Abs 4 angerechnet werden. Damit bekommen Menschen mit Behinderungen oftmals keinen oder nur einen verminderten Behindertenbonus.
Dabei verkennt Oberösterreich jedoch, dass die Hauptleistungen nach dem Oö. Chancengleichheitsgesetz auf eine chancengleiche Teilhabe an der Gesellschaft und größtenteils nicht wie von § 5 Abs 2 Z 5 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz intendiert auf eine „weitere Unterstützung des Lebensunterhalts“ – daher eine unmittelbaren Existenzsicherung abzielen. Verdeutlicht soll dies durch nachfolgendes Beispiel werden: Menschen mit Behinderungen, die behinderungsbedingt höhere Kosten für Bekleidung und Nahrung zu tragen haben und denen eine berufliche Qualifizierung gem. § 11 Oö. Chancengleichheitsgesetz bewilligt wird, werden die Kosten dafür auf den Behindertenbonus angerechnet. Dadurch kann es dazu kommen, dass eine Person nicht an der Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen kann, weil sie sich nicht ausreichend Bekleidung kaufen kann, um die Qualifizierungsmaßnahme zu besuchen.
Daher fordert der Österreichische Behindertenrat entsprechend der Zielsetzung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes – weitere Unterstützung des Lebensunterhalts – von der Anrechnung der Hauptleistungen des § 8 Oö. Chancengleichheitsgesetz auf den Behindertenbonus abzusehen und dies auch entsprechend gesetzlich zu verankern.
Zu § 7 Abs 6 iVm §§ 8 und 14 Abs 2:
In der vorliegenden Novelle wird festgeschrieben, dass u.a. Menschen mit Behinderungen im teilbetreuten Wohnen den vollen Richtsatz bekommen. Das ist grundsätzlich positiv zu bewerten.
Jedoch wäre es genauso notwendig, eine eigene Bedarfsgemeinschaft für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, die über die Minderjährigkeit hinaus zu Hause bei ihren Familienmitgliedern leben, weil sie in Ermangelung von Alternativen, auf die Unterstützung durch die Familie angewiesen sind.
Die Schaffung einer eigenen Bedarfsgemeinschaft für volljährige Menschen mit Behinderungen, die zu Hause leben, ist jedoch in der vorliegenden Novelle nicht enthalten, obwohl § 2 Abs 4 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz es ermöglichen würde. 1
Dies hat zur Folge, dass auch zukünftig das Einkommen der anderen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft bei der Ermittlung der Höhe der Sozialhilfe berücksichtigt wird und dies dazu führen kann, dass deswegen gar kein Anspruch auf Sozialhilfe besteht. Auch eine Deckelung gem. § 8 Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz ist eine mögliche Konsequenz.
Damit auch volljährige Menschen mit Behinderungen, die zu Hause bei ihrer Familie leben, die erforderlichen Geldmittel erhalten um selbstbestimmt leben zu können fordert der Österreichische Behindertenrat eine entsprechende Definition der Bedarfsgemeinschaft für Menschen mit Behinderungen in den Gesetzestext aufzunehmen (siehe exemplarisch dazu § 7 Abs 2 Z 5 WMG: „Volljährige Personen ab dem vollendeten 25. Lebensjahr und volljährige auf Dauer arbeitsunfähige Personen bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit einem Eltern- oder Großelternteil in der Wohnung leben.“).
Zu § 14 Abs 3:
Die in diesem Paragrafen festgeschriebene Rechtsverfolgungspflicht stellt insbesondere Menschen mit Behinderungen, die einen erhöhten Unterstützungsbedarf haben, vor ein großes Problem. Viele von ihnen erlangen nämlich niemals die Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 231 ABGB, wodurch die Eltern ein Leben lang für sie unterhaltspflichtig bleiben. Wenn nun eine solche Person einen Antrag auf Sozialhilfe stellt, wird sie von der Behörde angehalten ihre Eltern auf Unterhalt zu klagen.
Diese Vorgangsweise stellt Menschen mit Behinderungen, insbesondere Menschen mit psycho-sozialen Behinderungen, vor eine schier unlösbare Aufgabe. Der dadurch aufgebaute familiäre und existentielle Druck hat in der Vergangenheit oftmals dazu geführt, dass Menschen mit Behinderungen von der geforderten Klage gegen ihre Eltern abgesehen und damit auf ihre finanzielle Absicherung für ein selbstbestimmtes Leben verzichtet haben.
Daher fordert der Österreichische Behindertenrat, dass die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen bei Menschen mit Behinderungen ab der Volljährigkeit oder zumindest ab einer bestimmten Altersgrenze (Beendigung des 25. Lebensjahres) gesetzlich für unzumutbar erklärt wird. Ein solches Regelung wäre auch von § 2 Abs 4 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz gedeckt. 2
Zu § 15:
Gerade vor dem Hintergrund der Teuerung im Bereich der Energiekosten ist es absolut unverständlich warum das Land Oberösterreich weiterhin die in § 7 Abs 4 letzter Satz Sozialhilfe-Grundsatzgesetz vorhandene Möglichkeit, auf die Anrechnung von Heizkostenzuschüssen zu verzichten, nicht in Anspruch nimmt.
Der Österreichische Behindertenrat fordert daher, dass der Katalog der anrechnungsfreien Leistungen in § 15 Abs 1 um Heizkostenzuschüsse, die aus öffentlichen Mitteln gewährt werden, erweitert wird.
Zu § 16 Abs 1 Z 3:
Die Höhe des Vermögensfreibetrags (600% des Netto-Ausgleichszulagen-Richtsatzes) ist für Menschen mit Behinderungen problematisch. Sie haben nämlich behinderungsbedingt hohe Kosten z.B. für Umbauten oder Hilfsmittel zu tragen. Die Deckelung des Vermögensfreibetrags macht jedoch das Ansparen für behinderungsbedingte Ausgaben unmöglich.
Daher fordert der Österreichische Behindertenrat, dass das Land Oberösterreich den ihm durch § 2 Abs 4 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz eingeräumten Spielraum nutzt und das gesamte Vermögen von Menschen mit Behinderungen von der Anrechnung ausnimmt.
1 Siehe dazu aus den Erläuterungen zu § 2 Abs 4 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz: „…oder besonderer Regelungen im Rahmen bestehender Sozialhilfe- oder Mindestsicherungsgesetze, die eine finanzielle Besserstellung des behinderten oder pflegebedürftigen Bezugsberechtigten bewirken, zu gewähren (vgl. etwa § 7 Abs. 2 Z 5 WMG), ohne dabei an den besonderen Rahmen dieses Bundesgesetzes gebunden zu sein.“
2 Siehe dazu aus den Erläuterungen zu § 7 Abs 5 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz: „Die Zulässigkeit besonderer landesgesetzlicher Anrechnungsbestimmungen, die im Ergebnis eine finanzielle Besserstellung von behinderten oder pflegebedürftigen Bezugsberechtigten bewirken, etwa in Form von teilweisen oder gänzlichen Ausnahmen einer leistungsmindernden Anrechnung privater Unterhaltspflichten, bleibt unberührt (vgl. § 2 Abs. 4).“
Mit besten Grüßen
Für Vize-Präsident Klaus Widl
Mag. Bernhard Bruckner
5. September 2022: Stellungnahme des Österreichischen Behindertenrates zur Oö Sozialhilfe-Ausführungsgesetz-Novelle 2022 (PDF)