Stellungnahme zum Gesetz über die Abwehr und Bekämpfung von Katastrophen sowie die Einrichtung eines Katastrophenmanagements (Salzburger Katastrophenhilfe und -managementgesetz 2024)
Der Österreichische Behindertenrat ist die Interessenvertretung der 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen in Österreich. In ihm sind über 85 Mitgliedsorganisationen organisiert. Auf Grund der Vielfalt der Mitgliedsorganisationen verfügt der Österreichische Behindertenrat über eine einzigartige Expertise zu allen Fragen, welche Menschen mit Behinderungen betreffen.
Der Österreichische Behindertenrat dankt dem Land Salzburg für die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme und erlaubt sich, diese wie folgt auszuführen:
Allgemeines
Der Österreichische Behindertenrat begrüßt grundsätzlich die Neuordnung des Katastrophenschutzes in Salzburg, um u.a. technische Entwicklungen im Bereich der Katastrophenvorsorge und -abwehr, sowie in der Anwendung gewonnene Erfahrungen besser berücksichtigen zu können. Dies ist besonders geboten, da die Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen in den letzten Jahren zugenommen, und Expert*innenprognosen folgend auch weiter zunehmen wird.1
Menschen mit Behinderungen haben, so zeigen die Erfahrungen aus den letzten (Umwelt-) Katastrophenfällen in Österreich jedoch, in der Konzeption und dann in der weiteren Folge auch in der Umsetzung von Katastrophenschutzplänen keine Rolle gespielt.2
Bei der Flut im deutschen Ahrtal im Juli 2021 starben 12 Menschen mit Behinderungen in einer Einrichtung der Lebenshilfe in Sinzig, weil sie beim Katastrophenschutz nicht ausreichend mitgedacht und entsprechend gewarnt wurden.3
Um Menschen mit Behinderungen bestmöglich vor Schaden zu bewahren ist es unerlässlich, dass Menschen mit Behinderungen und deren Bedarfe bei der Erstellung von Katastrophenschutzplänen durchgehend mitgedacht werden und beispielsweise Katastrophenwarnungen bzw. -alarmierungen barrierefrei nach dem Mehr-Sinne-Prinzip durchgeführt werden. Zudem muss für Warnungen, Alarmierungen und Evakuierungen auch ausreichend Personal in Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderungen wohnen und/oder arbeiten vorhanden sein.
In diesem Sinne sind aus Sicht des Österreichischen Behindertenrats folgenden Anmerkungen zu machen.4
Zu den einzelnen Regelungen
Zu § 4
Hier ist geregelt, dass der Bezirksverwaltungsbehörde die rechtzeitige und wirksame Warnung bzw. Alarmierung der Bevölkerung des von einer drohenden oder bereits eingetretenen Katastrophe betroffenen Gebietes obliegt. Sollte dies aufgrund direkter Betroffenheit durch die Katastrophe nicht möglich sein, hat die Landesregierung die Warnung bzw. Alarmierung vorzunehmen.
Um die Wirksamkeit dieser Warnungen bzw. Alarmierungen – sprich das rechtzeitige und handlungsorientierte Erreichen ALLER Menschen im betroffenen Gebiet – zu garantieren, müssen folgende Aspekte gewährleistet werden: Warnungen und Alarmierungen müssen umfassend barrierefrei (siehe Anmerkungen zu § 18 Abs. 1), unter Berücksichtigung vulnerabler Gruppen (siehe Anmerkungen zu §§ 13 Abs. 2 bzw. 14 Abs. 2) sowie über mehrere Schienen, also unter Sicherstellung der Warnung bzw. Alarmierung bei Ausfall einzelner Warn- bzw. Alarmsysteme durchgeführt werden.
Zudem muss für einen umfassenden Schutz von der nach § 4 zuständigen Stelle sichergestellt werden, dass Warnungen bzw. Alarmierungen über Bezirksgrenzen hinweg durchgeführt werden. So haben etwa bei Starkregenereignissen Warnungen bzw. Alarmierungen innerhalb eines Flusseinzugsgebietes, insbesondere von Gebietskörperschaften/ Einsatzkräften am Oberlauf an Gebietskörperschaften/Einsatzkräfte am Unterlauf zu erfolgen. Des Weiteren bedarf es einer Harmonisierung der Standards für Warnungen bzw. Alarmierungen über alle Bezirksverwaltungsbehörden in Salzburg hinweg.
