Interview mit SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Babler zu sozial- und behindertenpolitischen Fragen im Vorfeld der Nationalratswahl 2024
12. Juli 2024
Österreichischer Behindertenrat: Was bedeutet Inklusion für Sie und worin sehen Sie in Ihrer Arbeit als Politiker den größten Handlungsbedarf?
Babler: Seit einem Jahr versuche ich das Thema ganz bewusst zu bringen, weil es eine ganz elementare Frage von Rechten ist, und darum ist es mir so wichtig. Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle Menschen mit Behinderungen mit all ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten. So leiten wir dann auch Rechtsansprüche ins politische Handlungsfeld ab. Wir wissen, dass wir in vielen Feldern einen großen Handlungsbedarf haben. Die letzte UN-Staatenprüfung hat Österreich ein schlechtes Zeugnis ausgestellt und etliche Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Es braucht verankerte Rechtsansprüche, wie etwa im Schulbereich wo es einen Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr für Schüler*innen mit Behinderungen braucht. Das sind u.a. Dinge, die ich als Bürgermeister selbst erfülle. In Traiskirchen wird immer ein 11. und 12. Schuljahr genehmigt.
Wie stehen Sie zum Inklusionsfonds?
Babler: Der Inklusionsfonds soll ähnlich dem Pflegefonds zweckgewidmet Geld bündeln. Konkret sollen Bund und Länder die finanziellen Mittel aufbringen. Es klingt immer gut, wenn man einen Fonds einrichtet. Aber wichtig sind die Resultate in der Abarbeitung und eine einheitliche Vorgangsweise bundesweit. Beim Inklusionsfonds geht es beispielsweise um Hilfsmittel, eine Assistenzhund-Ausbildung, aber auch um Zweckwidmung für Barrierefreiheit, einen eigenen Topf für den Inklusionsbereich der Schulen. Es braucht finanzielle Mittel, aber gleichzeitig auch Kriterien, dass sie zweckmäßig verwendet werden und nicht als Pauschalförderungen.
Wie viele Menschen mit Behinderungen haben Sie auf Ihrer Liste und wird das SPÖ-Wahlprogramm barrierefrei angeboten??
Babler: Wir haben Kandidat*innen mit Behinderungen, aber nur wenige erwähnen explizit, dass sie mit einer Behinderung leben, etwa Stefanie Grötz, die auf der Bundesliste kandidiert. Das Wahlprogramm wird es in einer Leicht Lesen-Version geben.
Letzten Sommer fand in Genf die Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-BRK statt. Ergebnis sind die Handlungsempfehlungen des UN-Fachausschusses an Österreich. Bisher fand noch kein strukturierter Prozess zur Umsetzung der Handlungsempfehlungen in Österreich statt. Welchen konkreten strukturierten Prozess zur Umsetzung können Sie sich vorstellen?
Babler: Wir müssen garantieren, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt werden. Gleichzeitig gibt es auch den Nationalen Aktionsplan, wo das Sozialministerium gefordert wäre. Der ist eine Absichtserklärung bis 2030, aber die Frage ist, was gesetzlich damit passiert. Wir haben gesagt, wir nehmen diese Empfehlungen ins Regierungsprogramm und arbeiten sie ab. Wenn es UN-Vorgaben gibt, die nicht erfüllt werden, muss es ein Handlungsauftrag für die nächste Regierung sein, entsprechende Gesetze zu schaffen. Es gibt von uns einen Vorschlag für die Regierungsverhandlungen, der die Umsetzung der UN-Empfehlungen beinhaltet.
Wie stehen Sie zu den Handlungsempfehlungen im Bereich Bildung?
Ein wichtiges Thema, wo Ungleichbehandlung herrscht, ist die Gewährung des 11. und 12. Schuljahrs mittels Rechtsanspruchs. Als Bürgermeister sehe ich tagtäglich, dass es zu wenig Stützkräfte gibt, dass ich als Schulerhalter alles finanzieren muss, obwohl das gar nicht meine Aufgabe wäre. In Traiskirchen verlängern wir die Schuljahre immer, weil wir sagen, das ist ein Rechtsanspruch.
