Der Österreichische Behindertenrat ist die Interessenvertretung der 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen in Österreich. In ihm sind über 85 Mitgliedsorganisationen organisiert. Auf Grund der Vielfalt der Mitgliedsorganisationen verfügt der Österreichische Behindertenrat über eine einzigartige Expertise zu allen Fragen, welche Menschen mit Behinderungen betreffen.
Der Österreichische Behindertenrat dankt für die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme und erlaubt sich diese wie folgt auszuführen:
Allgemeines
Grundsätzlich wird das mit diesem Gesetzesentwurf intendierte Ziel, vermehrt auf digitale Systeme umzustellen, begrüßt. Damit Menschen mit Behinderungen das elektronische Kommunikationssystem jedoch chancengleich nutzen können, muss dieses umfassend barrierefrei zugänglich und nutzbar sein. Sonst werden Menschen mit Behinderungen aufgrund von technischen Barrieren davon ausgeschlossen. Auch Art 9 UN-BRK verpflichtet den Staat Österreich dafür Sorge zu tragen, dass der Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen
umfassend barrierefrei ist.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Barrierefreiheit immer ein Wahlrecht zwischen einem digitalen und einem analogen System möglich sein muss, weil die Nutzung elektronischer Systeme (aufgrund fehlender Hardware oder Skills) für manchen Personen nicht möglich ist. Die Priorisierung des elektronischen Systems darf also nicht dazu führen, dass die analogen Möglichkeiten nicht mehr vom AMS angeboten werden. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Frage der digitalen Barrierefreiheit nicht nur Menschen mit Behinderungen betrifft. Auch ältere Menschen, Menschen mit mangelhaften bis nicht vorhandene Bedienungskompetenzen oder solche mit eingeschränktem Zugang zu digitalen Ressourcen könnten vor neuen Hürden stehen. Daher ist es wichtig, dass bei der Umstellung auf digitale Systeme die Bedarfe aller Nutzergruppen berücksichtigt werden.
Zu den einzelnen Regelungen
Zu § 46 Abs 1 AIVG
In § 46 Abs 1 AIVG ist normiert, dass Anträge nun vorrangig über das elektronische Kommunikationssystem des Arbeitsmarktservice einzubringen sind. Personen, denen die Beantragung über das elektronische Kommunikationssystem nicht möglich ist, ist die persönliche Antragsstellung oder ein von Mitarbeiter*innen unterstützter Zugang zum elektronischen Kommunikationssystem in jeder Geschäftsstelle zu ermöglichen.
Aus den Erläuterungen ergibt sich eindeutig, dass das elektronische Kommunikationssystem gesetzlich priorisiert werden muss. Um einen diskriminierungsfreien und chancengleichen Zugang zu eben genanntem System gewährleisten zu können, muss ein solches elektronisches Kommunikationssystem unbedingt umfassend barrierefrei gem. den einschlägigen Normen und rechtlichen Vorschriften (wie beispielsweise den Antidiskriminierungsbestimmungen des BGStG und des BEinstG) sein, andernfalls Menschen mit Behinderungen von deren Nutzung ausgeschlossen werden.
Außerdem ist sicherzustellen, dass Menschen, denen die Beantragung über das elektronische System nicht möglich ist, weiterhin einen Papierantrag stellen können. Dazu ist Ersten im Gesetzestext zu verankern, dass die arbeitslose Person selbst darüber entscheidet (in Form eines Wahlrechts) ob die elektronische Beantragung möglich ist oder nicht und dafür von ihr seitens des AMS auch keine Nachweise (außer einer Selbstauskunft) verlangt werden dürfen. Zweitens ist sicherzustellen, dass auch wenn die entsprechende Unterstützungsstruktur in der Geschäftsstelle vorhanden ist, weiterhin ein Papierantrag möglich ist. Die anderslautende Formulierung in den Erläuterungen: „Die neuen Regelungen ermöglichen dem Arbeitsmarktservice auch den Verzicht auf Papierformulare, sofern …“ ist daher jedenfalls zu streichen.
