Stellungnahme des Österreichischen Behindertenrats zum Entwurf der Verordnung über die Gewährung von Studienbeihilfe an Studierende mit Behinderungen
Der Österreichische Behindertenrat ist die Interessenvertretung der 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen in Österreich. In ihm sind über 85 Mitgliedsorganisationen organisiert. Auf Grund der Vielfalt der Mitgliedsorganisationen verfügt der Österreichische Behindertenrat über eine einzigartige Expertise zu allen Fragen, welche Menschen mit Behinderungen betreffen.
Der Österreichische Behindertenrat dankt dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung für die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme und erlaubt sich diese wie folgt auszuführen:
Allgemeines
Der Österreichische Behindertenrat begrüßt grundsätzlich, dass mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf die Anspruchsdauer der Studienbeihilfe für Studierende mit Behinderungen verlängert sowie der Zuschlag zur Studienbeihilfe für Studierende mit Behinderungen erhöht werden soll. Die momentan eingezogenen Grenzen – mind. 50% Grad der Behinderung (GdB) – entsprechen jedoch nicht der Lebensrealität von vielen Studierenden mit Behinderungen und basieren vor allem nicht auf einer UN-BRK-konformen Definition von Behinderung.
Wie im Nachfolgenden ausgeführt wird, fußt der Ausschluss von vielen Studierenden mit Behinderungen gar nicht auf dieser Verordnung, sondern auf dem ihr zugrunde liegenden Studienförderungsgesetz (StudFG) und seinen Voraussetzungen für eine verlängerte Anspruchsdauer auf Studienbeihilfe für Studierende mit Behinderungen.
Angemerkt sei an dieser Stelle auch, dass hier insofern eine Inkonsistenz zum Universitätsgesetz (UG) besteht, als dass das UG z.B. hinsichtlich abweichender Prüfungsmethoden oder Adaptierung der Anforderungen der Curricula, auf die Definition von Behinderung nach § 3 Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) abstellt.1 Die Definition nach dem BGStG sieht – im Gegensatz zum StudFG bzw. dem Verordnungsentwurf keinen Mindestgrad an Behinderung vor.
In diesem Sinne sind aus Sicht des Österreichischen Behindertenrats folgende allgemeine Anmerkungen zum StuFG sowie spezifische Anmerkungen zu den einzelnen Regelungen des Verordnungsentwurfs zu machen.
Allgemeine Anmerkungen
Eingangs muss festgehalten werden das bereits das StudFG, auf welchem der vorliegende Verordnungsentwurf aufbaut, zum Ausschluss vieler Studierenden mit Behinderungen von der verlängerten Anspruchsdauer auf Studienbeihilfe bzw. dem Zuschlag zur Studienbeihilfe führt. Das Problem ist hier die zu hohe Schwelle (GdB von 50%) in § 19 Abs 3 Z 3 StudFG, auf den auch in § 26 Abs 8 hinsichtlich des Zuschlags verwiesen wird. Diese Schwelle stellt den Ausgangspunkt für Verlängerungen der Anspruchsdauer bzw. den Zuschlag nach der vorliegenden Verordnung dar. Für Studierende mit Behinderungen unterhalb von 50% GdB ist gar keine Möglichkeit einer verlängerten Anspruchsdauer bzw. eines Zuschlags vorgesehen.
Während die im Verordnungsentwurf vorgesehene Staffelung der Verlängerung der Anspruchsdauer der Studienbeihilfe bzw. der Höhe des Zuschlags nach dem GdB grundsätzlich sinnvoll ist, führt sie im Studienalltag vieler Studierenden mit Behinderungen zu großen Problemen. Insbesondere Studierende mit psychischen Erkrankungen bekommen in den seltensten Fällen einen GdB von 50% oder höher beschieden; im Normalfall haben sie einen GdB von 30%. Gleichzeitig machen Studierende mit psychischen Erkrankungen mit 39,9%, Tendenz steigend, aber die größte Gruppe aller Studierenden mit Behinderungen aus.2 Unter diesen Gesichtspunkten scheint es sachlich nicht gerechtfertigt, eine solch große Gruppe an Studierenden mit Behinderungen von der Möglichkeit der Verlängerung der Anspruchsdauer der Studienbeihilfe bzw. vom Zuschlag zur Studienbeihilfe de facto auszuschließen.
Um auch dieser Personengruppe einen Zugang zur verlängerten Anspruchsdauer bzw. zum Zuschlag zu ermöglichen, regt der Österreichische Behindertenrat deshalb an, das StudFG zu novellieren und dort in § 19 Abs. 3 Z. 3 die Wortfolge „50%“ durch „30%“ zu ersetzen.
