Interview mit Robert Ziegler, ORF Abteilungsleiter für Barrierefreiheit und Inklusion, über Untertitel, Audiodeskription, ÖGS-Dolmetschung und Barrierefreiheit digitaler Angebote.
Österreichischer Behindertenrat: Sie sind nun seit knapp zwei Jahren für die Barrierefreiheit im ORF verantwortlich. Mir sticht besonders ins Auge, dass die Untertitelung seitdem stark ausgebaut wurde. So gibt es etwa bei ORF Kids eine nahezu hundertprozentige Untertitelungsquote, und die Untertitelung der Bundesland heute-Sendungen steht seit Jänner 2024 wenige Minuten nach Sendungsende zur Verfügung. Wie hat sich die Untertitelung in den letzten beiden Jahren entwickelt?
Robert Ziegler: Bei der Untertitelung haben wir in den letzten Jahren wirklich große Sprünge gemacht. Betrachtet man die Untertitelung nach Sendern, sind wir bei ORF 1 und ORF 2 bei rund 90 % des Programmangebots, bei ORF 3 bei etwa 60 %. Bei ORF Kids haben wir von Anfang an mit fast 100 % gestartet. Bei ORF SPORT + haben wir mit 2,5 % relativ wenig Untertitelung. Aber hier planen wir im Laufe von 2025 eine große Steigerung mit einer automatisierten Untertitelung. Seit November werden auch die „Guten Morgen Österreich“-Sendungen von Montag bis Freitag in der Zeit von 6.30 bis 9.00 Uhr auf ORF 2 und sämtliche „Zeit im Bild“-Sendungen in diesem Zeitraum mit Untertiteln versehen.
Wo liegen die größten Herausforderungen bei der Untertitelung des TV-Angebots?
Robert Ziegler: Die Untertitelung vorproduzierter Sendungen lässt sich nach deren Fertigstellung relativ zeitunabhängig erstellten. Der personalintensive Aufwand entsteht hingegen bei Live-Sendungen. So wurden etwa die Sportübertragungen bei Olympia täglich von 13:00 bis 23:00 Uhr live untertitelt und audiodeskribiert. Der Sport, die Live-Unterhaltung und insbesondere die Live-Information sind eine große Herausforderung für die Untetitelung.
Wie steht es um den Ausbau der Live-Untertitelung?
Robert Ziegler: Einerseits ist die Barrierefreiheit eine gesetzliche Vorgabe, andererseits entspricht sie unserem Selbstverständnis. Unser Ziel ist, 100 % des Programms zu untertiteln. Die Behindertenverbände äußern seit Jahrzehnten den Wunsch, dass der ORF möglichst viele Sendungen untertitelt. Das funktionierte aber nicht, weil die Technik nicht so weit war.
Die Herausforderung ist, dass die Live-Untertitelung einen gewissen Personalaufwand erfordert und den Qualitätsansprüchen des ORF entsprechen muss. Bei der Erstellung von Transkripten kommt mittlerweile Künstliche Intelligenz (KI) verstärkt zum Einsatz, etwa bei der Untertitelung der „Bundesland heute“-Sendungen. Ohne KI bräuchten wir zehn Personen, die täglich um 19:00 Uhr diese Sendungen untertiteln. Auf ORF ON werden seit Jahresbeginn sämtliche „Bundesland heute“-Sendungen sowie „Südtirol heute“ unmittelbar nach der Ausstrahlung mit Untertiteln angeboten. Selbstverständlich sieht ein Mensch über die erstellten Untertitel d‘rüber, da Eigennamen oder Dialektausdrücke oft nicht richtig geschrieben werden. Deshalb sind wir noch nicht live. Aber das Ziel ist natürlich – und daran arbeiten wir – eine automatisierte Live-Untertitelung. Diese wird aber in absehbarer Zeit nicht der Qualität einer menschengemachten Untertitelung entsprechen. Bei der Untertitelung von Information, Kultur, Bildung und hochwertigstem Programm in der Hauptabendzeit sind kompetente Fachleute im Einsatz. Um auf eine hundertprozentige Untertitelungsquote zu kommen, werden wir v.a. zu Randzeiten KI einsetzen. Wir nehmen nämlich seitens der Vertreter der Gehörlosen wahr, dass es – ganz zugespitzt – besser ist, mit KI erstellte Untertitel zu haben als keine. Das heißt für den ORF allerdings nicht „Hauptsache, da steht irgendwas“, sondern auch automatisierte Untertitel müssen unseren Qualitätsansprüchen genügen.
