Strategien, Herausforderungen und Auszeichnungen
Die Veranstaltung zum European Day of Persons with Disabilities, Europäischer Tag der Menschen mit Behinderungen, wird jährlich von der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Behindertenforum (EDF) organisiert und fand am 28. und 29. November 2024 in Brüssel statt. Seitens des Österreichischen Behindertenrates nahmen Erich Schmid, Vizepräsident des Österreichischen Behindertenrates, und Victoria Biber teil. Die Veranstaltung dient dazu, Fortschritte und Herausforderungen bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Europäischen Union und in ihren Mitgliedsstaaten zu analysieren und Prioritäten für die Zukunft zu setzen. Ein besonderes Highlight war in diesem Jahr die Verleihung des Access City Award, bei dem Wien als Gewinner hervorging.
Die EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen: Fortschritte und Herausforderungen
Ein zentraler Teil des European Day of Persons with Disabilities 2024 widmete sich der EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen für die Jahre 2021-2030. Diese Strategie ist ein umfassender Fahrplan zur Förderung von Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Obwohl sie grundsätzlich bis zum Jahr 2030 vorgesehen ist, enthält sie nur Maßnahmen bis 2025. Es liegt nun in der Verantwortung der neuen EU-Kommissarin für u.a. Gleichstellung Hadja Lahbib konkrete Maßnahmen für die letzten 5 Jahre der Strategie, also von 2025 bis 2030 zu entwickeln. Es bleibt abzuwarten, ob und wie rasch sie die dringend notwendigen Fortschritte vorantreiben wird.
Die belgische Ministerin für Beschäftigung und Gleichstellung, Frau Karine Lalieux, betonte, dass die EU-Strategie zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention von zentraler Bedeutung ist. Dies insbesondere im Bereich der Beschäftigung, wo weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen bestehen. Besonders Frauen und junge Menschen mit Behinderungen sind von Diskriminierung und Einkommensunterschieden betroffen, was proaktive Maßnahmen zur Förderung des Arbeitsmarktzugangs erfordert. Die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger, disaggregierter Daten ist dabei essenziell, um gezielte Maßnahmen entwickeln zu können. Inklusion von Menschen mit Behinderungen muss zudem als Querschnittsaufgabe in allen EU-Programmen verankert werden. Catherine Naughton, Geschäftsführerin des Europäischen Behindertenforums, wies darauf hin, dass die Beschäftigungslücke zwischen Menschen ohne und mit Behinderungen trotz erster Fortschritte unverändert groß ist und insbesondere die strukturelle Diskriminierung von Frauen mit Behinderungen dringend spezifische Maßnahmen erfordert.
Rede Yannis Vardakastanis, Präsident des Europäische Behindertenforum
Der Europäische Behindertenausweis
Ein weiteres Thema, welches auf dem European Day of Persons with Disabilities 2024 angesprochen wurde, ist der Europäische Behindertenausweis. Die Richtlinie zum Europäischen Behindertenausweis wurde kürzlich offiziell im Amtsblatt der Europäischen Union kundgemacht und tritt am 4.12.2024 in Kraft. Der Europäische Behindertenausweis kann als große Errungenschaft zur Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen angesehen werden. Allerdings hängt der Erfolg dieses Ausweises maßgeblich von der Verfügbarkeit einer barrierefreien Infrastruktur ab. Fehlt es beispielsweise an der Barrierefreiheit eines Bahnhofs, kann der Europäische Behindertenausweis seinen Zweck nicht erfüllen, da er den Betroffenen ohne die nötigen physischen Voraussetzungen keinen Zugang ermöglicht. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit, Barrierefreiheit in allen Bereichen sicherzustellen, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen nachhaltig zu stärken.