Deshalb fordert der Österreichische Behindertenrat, in den Erläuterungen und in weiterer Folge auch in den zu verabschiedenden Verordnungen klarzustellen, dass Warnungen bzw. Alarmierungen über mehrere Schienen, mit verständlichen und klaren Handlungsanweisungen und bei Bedarf über Bezirksgrenzen hinaus zu erfolgen haben und dass die Standards für Warnungen bzw. Alarmierungen über alle Bezirksverwaltungsbehörden in Salzburg hinweg harmonisiert werden.
Der Österreichische Behindertenrat empfiehlt zudem, in Anlehnung an den Warntag in Deutschland5 auch in Österreich und Salzburg einen alljährlichen Warntag zum Test der Systeme und zur Sensibilisierung der Bevölkerung einzuführen.
Zu §§ 13 Abs. 2 bzw. 14 Abs. 2
Der vorliegende Entwurf sieht die Erstellung eines mehrgliedrigen Katastrophenschutzplans auf Bezirks- (§ 13) bzw. Gemeindeebene (§ 14) vor, wobei letzterer nach den geltenden Bestimmungen des Bezirks-Katastrophenschutzplans zu erstellen ist. Die Pläne sind dem Entwurf nach zudem auf dem Laufenden zu halten.
Damit diese Katastrophenschutzpläne Menschen mit Behinderungen – aber auch andere Gruppen wie etwa ältere Menschen oder Kinder – wirklich effektiv schützen können, ist eine Erweiterung dieser Pläne um wichtige Aspekte dringend notwendig. So ist die Bezirks- bzw. Gemeindebeschreibung um Informationen über die soziale Struktur im Bezirk (Altersverteilung, geographische Verteilung von vulnerablen Gruppen, Informationen zu Einrichtungen, Wohnhäusern, Arbeitsstätten, Freizeiteinrichtungen von und für Menschen, die im Katastrophenfall besonders gefährdet sind) zu erweitern. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Behörden darüber Kenntnis haben, wo sich im Bezirk bzw. in der Gemeinde welche Gruppen, die in der Katastrophenvorsorge und -abwehr bzw. -bekämpfung mitzudenken sind, befinden. Auf Basis der sozialen Struktur des Bezirks bzw. der Gemeinde müssen dann in weiterer Folge auch Maßnahmen getroffen werden, die sicherstellen, dass Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, aber auch Menschen mit Behinderungen in Privathaushalten rechtzeitig, handlungsorientiert und barrierefrei gewarnt bzw. alarmiert werden.
Die Bezirks- bzw. Gemeindebeschreibung muss zudem Behörden und Rettungskräften ermöglichen zu wissen, wo und wie Menschen mit Behinderungen im Notfall zu unterstützen bzw. zu evakuieren sind und welche Ressourcen an Zeit, Material und Einsatzkräften es dazu benötigt.
Ob Hochwasser, Tornado, Erdbeben, Waldbrand oder Hitzewelle. Unterschiedliche Katastrophen erfordern unterschiedliche Handlungen und Maßnahmen. Um sich auf mögliche Katastrophenszenarien bestmöglich vorbereiten zu können, sollen die in den Katastrophenplänen angeführten Gefahrenlagen, auch die unterschiedlichen potentiellen Katastrophen enthalten und abhandeln.
Die Gefahrenlagen sind entsprechend einer Liste möglicher Katastrophen des Landes jedenfalls auch auf Gemeindeebene zu bedenken und zu bearbeiten.
Zudem ist unbedingt sicherzustellen, dass bezüglich der in den Alarmplänen festgelegten Reihung der Maßnahmen nach ihrer Dringlichkeit die Warnung, Alarmierung sowie die Evakuierung vulnerabler Gruppen – z.B. Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Kinder – unter Berücksichtigung der sozialen Struktur mit höchster Dringlichkeit vorzusehen ist.
Deshalb fordert der Österreichische Behindertenrat, dass § 13 Abs. 2 durch folgendes in fett ergänzt wird:
„(2) Der Katastrophenschutzplan hat sich zu gliedern in:
1. die Bezirksbeschreibung (Topographie, Besiedlung, soziale Struktur, wichtige Anlagen);
2. die Gefahrenlage (inkl. potenzieller Katastrophen);
3. den Katastrophenhilfsdienst samt den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln;
4. Alarmpläne (Verständigungslisten, Reihung der Maßnahmen nach ihrer Dringlichkeit, insb. Alarmierung und Evakuierung vulnerabler Gruppen);
5. zur Katastrophenabwehr und -bekämpfung wichtige Anlagen, Einrichtungen, Einsatz- und Hilfsmittel im Bezirk, inkl. der von vulnerablen Gruppen genutzten Infrastruktur, sowie Mittel zur Sicherstellung lebenserhaltender Maßnahmen (Notstrom, Sauerstoff, etc.).“
Zu § 13 Abs. 5
Die Zusammenfassung der Bezirkskatastrophenschutzpläne bildet laut Entwurf den Landes-Katastrophenschutzplan. Aus Transparenzgründen und zur Sicherstellung der effektiven Schutzwirkung des Landes-Katastrophenschutzplans für Menschen mit Behinderungen empfiehlt der Österreichische Behindertenrat die verpflichtende Veröffentlichung in barrierefreien Formaten.
