Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen
(EG) Nr. 261/2004 über Fluggastrechte, (EG) Nr. 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität, (EU) Nr. 1177/2010 über Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr, (EU) Nr. 181/2011 über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und (EU) 2021/782 über Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr
hinsichtlich der Durchsetzung der Fahrgastrechte in der Union
und
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Fahrgastrechte im multimodalen Reiseverkehr
Der Österreichische Behindertenrat ist die Interessenvertretung für 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen in Österreich. Der Österreichische Behindertenrat vertritt als Dachorganisation mehr als 85 Mitgliedsorganisationen in Österreich. Auf Grund der Vielfalt der Mitgliedsorganisationen verfügt der Österreichische Behindertenrat über eine einzigartige Expertise zu allen Fragen, welche Menschen mit Behinderungen betreffen.
Der Österreichische Behindertenrat dankt dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie für die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme und erlaubt sich diese wie folgt auszuführen:
Allgemeines
Der Österreichische Behindertenrat begrüßt grundsätzlich, dass mit den vorliegenden Verordnungsentwürfen die bestehenden Defizite bei der Umsetzung und Durchsetzung aller Fahrgastrechte behoben werden sollen und eine Verbesserung der Durchsetzung von Fahrgastrechten bei allen Verkehrsträgern beabsichtigt wird.
Für Menschen mit Behinderungen geht es bei diesen Verordnungen jedoch nicht nur um Verbraucherschutz, sondern auch um grundlegende Rechte wie den Schutz vor Diskriminierung, den gleichen Zugang zum Verkehr und die Wahrung der Menschenrechte.
In diesem Sinne sind aus Sicht des Österreichischen Behindertenrats folgende Anmerkungen zu machen:
TEIL 1
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 261/2004 über Fluggastrechte, (EG) Nr. 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität, (EU) Nr. 1177/2010 über Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr, (EU) Nr. 181/2011 über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und (EU) 2021/782 über Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr hinsichtlich der Durchsetzung der Fahrgastrechte in der Union
Anmerkungen
Der Österreichische Behindertenrat merkt an, dass der vorliegende Vorschlag die wichtigsten Anliegen von Fluggästen mit Behinderungen nicht ausreichend berücksichtigt. Der Vorschlag sieht keine tiefgreifende Überarbeitung der Verordnung 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität vor, um alle Fälle von Nichtbeförderung zu beseitigen und die volle Haftung für defekte oder beschädigte Mobilitätshilfen festzulegen.
Während Fluggäste ohne Behinderungen, denen die Beförderung gegen ihren Willen verweigert wird, ihre Reise verspätet antreten oder stornieren müssen, ihre Rechte problemlos einfordern können, müssen Menschen mit Behinderungen, die gezwungen sind, in Begleitung zu reisen, deren Mobilitätshilfe kaputt geht oder denen die Beförderung verweigert wird, ein kompliziertes Verfahren einleiten, um ihre Rechte durchzusetzen. Rechte, die keine Form der Entschädigung vorsehen. In dieser Realität bleibt den betroffenen Fluggästen oft nur eine kostspielige und zeitaufwändige Lösung mit unklarem Ausgang: ein Gerichtsverfahren.
Die Tatsache, dass es weiterhin keine spezifische finanzielle Entschädigung für die Verletzung solcher Rechte gibt, wird daher kritisiert.
Zu den einzelnen Regelungen
Massive Verschlechterung des finalen Texts im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag des Vorsitzes
Der ursprüngliche Vorschlag sollte einige der bestehenden Lücken für Menschen mit Behinderungen schließen. Es ist jedoch festzuhalten, dass die wenigen positiven Änderungen für Personen mit Behinderungen, die im ursprünglichen Vorschlag enthalten waren, nicht nur nicht verbessert, sondern völlig untergraben wurden.
Erwägungsgrund 10 und korrelierende Teilen in den jeweiligen Verordnungen
Die Überwachung (einschließlich Inspektionen) der Einhaltung der in der Verordnung festgelegten Verpflichtungen durch Luftfahrtunternehmen, Flughafenleitungsorgane und zwischengeschaltete Stellen ist von entscheidender Bedeutung. Die komplette Streichung der ursprünglich vorgesehenen obligatorischen Überwachung der Einhaltung der Fahrgastrechte ist daher nicht akzeptabel.
