Die Europäische Union (EU) hat die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) im Dezember 2010 ratifiziert und sich somit zu ihrer Umsetzung verpflichtet, genauso wie alle 27 EU-Mitgliedsstaaten. Die UN-BRK nimmt außerdem einen besonderen Platz ein, da sie der erste internationale Vertrag war, dem die EU als Ganzes beigetreten ist. Menschen mit Behinderungen sind innerhalb der EU eine große Gruppe – mindestens 1 von 6 EU-Bürger*innen lebt mit einer Behinderung, das sind rund 80 bis 120 Millionen Menschen. Durch die Alterung der Gesellschaft wird diese Zahl noch zunehmen, weshalb die tatsächliche Umsetzung der UN-BRK umso wichtiger ist.
Kürzlich hat das UN-BRK Komitee die abschließenden Bemerkungen („concluding observations“) zur Umsetzung der UN-BRK innerhalb der EU veröffentlicht. Neben einigen positiven Entwicklungen hin zur Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen innerhalb der Europäischen Union wie beispielsweise die Einführung des EU-Behindertenausweises und des Europäischen Barrierefreiheitsgesetz (European Accessibility Acts) übt das Komitee auch Kritik. Hier lesen Sie einige wesentliche Punkte aus den abschließenden Bemerkungen, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht.
(Die vollständige deutsche Übersetzung der abschließenden Bemerkungen finden Sie hier.)
- Frauen mit Behinderungen: die Rechte von Frauen mit Behinderungen müssen in allen Rechtsvorschriften und politischen Programmen der Europäischen Union berücksichtigt werden. Vor allem in der EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter für den Zeitraum 2020-2025 und in der EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021-2030. In der EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter muss der Anwendungsbereich ausgeweitet werden, hin zum Recht von Frauen mit Behinderungen auf Arbeit und Beschäftigung, sowie auf politische Teilhabe, einen angemessenen Lebensstandard, Gesundheit und Bildung.
- Kinder mit Behinderungen: das UN-BRK Komitee ist besorgt über Heimunterbringung, Gewalt und Ausgrenzung von Kindern mit Behinderungen in allen EU-Mitgliedstaaten sowie unzureichende durchgängige Berücksichtigung der Rechte von Kindern mit Behinderungen in den EU-Rechtsvorschriften und in den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Umsetzung des EU-Rechts
- Die Anti-Diskriminierungs-Richtlinie (Equal Treatment Directive) darf nicht gestrichen werden. Die Anti-Diskriminierungs-Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung wird seit über 16 Jahren auf EU-Ebene diskutiert und seitdem durch einige EU-Staaten blockiert. Nun will sie die EU-Kommission ganz aufheben. Das wäre auch für die Umsetzung der UN-BRK innerhalb der EU besonders problematisch, da es für Menschen mit Behinderungen noch erhebliche Lücken im Anti-Diskriminierungsrecht, wie beispielsweise in den Bereichen Sozialschutz und Bildung gibt.
- Ausweitung des Behindertenausweis Geltungsbereichs hin zu einer Garantie der Personenverkehrsfreiheit von Menschen mit Behinderungen (eine der vier Grundfreiheiten der EU). Die Personenverkehrsfreiheit meint beispielsweise den Umzug einer Person von einem EU-Land in ein anderes. Im Moment ist hier die Anerkennung des Behindertenstatus und die damit einhergehende Erbringung von Sozialleistungen nicht überall gegeben.
- In diesem Zusammenhang steht auch der Vorschlag der EU-Kommission zur „Erwachsenen Schutz Verordnung“. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Verordnung zum Erwachsenen Schutz sollte in der jetzigen Ausgestaltung aufgehoben werden, da sie die freie Entscheidungsfindung von Menschen mit Behinderungen gefährdet. Sie basiert auf dem Haager-Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen aus dem Jahr 2000, das ebenfalls nicht im Einklang mit der UN-BRK steht. Die Entwicklung sollte in Richtung einer unterstützten Entscheidungsfindung gehen, statt über Menschen mit Behinderungen zu entscheiden. Deshalb spricht sich das UN-BRK-Komitee auch gegen den Entwurf zum Oviedo-Zusatzprotokoll Der Entwurf zielt auf unfreiwillige Behandlung und Unterbringung in der Psychiatrie ab. Das heißt, es braucht nicht das Einverständnis der betreffenden Personen, die in die Psychiatrie eingewiesen werden sollen.
(Mehr hierzu finden Sie unter diesem Link: Oviedo Konvention – Österreichischer Behindertenrat) - Bessere Verteilung der EU-Fonds und keine Förderung der Institutionalisierung von Menschen mit Behinderungen mit EU-Geldern. Das heißt der Erhalt und Neubau von Institutionen darf nicht gefördert werden. Institutionen befördern strukturelle Gewalt (psychische und physische Gewalt). Stattdessen sollte im Sinne der UN-BRK selbstbestimmtes, barrierefreies und leistbares Wohnen für Menschen mit Behinderungen sichergestellt werden.
- Überarbeitete EU-Strategie über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Updated strategy on disability rights) für die Jahre 2025-2030. Denn die meisten in der Strategie vorgeschlagenen Maßnahmen und Initiativen zur Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen gehen über das Jahr 2025 nicht hinaus.
von Gudrun Eigelsreiter