Der Österreichische Behindertenrat beteiligt sich an der Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Zusammenfassung der „Third Party Intervention“ des Österreichischen Behindertenrates (ÖBR) zum Fall Müllner v. Austria (18859/21) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
Der Österreichische Behindertenrat ist die Interessenvertretung der 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen in Österreich. In ihm sind über 85 Mitgliedsorganisationen organisiert. Auf Grund der Vielfalt der Mitgliedsorganisationen verfügt der Österreichische Behindertenrat über eine einzigartige Expertise zu allen Fragen, welche Menschen mit Behinderungen betreffen.
Im Rahmen einer sogenannten „Third Party Intervention“ zum Fall Müllner v Austria vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat der Österreichische Behindertenrat als „Amicus Curiae“ seine Expertise geteilt. Wörtlich übersetzt bedeutet dies „Freund des Gericht(shofs)“. Dabei handelt es sich um Stellungnahmen, die rechts- und sachkundige Organisationen auf Antrag abgeben können, um den Gerichtshof bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen.
In diesem Rahmen stellte der Österreichische Behindertenrat seine umfassende Expertise zum Thema Klima(wandel) und Menschen mit Behinderungen zur Verfügung. Diese Stellungnahme zielt darauf ab, auf die überproportionalen Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe, die bei klimapolitischen Maßnahmen oft übersehen wird.
Menschen mit Behinderungen sind durch den Klimawandel verstärkten Risiken ausgesetzt, was bestehende Ungleichheiten weiter verstärkt. Dies betrifft ihren Alltag, ihre Gesundheit, den Zugang zu wesentlichen Dienstleistungen, Wohnen, Mobilität und die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, um nur einige Aspekte zu nennen. Der ÖBR zeigt diese Realitäten in einem klaren und umfassenden Bericht auf.
Dargelegt wurden die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen mit Behinderungen in Österreich, Österreichs rechtliche Verpflichtungen unter den diversen internationalen Vertragswerken sowie die wichtige Arbeit des Österreichischen Behindertenrats in Bezug auf diese Themen.
Das Ergebnis dieses Gerichtsverfahrens könnte für Österreich und andere Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention sehr bedeutend sein und den Druck verstärken, ihre Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel – gegenüber Menschen mit Behinderungen – zu erfüllen.
I. Die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen mit Behinderungen in Österreich
1. Am Beispiel von Flur- und Waldbränden
Der Klimawandel verstärkt die Häufigkeit und Schwere von Naturkatastrophen, einschließlich Flur- und Waldbränden aufgrund von Klimafolgen wie längeren Trockenperioden und Hitzewellen. Die Zahl der extremen Waldbrände hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt. In Österreich ereignen sich jährlich etwa 200 Waldbrände.
Die Hauptgesundheitsbelastung geht von Feinstaub und Gasen aus. Menschen mit bestehenden gesundheitlichen Problemen sind besonders gefährdet, darunter Personen mit kardiopulmonalen Erkrankungen wie Asthma oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), da ihre Symptome erheblich verschärft werden können. Da die Emissionen von Bränden über Hunderte von Kilometern transportiert werden können, ist auch die Gesundheit von Menschen in Gebieten in weiter Entfernung von der Brandquelle gefährdet.
2. Am Beispiel von Hitzewellen
Im Sommer 2024 zeichnete die österreichische Bundesanstalt für Geologie, Geophysik, Klimatologie und Meteorologie (GeoSphere Austria) ein alarmierendes Bild: In den österreichischen Landeshauptstädten gab es drei- bis viermal so viele Hitzetage im Vergleich zum Klima-Durchschnitt von 1961 bis 1990. Besonders in Wien und Eisenstadt wurden außergewöhnlich viele Hitzetage verzeichnet.
Der „National Heat Protection Plan Austria“ stuft Menschen mit Behinderungen als besonders gefährdet für Hitzewellen ein. Menschen mit Behinderungen stehen zusätzlichen Herausforderungen gegenüber, wenn es um Mobilität, den Zugang zu Kühlungsmöglichkeiten und die Anpassung ihrer Umgebung geht, um die Auswirkungen von Hitzewellen zu mildern.
a. Auswirkungen von Hitzewellen auf nicht übertragbare Krankheiten
Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Atemwegserkrankungen (COPD) oder Herzerkrankungen sind besonders gefährdet für die Auswirkungen von Hitzewellen. In den Sommermonaten führt extreme Hitze oft zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands, der lebensbedrohlich sein kann. Bestimmte Medikamente, wie entwässernde Medikamente, erhöhen die Gesundheitsrisiken während Hitzewellen, weil sie in Kombination mit starkem Schwitzen etwa zu Hyponatriämie, einer Elektrolytstörung, führen können.
