Judith „Judy“ Heumann gilt als Mutter der Selbstbestimmt Leben-Bewegung und setzte sich bis zu ihrem Tod am 4. März 2023 im Alter von 75 Jahren für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.
Judy Heumann gründete nationale und internationale Vertretungsorganisationen für Menschen mit Behinderungen, bekleidete hochrangige Positionen in der US-amerikanischen Bundesregierung und war maßgeblich an der Gesetzgebung für die Rechte von Menschen mit Behinderungen beteiligt. Die Aktivistin war auch Protagonistin im Oscar-nominierten Dokumentarfilm „Crip Camp: A Disability Revolution“.
Die 1947 in Philadelphia geborene Judy verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Brooklyn, New York. Als sie im Alter von zwei Jahren an Kinderlähmung erkrankte, wurde ihren Eltern Ilse und Werner Heumann empfohlen, das Kind in einer Einrichtung unterzubringen. „Institutionalisierung war 1949 der Stand der Dinge. Kinder mit Behinderungen galten wirtschaftlich und sozial als Härtefall“, erklärte Judy später. Nicht nur das Aufwachsen in der Familie, sondern auch der Kindergartenbesuch wurde erschwert. So bezeichnete der Leiter des Kindergartens, in den Judys Eltern ihre kleine Tochter bringen wollten, das Kind als „Brandgefahr“. Da sich die Eltern vehement zur Wehr setzten, gelang es schließlich, Judy in einer Sonderschule unterzubringen. Anschließend besuchte Judy eine High School und schließlich die Long Island University, wo sie im Alter von 22 Jahren mit einem Bachelor abschloss. Anschließend studierte Judy Heumann an der University of California, Berkeley, und erhielt mit 29 Jahren einen Master in Public Health (öffentliche Gesundheit).
In den 1960er Jahren besuchte Heumann das Sommerlager für Menschen mit Behinderungen „Camp Jened“, wo sie später als Beraterin zurückkehrte. Zahlreiche federführende Personen der US-amerikanischen Bewegung von Menschen mit Behinderungen waren ebenso im Camp Jened, das auch im Mittelpunkt des Dokumentarfilms „Crip Camp“ stand.
Im selben Jahrzehnt weigerte sich die New Yorker Bildungsbehörde, Judy eine Lehrer*innen-Lizenz zu erteilen. Es wurde argumentiert, Judy Heumann könne im Brandfall nicht bei der Evakuierung von Schüler*innen unterstützen und auch nicht sich selbst retten. Sie klagte und wurde die erste Lehrerin im Staat, die einen Rollstuhl benutzte.
Judy Heumann setzte ihren Kampf für Bürger*innenrechte fort und unterstützte eine Protestbewegung, die den Verkehr in Manhattan wegen Richard Nixons Veto gegen das Rehabilitationsgesetz von 1972 lahmlegte. Darüber hinaus startete die Aktivistin einen 26-tägigen Sitzstreik in einem Bundesgebäude in San Francisco, um Artikel 504 im Rehabilitationsgesetz durchzusetzen. Zudem war sie maßgeblich an der Entwicklung und Umsetzung nationaler Behindertenrechtsgesetze beteiligt: Darunter Artikel 504, das Gesetz über die Aufklärung von Menschen mit Behinderungen, das Gesetz über Amerikaner*innen mit Behinderungen (ADA), das Rehabilitationsgesetz und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Auch an der Gründung des Berkeley Center for Independent Living, der Selbstbestimmt Leben-Bewegung und des World Institute on Disability (Welt Instituts für Behinderungen) war Judy Heumann beteiligt. Zudem fungierte sie als Vorstandsmitglied der American Association of People with Disabilities, des Disability Rights Education and Defense Fund, Humanity and Inclusion, Human Rights Watch, des United States International Council on Disability, Save the Children und mehrerer anderer Organisationen.
1993 zog Judy nach Washington, D.C., um als stellvertretende Sekretärin des Büros für Sonderpädagogik und Rehabilitationsdienste in der Regierung unter Bill Clinton tätig zu sein. Diese Position übte sie bis 2001 aus. Von 2002 bis 2006 fungierte Judy Heumann als erste Beraterin für das Thema „Behinderungen und Entwicklung“ bei der Weltbank. Von 2010 bis 2017 war sie während der Regierung unter Barack Obama als erste Sonderberaterin für internationale Behindertenrechte im US-Außenministerium. Sie wurde auch zur ersten Direktorin des Department on Disability Services in Washington, D.C. ernannt.
„Einige Leute sagen, dass das, was ich getan habe, die Welt verändert hat. Aber ich habe mich einfach geweigert zu akzeptieren, was mir gesagt wurde, wer ich sein könnte. Und ich war bereit, viel Aufhebens darum zu machen.“
Judy Heumann
In ihrer Freizeit besuchte Judy Heumann gerne Musicals und Filme, bereiste die Welt, fand neue Freund*innen und traf sich mit langjährigen Freund*innen. Sie war auch langjähriges Mitglied der jüdischen Gemeinde Adas Israel. Judy Heumann hinterlässt einen Ehemann und etliche Familienmitglieder sowie zahlreiche Freund*innen und Weggefährt*innen.