Lialin ist Sexualbegleiterin bei LIBIDA in der Steiermark. 2012 machte sie den Lehrgang zur Sexualbegleiterin, und seit 2020 hat sie die Marke LIBIDA übernommen. Dieses Jahr bildet sie auch zum ersten Mal Sexualbegleiterinnen aus. Wir haben uns mit Lialin über Sexualbegleitung und Sexualassistenz unterhalten.
„Ich möchte den Menschen einen achtsamen, respektvollen, sinnlich erotischen Umgang miteinander mitgeben.“
Lialin
Österreichischer Behindertenrat: Was ist Sexualbegleitung/ Sexualassistenz?
Lialin: Ich gestalte eine Begegnung mit meinen Kund*innen oder den Paaren, die ich begleiten darf. Ich versuche, zu schauen, wo die Kund*innen stehen, und sie dort abzuholen.
Sexualbegleitung bietet auch einen Raum, Fragen rund um das Thema Sex und Beziehungen zu stellen. Ich merke oft, dass die Kund*innen sehr schlecht aufgeklärt sind. Deshalb bestärke ich Einrichtungen auch darin, regelmäßig Aufklärung zu betreiben.
Wie bist du zur Sexualbegleitung gekommen?
Lialin: Ich habe 2011 eine Dokumentation über Nina De Vries gesehen, die eine Pionierin der Sexualbegleitung ist. Mein erster Gedanke war, „Wahnsinn, das könnte ich nie!“ Ich habe dann ein bisschen recherchiert und bin zufällig auf einen Lehrgang von Alpha Nova gestoßen. Ich habe mich dann dazu entschieden, ihn zu machen, neben Beruf und Elternschaft. Auch wenn das anstrengend war, empfand ich es als sehr erfüllend.
Gibt es einen Unterschied zwischen Sexualbegleitung und Sexualassistenz?
Lialin: Grundsätzlich meint Sexualbegleitung und Sexualassistenz das gleiche. Wir haben uns bei LIBIDA für den Begriff der Sexualbegleitung entschieden, da der Begriff der Assistenz im Bereich der Behindertenarbeit schon sehr besetzt ist. Sexualbegleitung ist für uns eine Begegnung auf Augenhöhe, die beide gleichwertig gestalten.
Wie läuft so ein Treffen ab?
Lialin: Es kommt darauf an, wo die Kund*innen stehen, und was sie brauchen. Es gibt vorher immer ein Kennenlerngespräch. Das ist sehr wichtig, weil man darüber sprechen kann, was die Vorstellungen sind und ob das auch für uns beide passt.
Die Sexualbegleitung bietet dann einen geschützten Raum, in dem Erfahrungen möglich werden. Oft weiß man vorher nicht genau, was einen erwartet, oder die Stimmungen ändern sich, auch wenn man sich vorher schon etwas bestimmtes gewünscht hat. Ich sage den Kund*innen deshalb immer, dass sie jederzeit nein sagen können, und das üben wir auch, indem wir uns Signale ausmachen für „nein“ oder „stop“.
Wie kommen deine Kund*innen zu dir?
Lialin: Manchmal melden sich die Interessierten selbst bei mir, ganz oft ist es aber so, dass das Personen aus dem Umfeld tun, wenn sie merken, dass das für ihre Angehörigen gut sein könnte. Wichtig ist, dass die Kund*innen selbst den Wunsch äußern, ein Treffen mit mir haben zu wollen, und da entwickeln wir individuell Möglichkeiten, wie sie das kommunizieren können.
Wo grenzt sich die Sexualbegleitung von klassischer Sexarbeit ab?
Lialin: Sexualbegleitung kein gesetzlich geschützter Begriff. Grundsätzlich fällt sie seit 2017 unter das Prostitutionsgesetz. Das war vorher nicht so. Einige Sexualbegleiter*innen haben dann aufgehört, weil sie es sich nicht vorstellen konnten, als Sexarbeiter*innen zu arbeiten. Das war schade, denn wir haben damals viel Wissen erarbeitet. Ich habe 2019 mit allen gesetzlichen Auflagen wieder angefangen und bin auch als Sexarbeiterin gemeldet. An meinem Angebot und meiner Arbeitsweise hat sich jedoch nichts geändert.
Findest du das Gesetz positiv oder negativ?
