Das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) initiiert gemeinsam mit dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsument:innenschutz (BMSGPK) das Disability History Project. Ziel dieses Projekts ist es, die Erfahrungen und Erlebnisse von Menschen mit Behinderungen verstärkt sichtbar zu machen. Das hdgö ruft dazu auf, sich zu beteiligen und in der Web-Ausstellung „Selbst bestimmt!“ Objekte oder Geschichten beizutragen, die politisches Engagement und Aktivismus von Menschen mit Behinderungen ab 1848 bis heute dokumentieren. Dazu zählt auch der Einsatz für mehr Sichtbarkeit und Bewusstseinsbildung im alltäglichen Handeln. Um mehr zu den Hintergründen von Objekten festzuhalten, führt das hdgö zudem Interviews mit Zeitzeug*innen zu ihren persönlichen Erfahrungen und Perspektiven.
Protestplakate, Schilder, Kleidung, Hilfsmittel, Buttons, Sticker und persönliche Gegenstände – all das und noch viel mehr können Gegenstände sein, die im Kampf um Selbstbestimmung eine Rolle spielen und an ihn erinnern. Bislang sind solche Objekte von Menschen mit Behinderungen in Museumssammlungen jedoch stark unterrepräsentiert. Das hdgö möchte diese Leerstellen füllen – unterstützt vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsument*innenschutz. Am 8. Oktober 2024 stellten beide Institutionen das Projekt vor und präsentieren den Aufruf an die Öffentlichkeit, Objekte und Erfahrungen zur hdgö-Sammlung sowie zur Web-Ausstellung „Selbst bestimmt!“ beizutragen. Diese soll zeigen, wie Menschen mit Behinderungen für Selbstbestimmung im eigenen Leben und in der Gesellschaft gekämpft haben und weiterhin kämpfen.
Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum des Bundes. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Hofburg, bietet das hdgö in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute.
Sozialminister Johannes Rauch erklärt: „Österreich bekennt sich klar zur vollen Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Dazu gehören die Achtung der Menschenwürde, der Entscheidungsfreiheit und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass der Weg zu diesem Bekenntnis steinig war. Viel zu lange gab es eine negativ besetzte Auffassung, die von Ausgrenzung, Institutionalisierung und Benachteiligung besetzt war. Mit der einzigartigen Kooperation zwischen dem Haus der Geschichte Österreich und dem Sozialministerium wollen wir die Geschichte von Menschen mit Behinderungen in Österreich historisch aufarbeiten und für die Gesellschaft sichtbar machen. Wir setzen damit einen wichtigen Schritt, um die Stimme von Menschen mit Behinderungen zu stärken und ihren Beitrag zur Geschichte unserer Gesellschaft zu würdigen.“
„Es ist unsere Aufgabe als zeithistorisches Museum, die vielen Facetten unserer jüngsten Vergangenheit zu erzählen. Wir wollen die Geschichten von Menschen mit Behinderungen und ihren politischen Aktivismus sichtbar machen, das Engagement dokumentieren und in seinen historischen Zusammenhängen aufbereiten. Das ermöglicht dieses neue Projekt, das auch von einer Fokusgruppe mit eigener Expertise begleitet wird. Denn völlig zurecht ist ein zentraler Grundsatz der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung: ‚Nichts über uns ohne uns‘. Wir werden viele Erkenntnisse zur Repräsentation im Museum, aber auch zur Barrierefreiheit für die Zukunft mitnehmen“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer.
Web-Ausstellung zum Mitmachen und Sammlung
Beiträge zur Web-Ausstellung können entweder direkt online oder über die unten angeführten Kontaktdaten übermittelt werden. Wenn sich Beiträger*innen dazu entscheiden, ihre Objekte dauerhaft der Sammlung des hdgö zu überlassen, können diese Gegenstände dann Teil der österreichischen Bundessammlungen werden. Damit sollen zentrale und exemplarische Aspekte der Disability History in Österreich langfristig gesichert sein.
Begleitet wird der Sammlungsaufruf von Oral History-Interviews, die persönliche Erfahrungen von Zeitzeug*innen in Verbindung mit den gesammelten Objekten bewahren. Vanessa Tautter kuratiert das Projekt und hat verschiedene Fragestellungen zum Kampf um Selbstbestimmung und den Abbau von Barrieren entwickelt. Dabei geht es um die Vielfalt, Sichtbarkeit und Anerkennung von Behinderungen, aber auch um individuelle Handlungsmöglichkeiten, Austausch und Inklusion.
Begleitende Fokusgruppe sichert Vielfalt
Das Projekt wird durch eine Fokusgruppe begleitet, die aus Menschen mit aktivistischen Positionen, Forscher*innen und Personen aus Selbstvertretungsorganisationen und Community-Archiven besteht. Diese Gruppe trifft die Entscheidung darüber, welche Objekte zur Aufnahme in die Sammlung nominiert werden sollen und stellt sicher, dass die Vielfalt von Behinderungen in der Gesellschaft in den Neuzugängen repräsentiert wird. Drei Vertreter*innen der Fokusgruppe stellen ihre Standpunkte auch im Pressegespräch zum Projekt vor.
Franz Groschan, Präsident des Kriegsopfer- und Behindertenverband Österreich und Vizepräsident des Österreichischen Behindertenrats, ist Teil des Publikumsforums, das dem hdgö seit seiner Gründung zur Seite steht. „Der Behindertenverband KOBV Österreich blickt auf 80 Jahre voller Errungenschaften für Menschen mit Behinderungen zurück. Als sein Präsident freut es mich, dass das hdgö hier den harten Weg zur Inklusion erzählt und damit ein breiteres Bewusstsein fördert“, so Groschan.
Auch die Kulturwissenschaftlerin im Bereich Queer DisAbility (Studies) und Körperdiskurse Elisabeth Magdlener bringt ihre Expertise in die Fokusgruppe ein.„DisAbility History braucht es, weil Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft noch immer unterdrückt, benachteiligt und diskriminiert werden“, erklärt Magdlener. „Museen machen marginalisierte Stimmen laut und beeinflussen, wie über sie gesprochen und mit ihnen umgegangen wird.“ 2021 sprach Magdlener im Rahmen des Formats #nachgefragt im hdgö über die Forderungen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung und Barrierefreiheit in Museen. Sie ist Obperson des Vereins CCC** – Change Cultural Concepts.
„Die Geschichte der politisch aktiven Behindertenrechtsbewegung in Österreich ist noch sehr wenig in Museen für eine breite Öffentlichkeit dokumentiert und aufgearbeitet. Das Disability History Project des hdgö ist deshalb ein wichtiger Schritt für Erinnerungsarbeit und Anerkennung der Rechte von Menschen mit Behinderungen“, sagt Volker Schönwiese. Er ist Professor an der Universität Innsbruck i.R. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen bei Themen zu Inklusion und Disability Studies. Schönwiese ist Gründer des Archivs der Geschichte der Behindertenrechtsbewegung in Österreich (auf bidok.at) und Teil der Gründer*innengeneration der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung.
Informationen zum hdgö, zum Projekt und auch der Sammlungsaufruf sind in Leichter Sprache verfügbar. Das hdgö bemüht sich um barrierearme Zugänglichkeit zu den Inhalten des Museums.
Service-Links
Haus der Geschichte Österreich (hdgö)
Kontaktadresse für Projekteinreichungen: dh-sammeln@hdgoe.at