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Menschen mit Behinderungen und die Klimakrise
Der Österreichische Behindertenrat veranstaltete am 16. September 2022 eine Fachkonferenz mit dem Titel: „Klimakrise: Ohne uns keine Zukunft. Menschen mit Behinderungen können und wollen eine Rolle im Umgang mit der Klimakrise spielen.“
Die Hintergründe
1,4 Millionen Menschen leben in Österreich mit einer Behinderung. Ihr Mitwirken ist entscheidend, will Österreich die eigenen Klimaziele erreichen und Treibhausgas Emissionen schnell und größtmöglich reduzieren. Sind neue Planungen, neue Technologien, Produkte oder Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen nicht verwendbar, wird der Umstieg auf klimafreundliche Lebensstile für 20 % der Bevölkerung unmöglich gemacht.
Menschen mit Behinderungen sind von den negativen Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen. Sie zählen häufig zu den letzten, die gesehen und gehört werden und zu den ersten, die betroffen sind. So gilt es auch für den Katastrophenfall vorzusorgen. Viele Tragödien sind nicht Zufall, sondern die Folge von Versäumnissen. Es braucht für alle Menschen mit Behinderungen Klimawandel-Anpassungen zum Leben und Überleben.
Ein Übersehen und Ausgrenzen von Menschen mit Behinderungen läuft somit allen Bemühungen zur Lösung der Klimakrise diametral entgegen. Die weitgehende Unbenutzbarkeit von E-Ladestationen, von stromsparenden Haushaltsgeräten oder Shuttle Bussen in ganz Österreich für Menschen mit Behinderungen erinnern uns daran: Menschen mit Behinderungen sind für Erfolge beim Klimaschutz unverzichtbar.
Sendung ohne Barrieren zur Klimakonferenz des Österreichischen Behindertenrates
Die Sendung ohne Barrieren von Ernst Spiessberger gibt einen spannenden Einblick in die Konferenz. Helga Kromp-Kolb, Manuela Lanzinger, Christine Steger und Andreas Zehetner kamen in einzelnen Interviews zu Wort und berichteten darüber, welche Schritte jetzt unbedingt notwendig sind. Die Sendung kann man hier nachsehen:
Start in die Konferenz
Durch die Veranstaltung führte Miriam Labus. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sendeten ihre Eröffnungsworte per Videostatement. Manuela Scheffel (ÖGB, in Vertretung für Patrick Berger) und Klaus Widl (Interimspräsident Österreichischer Behindertenrat) eröffneten die Konferenz.
Zum Transkript der Rede des Bundespräsidenten: Videobotschaft Bundespräsident Van Der Bellen Transkript PDF
Keynotes
Die Konferenz wurde mit zwei Keynotes eröffnet. Die erste Keynote wurde von Tom Shakespeare (Vorstandsvorsitzender von Licht für die Welt International) per Videobotschaft zur Verfügung gestellt. Er sprach darüber, warum die Klimakrise Menschen mit Behinderungen besonders betrifft, und warum Maßnahmen zum Klimaschutz unbedingt inklusiv gestaltet werden müssen.
„Wenn wir ausgeschlossen werden, werden die Lösungen nicht inklusiv sein, also müssen wir gehört werden, wir müssen einbezogen werden, wir müssen eine Stimme haben. Wir müssen Teil des Umdenkens sein. Wir müssen überdenken, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Wir müssen überdenken, wie wir auf diesem Planeten leben, wenn wir diese Notlage überleben wollen“, sagt Tom Shakespeare in seiner Keynote.
Die gesamte Keynote kann man hier nachsehen:
In der zweiten Keynote erinnerte Helga Kromp-Kolb (Klimaforscherin, emeritierte Professorin BOKU Wien),
), dass nur noch zehn Jahre Zeit seien, das Klima zu stabilisieren. Es brauche eine Neuausrichtung im folgenden Sinn: „Wie kann ich innerhalb der gesetzten Grenzen ein gutes Leben führen?“ Die Klimaforscherin sieht Menschen mit Behinderungen bei der Bewältigung der Klimakrise in einer besonderen Rolle: „Jetzt müssen wir als Gesellschaft etwas lernen. Sie können dabei unsere Lehrer sein.“
Kromp-Kolb gab in ihrer Rede einen Einblick in den aktuellen Stand der Wissenschaft und gab zu bedenken: „Wir müssen verstehen, dass die Natur nicht ein unerschöpfliches Reservoir ist, sondern ein ziemlich komplexer Organismus, von dem wir ein Teil sind“.
