Am 5. Dezember 2023 wurde im Gesundheitsausschuss des Nationalrats eine umfangreiche Sammelnovelle beschlossen, die eine der zentralen Grundlagen der Gesundheitsreform darstellt. Der Entwurf wurde mit den Stimmen der Regierungsparteien in der Fassung eines Abänderungsantrags angenommen, der lediglich technische Anpassungen enthielt. Laut Bundesminister Johannes Rauch sei es ein großer Erfolg, dass bis 2028 jährlich rund eine Milliarde Euro in das System fließen werden und der Einsatz der Mittel an Reformen geknüpft sei.
Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch nahm im Gesundheitsausschuss u.a. zum umstrittenen Bewertungsboard Stellung. Er betonte, dass dass nur fachkundige Vertreter*innen aus den Bereichen Humanmedizin und Pharmazie im Gremium sitzen werden. Überdies liege die Letztentscheidung bezüglich der Arzneimittel beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin bzw. beim Spital. Bisher habe jedes Krankenhaus eigene Verhandlungen mit pharmazeutischen Unternehmen geführt, die zudem völlig intransparent abgelaufen seien. Alle Beteiligten würden daher glauben, dass sie „den besten Vertrag haben“. Diese „Einflugschneise für Lobbyisten“ solle es Rauch zufolge künftig nicht mehr geben. Was den Zugang zu Gesundheitsdaten für die Wissenschaft betrifft, so werde dieser „im Rahmen eines zweistufigen Verfahrens stattfinden“, teilte der Ressortchef mit.
Mit in Verhandlung standen auch die Vereinbarung „Zielsteuerung Gesundheit„, welche die Eckpunkte und Inhalte der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern festlegt, sowie die Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, die die Umsetzung der für den Gesundheitsbereich relevanten Teile des Finanzausgleichs für die Jahre 2024 bis 2028 abbildet. Diese Vorlagen wurden mit den Stimmen von ÖVP und Grünen bzw. mit ÖVP-Grünen-SPÖ-NEOS-Mehrheit beschlossen.
Auf der Agenda standen zudem zahlreiche oppositionelle Entschließungsanträge, die teils abgelehnt, teils vertagt wurden. ÖVP, Grüne und NEOS stimmten zudem für einen im Verlauf der Sitzung eingebrachten Antrag, die Gesundheitsreform mit Schwerpunkt im ambulanten Bereich bis spätestens 30. Juni 2027 einer Evaluierung zu unterziehen.
Mit den Stimmen von ÖVP, Grünen, SPÖ und FPÖ wurde zudem ein weiterer Ausbau der sogenannten Frühen Hilfen beschlossen, worunter Maßnahmen zur Gesundheitsförderung bzw. gezielten Frühintervention in Schwangerschaft und früher Kindheit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs verstanden werden. Laut einer weiteren Vereinbarung werden dafür im Zeitraum von 2024 bis 2028 jährlich 21 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.
Die Regierungsvorlage, die Änderungen beim System der Kontrollen der Lebensmittelsicherheit und der Tiergesundheit zum Inhalt hatte, fand die Zustimmung von ÖVP, Grünen und NEOS und wurde in der Fassung eines Abänderungsantrags angenommen.
Gesundheitsreform: Vereinbarungsumsetzungsgesetz mit Änderungen in 13 Rechtsmaterien
Basierend auf dem Finanzausgleich und den zentralen Art. 15a-Vereinbarungen im Gesundheitsbereich schlug die Regierung Änderungen in insgesamt 13 Rechtsmaterien vor, die zum Großteil ab 1. Jänner 2024 in Kraft treten sollen. Die Sammelnovelle firmiert unter dem Titel „Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024“ (VUG) und umfasst rund 80 Seiten.
Generell soll die Gesundheitsreform laut zuständigem Ressort bei folgenden Punkten ansetzen:
- Stärkung des niedergelassenen Bereichs
- Strukturreformen in den Spitälern
- Ausbau digitaler Angebote, Gesundheitsförderung und Vorsorge
- Impfprogramme
- Medikamentenversorgung
Durch die Optimierung der Patient*innenenströme gemäß dem Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“ soll auch ein effektiverer Einsatz der Ressourcen gewährleistet werden.
