Seit 28. Juni 2025 gilt das Barrierefreiheitsgesetz in Österreich. Es setzt den European Accessibility Act (EAA) um und macht digitale Barrierefreiheit erstmals verpflichtend. Diesem Gesetz, dessen Entstehung und Auswirkungen widmete sich eine ganztägige Konferenz des Österreichischen Behindertenrat mit rund 250 Teilnehmer*innen am 25. September 2025 im Veranstaltungszentrum Catamaran in Wien.
Barrieren behindern Menschen an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft. Damit ist die Barrierefreiheit eine Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen. Barrierefreiheit bedeutet aber viel mehr als nur bauliche Barrierefreiheit.
Vier Jahre, nachdem die Europäische Union im Jahr 2019 die Richtlinie über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (kurz: European Accessibility Act – EEA) erlassen hatte, erließ Österreich diese EU-Richtlinie mit dem Bundesgesetz über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (kurz: Barrierefreiheitsgesetz – BaFG) als österreichisches Gesetz. Seit 28. Juni 2025 müssen daher entsprechende digitale Produkte und Dienstleistungen in Österreich barrierefrei verfügbar sein.
Nach Begrüßungsworten von Bundespräsident Alexander van der Bellen mittels Videobotschaft sprachen Sozialministerin Korinna Schumann, Patrick Berger vom ÖGB Chancen nutzen-Büro, Behindertenrat-Präsident Klaus Widl und die Europaparlamentarierin Katrin Langensiepen bei der Jahreskonferenz des Österreichischen Behindertenrats über das Barrierefreiheitsgesetz, dessen Entstehung und Auswirkungen auf die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen.
Bundespräsident Alexander van der Bellen gab ein Bekenntnis zu einer Gesellschaft, die niemanden ausschließt, ab und betonte, dass Menschen mit Behinderungen in die Erarbeitung von Gesetze besser eingebunden werden müssen. Barrierefreiheit sei dem Bundespräsidenten zufolge nämlich kein „nice to have“, sondern müsse von Anfang an mitbedacht werden.

Klaus Widl, Präsident des Österreichischen Behindertenrats, erklärte, nachdem er sich bei den Teilnehmer*innen für deren Teilnahme an der Konferenz bedankt hatte: „Manche Produkte und Dienstleistungen müssen barrierefrei sein. Das ist ein großer Schritt nach vorne in der Gleichberechtigung. Welche Produkte und Dienstleistungen erfasst sind, welche Vorschriften es gibt und welche Mittel zur Verfügung stehen, falls diese nicht eingehalten werden, wird bei unserer Konferenz erklärt. Ebenso wird vorgestellt, wie die Marktüberwachung in der Praxis funktioniert.“ Es sei Widl zufolge wichtig, chancengleich Rechte und Möglichkeiten wahrzunehmen, damit ein selbstbestimmtes Leben überhaupt erst möglich wird.

Klaus Widl, Präsident Österreichischer Behindertenrat
Patrick Berger, Leiter des ÖGB-Chancen nutzen-Büros, erklärte: „Gutes Leben für alle voranbringen ist unser Ziel. Barrierefreiheitsgesetz ist hier ein wichtiger Baustein.“ Dabei sei Barrierefreiheit wichtig, um die allgemeine Teilhabe überhaupt zu ermöglichen und zu verbessern. Er dankte dem Behindertenrat für die Organisation der Veranstaltung, bei der diese wichtigen Themen gut präsentiert werden können.

Barrierefreiheitsgesetz ist Meilenstein für Inklusion
Sozialministerin Korinna Schumann dankte dem Österreichischen Behindertenrat für die „großartige Zusammenarbeit in dieser schwierigen Zeit“. Bei Behindertenrat-Präsident Klaus Widl bedankte sie sich dafür, dass er „in dieser herausfordernden Zeit an Lösungen und Gesprächen arbeitet“.
Schumann sieht im Barrierefreiheitsgesetz eine „Chance für alle“. Das Gesetz schaffe eine Grundlage dafür, dass „alle Menschen ihren Alltag selbstbestimmt führen können. Schließlich würden vom Barrierefreiheitsgesetz „einfach alle profitieren“. Denn Barrierefreiheit beinhalte nicht nur Rampen und ähnliche Vorrichten.“ Menschen mit Behinderungen bräuchten auch digitaler Barrierefreiheit. Das Sozialministeriumsservice Oberösterreich hat hier die Federführung übernommen“, so Schumann, der zufolge das Barrierefreiheitsgesetz ein Meilenstein für Inklusion sei. „Als Sozialministerin will ich mich dafür einsetzen, dass Inklusion nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt, sondern zur gelebten Realität wird“, betonte die Sozialministerin.

Barrierefreiheit gibt es nicht umsonst
Katrin Langensiepen, die einzige EU-Parlamentarierin mit sichtbarer Behinderung, stellte in den Fokus ihres Statements, dass es Barrierefreiheit nicht umsonst gebe. „Behinderte Menschen sind keine Bittsteller“, so Langensiepen. Vielmehr seien Menschen mit Behinderungen Steuerzahler*innen, Kund*innen und Gäste. „Wir sind Menschen, mit denen man sich besser nicht anlegt!“, verdeutlichte die Politiker*in, die für die Konferenz aus Brüssel angereist war, ihr Anliegen, Menschen mit Behinderungen ernster zu nehmen. Abschließend machte Langensiepen klar: „Wir brauchen Menschen mit Behinderungen in Machtpositionen und einflussreichen Ausschüssen. Denn es fehlt nicht an Gesetzen, sondern an deren Umsetzung.“