Auch die Keynote von Helga Kromp-Kolb steht zum Nachsehen auf unserem YouTube-Kanal zur Verfügung:
Zum Transkript der Rede: Keynote Helga Kromp Kolb Transkript PDF
Panel 1
Unter der Moderation von Miriam Labus diskutierten Helga Kromp-Kolb (Klimaforscherin, emeritierte Professorin, BOKU Wien), Traude Kogoj (Diversity-Beauftragte der ÖBB), Vera Hofbauer (Sektionsleiterin IV Verkehr, Bundesministerium für Klimaschutz), Katrin Langensiepen (EU-Abgeordnete), Elmar Fürst (Vorstandsvorsitzender der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreich, inklusive Planungsgruppe), Christine Steger (Vorsitzende des Unabhängigen Monitoringausschusses) und Andreas Zehetner (Selbstvertreter, Präsidiumsmitglied des Österreichischen Behindertenrates).
Zentrales Thema der Diskussionsrunde war Mobilität, und warum der Wandel der Mobilität Inklusion und Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen mitdenken muss.
Für die Diskussionsteilnehmer*innen stand fest: Menschen mit Behinderungen müssen von Anfang an in der Planung von öffentlicher Infrastruktur mitgedacht und mitgeplant werden. „Pläne lassen sich noch leicht ändern, ein fertiges Gebäude umzubauen ist viel schwieriger“, so Elmar Fürst. Einen Grund, warum das bisher nur schwer funktioniert, brachte Traude Kogoj ein: Viele Aufträge werden nicht nach dem Bestbieterprinzip, sondern nach dem Billigstbieterprinzip vergeben. So entscheide oft das Geld darüber, welche Aufträge schlussendlich vergeben werden.
Dazu warf Christine Steger ein: „Wenn wir davon ausgehen, dass es ganz normal ist und nichts anderes mehr zulassen, als eine solche Art der inklusiven Planung, dann habe ich nicht den Eindruck, dass es sich um Zusatzkosten haltet, sondern um einen Planungsprozess der auch budgetiert werden muss.“
„Man muss endlich verstehen dass Barrierefreiheit etwas mit Funktionalität, mit Nutzbarkeit zu tun hat, und davon profitiert jeder“, so Elmar Fürst zum Thema inklusive Planung. Außerdem sei es bereits jetzt ungesetzlich, nicht barrierefrei zu planen, dennoch passiere es nach wie vor. Was es daher brauche, sind einerseits Sanktionen und andererseits die Bewusstseinsbildung, erklärte Fürst.
Über Maßnahmen auf EU-Ebene gab Katrin Langensiepen einen Ausblick: Es werde derzeit ein europäischer Behindertenausweis geplant. Einen Entwurf der EU-Kommission dazu werde es bald geben. Was das europäische Bahnnetz betrifft, müsse jedoch noch einiges getan werden, damit es für alle Menschen europaweit problemlos und barrierefrei nutzbar wird.
Vera Hofbauer kam zu folgendem Schluss: „Für eine klimaverträgliche Mobilität müssen wir als Klimaschutzministerium Rahmenbedingungen schaffen, die es allen ermöglicht diese auch zu nutzen. Das passiert am besten durch regelmäßigen Austausch und frühzeitige Einbindung in Entscheidungsprozesse, beides möchte ich in meinem Wirkungsbereich fördern“.
Fazit: Die Verstärkte Einbindung und Beteiligung von Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsprozesse ist unbedingt notwendig.
