Am 26. September 2024 fand im Landhaus Innsbruck die 16. öffentliche Sitzung des Tiroler Monitoringausschusses zur Überwachung der UN-Behindertenrechtskonvention zum Thema“ Selbstbestimmt leben in der Gemeinschaft – Was bedeutet Deinstitutionalisierung?“ statt. Unter der Moderation von Isolde Kafka, der Leiterin der Tiroler Servicestelle Gleichbehandlung und Antidiskriminierung, gab es mehrere Vorträge mit der Möglichkeit für das Publikum, Fragen zu stellen, die vor Ort beantwortet wurden.
Monika Rauchberger: Persönlicher Bericht über ihren Weg raus aus den Institutionen
Monika Rauchberger ist Mitglied des Tiroler Monitoringausschusses und hat über ihren schwierigen Kampf für Selbstbestimmtes Leben referiert.
Sie hat berichtet, dass sie bereits im Alter von zwei (2) Jahren erstmals in ein Heim kam. Danach wurde sie in ein anderes Heim verlegt, in dem sie gemeinsam mit Erwachsenen lebte, obwohl sie selbst noch ein Kind war.
Rauchenberger war nicht klar, dass es andere Heime zur Auswahl gibt oder überhaupt die Möglichkeit, woanders hinzuziehen. Als sie mehr Freiheit forderte, wurde ihr von den Betreuer*innen davon abgeraten, nach Innsbruck und damit auszuziehen. Auf das, was nach dem Umzug folge, wurde sie nicht vorbereitet.
Über den Schritt in eine Übergangswohnung, gelang es ihr schließlich in eine WG zu ziehen. Die Mitbewohner*innen dort konnte sie sich nicht aussuchen und auch bei der Antragstellung durfte sie nicht mitreden. Sie lebte selbstbestimmter als zuvor, aber die Betreuer*innen hatten immer noch sehr viel bestimmt.
Letztendlich ist es ihr gelungen, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Ihre persönliche Assistenz kommt jetzt nur noch dann, wann es ihr passt.
Petra Flieger: Studie „Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderungen in Tirol“
Petra Flieger setzt sich als freie Sozialwissenschafterin mit den Themen Gleichstellung und Integration von Menschen mit Behinderungen in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen auseinander.
Sie ist Autorin einer Studie. Gemeinsam mit dem Tiroler Monitoringausschuss hatte sie dafür einen Interviewleitfaden entwickelt.
In dieser qualitativ explorativen Studie wurden 27 Personen befragt:
13 Personen mit Behinderungen und 14 ohne. Allen wurden die gleichen Fragen gestellt.
Das Ergebnis der Studie bestätigt, dass das Leben von Menschen mit und ohne Behinderungen sehr unterschiedlich ist und Menschen mit Behinderungen oft in Institutionen leben.
Dort haben sie keine Wahl, wer ihre Mitbewohner*innen sind und leben fremdbestimmt. Dies macht sich etwa darin bemerkbar, dass das Recht auf Partnerschaft und Sexualität nicht ausgelebt werden kann.
Petra Flieger betonte, dass Segregation Diskriminierung ist und es sowohl Bewusstseinsbildung in diese Richtung als auch eine Strategie für den systematischen Abbau aller Formen von Barrieren braucht.
Marina Schett und Susanne Fuchs von der Abteilung Inklusion und Kinder- und Jugendhilfe des Landes Tirol
Es wurden zwei Prozesse genannt, die Deinstitutionalisierung in Tirol voranbringen sollen:
- Tiroler Aktionsplan Behinderung TAP
- Seit 2024 Bedarfs- und Entwicklungsplan Entwicklungshilfe
Es wurden einige Zahlen, etwa über die Verteilung der sog „stationären“ Angebote, mit denen dauerhafte Wohnstrukturen gemeint sind, präsentiert.
Von den beiden Vortragenden wurde festgehalten, dass es einen umfassenden Deinstitutionalisierungsplan für Tirol braucht.
Katrin Prem von der Abteilung Pflege des Landes Tirol
Auch in diesem Vortrag wurden einige Zahlen und Fakten genannt, etwa zum demographischen Wandel und der Anzahl an Pflegegeldbezieher*innen.
Es wurde auf den Strukturplan Pflege 2023-2033 verwiesen und Pflegeangebote präsentiert.
Markus Schefer: Bedeutung UN-BRK anhand Tiroler Teilhabegesetz und der Tiroler Bauordnung
Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel ist der zuständige Berichterstatter des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Er prüfte zuletzt im August 2023 Österreich auf die Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK).
Schefer rahmte die Sitzung des Tiroler Monitoringausschusses durch seine zwei Beiträge ein. Zu Beginn mit einleitenden Worten über die Bedeutung der UN-BRK sowie über das Staatenprüfungsverfahren an sich. Und zuletzt mit dem abschließenden Beitrag dieser Sitzung, in dem er zwei Tiroler Landesgesetze so prüfte, wie die Vereinten Nationen sie prüfen würden.
Markus Schefer machte in seinem Vortrag deutlich, dass beide Landesgesetze an mehreren Stellen gegen die UN-BRK verstoßen.
Zum Thema Barrierefreiheit führte er etwa eingangs aus, dass Artikel 9 der UN-BRK verlangt, dass Normen und Standards festgelegt werden. Gleichzeitig kritisierte Schefer die Tiroler Bauordnung, die in §20 Abs 2 die Möglichkeit eröffnet, dass die Normen Dritter für verbindlich erklärt werden. Einerseits weil nicht sichergestellt ist, wer diese Normen erlässt. Andererseits, weil das Land Tirol aus Artikel 4 der UN-BRK die an sich Pflicht trifft, bei der Erarbeitung von Normen Behindertenverbände miteinzubeziehen.
Auch beim Tiroler Teilhabegesetz identifizierte Markus Schefer einige Bestimmungen, die nicht mit der UN-BRK im Einklang stehen.
Zusätzlich wies er auf offenkundige Defizite hin, etwa das mangelnde Verständnis dafür, dass der Begriff Institutionalisierung sich nicht aus der Wohnform bestimmt, sondern aus dem Maß der Selbstbestimmung.
Zuletzt erinnert der UN-Berichterstatter Markus Schefer an die Tatsache, dass Menschen in Institutionen eine geringere Lebenserwartung haben als Menschen, die in keiner Institution leben und den sich daraus ableitenden dringenden Handlungsbedarf.
Service-Links
Land Tirol: Deinstitutionalisierung, Bauen, Wohnen
Im Rahmen eines partizipativen Prozesses erarbeitete der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Leitlinien zur Deinstitutionalisierung. Sie sind in deutscher Übersetzung hier abrufbar.
Text und Bildmaterial: Nicola Onome Sommer