Stellungnahme des Österreichischen Behindertenrats zum Wahlrechtsänderungsgesetz 2023
Der Österreichische Behindertenrat begrüßt das Vorhaben aus dem Regierungsprogramm „Ausweitung des behindertengerechten Wahlrechts – Einführung barrierefreier Stimmzettel und Wahlinformationen“ und dankt dem Verfassungsausschuss für die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme.
Allgemeines
Der Österreichische Behindertenrat war in die Vorarbeiten zur Gesetzesänderung eingebunden und es sind auch viele Anregungen im Gesetzesentwurf aufgenommen worden. Dennoch sind noch einige Änderungen am vorliegenden Entwurf vorzunehmen, um Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Ausübung des Wahlrechts zu ermöglichen.
Vorweg soll festgehalten werden, dass die Veränderung der 25 Jahre alten Bestimmung zur Barrierefreiheit von Wahllokalen die höchste Priorität für den Österreichischen Behindertenrat hat und er daher absolut begrüßt, dass nunmehr endlich festgeschrieben werden soll, dass alle Wahllokale barrierefrei erreichbar sein müssen (siehe § 52 Abs 6 des Entwurfs).
Durch die Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2008 ist Österreich völkerrechtlich verpflichtet, ein gleichberechtigtes Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.
Dort heißt es in Artikel 29: „Die Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen, und verpflichten sich,
a) sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sei es unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter oder Vertreterinnen, was auch das Recht und die Möglichkeit einschließt, zu wählen und gewählt zu werden“.
In Artikel 29 lit. b) verpflichtet sich Österreich zu einem generellen Diskriminierungsverbot und dazu, „aktiv ein Umfeld zu fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten mitwirken können“.
Das Wahlrecht und die politische Partizipation können nicht auf den Wahlvorgang an sich beschränkt werden.
Um den Anforderungen der UN-BRK gerecht zu werden und Menschen mit Behinderungen eine wirkliche Teilhabe und Mitbestimmung im politischen Geschehen zu gewähren, reicht es nicht aus, lediglich die Wahlordnungen zu novellieren. Die Teilhabe sowohl am aktiven als auch am passiven Wahlrecht kann nur dann möglich werden, wenn alle Wahlprozesse, auch Wahlwerbung und Informationen im Vorfeld der Wahl barrierefrei sind und umfassende Unterstützungsleistungen bei der Wahl angeboten werden.
Daher bedarf es schon im Vorfeld inklusiver Angebote zu politischer Bildung, um Menschen zu befähigen, die für sie richtige Wahl zu treffen.
Auch müssen die zur Wahl stehenden Parteien verpflichtet werden, ihre Wahlwerbungen und Wahlprogramme barrierefrei zur Verfügung zu stellen, denn der Schlüssel zur Ausübung des Wahlrechts ist der uneingeschränkte Zugang zu Informationen.
Viele Menschen mit Sinnesbehinderungen oder Menschen mit kognitiven Behinderungen haben nur wenige Möglichkeiten, sich tagesaktuell über das nationale und internationale politische Geschehen zu informieren. Tagespolitische Informationen sind nicht uneingeschränkt barrierefrei zugänglich, umso weniger sind es wahlspezifischen Informationen. Wahlwerbung ist nicht barrierefrei (Leichte Sprache, ÖGS, Audiodeskription). Wahlprogramme werden kaum barrierefrei angeboten.
Im Weiteren wird jedoch in der Stellungnahme lediglich auf jene Aspekte eingeschränkt, die mit der Wahlordnung geregelt werden können. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass die anderen erforderlichen Maßnahmen weniger relevant sind.
Neben Art 29 UN-BRK ergibt sich die Verpflichtung Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu Wahlen zu gewährleisten auch aus Art 7 B-VG, in dem 1997 ein Diskriminierungsverbot betreffend Menschen mit Behinderungen und eine Staatszielbestimmung: „Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“ eingefügt wurden.
Außerdem wurde im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz, das 2006 in Kraft getreten ist, erstmals festgehalten, dass fehlende Barrierefreiheit eine mittelbare Diskriminierung darstellt. Es wurde ein Rechtsschutzinstrumentarium geschaffen, das auch die mittelbare Bundesverwaltung, wozu österreichweite Wahlen zählen, umfasst (siehe § 2 Abs 1).
Anmerkungen im Detail
Ad § 6
Damit Menschen mit Behinderungen ihr Wahlrecht vollumfänglich ausüben können, sind die Organe der Wahlbehörden verpflichtend über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die im Zusammenhang mit der Wahl stehen, sowie über die Bereitstellung und den Umgang von Hilfsmitteln zu schulen.
Ad § 36 Abs. 3
Die Wahlinformation muss nicht nur ortsüblich, sondern barrierefrei zur Verfügung stehen. Barrierefrei heißt auch in Leichter Sprache, ÖGS, ÖGS+, digital und/oder in Brailleschrift, sodass alle Menschen chancengleich den gleichen Wissenstand haben können.
Ad § 52 Abs. 6
Wie oben bereits dargelegt, ist die Festschreibung, dass alle Wahllokale barrierefrei erreichbar sein müssen, aus unserer Sicht das Herzstück dieser Novelle.