Vertiefende Sessions
Im Rahmen der Konferenz wurden vier Sessions abgehalten. Eine davon wurde online gestreamt. Die Online-Teilnehmer*innen konnten via Zoom in direkten Austausch gehen.
Session 1: Inklusiver Klimaschutz als globale Herausforderung
Die Klimakrise verstärkt weltweit gesellschaftliche Ungleichheiten. Menschen mit Behinderungen sind von den Folgen besonders stark betroffen. Wie kann sichergestellt werden, dass Investitionen und Maßnahmen zur Lösung der Klimakrise automatisch für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen genutzt werden und deren Teilhabe systematisch ermöglicht wird? Mit: Johanna Mang, Julia Moser (Licht für die Welt)
Zur Zusammenfassung der Session: Session 1 – Zusammenfassung
Session 2: Inklusion als Innovationstreiber in der Klimakrise
Wie kann bei der klimafreundlichen Stadtplanung und Mobilität Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht werden? Welche Best-Practice-Beispiele gibt es schon und wo gibt es noch Aufholbedarf? Mit: Manuela Lanzinger (DIE UMWELTBERATUNG), Markus Ladstätter (BIZEPS)
Zur Zusammenfassung der Session: Session 2 – Zusammenfassung (PDF)
Session 3: Menschen mit Behinderungen im Katastrophenfall – zuletzt beachtet, zuerst gestorben.
Damit aus Fahrlässigkeit keine Tragödie wird. Wie können wir Lücken und Mängel im Katastrophenschutz identifizieren und beheben? Welche Möglichkeiten können durch die De-Institutionalisierung eröffnet werden? Mit: Christine Steger, Stefanie Lagger-Zach (Monitoringausschuss)
Zur Zusammenfassung der Session: Session 3 – Zusammenfassung (PDF)
Session 4 ONLINE: Inklusiver Klimaaktivismus: Wie können Klima- und Inklusionsaktivismus Hand in Hand gehen?
Was braucht es, damit Menschen mit Behinderungen den Wandel mitgestalten können? Wie können sich Klimaschützer*innen und Menschen mit Behinderungen gegenseitig empowern und unterstützen? Mit: Raul Krauthausen (Inklusionsaktivist), Cécile Lecomte (Klimaaktivistin) und Valerie Peer (Fridays for Future Österreich) Diese Session fand über Zoom statt, wurde online gestreamt und kann auf unserem YouTube-Kanal nachgesehen werden:
Zur Zusammenfassung der Session: Session 4 – Zusammenfassung (PDF)
Panel 2
Das zweite Panel diente dazu, die Erkenntnisse aus den Sessions zusammenzutragen und einen Austausch mit dem Publikum zu ermöglichen.
Unter der Moderation von Miriam Labus sprachen Julia Moser und Johanna Mang von Licht für die Welt, Christine Steger und Stefanie Lagger-Zach vom Monitoringausschuss sowie Manuela Lanzinger von DIE UMWELTBERATUNG. Aus Session 4 waren Cécile Lecomte und Valerie Peer online zugeschaltet.
Den Session-Speakerinnen wurden im Rahmen des Panels folgende Fragen gestellt:
- Was war die überraschendste Information?
- Was sind 3 wichtigsten Erkenntnisse aus der Session?
- Was ist der dringendste nächste Schritt?
Folgende Forderungen wurden gestellt:
- Informationen zur Klimakrise müssen barrierefrei für alle Menschen zugänglich sein. Das beinhaltet auch Informationen in leichter Sprache.
- Es braucht gegenseitige Vernetzung innerhalb der Organisationen, um diese Themen zu vereinen.
- Es ist wesentlich, dass es nur Förderungen für Projekte gibt, die auch die Maßstäbe für Barrierefreiheit einhalten und dass bestehende Gesetze schon jetzt eingehalten werden.
- Barrierefreiheit sollte ein Pflichtfach für alle sein, die im Bildungsbereich tätig sind.
- Die Corona Pandemie hat sehr vieles im Bereich des Krisenmanagement aufgezeigt, daraus müssen nun Lehren gezogen werden, wie man es besser machen kann.