Um den niedergelassenen Bereich zu stärken, soll die Gründung von Gruppenpraxen, Primärversorgungseinheiten und Ambulatorien vereinfacht und das Leistungsangebot auch zu Tagesrandzeiten und an Wochenenden verbessert werden. Im Rahmen einer gesamthaften Planung der Versorgung wird die Anzahl der Kassenstellen, Ambulanzen oder Primärversorgungseinheiten auf regionaler Ebene festgelegt, wobei die Einspruchsmöglichkeit der Ärztekammer entfallen soll. Weiters findet sich in der Novelle das Bekenntnis zu einer Modernisierung und Vereinheitlichung des bundesweiten Gesamtvertrags samt harmonisierter Honorierung.
Weitere Fortschritte in der Digitalisierung des Gesundheitswesens sollen durch folgendes erreicht werden:
- Ausbau der Gesundheitsberatung 1450
- verpflichtende Anbindung der Wahlärzt*innen an das e-card- und das System der elektronischen Gesundheitsakte ELGA
- verpflichtende Diagnosecodierung im niedergelassenen Bereich
- Einrichtung einer gemeinsamen behördlichen Datenauswertungsplattform
- Aufbau eines Terminmanagement-Systems
Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz: Gesamthafte verbindliche Planung und bessere Abstimmung zwischen den Vertragspartnern
Der Bund und die gesetzliche Krankenversicherung haben sich bei der Durchführung ihrer Maßnahmen an den vom Ministerrat und der Bundesgesundheitsagentur beschlossenen Gesundheitszielen zu orientieren. Die dabei zu beachtenden Prinzipien reichen von dem Grundsatz „digital vor ambulant vor stationär“, dem Ausbau des ambulanten Bereichs vorrangig in multiprofessionellen Versorgungsformen, der Gewährleistung der Behandlung am „Best Point of Service“ bis hin zur verbindlichen Zusage zur aktiven Zusammenarbeit und wechselseitigen Unterstützung bei der Umsetzung der vereinbarten Ziele.
Eine zentrale Rolle kommt der Bundes-Zielsteuerungskommisson zu. In diesem Gremium wird der Entwurf für den Zielsteuerungsvertrag beraten und dem Bund, dem Dachverband der Sozialversicherungsträger und den Ländern zur Beschlussfassung empfohlen.
Die wichtigsten Planungsinstrumente für die kurz-, mittel- und langfristige integrative Versorgungsplanung sind der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) und die Regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG).
Der zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung abgestimmte Österreichische Strukturplan Gesundheit gibt den verbindlichen Rahmen vor, auf dessen Basis die konkrete Umsetzung auf Länderebene realisiert werden soll. Im Regionalen Strukturpläne Gesundheit werden insbesondere die Kapazitätsplanungen für den stationären und ambulanten Bereich (z.B. Zahl und örtliche Verteilung der Leistungserbringer) festgelegt. Priorisiert werden soll dabei der niedergelassene Bereich, wobei auf ein ausgewogenes Versorgungsangebot geachtet werden soll. Zudem wird die Gründung von Primärversorgungseinheiten, Gruppenpraxen und Ambulanzen erleichtert.
Durch die vorgeschlagenen Änderungen soll zudem grundsätzlich das Gesamtvertragssystem modernisiert und weiterentwickelt werden, heißt es in der Begründung. Neu festgelegt wird daher etwa, dass die Träger der Krankenversicherung flexible Verträge mit freiberuflichen Ärzt*innen abschließen können, sollte eine Planstelle des Stellenplans mindestens zwei Mal erfolglos ausgeschrieben worden sein. Es soll auch die Möglichkeit geschaffen werden, dass Ärzt*innen, die bereits in der Nähe tätig sind, vorübergehend einige Stunden in der Woche als Vertragsärzt*innen tätig sein können.
Anbindung der Wahlärzt*innen an das e-card-System und an ELGA, Diagnosecodierung und Weiterentwicklung des Gesamtvertrags
In Ergänzung zu den berufsrechtlichen Vorgaben erfolgt im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) die sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung der Wahlärzt*innen bzw. Wahl-Gruppenpraxen zur Verwendung der e-card sowie der e-card-Infrastruktur ab 1. Jänner 2026. Im Ärztegesetz ist auch die verpflichtende Anbindung an die elektronische Gesundheitsakte ELGA sowie an den e-Impfpass vorgesehen. Als Teil der ärztlichen Dokumentationspflicht wird zudem die verpflichtende Verwendung von Diagnose- und Leistungscodierungen statuiert.