Wie ist Ihre Position zu Sonderschulen?
Momentan sind die meisten Kinder mit Behinderungen in Sonderschulen. Es ist die Zielsetzung, die Sonderschulen aufzulösen und die finanziellen, strukturellen und pädagogischen Kapazitäten der Sonderschulen in Inklusionsschulen zu nutzen. Wir brauchen ein Konzept, wie man Schulen zu Inklusionsschulen macht. Was sind die baulichen und infrastrukturellen Voraussetzungen dafür? Und dann muss man es im Schulentwicklungsprogramm (SCHEP) niederschreiben.
Wir brauchen aber auch ein Monitoringprogramm, Qualitätskriterien und Kontrollinstanzen. Es muss wissenschaftlich begleitet werden, welche Wirkung eintritt. Über solche Themen tauschen sich unsere Expert*innen, die aus dem Bereich der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen bzw. aus dem Bildungsbereich kommen, aus.
In dem Zusammenhang ist auch die Frage der Quantität der Ausbildung, was inklusionspädagogische Fachkräfte anbelangt, wichtig. Es gibt in der pädagogischen Ausbildung eine Vorlaufzeit von ein paar Jahren. Und es wird auch Zeit brauchen, die Lehrpläne dementsprechend zu modernisieren, was moderne Inklusionskonzepte sind.
Wichtig ist darauf zu schauen, dass die Ausbildung von Anfang an so gestaltet ist, dass entsprechende Bereiche in die Curricula aufgenommen werden.
Babler: Ausbildung plus Lehrpläne, es muss beides geben. Sonst wird das in Österreich immer isoliert gesehen: Da brauchen wir mehr Sonderpädagoginnen, aber die „alten“, und dann haben wir einen alten Lehrplan und kommen erst nachher d‘rauf, dass das nicht zusammenpasst, und dass wir ein modernes Inklusionskonzept brauchen, so ist Österreich. Darum sage ich, da darf nichts bleiben, wie es ist in dem Bereich.
Alle Kinder sollen gleichberechtigte Bildungschancen erhalten. Wir müssen das System komplett neu denken und auch darüber reden, wie es nach der Schule weitergeht, über Beschäftigungsgarantien reden. Beschäftigungsgarantien müssen für alle Menschen gelten. Menschen mit Behinderungen brauchen eine Chance auf den ersten Arbeitsmarkt, also weg von der Beschäftigungstherapie.
Sind Sie für einen Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr an der Stammschule?
Babler: Natürlich muss es einen Rechtsanspruch geben. Eltern sind immer Bittsteller, das muss man abschaffen. Wenn es genügend Inklusionsschulen gibt, sind automatisch auch die Plätze da. Dann funktioniert das auch. Kinder mit Behinderungen sollen ein 11. und 12. Schuljahr absolvieren können, auch um eine Jobperspektive zu bekommen. Es darf nicht sein, dass Eltern beim Bürgermeister, wurscht wo der ist in Österreich, oder beim Schulerhalter oder der Bildungsdirektion darum betteln müssen.
Wie lautet Ihre Position zur Ausgleichstaxe?
Was das Freikaufen von der Beschäftigungspflicht anbelangt, gibt es einen sozialdemokratischen Vorschlag. Wir wollen einen Umbau des Systems, bei dem alle Unternehmen einen Beitrag leisten und jene, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, einen Bonus erhalten.
In Österreich sind nur 3 Prozent der Unternehmen ausgleichstaxenpflichtig, weil es dafür mindestens 25 Dienstnehmer*innen braucht. Und von diesen erfüllen zwei Drittel die Beschäftigungspflicht nicht.
Damit fallen die meisten raus. Deshalb wollen wir ja, dass die Ausgleichstaxe – wie vorher gesagt – neu geregelt wird.
Wie stehen Sie zur Harmonisierungs-Richtlinie Persönliche Assistenz? Ein Punkt, der für uns ganz wichtig ist, dass dort erstmalig festgeschrieben ist, dass es ein Angestelltenverhältnis geben muss.
