Stellungnahme des Österreichischen Behindertenrats zum Entwurf eines Gesetzes, mit dem das Salzburger Pflegegesetz geändert wird
Der Österreichische Behindertenrat ist die Interessenvertretung der 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen in Österreich. In ihm sind über 85 Mitgliedsorganisationen organisiert. Auf Grund der Vielfalt der Mitgliedsorganisationen verfügt der Österreichische Behindertenrat über eine einzigartige Expertise zu allen Fragen, welche Menschen mit Behinderungen betreffen.
Der Österreichische Behindertenrat dankt dem Land Salzburg für die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme und erlaubt sich diese wie folgt auszuführen:
Allgemeines
Der Österreichische Behindertenrat begrüßt grundsätzlich, dass mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf die Schaffung möglichst flächendeckender stabiler Versorgungsstrukturen für die Langzeitpflege im stationären, teilstationären und mobilen Bereich weiter vorangetrieben wird. Um die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen jedoch ausreichend berücksichtigen zu können braucht es volle und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen in den entsprechenden Novellierungsprozessen.
Um die Menschenwürde und Selbstbestimmung zu schützen sowie die Rechtssicherheit von Menschen mit gesetzlicher Vertretung zu gewährleisten sind zudem Präzisierungen hinsichtlich ärztlicher Behandlungen zwingend notwendig.
Grundsätzlich haben Menschen, auch mit Erwachsenenvertretung, selbst über eine medizinische Behandlung zu entscheiden. Niemand darf – abgesehen von streng reglementierten Ausnahmen – ohne seine*ihre Einwilligung medizinisch behandelt werden.
In diesem Sinne sind aus Sicht des Österreichischen Behindertenrats folgende Anmerkungen zu machen.
Anmerkungen
Partizipation
Laut Erläuterungen beruht der gegenständliche Entwurf u.a. „auf den Ergebnissen eines vom Landtag in Auftrag gegebenen partizipativen Prozesses zur Novellierung des Salzburger Pflegegesetzes. […] Den Stakeholdern (Einrichtungsträger, Betriebsführer, Interessenvertretungen, politische Parteien etc.) wurde die Partizipation in Form einer Online-Umfrage (Anfang 2023) zur Identifizierung relevanter Novellierungsthemen […] ermöglicht.“1 Dem Österreichischen Behindertenrat liegen jedoch keine Informationen zur Beteiligung von Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen, insbesondere regionaler Selbstvertretungsorganisationen, vor. Zusätzlich braucht es transparente Partizipationsmodi, inklusive entsprechender Ressourcenausstattung um die vollumfängliche und wirksame Partizipation von Menschen mit Behinderungen den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention entsprechend sicherzustellen.
Ausreichende Personalausstattung
Um Menschen in Pflegeheimen bestmöglich betreuen zu können braucht es ausreichend qualifiziertes Personal. Für bestimmte Maßnahmen braucht es zudem dezidiert Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege. Das gilt u.a. für die Anordnung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen – wie z.B. Fixierungen mittels Gurten, Anbringen von Bett-Seitenteile oder Versperren von Türen – im Rahmen der Pflege nach dem Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG).2 Der vorliegende Entwurf sieht in § 18 Abs. 2 jedoch nur die tägliche Anwesenheit einer zur Ausübung des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege berechtigten Person, in begründeten Ausnahmefällen sogar nur die Rufbereitschaft einer solchen Person vor. Laut Erläuterungen hängt das tatsächliche Ausmaß von täglicher Anwesenheit bzw. Rufbereitschaft von u.a. verfügbarem Personal und dessen Qualifikation sowie der Anzahl der Bewohner*innen und deren Pflegebedarf ab.3 Dies ist insofern kritisch zu sehen, als dass die Anordnung einer Freiheitsbeschränkung einer Bewohner*in einen ernsthaften und tiefgehenden Eingriff in die persönlichen Grund- und Freiheitsrechte selbiger darstellt und dementsprechend einer eingehenden Bewertung der Situation in Hinblick auf u.a. die Unerlässlichkeit, Eignung und Angemessenheit der Maßnahme sowie schonendere (alternative) Maßnahmen bedarf.4 Zusätzlich hat die anordnungsbefugte Person die Bewohner*in auf geeignet, ihrem Zustand entsprechende Weise über den Grund, die Art, den Beginn und die voraussichtliche Dauer der Freiheitsbeschränkung auf aufzuklären.5 Um den Schutz der Bewohner*innen vor unzulässigen Freiheitsbeschränkungen zu gewährleisten, sowie Rechtssicherheit sowohl für betroffene Bewohner*innen, also auch für die Träger und deren Personal zu schaffen muss täglich immer mindestens ein*e Angehörige*r des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege anwesend sein.