Die geringe Zahl der eingehenden Beschwerden bei den nationalen Durchsetzungsstellen bedeutet nicht, dass es keine Probleme gibt.
Zu den Gründen, warum sich Menschen mit Behinderungen seltener beschweren, gehören
(I) mangelnde Kenntnis ihrer Rechte
(II) komplexe Beschwerdeverfahren (unzugängliche Websites, mangelnde Unterstützung)
(III) fehlende persönliche Rechtsbehelfe und daher keine Aussicht auf finanzielle Entschädigung
Der Österreichische Behindertenrat verlangt daher, die ursprüngliche Formulierung wieder aufzunehmen.
Erwägungsgrund 16 und korrelierende Teile in den jeweiligen Verordnungen
Ob die bestehenden alternativen Streitbeilegungsstellen die geeignete Anlaufstelle sind, ist zu bezweifeln.
Gegenwärtig sind die alternativen Streitbeilegungsverfahren nur auf wirtschaftliche Ansprüche ausgerichtet und enthalten kaum Informationen darüber, wie sie Streitigkeiten im Zusammenhang mit Rechten von Menschen mit Behinderungen unterstützen können. Sie befassen sich derzeit hauptsächlich mit Ansprüchen aufgrund von Verspätungen oder Annullierungen. Beschwerden betreffend Sicherheits-Betriebshandbücher der Beförderer, nicht barrierefreier Webseiten, Reisen mit Assistenzhunden oder diskriminierendem Verhalten sind jedoch komplexer als jene zu Verspätungen oder Annullierungen.
Die Gleichbehandlungsstellen sind besser geeignet, Menschen mit Behinderungen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen. In Österreich wird bereits proaktiv über diese Anlaufstelle informiert; die Verpflichtung zur Information soll jedoch EU-weit gelten.
Der Österreichische Behindertenrat verlangt daher, dass alle einschlägigen Bestimmungen dahingehend verbessert werden, dass Menschen mit Behinderungen auch über die jeweils zuständige Gleichbehandlungsstelle informiert werden müssen.
Erwägungsgrund 13, Annex I-IV und korrelierende Teile in den jeweiligen Verordnungen
Die ursprünglich im Entwurf vorgesehene Verpflichtung der Verkehrsunternehmen – zur Sammlung und Veröffentlichung – und der Busbahnhofbetreiber – zur Sammlung – von Informationen über die eingegangenen Beschwerden und über die für Personen mit Behinderungen und eingeschränkter Mobilität geleistete Assistenz wieder abzuschaffen, ist nicht zu akzeptieren.
Diese Beschwerden betreffen Fälle von Nichtbeförderung, die Beförderung von Begleithunden, die Beschädigung von Mobilitätshilfen, die unfreiwillige Auferlegung einer Begleitperson und so weiter. Diese Daten sind von größter Bedeutung. Es herrscht ein Mangel an Informationen und Daten über die spezifischen Herausforderungen, mit denen Menschen mit Behinderungen im Verkehr konfrontiert sind. Es reicht nicht aus, sich nur auf jene Beschwerden zu stützen, die bei den zuständigen Stellen eingehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die meisten Fahrgäste mit Behinderungen keine Beschwerden einreichen, entweder weil sie ihre Rechte und die Rechtsdurchsetzungsinstrumente nicht kennen oder, selbst wenn sie sie kennen, die damit verbundenen Barrieren sehr hoch sind und die potentiellen Entschädigungen gering ausfallen.
Die ursprünglich vorgeschlagene Bestimmung ist keineswegs neu; in den USA gibt es bereits ähnliche Verpflichtungen[1] und die Daten waren eine wertvolle Informationsquelle für die politischen Entscheidungsträger. Ein solches Bild können wir uns in der EU nicht machen.
