Die Vereinten Nationen haben die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch die Europäische Union (EU) überprüft. Die nun veröffentlichen Handlungsempfehlungen zeigen: Trotz Fortschritten in der Gesetzgebung der letzten 10 Jahre und politischen Initiativen bleibt für die EU viel zu tun, um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen effektiv zu verbessern und bestehende strukturelle Hürden zu beseitigen.
Fortschritte und offene Baustellen
Die UN-Expert*innen würdigen einige positive Entwicklungen, darunter Fortschritte in der Barrierefreiheit sowie die Einführung des EU-Behindertenausweises. Allerdings wird auch darauf hingewiesen, dass der Anwendungsbereich des EU-Behindertenausweises zu eng gefasst ist und im Hinblick auf die Gewährleistung der Freizügigkeit, also dem Recht darauf, seinen Wohnsitz innerhalb der EU frei zu wählen, ausgeweitet werden sollte.
Außerdem zeigt die Analyse erhebliche Defizite: Die Umsetzung bestehender Gesetze erfolgt oft nur zögerlich, finanzielle Mittel sind nicht ausreichend zweckgebunden, und die systematische Einbindung von Organisationen, die Menschen mit Behinderungen vertreten, bleibt unzureichend.
Zudem wurde die EU-Gesetzgebung bisher nicht systematisch im Einklang mit der UN-BRK überprüft, obwohl dies bereits in den vorherigen Empfehlungen des UN-Ausschusses gefordert wurde. Ein Beispiel hierfür ist die geplante Verordnung „über den Schutz Erwachsener zur Regelung grenzüberschreitender Situationen zwischen den EU-Mitgliedstaaten“ , die das Erwachsenenschutzrecht neu zu regeln gedenkt und hierbei ein System ähnlich der – in Österreich bereits überwundenen – Sachwalter*innenschaft einzuführen gedenkt, was klar der UN-BRK widerspricht.
Ein weiterer kritischer Punkt ist das Auslaufen zentraler Maßnahmen, wie der „Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021-2030“ im Jahr 2024. Die UN-Expert*innen stellen mit Besorgnis fest, dass es bislang keine klaren Pläne für eine Fortsetzung oder Erweiterung dieser Maßnahmen gibt. Besonders problematisch ist zudem, dass sowohl die „Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021-2030“ als auch die „Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025“ kaum spezifische Maßnahmen für Frauen mit Behinderungen enthalten. Dies führt dazu, dass die besonderen Herausforderungen, mit denen Frauen mit Behinderungen konfrontiert sind, auf politischer Ebene nicht ausreichend adressiert werden.
Das UN-Prüfkomitee hob die anhaltende Verwendung von EU-Mitteln für den Bau und die Instandhaltung institutioneller Einrichtungen, einschließlich kleiner Wohngruppen, in den Mitgliedstaaten als besonders alarmierend hervor. Die Expert*innen betonen daher, dass dies ganz klar der UN-BRK widerspricht.
Zentrale Empfehlungen für die EU
Um die bestehenden Defizite zu beheben, formulieren die UN-Expert*innen mehrere zentrale Empfehlungen an die EU:
- Eine umfassende Überprüfung der EU-Gesetzgebung auf ihre Vereinbarkeit mit der UN-BRK.
- Eine gezieltere und effektivere Nutzung von EU-Finanzmitteln zur Förderung von Inklusionsmaßnahmen anstelle der Unterstützung von Institutionen.
- Die Verabschiedung der seit Jahren blockierten Antidiskriminierungsrichtlinie.
- Die Einführung eines „Disability Action Plans“ für die Außenpolitik der EU.
- Eine stärkere Verpflichtung der EU-Institutionen, als öffentliche Verwaltung und Arbeitgeber eine Vorbildrolle einzunehmen.
Was nun geschehen muss
Die EU steht nun vor der Aufgabe, diese Empfehlungen in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Gefordert wird eine aktualisierte Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die ambitionierte Ziele setzt und mit ausreichenden finanziellen Mitteln unterlegt ist. Besonders im Hinblick auf die nächste Budgetperiode nach 2027 müssen klare Prioritäten gesetzt werden, um Barrieren abzubauen und die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nachhaltig zu verbessern.
Die UN-Expert*innen mahnen eindringlich, dass die EU nicht nur nach innen, sondern auch in ihrer Außenpolitik stärker auf Inklusion achten muss. Dies sei besonders in Krisenzeiten entscheidend, um den Schutz und die Rechte von Menschen mit Behinderungen international zu gewährleisten.
Ob und inwiefern die EU diesen Forderungen nachkommt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Die Erwartungen an die politischen Entscheidungsträger*innen sind hoch – jetzt ist es an der Zeit, Taten folgen zu lassen.
von Victoria Biber