Die Disability Intergroup im Europäischen Parlament bringt Abgeordnete zusammen, um Anliegen von Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt europäischer Politik zu rücken. Österreich wird durch drei Abgeordnete des Europäischen Parlaments vertreten: Evelyn Regner (SPÖ), Lukas Mandl (ÖVP) und Harald Vilimsky (FPÖ).
Fragen an die österreichischen Mitglieder der Disability Intergroup
In der Disability Intergroup wird Österreich durch Lukas Mandl (ÖVP), Evelyn Regner (SPÖ) und Harald Vilimsky (FPÖ) vertreten. Der Österreichische Behindertenrat fragte die drei Europaabgeordneten, weshalb sie sich in der Arbeitsgruppe engagieren und welche Vorhaben sie als EU-Abgeordnete für Menschen mit Behinderungen vorantreiben möchten.
Lukas Mandl (ÖVP, Fraktion Europäische Volkspartei)
Österreichischer Behindertenrat: Weshalb engagieren Sie sich in der Disability Intergroup?
Lukas Mandl: Es ist auf der Höhe der Zeit und entspricht dem Stand unserer Zivilisation, dass wir mit Nachdruck und voller Konsequenz den Grundsatz leben, dass jeder Mensch gleich viel wert ist und dass es volle Gleichberechtigung geben soll. Das muss immer das Ziel bleiben. Ich habe die letzten fünf Jahre meiner Schullaufbahn in einer Schule verbracht, die seit Jahrzehnten auf das Miteinander von Schülerinnen und Schülern mit oder ohne besondere Bedürfnisse ausgerichtet ist. Das hat mir in diesem jungen Alter vor allem die Unsicherheit im Umgang mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen genommen. Mir geht es vor allem darum, Vorurteile abzubauen und zu einem gesellschaftlichen Klima der vollen Achtung der Menschenwürde jedes einzelnen Menschen beizutragen.
Welchen weiteren Arbeitsgruppen gehören Sie an?
Lukas Mandl: Der Vollständigkeit halber muss man betonen, dass die konkreten Entscheidungen in den Delegationen und Ausschüssen sowie im Plenum des Europaparlaments fallen. Der Weg zu diesen Entscheidungen ist aber geebnet durch Prioritäten, die einzelne Abgeordnete setzen. Nicht nur Standpunkte sind wichtig, auch Schwerpunkte. Einer so genannten Intergroup – oder Arbeitsgruppe – anzugehören, ist eine Form der Schwerpunktsetzung. Die Intergroups, die ich unterstütze, reichen von der Arbeit für den ländlichen Raum über den Kampf gegen Krebs und für seelische Gesundheit bis zum Einsatz für Klein- und Mittelbetriebe.
Welche Vorhaben möchten Sie als EU-Abgeordneter für Menschen mit Behinderungen vorantreiben?
Lukas Mandl: Neben den vorhin erwähnten grundsätzlichen gesellschaftlichen Fragestellungen geht es mir um die volle und umfassende Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen wie sie in den Europäischen Verträgen und in der Charta der Grundrechte der EU verankert sind. Das betrifft den Bereich Bildung, den Arbeitsmarkt und viele andere Themenfelder. Und es reicht hinein in die Arbeit an der Barrierefreiheit oder konkrete Initiativen wie jene für den europäischen Behindertenausweis oder den Parkausweis für Menschen mit Behinderungen. Zu den beiden letzteren Punkten wurden erst im Vorjahr vom Rat der mitgliedsstaatlichen Regierungen Richtlinien verabschiedet. Jetzt geht es um die Umsetzung.
Inwiefern profitieren Menschen mit Behinderungen von Österreichs Mitgliedschaft in der EU?
Lukas Mandl: Erstens profitieren alle Unionsbürgerinnen und -bürger davon, dass es die Europäische Union gibt, also auch Menschen mit Behinderungen. Zweitens können Fortschritte für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die in einem Mitgliedsstaat erfüllt werden, diesen Menschen nicht in anderen Mitgliedsstaaten auf Dauer vorenthalten werden. Die Europäische Union hilft also dabei, Fortschritte in die Breite zu tragen, und behinderten Menschen wie allen anderen mehr Chancen in einem größeren gemeinsamen Europa, auch einen gemeinsamen Binnenmarkt, zu geben. Drittens ist ein Europa im weltweiten Vergleich eine Kraft für zivilisatorische Werte wie jene der Menschenwürde und der Freiheitsrechte. Die Europäische Union ist vielleicht im weltweiten Vergleich der lebenswerteste Ort auch für Menschen mit Behinderungen; auch wenn es überall auf der Welt wohl in allererster Linie um den menschlichen Umgang miteinander im täglichen Leben geht – egal, in welcher staatlichen Struktur man lebt.