Im Sinne der Sicherstellung der Versorgung wird den Sozialversicherungsträgern der Betrieb eigener Einrichtungen erleichtert. Das bisherige Erfordernis bei Errichtung, Erwerb oder Erweiterung von Ambulatorien durch die Träger der Krankenversicherung, das Einvernehmen mit der örtlich zuständigen Ärztekammer bzw. der Österreichischen Zahnärztekammer herzustellen, soll folglich mit 1. Jänner 2024 entfallen. Beim Abschluss von Verträgen soll darauf geachtet werden, dass bei den Anbietern eine gewisse Vielfalt besteht und dass beherrschende bzw. monopolartige Eigentümerstrukturen vermieden werden.
Bewertungsboard für Arzneimittel und zusätzliche Mittel für die Digitalisierung zum Ausbau der Telemedizin
Im Gesetzentwurf findet sich auch die Vorgabe, dass ein bundesweit einheitlicher Bewertungsprozess sowie ein Bewertungsboard für ausgewählte Arzneispezialitäten im intramuralen und an der Nahtstelle zwischen intra- und extramuralem Bereich etabliert werden soll. Damit wird gegenüber der bestehenden Situation der Prozess zur Erstellung bundesweit einheitlicher Empfehlungen effizienter gestaltet, wodurch eine raschere Aufnahme von Präparaten in Arzneimittellisten möglich sei.
Dem Bewertungsboard sollen fachkundige Vertreter*innen des Bundes, der Länder und der Sozialversicherung sowie der Patientenanwaltschaften, Expert*innen des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) und der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) sowie unabhängige Vertreter*innen der Wissenschaft angehören. Weiters wird zur Stärkung der Verhandlungsposition gegenüber der Pharmabranche ein Verhandlungsteam eingerichtet.
Durch den Ausbau der digitalen Angebote für Patient:innen soll der Einsatz der Telemedizin deutlich forciert werden. Davon umfasst sind die geplante Erweiterung der Gesundheitshotline 1450, die bei der Erstabklärung von Beschwerden genutzt werden soll, die verpflichtende Diagnosecodierung, die Anbindung aller Anbieter von Gesundheitsdiensten an ELGA sowie die verbesserte Datennutzung durch die Einrichtung einer bis spätestens 2028 umzusetzenden Plattform.
Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern legen Eckpunkte der Gesundheitsreform fest
Rund 115 Seiten umfassen die beiden zentralen Art. 15a-B-VG-Vereinbarungen, in denen die Eckpunkte der Gesundheitsreform festgelegt wurden. In der Einigung zwischen dem Bund und den neun Bundesländern bekennen sich die Vertragsparteien zu einer überregionalen und sektorenübergreifenden Planung und Steuerung sowie zur Sicherstellung einer gesamthaften Finanzierung des gesamten Gesundheitswesens. Ziel sei es, durch mehr Koordination und Kooperation die bestehenden organisatorischen und budgetären Partikularinteressen zu überwinden.
Wie schon seit den Budgetberatungen bekannt, sollen von 2024 bis 2028 zusätzliche Mittel in das System fließen, um dringend erforderliche strukturelle Weichenstellungen vornehmen zu können. Für den niedergelassenen Bereich sind jährlich 300 Mio. Euro vorgesehen, also insgesamt 1,5 Mrd. Euro über die ganze Laufzeit des Finanzausgleichs gerechnet. Der spitalsambulante Bereich erhält allein im Jahr 2024 550 Mio. Euro. Dieser Betrag erhöht sich schrittweise in den folgenden Jahren, wodurch sich bis 2028 eine Summe von rund 3 Mrd. Euro ergibt.
ÖVP spricht von einem „historischen Wurf“
Nach über einem Jahr intensiver Gespräche sei es im Rahmen der Gesundheitsreform gelungen, einige sehr wichtige Punkte, die teils ein Novum darstellen würden, zu verankern, unterstrich Josef Smolle (ÖVP). So würde erstmals Geld vom Bund an die Sozialversicherung fließen, und zwar mit dem Ziel, den niedergelassenen Sektor auszubauen und die Verlagerung vom vollstationären in den ambulanten Bereich voranzutreiben. Die Länder wiederum sollen rund 600 Mio. € erhalten, um wichtige Strukturreformen umsetzen zu können. Auch die Schaffung von zusätzlichen Kassenvertragsstellen und eines bundesweit einheitlichen und attraktiven Leistungs- und Honorarkatalogs sowie die Forcierung der Telemedizin (Hotline 1450 und Anbindung an ELGA) würden dazu beitragen, dass die Patient:innen am „best point of care“ betreut werden können, zeigte sich Smolle überzeugt, der die Gesundheitsreform als einen „historischen Wurf“ bezeichnete.