Welche Programmangebote standen im laufenden Jahr bei der Dolmetschung in Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) im Fokus?
Robert Ziegler: Im Juli waren es 20 Jahre, dass die „Zeit im Bild 1“ mit Übersetzung in ÖGS angeboten wird. Zum täglichen Angebot der ÖGS-Dolmetschung zählen seit 2024 auch die „ZIB Zack Mini“ und „Sport Aktuell“. Darüber hinaus stehen seit längerem auf ORF 2 E das Magazin „Konkret“, der „Bürgeranwalt“, „Gesund in Österreich“, „Bewusst gesund“ und eben die „Zeit im Bild 1“ und das Wetter mit ÖGS-Dolmetschung zur Verfügung. Hinzu kommen Parlamentsübertragungen und Sondersendungen. 2024 wurden insbesondere die zahlreichen Wahl-Sondersendungen anlässlich der EU-Wahl, der Nationalratswahl und der Landtagswahlen in der Steiermark und Vorarlberg wie die Diskussionen der Spitzenkandidaten und die gesamten Wahlabende mit Gebärdensprachdolmetschung angeboten.
Auch die Audiodeskription wird beim ORF erweitert. Wie hoch ist der Anteil audiodeskribierter Sendungen und auf welche Bereiche fokussiert das Angebot?
Robert Ziegler: Bezüglich Audiodeskription sind wir u.a. mit dem Blindenverband im Austausch. Aktuell werden etwa 10 % des Gesamtprogramms audiodeskribiert, wobei ich hier anmerken muss, dass man nie das gesamte Programm audiodeskribieren wird. Denn im Fernsehen gibt es große Bereiche wie beispielsweise die Information, in denen die Bildinformation dem Gesprochenen untergeordnet und Audiodeskription weder möglich noch sinnvoll ist. Unsere Schwerpunkte setzen wir vor allem bei Film, Serie und Dokumentation. Besonders beliebt sind Live-Untertitelungen bei Sport und Unterhaltung. So wurden während der Olympischen Spiele täglich 10 Stunden des Programms audiodeskribiert. Seit dem Sommer gibt es auch eine Audiodeskription der „Liebesgeschichten und Heiratssachen“. Teilweise arbeiten wir mit synthetischen Stimmen, die von Skript-Autoren verfasste Texte sprechen und anschließend manuell korrigiert werden.
Die Barrierefreiheit der digitalen Angebote wird vom ORF ebenso stetig ausgebaut. ORF on wurde von Menschen mit Behinderungen getestet und entsprechend optimiert. Damit die Optimierung weiter voranschreitet, lädt der ORF Nutzer*innen ein, Feedback zu geben. Wie weit ist dieser Prozess gediehen?
Robert Ziegler: Bei der Umstellung von der TVThek auf ORF on banden wir von Anfang an betroffene Menschen ein. So führten wir mit einigen User*innen, v.a. mit Menschen mit Sehbehinderung, individuell Accessibility-Checks durch. So ist der Link zur Übersichtsseite über die barrierefreien Angebote im Hauptmenü zu finden und somit auch leichter auffind- und ansteuerbar als früher. Das Feedback der Tester*innen war auch für unsere Mitarbeiter*innen wichtig, da sie so besser erkennen konnten, was funktioniert und wo sich Hürden befinden. Die To do-Liste, die sich aus den Testungen ergab, wurde kategorisiert, priorisiert und wird Schritt für Schritt abgearbeitet.
Die Nachrichten in Einfacher Sprache sind ein wesentliches Element der Barrierefreiheit des ORF. Wie entstehen diese?