Evelyn Regner (SPÖ, Fraktion Progressive Allianz aus Sozialisten und Demokraten)
Österreichischer Behindertenrat: Weshalb engagieren Sie sich in der Disability Intergroup?
Evelyn Regner: Gerechtigkeit, Inklusion und Solidarität: dafür stehe ich. Und diese Werte gelten auch für Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt, müssen aber in der Realität besser umgesetzt werden. Menschen mit Behinderungen gehören zu den am stärksten benachteiligten Gruppen in der EU. Noch immer sind sie häufiger von Diskriminierung, Armut und Arbeitslosigkeit betroffen. Unser Einsatz auf europäischer Ebene und in der Disability Intergroup ist deshalb von entscheidender Bedeutung. Diese Plattform ermöglicht es uns, konkrete Maßnahmen voranzutreiben, um soziale Ungleichheiten abzubauen und die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken – ob durch Barrierefreiheit, inklusivere Arbeitsmärkte oder die einheitliche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Es geht nicht nur um Gesetze, sondern um Akzeptanz, den Wandel unserer Gesellschaft hin zu echter Inklusion. Ein solidarisches Europa lässt niemanden zurück. Deshalb setze ich mich entschlossen dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen überall in der EU gleichberechtigt teilhaben können.
Welchen weiteren Arbeitsgruppen gehören Sie an?
Evelyn Regner: Ich bin Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON), im Ausschuss für Steuerfragen (FISC) sowie im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL). Beide Ausschüsse sind von zentraler Bedeutung, um ein inklusives Miteinander in Europa zu fördern.
Im ECON-Ausschuss arbeite ich daran, dass wirtschaftliche Entscheidungen nicht nur Wachstum und Stabilität fördern, sondern auch sozialen Fortschritt und Gerechtigkeit ermöglichen. Denn eine gerechte Wirtschaftspolitik muss für alle Menschen Teilhabe bedeuten und besonders auf jene achten, die aufgrund von Behinderungen oder anderen Umstände am stärksten von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Dazu gehören natürlich auch Steuern, die eine gerechte Umverteilung schaffen. Das beschäftigt mich im FISC.
Im EMPL-Ausschuss steht die soziale Dimension Europas im Mittelpunkt. Hier kämpfen wir für gleichberechtigten Zugang zu Arbeitsplätzen, gerechte Löhne und sichere Arbeitsbedingungen. Ein inklusiver Arbeitsmarkt, der auf das Potenzial aller Menschen schaut, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern stärkt auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Welche Vorhaben möchten Sie als EU-Abgeordnete für Menschen mit Behinderungen vorantreiben?
Evelyn Regner: Die EU hat die Verantwortung, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen spürbar zu verbessern. Dafür müssen wir die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent in allen Mitgliedstaaten umsetzen und verbindliche EU-Standards für Barrierefreiheit schaffen bzw. lange vorliegende Vorschläge umsetzen – sei es in der Mobilität, beim Wohnen, in der Bildung oder – und vor allem – am
Arbeitsplatz.
Gleichzeitig ist ein inklusiver Arbeitsmarkt unerlässlich: EU-weite Programme und finanzielle Anreize sollen Unternehmen dabei unterstützen, barrierefreie Arbeitsplätze zu schaffen, der auf die Fähigkeiten
der Menschen schaut und nicht nur auf die Einschränkungen. Und hier müssen wir auch bei uns im Haus selbst anfangen und vorleben. In den letzten Jahren konnten wir hier bereits Erfolge verzeichnen zum Beispiel mit aktiven Ausschreibungen für Menschen mit Behinderungen, die wir als Praktikant*innen oder fix Beschäftigte aufnehmen. Für jede einzelne Person wird der Arbeitsplatz an die Art der Behinderung angepasst, damit er für sie funktioniert.
Wir brauchen außerdem mehr Maßnahmen für eine inklusive Bildung, barrierefreie Mobilität und politische Teilhabe. Der Europäische Sozialfonds Plus ist einer der wichtigsten Fonds der EU, der gezielt auch
berufliche Bildung fördert. Zudem möchte ich, dass Menschen mit Behinderungen aktiv in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Sensibilisierungskampagnen und der sichtbare, gemeinsame Kampf gegen Diskriminierungen tragen dazu bei, Vorurteile abzubauen und echte Inklusion zu fördern.
