Die Plattform #besserbehandelt.at unter der Federführung des Vereins „Politische Kindermedizin“ möchte mit der Kampagne #besserbehandelt.at die Versorgungssituation für Kinder und Jugendliche in Österreich deutlich verbessern.
Initiatorin der Plattform #besserbehandelt.at ist die Politische Kindermedizin, ein Verein von Kinder- und Jugendmediziner*innen und anderen im Kinder- und Jugendbereich engagierter Berufsgruppen, die zum größten Teil in der unmittelbaren Versorgung junger Patient*innen tätig sind. Prim. Dr. Sonja Gobara, Obfrau der Vereins, sieht es als soziale Verantwortung, Missstände in der Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen mit Daten und Fakten zu hinterlegen und diese den politisch Verantwortlichen rückzumelden. Bemühungen zahlreicher Organisationen und Institutionen hätten in diesem Bereich bisher nur zu Teilerfolgen (Kinderreha, Frühe Hilfen, Rahmenvereinbarungen für funktionelle Therapeut*innen, Primärversorgungseinheiten für Kinder etc.) geführt.
Die Mitglieder der Plattform #besserbehandelt.at möchten mit ihrer Awareness-Kampagne ein möglicherweise entstehendes Zeitfenster in Anbetracht einer neuen Regierungsbildung nützen, um Bewegung in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs zu bringen.
Chancenungerechtigkeit durch gravierenden Mangel an kassenfinanzierten Angeboten von Kinderärzt*innen und Therapieplätzen
Es wird für die Familien immer schwieriger, Kinderärzt*innen mit Kassenvertrag zu finden, insbesondere im ländlichen Bereich. In Niederösterreich ist jede vierte Stelle unbesetzt, in Oberösterreich jede sechste Stelle. In einigen Bezirken gibt es gar keine Fachärzt*in für Kinder- und Jugendheilkunde mit Kassenvertrag, sodass die Eltern sehr lange Anfahrtswege auf sich nehmen müssen. Mehr als die Hälfte (54 %) der Kassenmediziner*innen für Kinder- und Jugendheilkunde in Wien können aufgrund der Auslastung keine neuen Patient*innen aufnehmen.
Dr. Caroline Culen, Geschäftsführerin der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit zufolge sind sowohl die jeweiligen Gesundheitsangebote als auch die Kassenfinanzierungen regional sehr ungleich verteilt. Die Angebote seien zumeist nicht am Bedarf orientiert, sondern historisch gewachsen. Nach wie vor bestehe ein massiver Mangel an kostenfreien Diagnose- und Therapieplätzen für Kinder mit chronischen Erkrankungen oder Entwicklungsverzögerungen. Trotz der Rahmenvereinbarungen der Österreichischen Gesundheitskasse mit den Verbänden der Therapeut*innen bekomme nur eines von drei bis vier Kindern eine Therapie ganz oder teilweise von der Sozialversicherung finanziert. „Wir bräuchten im Vergleich zur Versorgung in Deutschland sechs Mal so viele Logopäd*innen und sieben Mal so viele Ergotherapeut*innen, die ihre Leistungen mit den Sozialversicherungen verrechnen. In Anbetracht der Zeitfenster, etwa für die Sprachentwicklung, ist das, mit allen Auswirkungen auf den Bildungsweg der Kinder, schlichtweg unzumutbar“, so Gobara.
Kinder mit komplexen Entwicklungsretardierungen und chronischen Erkrankungen und/oder Behinderungen werden in Österreich multiprofessionell in sozialpädiatrischen Ambulatorien betreut. Diese Ambulatorien sind ohne Planung und Steuerung über das gesamte Bundesgebiet verstreut, haben aber bei weitem nicht die erforderlichen Kapazitäten, oft gesperrte Wartelisten für die unterschiedlichen Therapien oder sogar generelle Aufnahmesperren.
Unterversorgung auch im psychosozialen Bereich
Auch im psychosozialen Bereich (Psychiatrie, Psychologie, Psychotherapie) besteht eine Unterversorgung durch lückenhafte Versorgungsstrukturen in ländlichen Gebieten und die fehlende Kostenübernahme durch die Sozialversicherung im niedergelassenen Bereich, wo Therapeut*innen lange, oftmals gesperrte Wartelisten führen. Eine Befragung der Kinderliga aus dem Jahr 2022 zeigte, dass der Bedarf an psychosozialer oder therapeutischer Betreuung laut 79 % aller befragten Psychotherapeuten*innen und klinischen Psychologen*innen das aktuelle Angebot um 45 % übersteigt. Die durchschnittliche Wartezeit für eine psychosoziale oder therapeutische Behandlung betrug zum Befragungszeitpunkt rund 3,8 Monate, regional wiederum sehr unterschiedlich.
