Lasst uns Dummheiten machen – Das Recht auf freies Spiel
In Artikel 30 der UNBRK ist die Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport geregelt – explizit wird in Absatz 5 auf Erholungs-, Freizeit- und Sportmöglichkeiten eingegangen und unter Paragraph D, „dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern an Spiel-, Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen können, einschließlich im schulischen Bereich.“
von Dipl.soz.päd. Eva-Maria Fink
Da momentan keine schulische Integration bzw. Inklusion von Kindern mit Behinderungen flächendeckend in Österreich besteht, stellen Spielplätze theoretisch einen niederschwelligen Begegnungsort zwischen Kindern mit Behinderungen und Kindern ohne Behinderungen dar.
Barrierefreie Spielplätze sind allerdings auch nicht flächendeckend vorhanden und oft sind nur einzelne Spielgeräte für Kinder mit Behinderungen vorhanden. Diese Spielgeräte fördern in den seltensten Fällen die Interaktion zwischen sich unbekannten Kindern und daher wird der Spielplatz als Begegnungsort nicht in seinem vollen Potential ausgeschöpft.
Warum ist Spielen so wichtig?
Mittlerweile ist bekannt, dass Kinder beim Spielen – und im Besonderen beim freien Spielen viel lernen. Ein freies Spiel wird im Groben dadurch definiert, dass keine vorgegebenen Regeln existieren und dass die Beteiligten während des Spiels selbst an der Entwicklung und Gestaltung des Spiels eingebunden sind. Wie ein freies Spiel verläuft, hängt neben dem Entwicklungsstand der Spielenden sehr stark von den vorhandenen Gegebenheiten ab. Deshalb ist eine (spiel-)anregende Gestaltung von Spielplätzen besonders relevant.
Was lernen Kinder beim Spielen auf Spielplätzen?
Spielen fördert allgemein die Entwicklung. Das Spielen auf Spielplätzen fördert insbesondere
körperliche Entwicklung | sensorische Entwicklung | intellektuelle Entwicklung | kommunikative Entwicklung | soziale – emotionale Entwicklung |
grob- oder feinmotorische Fähigkeiten | Sehen, Tasten, Hören, Geruch und Geschmack
Gleichgewicht Tiefen-Wahrnehmung
|
(natur-) wissenschaftliches LernenProblemlösungenabstraktes Denken |
nonverbale und (Gestik und Mimik)
verbale Kommunikation (Ausdruck, Verständnis, Sprachrichtigkeit)
|
Selbstwert und -bewusstsein
Selbst- und Fremd-Wahrnehmung Interaktion Kooperation Zugehörigkeits-Gefühl
|
Was verhindert freies, risikoreiches Spiel für Kinder mit Behinderungen?
Es gibt einige Faktoren, die neben der fehlenden Barrierefreiheit von Spielplätzen das Spielen von Kindern mit Behinderungen negativ beeinflussen.
Grundvoraussetzung ist die Erreichbarkeit des Spielplatzes. Wohnortnähe stellt einen wichtigen Aspekt von Barrierefreiheit dar und schon bei diesem Punkt gibt es großes Entwicklungspotential. Wirklich barrierefreie Spielplätze gibt es sehr wenig und dadurch ist die Nutzung auch mit langen Anfahrtszeiten verbunden, was der Niederschwelligkeit als Begegnungsort Spielplatz im Weg steht.
Sehr oft setzt die Planung von Spielgeräten für Kinder mit Behinderungen die Sicherheit in den Fokus. Das macht das Spielen oft wenig spannend und abwechslungsreich und auch deshalb werden oft vorhandene barrierefreie Spielgeräte seltener bespielt als Spielgeräte, bei denen Sicherheit nicht ausschließlich im Fokus steht.
Das Bedürfnis nach Sicherheit setzt sich auch oft bei der Begleitung von Kindern mit Behinderungen fort. Oft unterschätzen Betreuungspersonen die Fähigkeiten eines Kindes und bremsen das freie Auskundschaften und Ausprobieren. Dies kann gravierende Folgen haben, denn durch das fehlende Vertrauen der Erwachsenen in die Fähigkeiten des Kindes, entwickeln Kinder mit Behinderungen selbst ein fehlendes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und dies wirkt sich folglich auch auf deren Risikobereitschaft aus. Denn sie werden in der Entwicklung einer realistischen Selbsteinschätzung gebremst und in Folge wirkt sich dies auf den Selbstwert und das Selbstvertrauen aus.
Selbstverständlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass viele Kinder mit Behinderungen die Begleitung von Erwachsenen brauchen, um überhaupt am Spielplatz teilhaben zu können. Die Gratwanderung als Begleitperson Sicherheit zu geben und trotzdem die Möglichkeit zu eröffnen, die eigenen Fähigkeiten einschätzen zu lernen, mit anderen Kindern in Kontakt zu treten und sich selbst Lösungen für Probleme überlegen zu müssen, ist sicherlich für jede Begleitperson, unabhängig von einer Behinderung eine Herausforderung.
Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren: eine ständige Begleitperson, fehlende Selbsteinschätzung und Selbstvertrauen, fehlende Barrierefreiheit von Spielgeräten und eventuell noch ein anderes Aussehen oder Verhalten bei starken Emotionen kann einen Nährboden zu sozialer Diskriminierung – also z.B.: Hänseleinen oder Beschimpfungen, Ausschluss ausgehend von Kindern ohne Behinderungen führen. Doch gerade durch unser segregierendes Bildungssystem können Kinder ohne Behinderungen den respektvollen Umgang gegenüber Kindern mit Behinderungen oft nicht lernen und Angriff ist oft die beste Verteidigung, um die eigenen Unsicherheiten zu überspielen. Dieses Bewusstsein braucht es von einer Begleitperson: einmal weniger „Pass auf, das kannst du nicht.“ Und dafür einmal mehr Unterstützung bei der Interaktion zwischen Kindern mit und ohne Behinderung oder auch den dazugehörigen Eltern.
Die Chance, Dummheiten oder schwierige Situationen (allein) zu meistern, die eigenen Fähigkeiten selbst einzuschätzen zu lernen und abzuwägen, ob die eigenen Entscheidungen schlau waren, auch das gehört zur Würde und zum Recht eines Kindes mit Behinderungen.
Quellen
https://www.behindertenrechtskonvention.info/teilnahme-am-kulturellen-leben-3939
Francesca Caprino. When the risk is worth it: the inclusion of children with disabilities in free risky play. 2018
https://www.health.harvard.edu/blog/6-reasons-children-need-to-play-outside-2018052213880