Zu § 14 Abs. 1
Laut § 14 kann die Bezirksverwaltungsbehörde die Aufgabe der Erstellung eines Gemeinde-Katastrophenschutzplans an einzelne Gemeinden übertragen. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Kannbestimmung. Um einen effektiven Katastrophenschutz zu gewährleisten, sollte unbedingt jede Gemeinde über einen eigenen Katastrophenschutzplan verfügen. Nicht nur wissen die Gemeinden jeweils am besten über die eigene Topographie, soziale Struktur etc. (siehe Gliederung Katastrophenschutzpläne § 13 Abs. 2) Bescheid, auch können Katastrophenereignisse einerseits sehr punktuell auf eine einzelne Gemeinde sowie andererseits gemeindeübergreifend auftreten. Diese Umstände machen gemeindespezifische Katastrophenschutzpläne unerlässlich.
Deshalb fordert der Österreichische Behindertenrat in § 14 Abs. 1 die Wortfolge „Die Aufstellung von Katastrophenschutzplänen für Katastrophen, welche nach den örtlichen Gegebenheiten das Gebiet einer Gemeinde treffen können und sich in ihren Auswirkungen im Wesentlichen hierauf beschränken, kann von der Bezirksverwaltungsbehörde den Gemeinden übertragen werden.“ durch „Die Gemeindeverwaltungsbehörde hat zur Vorbereitung und Durchführung der Abwehr und Bekämpfung von Katastrophen, die nach den örtlichen Gegebenheiten das Gemeindegebiet treffen können, unter Bedachtnahme auf die Richtlinien nach § 12 einen Katastrophenschutzplan zu erstellen.“ zu ersetzen.
Zu § 18 Abs. 1 bzw. Abs. 2
Damit Menschen mit Behinderungen effektiv vor Katastrophen geschützt werden können müssen Warnungen und Alarmierungen umfassend barrierefrei sein. Akustische Zeichen, wie im Entwurf angeführt, sind hierfür jedoch keinesfalls ausreichend. Stattdessen muss nach dem Mehr-Sinne-Prinzip gewarnt bzw. alarmiert werden. Das heißt, dass Warnungen bzw. Alarmierungen akustisch (durch entsprechende akustische Zeichen geeigneter Signalanlagen, Lautsprecherwagen, etc.), visuell (durch Warnlichter, elektronische Texte, Amtstafel etc.) und durch persönliche Kontaktaufnahme zu erfolgen haben. Zudem muss in Leichter Sprache und Österreichischer Gebärdensprache gewarnt bzw. alarmiert werden und müssen Warnung handlungsorientiert erfolgen, es muss also klar ersichtlich sein, wie man sich im Gefahrenfall zu verhalten hat.
Deshalb fordert der Österreichische Behindertenrat in § 18 Abs. 1 die Wortfolge „durch entsprechende akustische Zeichen geeigneter Signalanlagen“ durch „nach dem Mehr-Sinne-Prinzip“ zu ersetzen, und in die Erläuterungen eine Beschreibung des Mehr-Sinne-Prinzips wie oben skizziert aufzunehmen.
Analog hierzu fordert der Österreichische Behindertenrat in § 18 Abs. 2 die Wortfolge „Die Landesregierung hat durch Verordnung die nach Abs 1 in Betracht kommenden akustischen Zeichen unter Bedachtnahme auf ihre deutliche Unterscheidbarkeit einheitlich festzulegen.“ durch „Die Landesregierung hat durch Verordnung die nach Abs. 1 in Betracht kommenden Formen der Warnung und Alarmierung nach dem Mehr-Sinne-Prinzip und zur Sicherstellung der Barrierefreiheit einheitlich festzulegen.“
Zu § 20
Hier ist die Aus-, Fort- und Weiterbildung in den Aufgaben des Katastrophenhilfsdienstes geregelt. Um im Ernstfall schnell und effektiv auf Katastrophen reagieren zu können ist es unerlässlich, dass Einsatzübungen unter realistischen, sprich dem Ernstfall möglichst nahekommenden Bedingungen (z.B. Schlechtwetter, ausfallende Systeme, Evakuierung vulnerabler Gruppen) durchgeführt werden. Auch sollten worst-case-Szenarien simuliert werden Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass dies nicht immer der Fall ist.6
Insbesondere Menschen mit Behinderungen und ihre Bedarfe werden bei solchen Übungen systematisch übergangen. Dabei wäre es wichtig, dass einerseits die Einsatzkräfte das Retten von Menschen mit Behinderungen gezielt üben (z.B. wie evakuiert man mobilitätseingeschränkte Personen), und dass andererseits Menschen mit Behinderungen kennenlernen, wie Rettungen/Evakuierungen vor sich gehen.