Darüber hinaus fordert der Österreichische Behindertenrat, dass nachfolgende Änderungen (in fett) an § 46 Abs 1 vorgenommen werden, um die obigen Ausführungen im Gesetz zu verankern:
„[…] Der Antrag ist vorrangig über das elektronische Kommunikationssystem des Arbeitsmarktservices einzubringen. Das elektronische Kommunikationssystem musss dem aktuellen Standard der WCAG Level AA entsprechen. Personen, denen die Beantragung über das elektronische Kommunikationssystem nicht möglich oder zumutbar ist, ist steht die Wahl einer die persönlichen Antragstellung bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle oder ein von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitsmarktservice unterstützter Zugang zum elektronischen Kommunikationssystem in jeder Geschäftsstelle zu ermöglichen offen. Der Antrag gilt erst mit der Übermittlung des vollständig ausgefüllten Antragsformulars als gestellt. Das Arbeitsmarktservice hat das Einlangen des Antrages zu bestätigen.“
Zu § 46a Abs 1 AIVG
Hier wird festgeschrieben, dass die Kommunikation vorrangig im Wege des elektronischen Kommunikationssystems des AMS zu erfolgen hat. Ausnahmen gibt es hier wieder für die Personengruppe, der die Nutzung des elektronischen
Kommunikationssystems nicht möglich ist bzw. die auf die Unterstützung von Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle angewiesen sind. Auch hier fehlt wieder die Verankerung der digitalen Barrierefreiheit im Gesetzestext. Außerdem ist nicht klar definiert, wer (und nach welchen Kriterien) entscheidet, wem die Nutzung des elektronischen Kommunikationssystems nicht möglich ist bzw. wer dabei Unterstützung von den Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle benötigt. Um hier Klarheit zu schaffen, ist zumindest in den Erläuterungen auszuführen, dass die arbeitslose Person selbst darüber entscheidet und dafür von ihr seitens des AMS keine Nachweise (außer einer Selbstauskunft) verlangt werden dürfen.
Neben dieser Klarstellung in den Erläuterungen fordert der Österreichische Behindertenrat § 46a Abs 1 wie folgt zu ergänzen (Ergänzung in fett):
„(1) Die Kommunikation zwischen Arbeitsmarktservice und arbeitsloser Person, insbesondere die Zustellung von Benachrichtigungen, Mitteilungen und Bescheiden, hat bei Vorliegen der technischen Voraussetzung vorrangig im Wege des elektronischen Kommunikationssystems des Arbeitsmarktservice zu erfolgen. Das elektronische Kommunikationssystem musss dem aktuellen Standard der WCAG Level AA entsprechen.“
Zu § 46a Abs 4 AlVG
In Abs 4 werden die Modalitäten und die Wirkung der elektronischen Zustellung fixiert. Wiewohl in Abs 1 die Zustellung für Personen, denen die Nutzung des elektronischen Kommunikationssystems nicht möglich ist bzw. die auf die Unterstützung von Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle angewiesen sind, klar geregelt ist. Fordert der Österreichische Behindertenrat, dass Abs 4 wie folgt ergänzt wird, um Klarheit für den Fall zu schaffen, dass einer Person aus dem vorher genannten Personenkreis versehentlich ein Dokument im Wege des elektronischen Kommunikationssystems
zugestellt wird:
„(4) Über das elektronische Kommunikationssystem des Arbeitsmarktservice zugestellte Dokumente gelten als nachweislich zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind und die arbeitslose Person über die von ihr bekanntgegebene elektronische Adresse vom Einlangen des Dokuments informiert wurde. Davon ausgenommen sind Personen, denen die Nutzung des elektronischen Kommunikationssystems nicht möglich oder zumutbar ist oder sie dabei auf die Unterstützung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice angewiesen sind, da ihnen Dokumente über das elektronische Kommunikationssystem des Arbeitsmarktservice nicht rechtswirksam zugestellt werden können.“
Für Vize-Präsident Martin Ladstätter MA
Mag. Victoria Biber, LL.M