In diesem Sinne fordert der Österreichische Behindertenrat, dass die erfolgte Streichung dieser Bestimmungen zurückgenommen wird. Der ursprüngliche Wortlaut über die Qualitätsstandards für Dienstleistungen ist wiederherzustellen und dahingehend zu verbessern, dass die Informationen über die Assistenz für Personen mit Behinderung nicht nur von den Verkehrsbetreibern, sondern auch von den Terminalbetreibern veröffentlicht werden. Andernfalls müssten die Flughäfen die bei ihnen eingegangenen Beschwerden nicht veröffentlichen, obwohl Assistenz auf Flughäfen den Großteil der Beschwerden ausmacht.
Erwägungsgrund 17 und Art 4 (2) der Verordnung Nr. 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität
Ursprünglich sollte sichergestellt werden, dass in jenen Fällen, in denen einseitig vom Luftfahrtunternehmen, dessen Agenten oder einem Reiseveranstalter verlangt wird, dass die Reise nur mit einer Begleitperson stattfinden darf, diese Begleitperson kostenlos reist. Dies wäre zu begrüßen gewesen.
In den letzten Verhandlungsrunden wurde diese Regelung insoweit abgeschwächt, dass nur der Flugpreis nicht zu bezahlen wäre, darüberhinausgehende Kosten wie Flughafensteuern und -gebühren waren nicht genannt. In der finalen Version ist nun
klar festgelegt, dass diese Gebühren zwingend übernommen werden müssen. Die Gebühren, die der Fluggast weiterhin für die Begleitperson zahlen würde, machen einen großen Teil der Gesamtkosten aus:
- Beispiel 1: Flug BCN – Brüssel (268 EUR, wovon 113 EUR Steuern/Gebühren sind)
- Beispiel 2: Flug Paris – Stockholm (291 EUR, wovon 121 EUR Steuern und Gebühren sind)
- Beispiel 3: Flug Brüssel – LAX (1175 EUR, wovon 398 EUR auf Steuern und Gebühren entfallen)
Fluggäste mit Behinderungen, die auf persönliche Assistenz angewiesen sind, brauchen diese nicht nur während des Fluges, sondern auch am Zielort. Auf diese findet der gegenständliche Artikel ohnehin keine Anwendung, da sie weiterhin wie gewohnt das zusätzliche Ticket für ihre Begleitperson erwerben müssen.
Die vorgeschlagene Bestimmung würde nur in jenen Fällen Anwendung finden, in denen das Luftfahrtunternehmen einer allein reisenden Person mit Behinderung gegen deren Willen eine Begleitperson vorschreibt. Zwar gibt es einige allgemeine Sicherheitsvorschriften der EASA, doch liegt es im Ermessen jedes Luftfahrtunternehmens, diese umzusetzen und zu beurteilen, ob der Fluggast unabhängig reisen kann oder nicht.
Auch wurde in Erwägungsgrund 17 der Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gestrichen. Das ist nur folgerichtig, weil die neue Formulierung mit Artikel 9 der UN-BRK nicht mehr vereinbar ist. Jedoch kann dies nicht der richtige Ansatz sein. Anstatt den Verweis auf die UN-BRK zu löschen, muss die Verordnung so ausgestaltet werden, dass sie der UN-BRK entspricht.
In diesem Sinne fordert der Österreichische Behindertenrat, dass die EU dem Beispiel Kanadas folgt, wo Fluggesellschaften für Menschen mit „erheblichen“ Behinderungen, die mit einer Begleitperson fliegen oder mehr als einen Sitzplatz für sich selbst benötigen, nicht mehr als den Gesamtpreis eines Tickets verrechnen dürfen.[2]
Alternativ verlangt der Österreichische Behindertenrat den ursprünglichen Wortlaut des Vorschlages wiederherzustellen, der das kostenlose Reisen der aufgezwungenen Begleitperson vorsieht.
Definition „anerkannte“ Assistenzhunde
In allen sektoralen Rechtsvorschriften soll eine neue Definition des Begriffs „anerkannter Assistenzhund“ eingeführt werden.