Deshalb fordert der Österreichischen Behindertenrat in den Erläuterungen klarzustellen, dass Einsatzübungen unter realistischen Bedingungen und unter Einbezug vulnerabler Gruppen, insbesondere Menschen mit Behinderungen abgehalten werden.
Zu §§ 22 Abs. 1 bzw. § 23 Abs. 1
Der vorliegende Entwurf sieht vor, dass zur Beratung der Landesregierung in den Angelegenheiten der Vorsorge für Katastrophenfälle und der Abwehr und Bekämpfung von Katastrophen sowie zur Koordination aller Maßnahmen auf diesem Gebiet beim Amt der Landesregierung ein Koordinationsausschuss für Katastrophenwesen (Landes-Katastrophenhilfebeirat) zu schaffen ist. Ein hierzu analoger Beirat ist auch auf Bezirks- und Gemeindeebene vorgesehen.
Vertreter*innen der organisierten Menschen mit Behinderungen sind als Beiratsmitglieder aber nicht genannt. Jedoch ist es sowohl im Sinne der Partizipation als auch hinsichtlich der mit diesem Gesetzesentwurf intendierten Verbesserung des Katastrophenschutzes und -managements vor dem Hintergrund gewonnener Erfahrungen unerlässlich, dass die Expertise von Menschen mit Behinderungen Berücksichtigung findet.
Deshalb fordert der Österreichischen Behindertenrat, dass § 22 Abs. 1 durch folgendes in fett
„(1) […], sowie Vertreter*innen der organisierten Menschen mit Behinderungen beizuziehen sind.“
und § 23 Abs. 1 durch folgendes in fett
„(1) […], Vertreter bzw. Vertreterinnen der Gemeinden, Vertreter*innen der organisierten Menschen mit Behinderungen sowie Vertreter bzw. Vertreterinnen jener bedeutenderen Einrichtungen für Katastrophenhilfe beizuziehen […].“
zu ergänzen.
1 Siehe https://www.salzburg.gv.at/themen/wasser/schutz-vor-hochwasser/hochwasserschutz-oberpinzgau, https://www.salzburg24.at/news/salzburg/hochwasser-in-salzburg-das-ganze-land-unter-schock-106736626, https://salzburg.orf.at/stories/3142641/ Letzter Zugriff: 03.05.2024.
2 Siehe https://www.behindertenrat.at/2023/07/menschen-mit-behinderungen-im-katastrophenfall/ Letzter Zugriff: 03.05.2024.
3 Siehe https://www.focus.de/politik/deutschland/ahrtal-12-menschen-starben-weil-das-land-keine-zweite-nachtwache-zahlte_id_167021130.html, https://andererseits.org/fuenf-probleme-doku/, https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-07/behinderung-katastrophenschutz-barrierefreiheit-ahrtal Letzter Zugriff: 03.05.2024.
4 Der Österreichische Behindertenrat verfügt im Bereich Katastrophenschutz über umfassende Expertise und Kooperationen, u.a. mit Geosphere (ehemals ZAMG), siehe hierzu https://www.behindertenrat.at/2024/04/menschen-mit-behinderungen-im-katastrophenschutz/ Letzter Zugriff: 05.05.2024.
5 Vgl. https://www.bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/Bundesweiter-Warntag/bundesweiter-warntag_node.html Letzter Zugriff: 06.05.2024.
6 Siehe https://www.salzburg24.at/news/salzburg/ki-grossuebung-fuer-katastrophenlagen-in-salzburg-alle-bilder-137383966 Letzter Zugriff: 03.05.2024.
Stellungnahme Salzburger Katastrophenhilfe und -managementgesetz 2024 (PDF)
Mit besten Grüßen
Für Vize-Präsident Martin Ladstätter MA
Felix Steigmann BA MA, DI Emil Benesch