Wichtig sei dabei, dass die Vergabe der zusätzlichen Mittel an Reformen gebunden sei, hob Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) hervor. Insbesondere die Primärversorgungseinheiten seien im Hinblick auf die Stärkung des niedergelassenen Sektors ein Zukunftsmodell, da dort Vertreter:innen von verschiedenen Gesundheitsberufen interdisziplinär zusammenarbeiten würden. Damit könnten auch die Patientenströme besser gelenkt werden, merkte Martina Diesner-Wais (ÖVP) an.
NEOS: Kritik an Umsetzung des Bewertungsboards sowie Forderung nach dem Ausbau von strukturierten Versorgungsprogrammen zur besseren Behandlung von chronischen Krankheiten
Abgeordnete Fiona Fiedler (NEOS) räumte ein, dass die Reform „prinzipiell tolle Sachen“ enthalte. Dennoch gebe es einige Punkte, mit denen ihre Fraktion nicht zufrieden sei. Kritik übte sie vor allem an der Umsetzung des Bewertungsboards, das an sich eine sehr gute Idee sei. In diesem Gremium würden aber Vertreter*innen der Sozialversicherung und der Länder über den Einsatz von Arzneimitteln beraten und dabei nach wirtschaftlichen Kriterien vorgehen, gab Fiedler zu bedenken. Auch seien etwa für die Realisierung der geplanten Diagnosecodierung keine Sanktionen vorgesehen, bemängelte sie. Ein Anliegen war ihr auch die Ermöglichung des Zugangs der Wissenschaft zu Gesundheitsdaten.
Während in der Schweiz die Bevölkerung Zugang zu Informationen habe, in welchen Krankenhäusern die beste Behandlungsqualität geboten werde, fehle in Österreich noch immer eine transparente Darstellung. Österreich schneide auch bei der Behandlung von chronischen Krankheiten im internationalen Vergleich nicht sonderlich gut ab, zeigte NEOS-Mandatarin Fiona Fiedler weiter auf. Wichtig wäre daher aus ihrer Sicht ein massiver Ausbau von strukturierten Versorgungsprogrammen. Die von ihrer Fraktion dazu vorgelegten Entschließungsanträge galten bei der Abstimmung der Gesundheitsreform als miterledigt. Auch sei es wieder nicht zu der von Expert*innen seit Jahrzehnten geforderten Finanzierung des Gesundheitswesen „aus einer Hand“ gekommen, bemängelte Fiedler in einem weiteren Antrag. Diese Initiative wurde ebenso vertagt, wie die Forderung der NEOS auf eine rasche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Gesundheitsbereich in Österreich.
FPÖ: Viele offene Probleme werden weiterhin nicht angegangen
Die letzten vier Jahre in der Gesundheitspolitik hätten das System in eine „historische Katastrophe“ geführt, urteilte FPÖ-Mandatar Peter Wurm. Vor allem der von allen anderen Parteien betriebene „Corona-Wahnsinn“ hätte zahlreiche Beschäftigte aus dem Gesundheitssystem getrieben und „vieles kaputt gemacht“. Sein Fraktionskollege Gerhard Kaniak (FPÖ) verteidigte die unter einer FPÖ-Ministerin eingeleitete Zusammenlegung der Sozialversicherungen, deren Potentiale bedauerlicherweise nicht genutzt worden seien. Ein Grundproblem des Gesundheitswesens bestehe darin, dass es in den letzten Jahren aufgrund der zunehmend unattraktiven Arbeitsbedingungen zu einer massiven Abwanderung aus dem Spitalsbereich gekommen sei. Daher würde nun allen, die ihre „Hausaufgaben nicht gemacht haben“, die Rechnung präsentiert. Von der Gesundheitsreform erwarte er sich wenig, da etwa eine zusätzliche Finanzierungsebene eingezogen wurde und eine Verbindlichkeit der Vorgaben „nicht zu finden sei“. Auch den Ausbau der Hotline 1450 werde man den Menschen nicht als Leistungssteigerung verkaufen können, „wenn sie dann keinen Arzt mehr sehen“.
