Gerhard R. ist seit 1993 an fortschreitender Muskelatrophie (Muskelschwund) erkrankt, bezieht Pflegestufe 7 und wird durch Persönliche Assistenz betreut. Um mobil zu sein, benötigt der 54-Jährige einen elektrischen Rollstuhl. Seiner ist bereits 17 Jahre alt, für Reparaturen gibt es keine Ersatzteile mehr. Da der Rollstuhl nicht mehr zu reparieren war, suchte R. bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) um die Finanzierung eines neuen Rollstuhls an. Die ÖGK lehnte die Bewilligung eines neuen E-Rollstuhls ohne medizinische Begründung ab. Auch Christine A. benötigt einen elektrischen Rollstuhl. Bei der 47-jährigen zweifachen Mutter wurde im Jahr 1997 Multiple Sklerose diagnostiziert. Sie sagt, dass sie vor allem für Wege außer Haus einen elektrischen Rollstuhl benötigen würde. Die ÖGK begründet die Ablehnung dieser Fortbewegungshilfe damit, dass der elektrische Rollstuhl mangels Barrierefreiheit des Wohnhauses nicht uneingeschränkt nutzbar wäre. Diese Argumentation wird von Volksanwalt Bernhard Achitz zurückgewiesen. Nach dem Interesse der Volksanwaltschaft für die beiden Fälle gab es eine positive Wendung für die beiden Beschwerdeführer*innen. In einem anderen Fall wurde nach Druck der Volksanwaltschaft endlich zugesichert, die Finanzierung medizinischer Intensivpflege für den 19-jährigen Marco J., der künstlich beatmet und über eine Sonde ernährt werden muss, gemeinsam mit dem Fonds Soziales Wien zu übernehmen.
Kasse bewilligt Monate nach Beantragung Rollstühle
Im Oktober 2023, also vor etwa zehn Monaten, reichte Gerhard R. einen Kostenvoranschlag für einen neuen Rollstuhl und eine ärztliche Bestätigung bei der ÖGK-Landesstelle Tirol ein. Inzwischen muss der von fortschreitender Muskelatrophie betroffene Mann einen Leihrollstuhl verwenden, der nicht an seinen Bedarf angepasst ist. Um ein Wundsitzen zu vermeiden, muss seine persönliche Assistenz seine Sitzposition mehrmals aktiv verändern. Mit einem elektrischen Rollstuhl, der auf seine Bedürfnisse abgestimmt wäre, könnte der 54-Jährige den Alltag eigenständiger bestreiten.
Erst, als die Volksanwaltschaft aktiv wurde und auch bereits Dreharbeiten für die ORF-Sendung „Bürgeranwalt“ mit Gerhard R. liefen, lenkte die ÖGK ein und bewilligte den Rollstuhl doch.
Für Volksanwalt Bernhard Achitz ist völlig unverständlich, was es so lange zu überlegen gab: „Das Krankheitsbild von Herrn R. ist der ÖGK bekannt, er braucht schon bisher einen elektrischen Rollstuhl. In so einem Fall sollte klar sein, dass schnell und unbürokratisch ein neuer Rollstuhl bewilligt wird.“ Es handelt sich um eine Pflichtaufgabe der ÖGK, und auch die UN-Behindertenrechtskonvention sieht vor, dass Menschen Zugang zu möglichst hochwertigen Mobilitätshilfen haben müssen, um ein möglichst eigenständiges Leben führen zu können.
Eine andere Tirolerin wartete ebenfalls monatelang auf die Finanzierungszusage für einen Rollstuhl. Christine A. lebt mit Multipler Sklerose. Die zweifache Mutter kann sich zuhause zwar noch zu Fuß fortbewegen, wenn sie sich an Wänden oder Möbeln abstützen kann. Um aus dem Haus zu gelangen, bräuchte sie einen Rollstuhl.
Auch hier lenkte die Tiroler ÖGK-Stelle erst ein, nachdem sich die Volksanwaltschaft eingeschaltet hatte.
Martin Ladstätter, Vizepräsident des Österreichischen Behindertenrates, betont, dass Menschen, die solche Entscheidungen treffen, offenbar nicht erkennen, wie stark sie damit das Leben von Menschen beeinträchtigen, die beispielsweise auf einen Rollstuhl angewiesen sind, diesen aber nicht erhalten. Er ergänzt: „Es ist schmerzhaft, in einem Hilfsmittel sitzen zu müssen, das nicht gut angepasst ist.“
Nun übernimmt die ÖGK die Finanzierung des Rollstuhls von Gerhard R., die Spezialausstattung übernimmt das Land Tirol. Solche Kostenteilungen sind an sich in Ordnung, aber die Volksanwaltschaft fordert seit langem, dass die benötigten Leistungen sofort erbracht werden; die beteiligten Stellen sollen sich danach ausmachen, wie sie sich die Kosten aufteilen. Auch Ladstätter teilt diese Ansicht: „Wenn die Stellen verhandeln wollen, können sie das gerne tun – aber bitte im Hintergrund und nicht auf dem Rücken der betroffenen Menschen.“
ÖGK bezahlt nun medizinische Intensivpflege für Marco J.
Solche Streitigkeiten über Kostenaufteilungen zwischen verschiedenen Akteur*innen des Sozialstaats kritisiert die Volksanwaltschaft immer wieder. Etwa im Fall des 19-jährigen Marco J., der künstlich beatmet und über eine Sonde ernährt werden muss. Damit er nicht erstickt, muss er rund um die Uhr von diplomierten Pfleger*innen überwacht und betreut werden. (Mehr: https://volksanwaltschaft.gv.at/artikel/oeGK-will-Kosten-fuer-Intensivkrankenpflege-fuer-Beatmungspflichtigen-trotz-OGH-Urteils-nicht-uebernehmen )
„Ein klarer Fall, dass dafür die Krankenkasse zuständig ist, dazu gibt es Höchstgerichtsurteile“, sagt Volksanwalt Achitz: „Trotzdem hat sich die ÖGK in diesem Fall monatelang herumgedrückt. Erst jetzt hat sie auf Druck der Volksanwaltschaft endlich zugesichert, die Finanzierung zu übernehmen, gemeinsam mit dem Fonds Soziales Wien (FSW).“
Die Volksanwaltschaft fordert für alle Fälle, in denen sich Krankenkassen und Länder uneinig sind, wer zuständig ist, das Prinzip „Erst zahlen, dann die Kosten aufteilen. Die betroffenen Menschen und ihre Familien sollen nicht auch noch mit endlosen Behördenwegen sekkiert werden. Kassen und Länder sollen erst einmal die Leistung zur Verfügung stellen und sich dann im Hintergrund ausmachen, wie sie die Kosten untereinander aufteilen“, so Volksanwalt Achitz.