Es gibt derzeit keine EU-Vorschriften darüber, was ein anerkannter Assistenzhund ist. Jedes Land hat seine eigenen Systeme entwickelt, die in der Regel nicht gegenseitig anerkannt werden. Das Einfügen von „anerkannt“ wird den Anbietern von Verkehrsdiensten einen Vorwand liefern, Menschen mit Behinderungen dort den Zugang zum Verkehr zu verweigern, wo der Begleithund ihrem Verständnis nach nicht anerkannt ist. Dort wo keine nationalen Vorschriften gelten, werden die Dienstleister ihre eigenen Regeln aufstellen, wodurch der Idee der Einheitlichkeit keinesfalls Rechnung getragen wird.
Der Österreichische Behindertenrat stimmt zu, dass auch im Sinne der Rechtssicherheit eine EU-weite Lösung für die Anerkennung von Assistenzhunden notwendig ist. Der gegenständliche Vorschlag löst dieses Problem jedoch nicht, weshalb er abzulehnen ist.
Artikel 14 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über Fluggastrechte
Kommunikation, Information und Korrespondenz müssen sowohl in digitaler als auch in analoger Form angeboten werden. Die Gründe dafür sind vielfältig: fehlender Internetanschluss, fehlende oder stark veraltete Hardware (einschließlich Mobiltelefone), unzureichende oder nicht vorhandene Bedienungskompetenzen und mangelnde digitale Barrierefreiheit.
Der Österreichische Behindertenrat verlangt, dass die Kommunikation, Information und Korrespondenz nicht ausschließlich auf elektronischem Wege stattfinden darf.
Artikel 5 Verordnung (EU) Nr. 181/2011 über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr
Der Österreichische Behindertenrat verlangt, dass Informationen standardmäßig in barrierefreien Formaten bereitgestellt werden und nicht nur, wenn dies praktikabel ist und vom Fahrgast gewünscht wird.
TEIL 2
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Fahrgastrechte im multimodalen Reiseverkehr
Zu den einzelnen Regelungen
Artikel 14/3 Assistenz für Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität
Jegliche Einschränkung des Rechts auf Beförderung muss auf klaren und transparenten Sicherheitsvorschriften beruhen und darf nicht auf den Erwägungen einer einzelnen Person, die gerade vor Ort und zuständig ist, beruhen.
Der Österreichische Behindertenrat verlangt daher die Möglichkeit zu streichen, nach der die Beförderung von Assistenzhunden mit einem generellen Verweis auf die Sicherheit von Passagieren und Besatzung verweigert werden darf.
Artikel 15 Zentrale Anlaufstellen für die Koordinierung von Informationen und Assistenz
Hier ist zu betonen, dass es nicht ausreicht, den „single point of contact“ als Telefonleitung einzurichten. Gehörlose Personen und Personen mit Hörbehinderung wären in diesem Fall von der Kommunikation ausgeschlossen.
Der Österreichische Behindertenrat verlangt, dass die zentralen Anlaufstellen alle Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen.
Artikel 18 Beschwerden bei Beförderern, Vermittlern und Betreibern von Verkehrsknotenpunkten
Der derzeitige Wortlaut kann auch so verstanden werden, dass nur die Kontaktdaten in einem barrierefreien Format vorliegen sollten.
Der Österreichische Behindertenrat verlangt, dass dieser Artikel dahingehend präzisiert wird, dass das gesamte Beschwerdeverfahren barrierefrei ist.
Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, warum für die Einreichung von Beschwerden beim Beförderer eine drei Monats-Frist definiert wird. Betroffene wissen nicht immer auf Anhieb, wohin sie sich wenden können. Dementsprechend kann einiges an Zeit vergehen, bis die Beschwerde die zuständige Stelle erreicht.
Daher verlangt der Österreichische Behindertenrat, vom Setzen einer Frist abzusehen oder diese alternativ angemessen zu gestalten.
Mit besten Grüßen
Für Präsident Klaus Widl
Mag. Nicola Onome Sommer
[1] https://www.transportation.gov/airconsumer/annual-report-disability-related-air-travel-complaints Letzter Zugriff: 19.11.2024.
[2] https://www.eca.europa.eu/Lists/ECADocuments/SR18_30/SR_PASSENGER_RIGHTS_EN.pdf Letzter Zugriff: 19.11.2024.
Stellungnahme zu den Passagierrechte-Verordnungen: VO multimodale Reisen und Omnibus-VO (PDF)