Bedenklich sei auch, dass die Primärversorgungseinheiten hoch subventioniert würden, was seiner Meinung nach die Probleme noch weiter verschärfen werde. Die Versorgung der Bevölkerung könne nur dann garantiert werden, wenn zumindest der Abgang in Richtung Alterspension und der Wechsel zu den Primärversorgungseinheiten (PVE) durch die Besetzung freiwerdender Kassenvertragsstellen kompensiert und zusätzliche Vertragsärzt*innen für Einzelpraxen, Gruppenpraxen und PVEs gewonnen werden. Zudem sollten Wahlärzt*innen in das Kassensystem eingebunden, das Doppelbeschäftigungsverbot aufgehoben sowie eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für über 70-jährige Kassenärzt*innen ermöglicht werden. Wichtig wäre auch die Einbindung der Wahlärzt*innen in das kassenärztliche System mittels Vergabe von Halb- und Viertelverträgen, falls offene Stellen nicht anders besetzt werden können. Die zwei von der FPÖ mitverhandelten Entschließungsanträge, die die freiheitlichen Vorschläge für eine Gesundheitsreform sowie Maßnahmen zur Besetzung von zusätzlichen Kassenvertragsstellen enthielten, fanden bei der Abstimmung keine Mehrheit.
Grüne: Paradigmenwechsel, der auf bestmögliche Versorgung der Patient*innen abzielt
Während die Freiheitlichen während ihrer Regierungsbeteiligung nichts erreicht hätten, könne man auf die von Minister Rauch mit großem Engagement vorangetriebene Gesundheitsreform „stolz sein“, urteilte Ralph Schallmeiner (Grüne). Es handle sich dabei um einen längst notwendigen Paradigmenwechsel, da nicht nur beträchtliche zusätzliche Mittel ausgeschüttet würden, sondern primär die die Versorgung und Bedürfnisse der Patient:innen – und nicht die wirtschaftlichen Interessen Einzelner – in den Mittelpunkt gestellt werden. In Hinkunft werde es etwa möglich sein, dass die Sozialversicherung eigene Ambulatorien eröffnen könne. Bei der Planung komme der Bundes-Zielsteuerungskommission eine wichtige Rolle zu, die statt bisher 17 Mio. € nunmehr eine Milliarde Euro gemeinsam mit den Systempartnern verwalten werde, unterstrich Schallmeiner.
SPÖ: Reform ist nicht weitreichend genug und Finanzierung der Sozialversicherung ist nicht gewährleistet
Seine Fraktion unterstütze alle Bemühungen, die das heimische Gesundheitssystem stärken, betonte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. Leider enthalte die vorliegende Reform aber nur viele Versprechen und einige kosmetische Korrekturen, die bei Weitem nicht ausreichend wären. Ein Beispiel, dass dies besonders klar zum Ausdruck bringe, sei die Tatsache, dass die ÖGK nur 300 Mio. € mehr erhalten soll. Der prognostizierte Abgang der Gesundheitskasse würde sich aber allein im heurigen Jahr auf 386 Mio. € belaufen.
Was das Bewertungsboard angeht, so mache es Sinn, einen einheitlichen Zugang zur Spitzenmedizin zu gewährleisten, urteilte Kucher, die Umsetzung sei aber komplett missglückt. Hier müsse noch dringend eine Änderung vorgenommen werden. Dieser Meinung schloss sich auch Abgeordnete Verena Nussbaum (SPÖ) an, die weiters darauf verwies, dass eine Entscheidungsfrist von bis zu fünf Monaten festgeschrieben sei. Dies könne wohl nicht im Sinne der Patient:innen sein. Außerdem sei auch kein Rechtsmittel vorgesehen.
Unter Bezugnahme auf Anträge seiner Fraktion drängte Kucher erneut auf eine Rückabwicklung des unter der türkis-blauen Regierung erfolgten Mittelentzugs von der ÖGK. Damit die damals versprochene Patientenmilliarde tatsächlich ausgeschüttet werden könne, brauche es außerdem einen Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenversicherungsträgern. Die ÖVP-FPÖ-Regierung habe die Umgestaltung der Sozialversicherungen auch dazu genutzt, um den Topf, aus dem 44 Privatkliniken in Österreich Versichertengelder beziehen (Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds, kurz PRIKRAF), aufzustocken, erinnerte er. Das Gesetz müsse daher rückabgewickelt werden.
Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) ging auf einen weiteren Antrag ihrer Fraktion ein, in dem der Minister im Zusammenhang mit Long Covid und ME/CFS aufgefordert wird, ausreichend Forschungsgelder zu Verfügung zu stellen und interdisziplinäre Ambulanzzentren einzurichten. Laut einer Studie der Universität Mainz würden 40 % der COVID-19-Infizierten noch sechs Monate nach der Erkrankung unter Langzeitfolgen leiden (3631/A(E)). Alle drei Initiativen wurden mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt. Abgelehnt wurde hingegen der SPÖ-Antrag zur Verbesserung der Situation im Pflegebereich, der nur von der FPÖ mitunterstützt wurde (3317/A(E)).
Rauch sieht Gesundheitsreform als großen Erfolg
Da für eine Finanzierung des Gesundheitswesens aus einer Hand eine Bundesstaatsreform erforderlich gewesen wäre, sei ihm als einziger Hebel der Finanzausgleich geblieben, konstatierte Bundesminister Johannes Rauch, und diesen habe er nun genutzt. Es sei aus seiner Sicht ein großer Erfolg, dass jährlich rund eine Milliarde Euro mehr alleine für den Gesundheitssektor bereitgestellt werden, wobei die Vergabe der Mittel an Reformen geknüpft sei. Es war allen Beteiligten klar, dass der ambulante Bereich deutlich ausgebaut werden müsse, damit nicht mehr so viele Menschen in die Spitäler strömen. Erstmals in der Geschichte habe man sich daher darauf geeinigt, dass die Sozialversicherung 300 Mio. Euro vom Bund erhalten wird. Bei der Verwendung der Mittel liege ein großes Augenmerk auf der Erweiterung der Angebote im kassenärztlichen Bereich sowie bei den Primärversorgungseinheiten, wo seit der Änderung der rechtlichen Grundlagen und vor allem seit der Beseitigung der Vetomöglichkeit der Ärztekammer, ein Gründungsboom eingesetzt habe. Ähnliches gelte für den Regionalen Strukturplan Gesundheit, wo die Länder in ihrer Planungsverantwortung gestärkt würden.
Beim Schwerpunkt Telemedizin setze man auf das Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“, auf die Erweiterung der Hotline 1450 sowie die verpflichtende Anbindung aller Ärzt*innen an ELGA. Bezüglich der Bedenken des Ausbaus von 1450, das als erste Anlaufstelle fungieren soll, verwies Rauch auf internationale Beispiele, die gut funktionieren und auch angenommen würden. Es brauche auch niemand Sorge zu haben, mit einem „Roboter“ reden zu müssen. Am Telefon sitze natürlich fachkundiges Personal, das die Menschen sehr gut beraten werde. Rauch zeigte sich auch optimistisch hinsichtlich eines Abschlusses eines Gesamtvertrags zwischen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und Ärztekammer; die Verhandlungen würden bereits seit Mai 2023 laufen.
Der SPÖ gegenüber informierte der Minister darüber, dass er die Empfehlungen des Obersten Sanitätsrats in Sachen Long COVID auf Punkt und Beistrich umsetzen wolle. Diese umfassten etwa die Einrichtung einer zentralen Referenzstelle für postvirale Erkrankungen sowie die Ausarbeitung eines nationalen Aktionsplans. Er sehe auch die Länder gefordert, die aufgrund der zusätzlichen Mittel nun die Möglichkeit hätten, eigene Ambulanzen einzurichten. Außerdem gebe es Pläne auf Ebene der Europäischen Union, über die derzeit noch beraten werde.
Frühe Hilfen: 21 Mio. Euro pro Jahr für weiteren Ausbau bis 2028
Eine weitere mit den Stimmen von ÖVP, Grünen, SPÖ und FPÖ beschlossene Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG, die im Zuge der Umsetzung der Gesundheitsreform von der Regierung vorgelegt wurde, regelt die nachhaltige Bereitstellung und Finanzierung eines flächendeckenden und bedarfsgerechten Angebots an Frühen Hilfen für die Jahre 2024 bis 2028. Darunter werden Maßnahmen zur Gesundheitsförderung bzw. gezielten Frühintervention in Schwangerschaft und früher Kindheit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs verstanden.
