Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen arbeitet derzeit an einer neuen Allgemeinen Bemerkung, in diesem Fall zu Artikel 29 UN-BRK – Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben. In diesem Zusammenhang hat der UN-Ausschuss Organisationen eingeladen, Stellungnahmen zu diesem Thema einzureichen, um auf bestehende Herausforderungen hinzuweisen. Der Österreichische Behindertenrat ist diesem Aufruf gefolgt und stellt hiermit eine zusammenfassende Übersetzung der Eingabe ins Deutsche bereit.
Eine Allgemeine Bemerkung ist ein offizielles Dokument des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das eine detaillierte Auslegung und Erklärung zu einem bestimmten Artikel der UN-BRK bietet. Sie präzisiert die Rechte, die aus diesem Artikel hervorgehen, gibt praxisnahe Beispiele und enthält Empfehlungen zur Umsetzung. Obwohl Allgemeine Bemerkungen nicht bindend sind, dienen sie als wichtige Orientierungshilfe für Staaten und die Zivilgesellschaft.
Art 29 UN-BRK – Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben
In Österreich haben alle Bürger*innen, einschließlich Menschen mit Behinderungen, das Recht zu wählen und für politische Ämter zu kandidieren. Es gibt keine gesetzlichen Beschränkungen, die Menschen mit Behinderungen an der Ausübung ihres Wahlrechts hindern. Dennoch gibt es erhebliche Barrieren, die eine vollständige Teilhabe am demokratischen Prozess erschweren. Diese Barrieren beginnen lange vor dem Wahlakt selbst und umfassen die Vorbereitung auf die Wahl, den Wahlvorgang sowie die Nachwahlbeteiligung und -verfolgung. Eine Wahl besteht nicht nur aus dem physischen Akt der Stimmabgabe, sondern umfasst auch die Information und Aufklärung der Wähler*innenschaft, die Möglichkeit zu informierten Entscheidungen sowie eine aktive Teilhabe am politischen Leben nach der Wahl.
Ein wesentlicher Aspekt der Wahlvorbereitung ist der Zugang zu barrierefreien Informationen. In Österreich fehlt es an einer gesetzlichen Verpflichtung für politische Parteien, ihre Wahlprogramme in leicht verständlichen Formaten zu veröffentlichen. Dies schränkt vor allem Menschen mit Lernschwierigkeiten in ihrer Möglichkeit ein, sich umfassend über politische Inhalte und Ziele der Parteien zu informieren. Zwar gibt es Wahlunterlagen in leichter Sprache, die es vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten ermöglichen, ihre Stimme weitgehend unabhängig abzugeben, doch ohne leicht verständliche Wahlprogramme bleiben die politischen Inhalte für viele Menschen unzugänglich.
Außerhalb von Berufsschulen gibt es in Österreich keinen eigenständigen Unterrichtsgegenstand „Politische Bildung“. Stattdessen ist Politische Bildung als Unterrichtsprinzip konzipiert und soll fächerübergreifend vermittelt werden. Da es kein eigenes Lehramtsstudium für Politische Bildung gibt, wird Politische Bildung meist ab der 9. Schulstufe im Rahmen des Geschichts- und Sozialkundeunterrichts behandelt. In der Praxis führt dies jedoch zu einer unzureichenden Abdeckung in Regelschulen. Für Menschen mit Behinderungen spielt politische Bildung im weiterhin segregierten Bildungssystem eine noch geringere Rolle, was ihre Möglichkeiten zur vollen Teilhabe an demokratischen Prozessen zusätzlich einschränkt.
Während des Wahlaktes haben Menschen mit Behinderungen das Recht, eine Vertrauensperson zur Unterstützung mitzunehmen, sollten sie dies wünschen. Es gibt jedoch keine Verpflichtung, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie unabhängig wählen möchten. In der Praxis bestehen jedoch Bedenken hinsichtlich der konsistenten Umsetzung dieser Regelungen in allen Wahllokalen. Dies könnte dazu führen, dass einigen Wähler*innen die notwendige Unterstützung verwehrt wird, während andere möglicherweise unter Druck gesetzt werden, Hilfe anzunehmen, die sie nicht benötigen oder wünschen. Besonders problematisch ist die Situation von Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben. Ihre Wahlbeteiligung ist in der Regel niedrig. Zudem gibt es keine umfassenden Daten über die Wahlbeteiligung von Menschen mit Behinderungen, die in Institutionen leben, was eine genaue Analyse der bestehenden Barrieren und die Entwicklung geeigneter Maßnahmen erschwert.
Die Repräsentation von Menschen mit Behinderungen in politischen Ämtern und Parlamenten ist in Österreich stark begrenzt. Selbst die Behindertensprecher*innen der im Parlament vertretenen Parteien sind in der Regel keine Menschen mit Behinderungen, was auf systematische Barrieren bei der politischen Teilhabe hinweist. Auch auf europäischer Ebene gibt es kaum Politiker*innen, die sich offen als Menschen mit Behinderungen identifizieren. Auf lokaler Ebene, wo der Einstieg in die Politik oft beginnt, sind politische Strukturen ebenfalls nicht inklusiv gestaltet, was Menschen mit Behinderungen von vornherein ausschließt.
Ein besonders alarmierender Aspekt ist die fehlende Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Krisen- und Notfallsituationen. Während der COVID-19-Pandemie wurden Menschen mit Behinderungen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden und hatten nur eingeschränkten Zugang zu barrierefreien Informationen. Ähnlich verhält es sich bei der Klimakrise, von der Menschen mit Behinderungen überproportional betroffen sind, jedoch in Entscheidungsprozesse kaum einbezogen werden.
Frauen mit Behinderungen sind besonders stark von Mehrfachdiskriminierung betroffen und in politischen Ämtern extrem unterrepräsentiert. Es fehlt an geschlechtsspezifischen Daten, was gezielte Fördermaßnahmen erschwert.
Resümee
Der Aufruf zur Einreichung von Stellungnahmen stellt den Startschuss für die Erarbeitung der Allgemeinen Bemerkung zu Art 29 UN-BRK dar, die nun vom UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erarbeitet wird.
Die umfassende Stellungnahme im Original auf Englisch: CRPD DGD on art 29_Austrian Disability Council (PDF)