Babler: Ich finde es extrem wichtig, dass Persönliche Assistent*innen nicht im Prekariat tätig sind und dass die gleichen Assistenzpersonen in der Ausbildung, am Arbeitsplatz und im Privatleben tätig sein können.
Menschen mit Behinderungen haben einen deutlich erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt, sind häufiger und länger von Arbeitslosigkeit betroffen, und die Erwerbsquote ist deutlich niedriger, einige schaffen es gar nicht. Wie sehen Sie die arbeitsmarktpolitische Situation von Menschen mit Behinderungen?
Babler: Das ist das, was ich gemeint habe mit der Beschäftigungsgarantie, dieses Wort ganz bewusst: Alle. Und genau den Bereich haben wir mitgedacht damit. Wir müssen schauen, dass die Menschen auf den Arbeitsmarkt kommen. Wir haben konkrete Modelle, was Beschäftigungsgarantien anbelangt und an dem kann man es messen. Wir wollen keine Werkstätten, die nur der Beschäftigungstherapie dienen. Es läuft halt leider in Österreich vieles auf das hinaus. Aber wer Erfolge haben will am Arbeitsmarkt, muss den Anspruch haben auf eine Beschäftigungsgarantie.
Nicht alle Menschen mit Behinderungen können Vollzeit arbeiten. Um von Teilzeit-Arbeit leben zu können, braucht es für Menschen mit Behinderungen ein inklusives Arbeitszeitmodell ähnlich der Altersteilzeit. Wie stehen Sie diesem Vorschlag gegenüber?
Babler: Wie wird das genau festgemacht, am Grad der Behinderung?
Wir entwickeln gerade ein Begutachtungssystem.
Babler: Man muss jedenfalls vermeiden, dass Menschen mit Behinderungen Bittsteller vor dem begutachtenden Arzt sind, der sagt: 70 % hast du, deswegen ergibt das den vollen Bezug bei 32 Stunden. Und du hast 80 % und dein voller Bezug ist bei 22 Stunden. Man muss aufpassen, dass die Menschen nicht behandelt werden, wie wenn sie um eine Pflegestufe ansuchen. Es sollte bei der Einstufung Ihres Modells jedenfalls definiert werden, wer was festlegt, wie es wem geht.
Genau, da sind wir gerade am Basteln, aber wäre das grundsätzlich eine Idee?
Babler: Das ist eine gute Idee, die man diskutieren kann. Arbeitszeitverkürzung ist überhaupt ein guter Schlüssel. Da hast du auch als Teilzeitkraft mit weniger Stunden einen höheren Stundenlohn, davon würden vor allem Frauen profitieren . Damit haben sie später auch eine bessere Pension. Das Thema Altersarmut ist ja auch bei Menschen mit Behinderungen ein großes Thema.
Menschen mit Behinderungen haben keinen gleichberechtigten Zugang zum Gesundheitssystem. Welche konkreten Maßnahmen werden Sie setzen, um Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen?
Babler: Viele Gesundheitseinrichtungen, auch Ordinationen von praktischen Ärzten, sind nicht barrierefrei, obwohl es eigentlich Bauvorschriften gibt, aber die sind nicht bindend, obwohl es eine Absichtserklärungen der Krankenkassen mit der Ärztekammer zur Barrierefreiheit gibt. Wenn jemand eine alte Ordination übernimmt, ist schon wieder alles anders. In Traiskirchen gibt es 19 Kassenärzte, und jedes Mal, wenn eine neue Planstelle zu besetzen ist, stellt sich die Frage, ob die alte Ordination barrierefrei ist. Wir haben die Ordination einer praktischen Ärztin im ehemaligen Meldeamt im Rathaus untergebracht und eine Rampe eingebaut. Die Kosten dafür sind hoch, die hat die Stadt getragen. Natürlich geht es aber auch um Themen wie leichte Sprache, auch hier gibt es Aufholbedarf.
Danke für das Gespräch.
Service-Links
SPÖ Wahlprogramm Nationalratswahl 2024
SPÖ Wahlprogramm Nationalratswahl 2024 in Leichter Sprache
SPÖ Ideen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (2024)