- Es ist eine politische Verantwortung, diese Dinge umzusetzen. Die Politik muss konkrete Rahmenbedingungen schaffen, damit diese Forderungen auch realisiert werden können.
- Die Unterstützung von Menschen ohne Behinderungen ist notwendig, damit unsere Belange gehört und umgesetzt werden.
- Aktionen und Demonstrationen für den Klimaschutz müssen barrierefrei geplant werden, dies liegt in der Verantwortung der Veranstalter*innen.
Fazit: Klimaschutz geht nicht ohne Barrierefreiheit!
Das gesamte Panel 2 kann ebenfalls auf YouTube nachgesehen werden:
Zur Playlist aller Videos der Konferenz: Österreichischer Behindertenrat – YouTube
Barrierefreiheit
Die Inhalte auf der Bühne und in einzelnen Sessions wurden vom Team rund um Marietta Gravogl in Österreichische Gebärdensprache übersetzt. Schriftdolmetschung wurde von Gudrun Amtmann und ihrem Team angeboten. Nach den Panels fasste Petra Plicka die Inhalte via Zoom in Leichter Sprache zusammen und visualisierte sie. Durch die Komplexität des Themas war dies für alle Konferenzteilnehmer*innen von großem Nutzen. Als weitere Barrierefreiheitsfaktoren unterstützten bei der Konferenz zwei Persönliche Assistentinnen, es gab einen ruhigen Rückzugsraum und die Pausengestaltung erfolgte großzügig.
Side Event UNIKATE
Am Abend des Konferenztages fand die UNIKATE-Preisverleihung statt. Was dort passiert ist, erfahren Sie in Ausgabe 4 des Magazins „monat“ 2022.
Zur Fotogalerie (Fotos: Lukas Ilgner): Fotoalbum UNIKATE Preisverleihung 2022
Einen Bericht zu den ausgezeichneten Prototypen von UNIKATE 2021/2022 finden Sie hier.
Fazit
Die Klimakrise betrifft alle Menschen auf der Welt. Die Zeit drängt. Wirksame Maßnahmen zur Entschärfung der Klimakrise sind jetzt nötig. Viele Veränderungen stehen bevor.
Menschen mit Behinderungen kommt in der Klimakrise eine Schlüsselrolle zu. Sie sind einerseits besonders von den Folgen der Klimakrise betroffen. Sie sind andererseits für Erfolge beim Klimaschutz unverzichtbar. Veränderungen im Namen des Klimaschutzes sind deshalb ausnahmslos und systematisch für mehr Barrierefreiheit und Inklusion zu nutzen. Um Barrierefreiheit und Inklusion zu schaffen, ist wiederum die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an den Veränderungsprozessen unbedingt erforderlich. Nur durch die Einbindung von Expert*innnen mit Behinderungen in Planungsprozesse kann sichergestellt werden, dass die neuen klimafreundlichen Entwicklungen auch barrierefrei werden und für alle zu verwenden sind.
Darüber hinaus erfordert die Klimakrise neue Kooperationen und Zusammenarbeiten. Zum Beispiel zwischen Inklusionsbewegung und Umweltbewegung. Die Klimakrise bietet somit viele neue Chancen für Beteiligung, für mehr Barrierefreiheit und gesellschaftliche Inklusion. Nutzen wir sie gemeinsam.
Ein klimaschonender Lebensstil muss für alle Menschen möglich sein! Und: Menschen mit Behinderungen dürfen in Klima-Notfällen nicht zu Opfern werden!
Die Klima-Konferenz des Behindertenrates möchte den Willen und die Lust wecken, Chancen zu ergreifen und sich an der Lösung der Klimakrise zu beteiligen. Sehen wir die Klima-Konferenz als Startschuss zum verstärkten, gemeinsamen Engagement für unser Klima und für ein klimaschonendes Leben in einer inklusiven Gesellschaft.
Fotos
Fotos: Lukas Ilgner, Michael Janousek, Andrea Strohriegl
Zur gesamten Fotogalerie: Fotoalbum Konferenz 2022