Im Zeitraum 2024 bis 2028 werden dafür jährlich 21 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, wobei die Kosten zu je einem Drittel vom Bund, den Ländern sowie den Kranken- und Pensionsversicherungsträgern übernommen werden (Frühe-Hilfen-Vereinbarung, 2315 d.B.). Auf Bundesebene werden als Beratungsgremium die nationale Koordinierungsgruppe Frühe Hilfen sowie eine zentrale Servicestelle – zuständig für Koordination, Qualitätssicherung, überregionale Vernetzung und Wissenstransfer – eingerichtet.
In Umsetzung der für den Zeitraum 1. Jänner 2024 bis 31. Dezember 2028 geltenden Vereinbarung, haben ÖVP und Grüne einen Initiativantrag auf Änderung des ASVG eingebracht (3722/A), der die Zustimmung aller Fraktionen fand. Darin wird insbesondere festgelegt, dass die Kranken- und Pensionsversicherungsträger in den Jahren 2024 bis 2028 verpflichtet sind, sich jeweils zur Hälfte an der Finanzierung der Frühen Hilfen im Ausmaß von jährlich sieben Millionen Euro zu beteiligen. Weiters wird die Entsendung von Vertrete*:innen der Kranken- und Pensionsversicherungsträger durch den Dachverband in die verschiedenen Gremien geregelt.
Ralph Schallmeiner (Grüne) begrüßte die Weiterführung des im Jahr 2011 eingerichteten Instruments der Frühen Hilfen, das europaweit als „best practice“ eingestuft und nun in den Regelbetrieb übergeführt werde. Außerdem komme es zu einer deutlichen Erhöhung der Mittel von 15 Mio. Euro auf 21 Mio. Euro.
Sie verstehe nicht, warum nun ein Beratungsgremium eingerichtet werde, zumal das bestehende Netzwerk seit zehn Jahren gut funktioniert habe, führte Fiona Fiedler (NEOS) ins Treffen. Ähnlich argumentierte Abgeordneter Gerhard Kaniak (FPÖ), der die finanzielle Absicherung grundsätzlich für gut hieß, aber die Schaffung von zusätzlichen Gremien ablehnte.
Es handle sich dabei um eine Erfolgsgeschichte, hob Bundesminister Johannes Rauch hervor, an der alle Bundesländer beteiligt seien. Er sei froh darüber, dass nun eine nahtlose Fortsetzung möglich sei und die Finanzierung für die nächsten fünf Jahre abgesichert wurde.
Änderungen beim System der Kontrollen zur Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit
In der Fassung eines Abänderungsantrags der Regierungsparteien wurden schließlich noch Änderungen beim System der Kontrollen der Lebensmittelsicherheit und der Tiergesundheit mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und NEOS angenommen. Im Konkreten wird das Kontroll- und Digitalisierungs-Durchführungsgesetz erlassen sowie das Tierseuchengesetz, das Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz novelliert.
Die Regierungsvorlage trägt vor allem nationalen und unionsrechtlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte Rechnung und führt die bestehenden Rechtsgrundlagen in einem Gesetz zusammen. Vor allem im Bereich der Behördenzusammenarbeit sollen jahrelang etablierte Abläufe des Zusammenwirkens zwischen Bundes- und Landesbehörden entlang der Lebensmittelkette übernommen und rechtlich verankert werden. Zu mehr Transparenz komme es auch im Bereich des Trinkwassers, erläuterte Abgeordnete Olga Voglauer (Grüne) den Abänderungsantrag, ein entsprechender Bericht soll jährlich vorgelegt werden.
Peter Schmiedlechner von der FPÖ lehnte den Entwurf ab, weil dadurch der Bürokratieapparat noch mehr aufgebläht werde. In der Vorlage seien grundsätzlich gute Ideen enthalten, der Abänderungsantrag sei aber viel zu kurzfristig vorgelegt worden, bemängelte Abgeordneter Dietmar Keck (SPÖ). Er würde sich zudem wünschen, dass Veterinäreauch „in den Stall gehen können“, und zwar nicht nur auf freiwilliger Basis. Abgeordneter Josef Hechenberger (ÖVP) hielt Keck entgegen, dass es schon bisher Betriebsvisiten gebe und stichprobenartige Kontrollen durchgeführt würden.