„Mit Hilfe von Zuzahlung im privaten Wahlärzt*innen- und Wahltherapeut*innen-Bereich können Wartezeiten für einige Kinder zwar verkürzt werden, dies stellt aber für viele Familien eine unüberwindbare Hürde dar und widerspricht
einer gesundheitlichen Chancengleichheit und -gerechtigkeit“, sagt Culen. Gobara ergänzt: „Die Restkosten bei Therapien im niedergelassenen Bereich, bei Hilfsmitteln, Heilbehelfen, bei wahlärztlichen oder wahltherapeutischen Honoraren erschweren für Kinder und Jugendliche aus ökonomisch schwachen Familien den Zugang zu Gesundheitsleistungen.“ Durch Wartezeiten und Nicht-Behandlung würden wichtige Entwicklungsfenster versäumt. Chronifizierung oder nicht mehr behebbare Schäden können die Folge sein.
Chronische Erkrankung oder Behinderung schließen Kinder vom Kindergartenbesuch aus
Für Dr. Irene Promussas, Obfrau von Lobby4Kids, bezieht sich der Begriff „besserbehandelt“ nicht nur auf die medizinisch- therapeutische und psychosoziale Behandlung, sondern auch auf jene in gesellschaftlichen und sozialen Systemen, wie dem Kindergarten: Etwa in Wien können derzeit 14.00 Kinder wegen einer Behinderung oder chronischen Erkrankung nicht in einen Kindergarten aufgenommen werden, auch nicht im verpflichtenden Kindergartenjahr, auf das ein Rechtsanspruch besteht. Hauptgrund dafür ist einerseits der chronische Personalmangel in der Elementarpädagogik, und andererseits, laut Promussas, auch eine entsprechend abwehrende Haltung diesen Kindern gegenüber. „Häufig werden Kinder mit einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung nicht in den Kindergarten aufgenommen, weil sich niemand findet, der notwendige medizinische oder pflegerische Handgriffe übernehmen möchte, obwohl die Haftungsfrage längst geklärt ist“, so Promussas. Hoffnung sieht die Lobby4Kids-Obfrau in der Kompetenzstelle für Inklusion, die die MA 10 in Wien einrichtet. Ab Herbst 2024 soll es zudem Fördergeld und Personal geben, sobald in einer Kindergartengruppe zwei oder mehr betroffene Kinder aufgenommen werden sollen.
In Artikel 24 der UN-Konvention für Menschen mit Behinderung, bei deren Umsetzung Österreich noch großen Handlungsbedarf hat, ist das Recht auf inklusive Bildung festgelegt. In Kindergarten und Schule wäre nach skandinavischem und angloamerikanischem Vorbild ein Gesundheitsteam eine gute Möglichkeit, um Inklusion verwirklichen zu können.
„Es braucht in ganz Österreich den guten Willen aller und eine ausreichende Finanzierung sowie gutes und engagiertes Personal, das nicht zwingend aus der Pflege kommen muss, um jedes Kind seinen Bedürfnissen entsprechend willkommen zu heißen“, so Promussas.
Culen ergänzt: „Es besteht das Kinderrecht auf höchstmögliche Gesundheit und Versorgung sowie auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung. Darauf pochen wir als Kinderliga immer wieder. Kinder haben wenig Zeit, sie werden schnell erwachsen.“
>> Wie Kinder behindert werden
Plattform #besserbehandelt.at fordert künftige Regierung auf, Verantwortung zu übernehmen und kostenfreie, ausreichende Versorgung aller Kinder zu sichern
„Es ist jedenfalls hoch an der Zeit, in einer gemeinsamen Anstrengung eine breite Öffentlichkeit von den massiven Defiziten in der Gesundheitsversorgung unserer Kinder zu informieren und um Unterstützung für diese so wichtige Bewegung zu bitten. Wir fordern eine zukünftige Bundesregierung auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen und eine kostenfreie, flächendeckende, ausreichende Versorgung ohne Diskriminierung von Kindern mit Behinderung oder chronischer Erkrankung oder aus finanziell schwachen Familien zu sichern!“, lautet Gobaras Appell.