Stellungnahme des Österreichischen Behindertenrats zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird
Der Österreichische Behindertenrat dankt dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung für die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme und erlaubt sich diese wie folgt auszuführen:
Allgemeines
Der Österreichische Behindertenrat begrüßt das Vorhaben des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung mittels Bundesgesetzes das Schulunterrichtsgesetz dahingehend zu ändern, dass besondere Regelungen zum Kinderschutz in den bestehenden umfassenden Ansatz des Schutzes der Schüler*innen vor physischer, psychischer und sexueller Gewalt in der Schule eingebunden werden.
An dem vorliegenden Entwurf ist die Anwendung eines breiten Gewaltbegriffes, die Einsetzung eines Kinderschutzteams und die Durchführung einer Risikoanalyse als Teil des Kinderschutzkonzepts, sowie dessen vorgesehene Evaluierung positiv zu bewerten.
Da Kinder und Jugendliche mit Behinderungen ein deutlich höheres Risiko haben, Gewalt zu erleben als Kinder und Jugendliche ohne Behinderungen – dies gilt insbesondere für Mädchen mit Behinderungen sowie für Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten – sind diese in den vorgesehenen Maßnahmen zum Kinderschutz besonders zu berücksichtigen.
Zu den einzelnen Regelungen
Zu § 44 Abs. 3 Z 1
Damit Kinder und Jugendliche mit Behinderungen ihr Recht auf chancengleichen Zugang zum Bildungssystem wahrnehmen können bedarf es im Einzelfall Unterstützungsmaßnahmen. Zu der Sicherstellung derartiger Maßnahmen hat sich Österreich gemäß Art. 24 Abs. 2 d, e und f UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet.
Deshalb empfiehlt der Österreichische Behindertenrat in den Erläuterungen klarzustellen, dass jedenfalls Assistenzpersonal für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 d, e und f UN-BRK in den in der Verordnung näher zu definierenden Personenkreis, der sich in der Schule aufhalten darf, aufzunehmen.
Zu § 44 Abs. 3 Z 2 und § 44 Abs. 4
Damit ein Kinderschutzkonzept effektiv dazu beitragen kann, Kinder und Jugendliche vor Gewalt in der Schule zu schützen, muss ein solches Konzept in einem Prozess unter uneingeschränkter und wirksamer Partizipation relevanter Akteur*innen entwickelt werden. Hierzu gehören u.a. insbesondere Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen, ihre Organisationen sowie Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis. Bei der Entwicklung müssen wissenschaftliche Standards zum Kinderschutz berücksichtigt werden.
Deshalb empfiehlt der Österreichische Behindertenrat in § 44 Abs. 3 Z 2 die Wortfolge „in einem partnerschaftlichen Prozess“ durch „in einem partizipativen Prozess“ zu ersetzen.
Der Österreichische Behindertenrat empfiehlt außerdem, anstatt eines eigenen Kinderschutzkonzepts für jede Schule (siehe Erläuterungen zu § 44 Abs. 3 Z 2 des vorliegenden Entwurfs) einen bundesweiten Mindeststandard–Entwurf für ein Kinderschutzkonzept für alle Schulen zu erarbeiten. Es sollte jeder Schule offenstehen, über solche Mindeststandards hinausgehende Regelungen zu beschließen, und dabei ggf. schulspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen.
Zudem ist ein solcher Entwicklungsprozess unbedingt mit den entsprechenden finanziellen Ressourcen – z.B. für etwaige Assistenzleistungen – auszustatten, damit Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen und Kinder und Jugendliche mit Behinderungen im Besonderen uneingeschränkt und wirksam partizipieren können. Auch ist sicherzustellen, dass der Entwicklungsprozess in barrierefreien Formaten stattfindet.
Zu § 44 Abs. 4 Z 2
Ein Kinderschutzteam ist für die Einhaltung des Kinderschutzkonzepts unabdingbar.
Neben der Regelung, dass die Schulleitung nicht Teil des Kinderschutzteams ist, bedarf es jedoch noch konkreterer Angaben sowohl zur personellen Ausgestaltung des Kinderschutzteams als auch zu dessen genauen Aufgaben und Befugnissen.
Die Zusammensetzung des Kindeschutzteams sollte neben fachlicher Expertise auch unter Berücksichtigung von Multiprofessionalität und Diversität stattfinden. Hierbei sollte zudem sichergestellt werden, dass das Kinderschutzteam möglichst die Vielfalt der Schüler*innen widerspiegelt, wobei auch unterrepräsentierte Gruppen – wie z.B. Menschen mit Behinderungen – zu berücksichtigen sind.
Hinsichtlich der Aufgaben und Befugnisse ist auf jeden Fall zu definieren, ob und inwiefern das Kinderschutzteam als Anlaufstelle für Schüler*innen fungiert, die eine Gewalterfahrung melden wollen. Sollte diese Aufgabe in die Zuständigkeit des Kinderschutzteams fallen, ist unbedingt der barrierefreie Zugang zu bzw. die barrierefreie Kommunikation mit dem Kinderschutzteam sicherzustellen.
Zu § 44 Abs. 4 Z 3
Eine Risikoanalyse unter Berücksichtigung des örtlichen Umfeldes der Schule ist sehr zu begrüßen. Die Erläuterungen zu § 44 Abs. 4 Z 3 sollten jedoch dahingehend präzisiert werden, ob und inwiefern die Gefahrengruppe „Gefahren durch Erwachsene in der Schule“ auch Gefahren durch Lehrpersonal und andere Bedienstete des Schulwesens umfasst. Zudem bedarf es einer Klarstellung, was genau unter Berücksichtigung der Informations- und Kommunikationstechnologie gefasst wird.
Zu § 44 Abs. 4 Z 5
Eine wissenschaftliche Evaluierung durch multiprofessionelle Expert*innen ist für die Überprüfung der Wirksamkeit des Kinderschutzkonzepts und zur Anpassung im Bedarfsfall unerlässlich. Im Sinne der Qualitätssicherung ist eine solche Evaluierung jedenfalls öffentlich auszuschreiben und mit ausreichend zeitlichen und finanziellen Ressourcen auszustatten. Die Ausschreibung sowie der Start der wissenschaftlichen Evaluierung sollten jeweils zeitgerecht erfolgen, damit die gewonnenen Ergebnisse die jeweils nächste Etappe des Kinderschutzkonzepts informieren können. Dies sollte innerhalb der Frist von höchstens drei Schuljahren passieren. Zudem ist eine Veröffentlichung der Evaluierungsergebnisse vorzusehen.
Deshalb empfiehlt der Österreichische Behindertenrat, § 44 Abs. 4 Z 5 um folgenden fett gedruckten Zusatz zu ergänzen:
„(4) Das Kinderschutzkonzept gemäß Abs. 3 Z 2 muss jedenfalls […] 5. für die regelmäßig durchzuführende wissenschaftliche Evaluierung eine Frist, die höchstens drei Schuljahre betragen darf, und innerhalb derer die Evaluierungsergebnisse vorliegen müssen, enthalten.“
Mit besten Grüßen
Für Präsident Klaus Widl
Felix Steigmann BA MA