Assistive Technologien auf der Bühne
Die Preisträger*innen des UNIKATE Ideenwettbewerbs von TU Wien, Österreichischem Behindertenrat und UNIQA waren am 16. September 2022 aus ganz Österreich angereist, um im Veranstaltungszentrum Catamaran in Wien ihre Prototypen vorzustellen.
Im Interview mit Moderatorin Barbara Sima-Ruml erläuterte einleitend Filip Kisiel in Vertretung der UNIQA Stiftung seine persönliche Sichtweise auf assistive Technologien mit den Worten: „Ich bin heuer mit einem anderen Mindset da, nach dem Schlaganfall meines Vaters. Ich habe den Blickwinkel erweitert bekommen“ und „finde den Wettbewerb noch toller als davor“.
Klaus Widl, interimistischer Präsident des Behindertenrates, unterstrich in seiner Wortmeldung die „Zusammenarbeit auf Augenhöhe unter Einbindung von Menschen mit Behinderungen“. Ganz im Sinne von gelebter Partizipation würden nicht nur für sie, sondern gemeinsam mit ihnen hilfreiche Technologien entwickelt.
Wie notwendig und wertvoll die Einbindung von Menschen mit Behinderungen in Planungsprozesse ist, konnte Corinna Heiss auf der Bühne unter Beweis stellen.
Als Expertin mit Behinderungen und Gründerin des Österreichischen Amputiertenverbandes war sie bereits am Beginn der Projektentwicklungen und bei einzelnen Projektbesprechungen im Dezember 2021 dabei. Dadurch konnte sie bereits zu Beginn wertvolle Denkanstöße und Empfehlungen für Verbesserungen gegeben. Auf der Bühne erklärt Corinna Heiss, es habe sie „beeindruckt wie vielfältig die Projekte waren“ und sehr konkret spricht sie die positive Entwicklung im Bereich Prothesen an: „Über die Prothetik kann man nicht meckern, sie ist weit fortgeschritten, es nicht mehr so wie vor 25 Jahren.“
Die Expertin mahntm sich nicht zu verzetteln und „in der Forschung nicht auf die falschen Dinge zu setzen. Je mehr Prothesen können, desto schneller lässt die Akkuleistung nach, desto kürzer ist die Haltbarkeit, bis du wieder eine Steckdose brauchst.“ Corinna Heiss gibt weiters zu bedenken: „Alles, was man d‘rauf tut, ist Gewicht. Je weniger man d‘rauf hat, umso besser.“ Das bedeutet: „Prothesen brauchen nicht 25 verschiedene Sachen können, es sollen die Grundanforderungen gut funktionieren.“
Den engagierten Schüler*innen gibt Corinna Heiss mit auf den Weg: „Bleibt neugierig, bleibt innovativ, hinterfragt, bleibt dran, dann wird das schon.“
Es folgten die Präsentationen der sechs ausgezeichneten Projektideen durch die Schüler*innen-Teams.
Projekt „Pathfinder“ – indoor barrierefreie Wege finden
Eine Schülerin und ein Schüler der HTL-Braunau beobachteten, dass das Finden von barrierefreien Wegen auch in großen Gebäuden Thema sein kann. Ausgangspunkt der Projektidee war der Unfall eines Schülers. Mit einem gebrochenen Fuß war er vorübergehend auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen – und auf Informationen über barrierefreie Wege im Schulgebäude. Daher die Idee zur Entwicklung der App “Pathfinder – an Android App for Barrier-Free Indoor Navigation”. Da GPS im Gebäude nicht verwendet werden konnte, erfolgt die Standortbestimmung über Türschilder mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz. Die App ermittelt bei Rollstuhlnutzung die kürzeste barrierefreie Route und zeigt den Weg auf einem elektronischen Plan an.
Projekt einer Beinprothese für einen Mitschüler
Ein Team von Schüler*innen der HTL Weiz arbeitete an einer Beinprothese für einen Mitschüler. Die ursprüngliche Prothese bedingte ein Einsacken bei jedem Schritt. Sie kann sich nicht an Untergrunde anpassen und sie kann nicht ausreichend beim Stiegen Steigen abgewinkelt werden. Als Lösung wird eine „ausfahrbare Prothese“ entwickelt mit einem „Hydraulikzylinder zum Heben und Anwinkeln“ des Beins beim Stiegen Steigen. Das aktuelle Schülerteam baut auf Erfahrungen von 2 Jahrgängen auf und stellt die dritte Generation bei der Entwicklung von Prothesen dar.
Beinprothese für sich selbst – „Mechatronische Optimierung einer Beinprothetik“
Ein Student des Masterstudienlehrgangs am Campus 02 in Graz trägt nach einem schweren Unfall und nachfolgender Amputation seit 2018 eine Prothese. Nun entwickelte er eine Prothese für sich selbst. Ausgangspunkt war die Überzeugung: „Die Technik ist schon weiter, als das, was momentan erhältlich ist. Verbesserungsbedarf besteht: „Über eine Gehsteigkante mit über 4 – 5 cm schaffe ich es mit meiner derzeitigen Prothese nicht.“ Auch der Stromverbrauch der Prothese soll reduziert werden, um die Zeitspanne der Nutzung zu erhöhen .
Durch eine Befragung von 30 amputierten Menschen waren frühzeitig weitere Wünsche und Anforderungen erhoben und das Verbesserungspotential festgestellt worden. Im Projekt erfolgte darauf aufbauend ein Focus auf die Sensorik, für die Gangart- und Gangphasenerkennung und das Testen der Sensorik. Die innovative Herangehensweise: Durch Sensoren am gesunden Bein wird die Gangart mit der Prothese vorbestimmt. „Über den gesunden Fuß sage ich der Prothese, was sie tun soll.“ Dabei wird der Schritt in 8 Phasen unterteilt und jede Phase für sich betrachtet.