Zu der Stellungnahme der Stadt Wien zum Wahlrechtsänderungsgesetz 20231 , in der sinngemäß ausgeführt wird, dass es (finanziell) nicht möglich sei alle Wahllokale barrierefrei zu machen und daher die vorgeschlagene Regelung nicht umsetzbar wäre, muss folgendes angeführt werden:
Die Stadt Wien verkennt, dass auch durch den gegenständlichen Gesetzesentwurf keine Verpflichtung der Gemeinden entstehen würde, Wahllokale umzubauen.
Vielmehr geht es darum, dass die Gemeinden für die Wahlhandlung geeignete – und daher barrierefreie – Wahllokale auswählen (siehe dazu § 54 NRWO).
Vor dem Hintergrund von Art 7 B-VG, der UN-Behindertenrechtskonvention und des seit 2006 geltenden Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes sind wir überzeugt davon, dass es bereits ausreichend barrierefreie Gebäude zur Auswahl gibt und es jetzt endlich an der Zeit ist, dass Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zur Wahl bekommen.
Zu der vorgeschlagenen Regelung betreffend die taktilen Leitsysteme möchten wir folgendes ausführen:
Oft sind taktile Leitsysteme nicht notwendig und auf unbekanntem Terrain auch nicht nutzbar. Im Gegenteil könnte ein taktiles Leitsystems zu jedem Raum auch verwirrend sein. Eine gute Lösung wäre z.B. wenn eine Wand, die nicht verstellt ist, als Leitlinie genutzt werden kann.
Wichtig ist, dass jeder Wahlort selbstständig erreicht werden kann. Im Gebäudeinneren bedarf es bereits beim Eingang ausreichend Unterstützungspersonen, die zum zugeordneten Wahlraum führen können.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Wahllokale nicht nur barrierefrei erreichbar, sondern auch barrierefrei benutzbar sein müssen. Daher müssen sie z.B. barrierefreie Toilette-Anlagen haben, die Türen müssen breit genug sein, damit auch die Wahlkabine barrierefrei erreichbar ist und es müssen diverse Hilfsmittel und Unterstützungspersonen zur Verfügung gestellt werden.
Ad § 57 Abs. 6
In den Erläuterungen sind folgende Merkmale für eine barrierefreie Wahlkabine aufzunehmen:
- breit genug für einen E-Rollstuhl
- breit genug für zwei Personen
- höhenverstellbarer, unterfahrbarer Tisch
- rutschfestes Klemmbrett
- Stift in der richtigen Höhe befestigt oder mittels Spiralband
- gute Beleuchtung
Eine Wahlzelle ist nicht nur barrierefrei, wenn sie entsprechend baulich ausgestattet ist, sondern es bedarf weiterer Maßnahmen, um umfassende Barrierefreiheit zu gewähren.
So ist folgende Unterstützungsleistung, die der Barrierefreiheit dient, ebenfalls zumindest in den Erläuterungen aufzunehmen:
- Verpflichtung der Wahlbehörde Menschen mit Behinderungen mittels barrierefreiem Informationsmaterial (ÖGS-Video, Texte in Leichter Lesen, Piktogramme, usw.) zu unterstützen und anzuleiten.
Ad § 65. Abs. 1
Auch Unterstützungspersonen müssen das Wahllokal – einschließlich der Wahlkabine – betreten dürfen. Daher sind auch diese Personen in § 65 Abs. 1 aufzunehmen.
Für Menschen mit Behinderungen muss die Mitnahme von Blindenführhunden und anderen eingetragenen Assistenzhunden garantiert werden.
Ad § 66 Abs. 1
Optimal wäre es, wenn die Schablonen in Braille beschriftet wären. Dies ist jedoch, da Braille sehr viel Platz benötigt, in der Praxis oft nicht möglich. Daher soll, wie es jetzt schon der Fall ist, die Information über die Reihung der Kandidat*innen in einem alternativen Format zugänglich gemacht werden. Die Wahlschablone und der Wahlzettel sollen übereinstimmend ein Eck abgeschrägt haben, damit eine selbstständige Orientierung möglich ist.
Ad § 66 Abs. 6
Es bedarf festgelegter Standards für Informationen in „leicht lesbarer Form“, wie sie z.B. für Leichte Sprache verwendet werden. Die Leichte Sprache folgt klaren Regeln.
Dazu gehören Sprachregeln, Regeln zum Inhalt und Rechtschreibregeln. Außerdem gibt es auch Empfehlungen für die Text-Gestaltung, denn auch beim Medien-Design können Barrieren auftreten. Wesentliches Merkmal der Leichten Sprache ist es, dass alle Texte durch Menschen mit Lernschwierigkeiten auf Verständlichkeit geprüft werden müssen.
Der Österreichische Behindertenrat steht gerne für weiterführende Informationen zur Verfügung.
Mit besten Grüßen
Für Präsident Klaus Widl
Dr.in Christina Meierschitz
Stellungnahme des Österreichischen Behindertenrats zum Wahlrechtsänderungsgesetz 2023 (PDF)