Lialin: Am Anfang tat ich mich schwer damit, unter dieses Gesetz zu fallen, inzwischen kann ich damit sehr gut umgehen. Ich würde mir aber wünschen, dass die Untersuchungen noch sorgfältiger und umfassender stattfinden, dass es regelmäßige Hygieneschulungen gibt, und dass auch Frauen, die selbstständig arbeiten besser vom Gesetzt abgedeckt und geschützt werden.
Wo gibt es Verbesserungsbedarf in den gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich?
Lialin: Die Situation ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. In den östlichen Bundesländern sind Hausbesuche erlaubt, und so mache ich das auch. In Vorarlberg, Tirol, Kärnten und Salzburg sind Hausbesuche verboten.
Ich sehe auch einen Verbesserungsbedarf darin, wie wir über das Thema Sexualität in den Medien und in der Politik sprechen. Sexualität ist so oft negativ konnotiert und wird tabuisiert, und das finde ich schade. Sexualität ist etwas Schönes, etwas Sinnliches. Das versuche ich, den Menschen mitzugeben: einen achtsamen, respektvollen und auch sinnlich erotischen Umgang miteinander.
Was sind die besonders schönen Seiten an deinem Beruf?
Lialin: Sehr gerne mag ich, wenn ich merke, dass sich die Personen weiterentwickeln. Wenn sie die Dinge einsetzen, die sie mit mir geübt haben. Es ist dann einfach schön, wenn mich jemand anruft und sagt: „Jetzt brauche ich dich nicht mehr, ich habe eine Freundin!“ Oder auch bei den Pärchen, die mir voller Freude darüber erzählen, wie sie neue Dinge miteinander umsetzen. Es ist wirklich schön, diese Erfolgserlebnisse mitzuerleben.
Auf welche Herausforderungen stößt man als Sexualbegleiter*in?
Lialin: Man muss sehr flexibel und offen sein für aktuelle Stimmungen. Man muss auch immer darauf gefasst sein, dass ganz unerwartete Fragen kommen können, bei denen man nicht immer sofort weiß, was gemeint ist.
Auch mit den Personen aus dem Umfeld kann es manchmal schwierig sein, zum Beispiel, wenn sie wissen wollen, was wir tun, oder welchen Fortschritt die Person gemacht hat. Auch wenn es nicht böse gemeint ist, ist das übergriffig, und das erkläre ich ihnen dann auch. Manche kritisieren die Sexualbegleitung, weil sie fürchten, dass sich die Personen verlieben können. Ich vertrete die Meinung, dass Menschen mit Behinderungen das Recht haben, sich zu verlieben, auch wenn die Liebe unerwidert ist. Ich beende dann zwar die Begleitung, aber ich denke, dass Personen auch das Recht darauf haben, negative Erfahrungen zu machen, weil das zum Leben dazugehört.
Manchmal gibt es auch Situationen, die meine Kompetenzen überschreiten, beispielsweise wenn es um Gewalterfahrungen geht. Dann verweise ich meine Kund*innen an Sexualberatung oder -Therapie.
Wird Sexualbegleitung finanziert oder gefördert?
Lialin: Es gibt keine explizite Förderung für Sexualbegleitung in Österreich. Das finde ich persönlich aber in Ordnung, da ich die Sexualbegleitung als Begegnung auf Augenhöhe sehe, und nicht als etwas, was man aus Mitleid macht.
Beratung und Angebote
Fachstelle Hautnah
Sexualberatung und Therapie, Aufklärungsworkshops und Einzelgespräche
www.alphanova.at/alltag-freizeit/fachstelle-hautnah
Sexualberatung Senia
Einzelberatung, Sexualpädagogische Workshops, Angebote für Angehörige
www.senia.at
Österreichische Gesellschaft für Familienplanung
Angebote für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige
https://oegf.at/service-beratungsstellen/angebote-fuer-menschen-mit-behinderung/
LIBIDA Steiermark
www.libida-sexualbegleitung.info
Buch: Achtsam berühren
Von Lialin und Johannes Seidl. Ein Buch, das das Thema Behinderung und Sexualität auf achtsame und eindrucksvolle Weise durch Fotos, Texte und Leichter-Lesen-Texte entmystifiziert und greifbar macht: Sexualbegleitung (sexualbegleitung-lialin.at)
Text und Interview: Andrea Strohriegl, Fotos: © Johannes Seidl