Im Projekt wurde die Sensorik in der Sensorsohle eingepasst und die Übertragungstechnik getestet. Die Mechanik der Beinprothese wurde verbessert und die aktive Steuerung optimiert.
BlindPingPong
Zwei Schüler*innen der HTL Mössinger Straße in Klagenfurt entwickelten ein Ballspiel für sehbeinträchtige Menschen. Die Idee stammte von einer Mutter der Schülerinnen. Sie arbeitet in einer Freizeiteinrichtung für Menschen mit Behinderungen. Da beide Schülerinnen gemäß Eigendefinition „eine Liebe zum Programmieren haben“, entstand das Vorhaben ein kamera- und audiobasiertes Computerspiel mit Sprachausgabe zu entwickeln. Bemerkenswert ist, dass das Spiel ohne teurem Zusatzzubehör auskommt. Benötigt werden ein Tischtennisschläger, ein Standard Computer und eine herkömmliche Webcam.
Das Spiel BlindPingPong soll Spaß machen und als „Freeware und open source“ zur Verfügung stehen.
Der Spieler oder die Spielerin halten einen Ping Pong Schläger in der Hand dessen Position mit einer Webcam erkannt wird. Abhängig von der virtuellen, errechneten Distanz vom Ball soll sich die Lautstärke ändern. Damit wird es dem Spieler akustisch ermöglicht die Position des Balls zu ermitteln. Je näher der Schläger zum Ball, umso leiser die Akustik. Über Gestensteuerung wird Ton und Trainingsmodus ausgewählt. Es sind Einzel- und Mehrspielermodus möglich. Das Spiel kann wie jede App gratis down geloaded werden.
Projekt „stiegensteigender Rollstuhl“
Die Idee des „Stiegen steigenden Rollstuhls“ stammt von einem Lehrer der HTL Weiz. Die ursprüngliche Überlegung war einen Zusatz für bestehende Rollstühle zu konstruieren. Der Zusatz verursachte zu hohes Gewicht und zu hohe Breite. Deshalb wurde der Ansatz eines neuen, stiegensteigenden Rollstuhls gewählt. Basierend auf Messungen z.B. der Stiegenbreite mit Sensoren werden Elemente waagrecht und senkrecht ein- oder ausgefahren. Bei der Überwindung der Stiegen schaut die Person immer in Blickrichtung. Mit im erweiterten Team ist ein Schüler, der seit seiner Geburt einen Rollstuhl nutzt. Die Entwicklung des Rollstuhls erfolgt über mehrere Jahre durch unterschiedliche Schülerteams, die jeweils auf der Arbeit der vorangegangenen Teams aufbauen. Die Hauptkomponenten sind Teleskopachsen aus Poliamid 12, einem Material leichter als Alu. Im Projekt wird mit 5 Firmen kooperiert.
Rehab Glove
Eine Schülerin am Linzer Technikum hat einen Handschuh zur Rehabilitation entwickelt. Der Rehab Handschuh dient zum Training der Feinmotorik, zum Beispiel zur Verwendung nach einem Schlaganfall. Die Idee stammt von der Mutter der Schülerin. Sie arbeitet als Heimhilfe und pflegt Menschen.
Ein Film zeigt die Funktionsweise des Handschuhs. Dieser hat an den Fingerspitzen Leuchtdioden. Leuchten Lampen auf, dann sind die entsprechenden Finger zur Berührung zu bringen. Derzeit funktioniert der Handschuh mit Berührungen zwischen den 4 Fingern mit dem Daumen. Der User muss, je nach Lichtanzeige, unterschiedlich lange auf den Daumen drücken. Gesteuert wird der Handschuh über eine App. Zum ersten Prototypen sagt die Schülerin bei der Bühnenpräsentation: „Wie man sieht ist der a bissi schiach.“ Mittlerweile ist bereits der 3. Prototyp entwickelt. Die Entwicklung des Rehab Handschuhs am Linzer Technikum hat darüber hinaus der Schülerin selbst Klarheit gebracht. Sie hat mittlerweile mit einem Studium der Medizintechnik begonnen.
Technik für Menschen
Im Bühnen-Interview mit der Moderatorin bedankt sich Paul Panek, TU Wien bei den Expert*innen mit Behinderungen, bei Emilie Karall, Corinna Heiss und Andreas Weidenauer, die die Entwicklung der Projekte mit ihren Rückmeldungen und Empfehlungen in gute Richtungen gelenkt und gefördert haben.
Entsprechend dem Leitspruch der TU Wien „Technik für Menschen“ würde sich die Uni für Offenheit und Toleranz und Partizipation einsetzen. Das widerspiegelte sich auch in der Anzahl der Studierenden mit Behinderungen, die in den letzten Jahren „stark gestiegen“ ist.
Die Preisverleihung findet ihre Fortsetzung in der Überreichung von Urkunden an die 6 Teams durch Filip Kisiel und Klaus Widl.
Im Anschluss daran verlagerte sich die Veranstaltung von der Bühne hin zum Buffet mit Bio Snacks und Getränken. In Gesprächen mit Entwicklerteams wurden noch Erfahrungen und Kontakte ausgetauscht, wurden neue Ideen besprochen und das Erreichte gefeiert.
Bericht: DI Emil Benesch