Deshalb fordert der Österreichische Behindertenrat, dass die Wortfolge „In begründeten Ausnahmefällen kann jedoch stattdessen eine Rufbereitschaft durch eine solche Person vorgesehen werden.“ aus § 18 Abs. 2 gestrichen wird.
Einwilligung in medizinische Behandlungen
In § 19 des vorliegenden Entwurfs wird die ärztliche Betreuung, Behandlung und die Verabreichung von Arzneimitteln an die Bewohner*innen von Senior*innenheimen geregelt. Jedoch tragen weder Abs. 1 (ärztliche Betreuung und Behandlung) noch Abs. 2 (Verabreichung von Arzneimitteln) den zivilrechtlichen Bestimmungen über medizinische Behandlungen nach §§ 252 ff. ABGB Rechnung. Gemäß § 252 Abs. 1 fallen hierunter auch diagnostische, therapeutische, rehabilitative, krankheitsvorbeugende und pflegerische Maßnahmen anderer gesetzlich geregelter Gesundheitsberufe. Während in den Erläuterungen zu § 19 zwar auf die berufsrechtliche Verpflichtung von Angehörigen dieser Berufsgruppen, Medikamente nur nach ärztlicher Anordnung zu verabreichen, verwiesen wird, finden Zustimmungserfordernisse von Seiten der zu behandelnden Personen keine Erwähnung.
Personen dürfen aber grundsätzlich nur mit Zustimmung bzw. nach Einwilligung diagnostiziert und behandelt, bzw. an ihnen therapeutische, rehabilitative, krankheitsvorbeugende und pflegerische Maßnahmen gesetzt werden. Die entsprechenden Zustimmungserfordernisse zu einer medizinischen Behandlung von entscheidungsfähigen bzw. nicht entscheidungsfähigen Personen sind detailliert in §§ 252-254 ABGB geregelt. Wenn eine Ärzt*in eine volljährige Person nach § 252 Abs. 2 ABGB nicht für entscheidungsfähig hält, ist zuerst verpflichtend ein Unterstützungskreis einzurichten, der die Person bei der Herstellung ihrer Entscheidungsfähigkeit unterstützt. Nur wenn sich auf diese Weise keine Entscheidungsfähigkeit herstellen lässt, ist die Entscheidung (sprich Zustimmung zur oder Ablehnung der Behandlung) durch eine gesetzliche Vertreter*in mit entsprechendem Wirkungsbereich möglich.
Um durch Klarstellung der genauen Regelungen die Menschenwürde der betroffenen Personen zu schützen, ihre Selbstbestimmung zu gewährleisten und die Rechtssicherheit für diese Personengruppe zu erhöhen, fordert der Österreichische Behindertenrat, dass § 19 durch folgenden Abs. 4 ergänzt wird:
„(4) Ärzt*innen und Angehörige anderer gesetzlich geregelter Gesundheitsberufe dürfen eine Person nur mit deren Zustimmung bzw. nach deren Einwilligung im Sinne von Abs.1 bzw. Abs. 2 betreuen, behandeln bzw. dieser Person Arzneimittel verabreichen. Bei fehlender Entscheidungsfähigkeit, die auch nicht durch Hinzunahme eines Unterstützungskreises nach § 252 Abs. 2 ABGB hergestellt werden konnte, ist die Zustimmung der gesetzlichen Vertreterin bzw. des gesetzlichen Vertreters nach § 1034 ABGB der behandelten oder betreuten Person erforderlich. Jede eigenmächtige Behandlung ist zu unterlassen. §§ 252-254 ABGB sind sinngemäß anzuwenden.“
1 Gesetzesentwurf, S. 8.
2 Vgl. Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG), § 5 Abs. 1 Z. 2.
3 Vgl. Gesetzesentwurf, S. 15
4 Vgl. hierzu die Zulässigkeitsvoraussetzungen in HeimAufG. § 4.
5 Vgl. ebd. § 7 Abs. 1.
Service-Link
Mit besten Grüßen
Für Präsident Klaus Widl
Felix Steigmann BA MA