b. Auswirkungen von Hitzewellen auf die psychische Gesundheit
Menschen mit schweren Depressionen oder Angststörungen sind oft überproportional von den Auswirkungen von Hitzewellen betroffen. Bei Erkrankungen wie Schizophrenie oder Alzheimer kommt es oft zu einer Fehleinschätzung der Temperaturwahrnehmung, was es den Betroffenen erschwert, sich vor der Hitze zu schützen. Laut der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie steigt mit jedem Grad Anstieg der Durchschnittstemperatur das Risiko für psychische Erkrankungen um 0,9 %. Eine Studie der MedUni Wien zeigt, dass jeder Anstieg der Temperatur um ein Grad Celsius mit einer Erhöhung der Selbstmordrate um 1 % einher geht.
c. Verschärfung von Schlafstörungen durch erhöhte Hitzewellen
Hitzewellen verschärfen Schlafstörungen. Die verheerende Kombination aus hitzebedingten Schlafstörungen und bestehenden neurologischen oder chronischen Erkrankungen hat einen tiefgreifenden Einfluss auf ihre Gesundheit und Lebensqualität.
d. Mortalität durch Hitzewellen
Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen Hitzewellen und einer erhöhten Sterblichkeit. Der Sommer 2022, der heißeste je aufgezeichnete Sommer in Europa, führte zu 61.672 hitzebedingten Todesfällen. Menschen mit Behinderungen gehören zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Wenn die Temperaturen aufgrund unzureichender Klimaschutzmaßnahmen weiterhin steigen, wird die Zahl der hitzebedingten Todesfälle unter Menschen mit Behinderungen weiter zunehmen.
3. Am Beispiel von Starkregenereignissen
Extreme Regenereignisse, die zu Überschwemmungen und Erdrutschen führen, werden durch den Klimawandel zunehmend häufiger. Menschen mit Behinderungen werden bei Katastrophen von Behörden und Hilfsorganisationen zu oft übersehen, da ihre spezifischen Bedürfnisse bei Notfallplanungen nicht ausreichend berücksichtigt werden.
4. Am Beispiel von Stromausfällen
Die zunehmende Häufigkeit von Stromausfällen stellt eine erhebliche Gefahr für Menschen mit Behinderungen dar. Insbesondere Menschen, die auf medizinische Geräte wie Beatmungsgeräte angewiesen sind, sind bei Stromausfällen akut gefährdet. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sind ebenfalls besonders betroffen, da sie oft auf elektrisch betriebene Hilfsmittel angewiesen sind, die im Falle eines Stromausfalls nicht mehr funktionieren.
II. Österreichs rechtliche Verpflichtungen im Rahmen internationaler Rahmenwerke
Österreich unterliegt verschiedenen menschenrechtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels, insbesondere durch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK), dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen und das Pariser Abkommen.
Die UN-BRK ist das zentrale rechtliche Rahmenwerk für Menschen mit Behinderungen. Im Kontext des Klimawandels und des Schutzes von Menschen mit Behinderungen vor dessen Auswirkungen verpflichtet die Konvention Staaten dazu, das Leben und die Gesundheit von Menschen mit Behinderungen zu schützen.
Es ist weiters sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen und ihre Organisationen aktiv in die Entwicklung und Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen sowie in Klimaverhandlungen einbezogen werden. Staaten müssen ein inklusives und (nicht nur physisch, sondern auch sozial) barrierefreies Katastrophenmanagement gewährleisten, um Menschen mit Behinderungen in Not- und Katastrophensituationen zu schützen.
Daneben lassen sich weitere Verpflichtungen ableiten etwa wirksame Emissionsgesetze zu erlassen, die Flächenversiegelung einzudämmen oder einen umfassenden nationalen Gesundheitsplan zur Minderung der schädlichen Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen mit Behinderungen zu erstellen.
III. Tätigkeiten des Österreichischen Behindertenrates
Der Mehrwert der Tätigkeiten des Österreichischen Behindertenrates im Bereich Klima(wandel) ist offensichtlich und hat einen positiven Einfluss auf das Klima, Menschen mit Behinderungen und überall dort, wo sich diese beiden Themen überschneiden. Beispielsweise seien hier der barrierefreie, klimafreundliche Verkehr als auch diverse Projekte betreffend Klimawandelanpassung genannt. Ohne den Österreichischen Behindertenrat wäre der Fortschritt noch schleppender und Menschen mit Behinderungen würden weit weniger berücksichtigt werden.
IV. Fazit
Der Klimawandel betrifft Menschen mit Behinderungen in Österreich auf vielfältige, überproportionale Weise. Österreichs Verpflichtungen im Rahmen internationaler Übereinkommen und Abkommen erfordern eine adäquate Reaktion auf diese Herausforderungen. Der Österreichische Behindertenrat fordert eine umfassende und wirkungsvolle Partizipation, sowie Inklusion von Menschen mit Behinderungen in alle Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen.
Service-Link
Vollversion inklusive Quellenangaben auf Englisch:
Müllner v. Austria (Application no. 18859/21) THE EUROPEAN COURT OF HUMAN RIGHTS (FOURTH SECTION) WRITTEN SUBMISSION ON BEHALF OF THE AUSTRIAN DISABILITY COUNCIL Third Party intervention (PDF)
von Mag. Nicola Onome Sommer und Mag. Victoria Biber LLM.