Selbstbestimmt leben: Herausforderungen bei der Umsetzung von Art. 19 UN-BRK
Ein weiteres zentrales Thema des European Day of Persons with Disabilities war das Recht auf selbstbestimmtes Leben gemäß Artikel 19 UN-BRK. Expert*innen wiesen darauf hin, dass weiterhin 1,5 Millionen Menschen in der Europäischen Union in Institutionen leben. In diesem Kontext veröffentlichte die EU-Kommission kürzlich den „Guidance on Independent Living“. Jedoch ist zu kritisieren, dass dieser Bericht nicht verbindlich ist und lediglich Empfehlungen abgibt. Dadurch bleibt fraglich, wie groß der tatsächliche Einfluss dieses Berichts auf die Umsetzung des Rechts auf selbstbestimmtes Leben in den Mitgliedsstaaten sein wird.
Access City Award: Wien gewinnt den 1. Preis
Der Access City Award, der jedes Jahr an Städte verliehen wird, die Barrierefreiheit vorbildlich umsetzen, ging an Wien. Die Stadt überzeugte durch umfassende Maßnahmen zur Förderung von Barrierefreiheitsaspekten und Inklusion. Nürnberg, Deutschland, erzielte den zweiten Platz und Cartagena, Spanien, den dritten Platz.
Die Verleihung des Access City Awards an Wien ist zweifellos ein bedeutendes Signal. Sie zeigt, dass gezielte Maßnahmen und konsequente Barrierefreiheitspolitik internationale Anerkennung finden können.
Preisverleihung durch Helena Dalli an die Stadt Wien
Rede Stadtrat Peter Hacker
Gleichzeitig mit dieser Auszeichnung rückte eine dringende nationale Problematik in den Fokus. Während Wiens Stadtrat Peter Hacker in Brüssel den Preis entgegennahm, veranstaltete der Österreichische Behindertenrat in Wien eine Pressekonferenz. Bei dieser wurde kritisiert, dass die Stadt Wien bislang nicht der Bundesrichtlinie zur Harmonisierung der Persönlichen Assistenz beigetreten ist. Die Richtlinie zur Schaffung einer bundesweit einheitlichen und gerechten Regelung für den Zugang zu Persönlicher Assistenz wurde 2023 in Österreich mit der Intention geschaffen, dass ihr alle neun Bundesländer beitreten.
Trotz der umfassenden Vorbereitungen und der Aussicht auf 52 Millionen Euro an Bundesfördermitteln sowie der Möglichkeit, Persönliche Assistenz auf bisher ausgeschlossene Gruppen auszudehnen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu beenden, verweigerte die Wiener Stadtregierung im November unerklärlicherweise die Unterzeichnung des Vertrags, wodurch der ursprünglich bereits geplante Beitritt Wiens zum 1. Januar 2025 abgesagt wurde.
Dieser Verzicht der Wiener Stadtregierung führt dazu, dass in Wien weiterhin nur Personen mit physischen Behinderungen einen Anspruch auf Persönliche Assistenz haben und zum Beispiel Menschen mit Lernschwierigkeiten, psychischen Erkrankungen oder Sinnesbehinderungen davon ausgeschlossen bleiben. Außerdem ändert sich nichts an den prekären Arbeitsbedingungen der Assistent*innen, die oft zu Scheinselbständigkeit gedrängt werden, weil der ausgezahlte Stundensatz nicht für eine Anstellung reicht.
Lob und Kritik gehen Hand in Hand
Der European Day of Persons with Disabilities 2024 zeigte sowohl Fortschritte als auch Defizite bei der Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen auf. Während die Verleihung des Access City Award an Wien ein positives Signal für Barrierefreiheit darstellt, verdeutlicht die parallele Kritik an der fehlenden Harmonisierung der Persönlichen Assistenz den Handlungsbedarf auf nationaler Ebene.
Die Situation in Wien illustriert die Herausforderungen: Es reicht nicht aus, Barrierefreiheit als Aushängeschild zu feiern. Vielmehr müssen bestehende Defizite ernst genommen und behoben werden, um die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zu erfüllen. Nur so kann aus einem positiven Signal wie dem Access City Award ein umfassender Fortschritt für alle werden.
Text, Fotos und Videos von Victoria Biber