Robert Ziegler: Die Nachrichten in Einfacher Sprache auf der „blauen Seite“ ORF.at sowie im Teletext werden unter Mitwirkung der beim ORF angesiedelten inklusiven Lehrredaktion erstellt. Dieses Berufsqualifizierungsprogramm wird vom „Fonds Soziales Wien“ finanziert und von „Jugend am Werk“ durchgeführt. Diese Nachrichten mischen sich mit Nachrichten, die wir von der Austria Presse Agentur übernehmen. Zudem gibt es täglich im Anschluss an „Österreich Heute“ auf ORF III Nachrichten in Einfacher Sprache. Diese werden u.a. von Lorenz Lohr, einem Absolventen der inklusiven Lehrredaktion, erstellt. Heuer wurde der Zeitraum dieser Nachrichten von täglich zwei auf fünf Minuten ausgebaut. Darüber hinaus werden in den Regionalradios täglich von der zentralen Nachrichtenredaktion im ORF erstellte Nachrichten in Einfacher Sprache ausgestrahlt. Radio Wien und Radio Steiermark haben zusätzliche Angebote in Einfacher Sprache.
Sie haben Lorenz Lohr angesprochen, der mittlerweile vom ORF übernommen wurde. Eine ehemalige Praktikantin des Behindertenrats absolvierte anschließend ein inklusives Medienpraktikum beim ORF. Welche Erfahrungen haben Sie mit Praktikant*innen gemacht und können diese anschließend im Medienbereich Fuß fassen?
Die meisten Praktikant*innen haben keine bis wenig Erfahrung im Journalismus. Das Praktikum dient daher in erster Linie zum Hineinschnuppern für junge Menschen mit Behinderungen in den Journalismus. Einer der Absolventen dieses Praktikums, Dominic Schmid, absolvierte vor dem Praktikum ein Studium und arbeitet mittlerweile in der Untertitelung beim ORF.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie im Bereich der Barrierefreiheit?
Robert Ziegler: Obwohl sich der ORF seit Jahr und Tag und immer in einer herausfordernden finanziellen Situation befindet, gibt es bei den Verantwortlichen ein hohes Bewusstsein, dass das Thema Barrierefreiheit eine entsprechende Finanzierung braucht. Natürlich ist die Herausforderung, dass wir mit dem steigenden Angebot des ORF unter Rücksichtnahme auf begrenzte Ressourcen auch hinsichtlich der Barrierefreiheit Schritt halten. Angesichts der steigenden Quantität des Angebots müssen wir abwägen, wo und wie die Arbeit qualifizierter Redakteur*innen und technische Möglichkeiten, die uns die KI bietet, klug und sinnvoll eingesetzt werden kann, um möglichst viel Accessibility zu bieten.
Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung des ORF Aktionsplans zur Barrierefreiheit?
Robert Ziegler: Der Aktionsplan ergibt sich aus den gesetzlichen Vorgaben. Im Jahr 2023 übertrafen wir diese, was die Untertitelung betrifft, deutlich. Das gesetzlich vorgegebene Ziel über alle Fernsehsender wäre 48,3 % gewesen, wir erreichten 52 %, somit bin ich durchaus zufrieden. Die Basis für die nächste Steigerung ist der bislang erreichte Wert.
Welche weiteren Projekte fallen in Ihren Aufgabenbereich?
Robert Ziegler: Nachrichten in Einfacher Sprache sind ein großes Ausbauthema, denn die Zielgruppe von Menschen, die diese Nachrichten benötigen, ist groß. Sie besteht nicht nur aus Menschen mit Lernbehinderung, sondern auch jenen mit Deutsch als Zweitsprache, aber auch älteren Menschen, denen manches zu schnell geht. Ich denke, dass wir auf unseren Social Media-Plattformen diesbezüglich einiges anbieten könnten.
Im vergangenen Sommer starteten wir mit der Aktion „Mach dich sichtbar!“. Mit diesem Casting versuchen wir zu bewirken, dass Menschen mit Behinderungen als Protagonist*innen von der Werbewirtschaft und ORF-Produktionen verstärkt wahrgenommen werden und konkrete Angebote bekommen.
Danke für das Gespräch.
Service-Link
Barrierefreiheit und Inklusion im ORF
Interview: Kerstin Huber-Eibl, Fotos: ORF bzw. ORF/Hans Leitner