Inwiefern profitieren Menschen mit Behinderungen von Österreichs Mitgliedschaft in der EU?
Evelyn Regner: Die EU-Mitgliedschaft Österreichs hat die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen nachhaltig verbessert. Eine der letzten Errungenschaften war die Einführung des EU-Behindertenausweises, der die Freizügigkeit und Lebensqualität von rund 80 Millionen Menschen in der EU stärken wird. Menschen mit Behinderungen können damit bei Kurzzeitaufenthalten von bis zu drei Monaten ihre Rechte und Unterstützungsangebote – wie freien Eintritt, reduzierte Tarife, persönliche Assistenz und Mobilitätsunterstützung – auch in anderen Mitgliedstaaten nutzen.
Der kostenlose Ausweis, verfügbar sowohl als physische Karte als auch digital, erleichtert den Alltag erheblich und sorgt für Klarheit und Inklusion. Er sorgt für die Förderung von Mobilität, Bildung und Arbeitsmarktzugang durch Programme wie Erasmus+ und den Europäischen Sozialfonds Plus.
Auch wenn wir noch zu weit entfernt vom Abbau aller Schranken sind: Der Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit hat bereits den Grundstein gelegt. Er hat das Ziel, die Barrierefreiheit wichtiger Produkte und Dienstleistungen in den EU-Mitgliedsstaaten zu standardisieren. Durch eine barrierefreie Gestaltung und die Abschaffung unterschiedlicher Vorschriften von Geräten und Dienstleitungen – wie bei der Bank,
beim Zug oder generell im Onlinehandel-, soll Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Nutzung ermöglicht werden. Das Gesetz zur Barrierefreiheit im Internet ist diesbezüglich ebenfalls zentral.
Harald Vilimsky (FPÖ, Fraktion Patrioten für Europa)
Österreichischer Behindertenrat: Weshalb engagieren Sie sich in der Disability Intergroup?
Harald Vilimsky: Unserer Fraktion ist es ein Anliegen, dass wir uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln für Menschen mit Behinderungen einsetzen. Auch wenn diese Angelegenheit in die nationalstaatliche Kompetenz Österreichs fällt, ist der Austausch und die Diskussion wertvoll – vor allem in Bezug auf eine einheitliche Definition, Zugang zu verschiedenen Einrichtungen, etc. Solange die österreichische Souveränität gewahrt wird, unterstützen wir aber selbstverständlich alle sinnvollen Initiativen auf EU-Ebene.
Welchen weiteren Arbeitsgruppen gehören Sie an?
Harald Vilimsky: Derzeit befinde ich mich nur in der Disability Intergroup. Die Intergroups wurden erst offiziell eingerichtet, und wir arbeiten intensiv daran, die Abgeordneten unserer Fraktion gezielt auf verschiedene Arbeitsgruppen aufzuteilen, damit sich jeder auf die nhalte seiner jeweiligen Gruppe konzentrieren kann und wir als Fraktion effizienter agieren können.
Welche Vorhaben möchten Sie als EU-Abgeordneter für Menschen mit Behinderungen vorantreiben?
Harald Vilimsky: Uns ist es wichtig, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Österreich nicht durch eine EU-weite Harmonisierung geschwächt werden, weil zu befürchten ist, dass manche Mitgliedstaaten unter Umständen nicht allen europäischen Vorgaben gerecht werden können. Es braucht daher flexible Mechanismen und starke Nationalstaaten, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzen. Unser Bemühen wird es also sein, die Hoheit über diese Entscheidungen in Österreich zu behalten und dort sinnvolle Maßnahmen und Initiativen umzusetzen.
Inwiefern profitieren Menschen mit Behinderungen von Österreichs Mitgliedschaft in der EU?
Harald Vilimsky: Unabhängig von der Mitgliedschaft in der EU ist eine enge Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen und ihren Vertretungsorganisationen sowie ein transparenter und partizipativer Ansatz entscheidend, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse und Rechte von Menschen mit Behinderungen effektiv unterstützt werden. In Bezug auf den Zugang zu kulturellen Einrichtungen, beispielsweise Museen oder Theatern, erscheint eine Abstimmung auf europäischer Ebene sinnvoll. Allerdings geht die EU in einigen Bereichen zu weit, was, wie bereits erwähnt, auch potenziell zu Verschlechterungen führen kann.