Zu den einzelnen Regelungen
Zu § 1
Hier sind die Voraussetzungen für die Verlängerung der Anspruchsdauer der Studienbeihilfe über das StudFG festgelegte Ausmaß hinaus festgehalten. Laut § 19 Abs. 3 Z. 3 StudFG verlängert sich die Anspruchsdauer für alle Studierenden mit einem GdB von mindestens 50% um zwei Semester. Dem vorliegenden Entwurf folgend würde sich für Studierende mit mindestens 60% GdB die Anspruchsdauer um ein auf insgesamt drei Semester verlängern3. Für Studierende mit mindestens 70% GdB würde sich die Anspruchsdauer um zwei Semester plus die Hälfte der vorgesehenen Regelstudienzeit verlängern4; das entspricht bei einem Vollzeitbachelorstudium mit einer Regelstudienzeit von sechs bis acht Semestern insgesamt fünf bis sechs Semester verlängerter Anspruchsdauer.
Wie bereits skizziert ist ein Großteil der Studierenden mit Behinderungen – insbesondere Studierende mit psychischen Erkrankungen – ungeachtet des Verordnungsentwurfs schon durch das StuFG von der Verlängerung der Anspruchsdauer der Studienbeihilfe ausgeschlossen. Sobald wie angeregt durch eine Novellierung des StudFG eine gesetzliche Basis für den Zugang zu einer verlängerten Anspruchsdauer auch für Studierende mit psychischen Erkrankungen geschaffen wäre, wären dann auch die in der Verordnung genannten Grenzen betreffend den GdB jeweils um 10% herabzusetzen.
Zu § 2
Der vorliegende Verordnungsentwurf sieht einen monatlichen Zuschlag zur Studienbeihilfe für Studierende mit Behinderungen vor. So würde Studierenden mit mindestens 50% GdB und einer Zusatzeintragung im Behindertenpass gemäß § 1 Abs. 4 Z. 1 lit. a bis d, f und l, Z. 2 oder Z. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ein Zuschlag von 240 Euro gebühren.5 Studierenden mit mindestens 70% GdB wiederum gebühren 630 Euro.6
Neben dem oben skizzierten Problem mit der Grenze von 50% GdB und der hierfür erforderlichen Novelle des StudFG ist hier vollkommen unverständlich, warum auch eine Zusatzeintragung kumulativ vorliegen muss. Dies stellt einen krassen Widerspruch zu dem in den Erläuterungen skizzierten Ziel: „Damit soll die Förderung von Studierenden mit Behinderungen nicht nur treffsicherer werden, sondern auch auf Studierende ausgeweitet werden, die an bislang nicht durch die Verordnung erfassten Krankheiten und Behinderungen, wie zB an psychischen Beeinträchtigungen, leiden.“7 dar, weil all die Zusatzeintragungen von Menschen mit psychosozialen Behinderungen nicht erlangt werden können.
Um in einem ersten Schritt – unabhängig von der erforderlichen Novelle des StudFG – zumindest jenen Menschen mit psychosozialen Behinderungen (die einen GdB von zumindest 50% haben) einen Zugang zum Zuschlag zur Studienbeihilfe zu geben, fordert der Österreichische Behindertenrat daher, dass die Zusatzeintragung als Anspruchsvoraussetzung aus dem Verordnungsentwurf gestrichen wird.
Nach einer Novelle des StudFG (siehe oben), wären dann auch noch der erforderliche GdB in § 2 der Verordnung um jeweils 20% abzusenken.
Mit besten Grüßen
Für Präsident Klaus Widl
Felix Steigmann BA MA
1 Vgl. Universitätsgesetz, § 58 Abs. 11, § 59 Abs. 1 Z. 12., § 71b. Abs. 7 Z. 5
2 Vgl. Zausinger et al. Zur Situation behinderter, chronisch kranker und gesundheitlich beeinträchtigter Studierender – Quantitativer Teil der Zusatzstudie zur Studierenden-Sozialerhebung 2019, S. 15.
https://www.sozialerhebung.at/images/Berichte/Studierenden-Sozialerhebung-2019_Zusatzbericht_Gesundheitliche_Beeintraechtigung.pdf Letzter Zugriff: 23.07.2024.
3 Vgl. Verordnungs-Entwurf, § 1 Abs. 1 Z. 1 https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Begut/BEGUT_142CD5A3_8116_4D77_AFB4_7B2827397F35/BEGUT_142CD5A3_8116_4D77_AFB4_7B2827397F35.pdf Letzter Zugriff: 22.07.2024.
4 Vgl. ebd., § 1 Abs 1 Z. 2.
5 Vgl. Verordnungs-Entwurf, § 2 Z. 1.
6 Vgl. ebd., §2 Z. 2.
7 Vgl. Erläuterungen, S. 1. An dieser Stelle sei auch auf den veralteten und herabwürdigenden Terminus „leiden“ hinzuweisen, welcher aus den Erläuterungen zu streichen ist.