Katrin Langensiepen, einziges Mitglied des Europäischen Parlaments mit sichtbarer Behinderung
Ein besonderes Highlight der Konferenz war die Keynote von Shadi Abou-Zahra, dem ehemaligen Accessibility Strategy and Technology Specialist der W3C Web Accessibility Initiative. Der Titel seiner Keynote lautete „EAA-Umsetzung: Nutzer*innen im Mittelpunkt“.
Abou-Zahra erklärte, dass Standards nicht alle Situationen abdecken können. Vielmehr würden sie einen Kompromiss darstellen, da es Standards nicht gelinge, alle Arten von Behinderungen abzudecken. So gebe es etwa bei Menschen mit Lernbehinderungen unterschiedlichste Anforderungen an Barrierefreiheit. „Standards hinken stets dem technologischen Fortschritt hinterher“, verdeutlichte der Accessibility-Experte, der auch darauf hinwies, dass es inklusiverer Prozesse unter Beteiligung aller Interessenvertretungen brauche.
„Der Spirit des European Accessibility Act gibt schon viel her. Der Fokus muss aber auf die erlebte Barrierefreiheit der jeweiligen Nutzer*innen gelegt gerichtet werden“, so Abou-Zahra, der ein Plädoyer auf die Kooperation zwischen Interessenvertretungen und Stakeholdern hielt und forderte, dass Behindertenvertretungen mehr in die Standardisierung und Umsetzung involviert werden. „Es braucht mehr Fokus auf die erlebte Barrierefreiheit von Nutzer*innen und somit auch mehr Austausch und Partnerschaften mit Behindertenvertretungen. Es sollen aber auch mehr Menschen mit Behinderungen eingestellt werden“, so Abou-Zahras abschließender Appell.

Shadi Abou-Zahra, Principal Accessibility Standards and Policy Manager, bis 2021 Accessibility Strategy and Technology Specialist bei der W3C Web Accessibility Initiative
Barrierefreiheitsgesetz – Potential für gesellschaftliche Teilhabe
Nach einer Videobotschaft der EU Senior Expertin für Barrierefreiheit und assistive Technologien Inmaculada Placencia Porrero, die auch als EU-Kandidatin in UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen fungiert, sprachen Susanne Buchner-Sabathy (Expertin für digitale Barrierefreiheit), Werner Rosenberger vom Web Accessibility Certificate WACA, Renate Welter vom Österreichischen Schwerhörigenbund, Jo Spelbrink vom Verein Accessible Media, der Spezialist für Leichte Sprache und Digitales Fritz Maislinger sowie die Expertin für digitale Barrierefreiheit Verena Lenes im Rahmen einer Podiumsdiskussion über Potenziale des Barrierefreiheitsgesetzes für gesellschaftliche Teilhabe.


Jo Spelbrink, Vorsitzender Accessible Media

Werner Rosenberger, Projektleitung WACA Web Accessibility Certificate, Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs

Susanne Buchner-Sabathy, Expertin für digitale Barrierefreiheit

Verena Lenes, Expertin für digitale Barrierefreiheit
„Mein Motto: Let’s make the Web accessible!“
Friedrich Maislinger, Experte für digitale Barrierefreiheit
Im Anschluss fanden parallel drei Sessions statt. Eine widmete sich dem Barrierefreiheitsgesetz in Einfacher Sprache. Iris Grasel und Gerda Basler vom Forum Selbstvertretung im Österreichischen Behindertenrat erklärten lebensnah am Beispiel von Geldausgabeautomaten und Online-Kaufvorgängen, was das Barrierefreiheitsgesetz ist und wer sich an das Gesetz halten muss. Anschließend tauschten sich Grasel und Basler mit den Teilnehmer*innen über Herausforderungen, die sich aus dem BFG ergeben, aus und wie Bezahlvorgänge vereinfacht werden können.

Gerda Basler, Forum Selbstvertretung im Österreichischen Behindertenrat
In einer weiteren Session thematisierten Andreas Reinalter und Konrad Swietek von der Abteilung IV/1 – Behindertenrechte, Grundsatzfragen, EU, UN im Sozialministerium die Entstehung, das Ziel und den Anwendungsbereich des Barrierefreiheitsgesetzes. Sie stellten beispielsweise dar, wie es zur Rechtsmaterie gekommen ist, welche Rolle die EU dabei spielte, weshalb das Gesetz bestimmte Elemente enthält und jene, die bereits durch den European Accessibility Act vorgegeben waren, nicht im Gesetz abgebildet werden. Reinalter und Swietek berichteten weiters über die Einrichtung der Marktüberwachungsbehörde und deren Ausstattung mit den nötigen personellen Ressourcen: „Das ist alles gelungen und ein großer Erfolg.“

Mag. Andreas Reinalter,
Abteilungsleiter Sektion IV – Pflegevorsorge, Behinderten- und Versorgungsangelegenheiten, Abteilung IV/1 – Behindertenrechte, Grundsatzfragen, EU, UN im Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
Der Marktüberwachung und den Beschwerdemöglichkeiten widmete sich Nikolaus Eckereder in seiner Session. Er leitet die Abteilung Marktüberwachung digitale Barrierefreiheit in der Sozialministeriumservice (SMS) Landesstelle Oberösterreich. Eckereder berichtete über einen vom SMS entwickelten Marktüberwachungsplan, der bereits zur Prüfung eingesetzt wird. Die Behörde habe seit Inkrafttreten des Barrierefreiheitsgesetzes bereits einige Hinweise von Verbraucher*innen erhalten, die ebenfalls in Verfahrenseinleitungen resultierten. Noch sei jedoch kein Verfahren so weit, dass es zu einem Strafausspruch gekommen ist. „Den Unternehmen werden Fristen gewährt, hier nachzubessern. Und die Verfahren befinden sich gerade in diesem Stadium“, erklärte Eckereder.

Mag. Nikolaus Eckereder, Abteilungsleiter Sozialministeriumservice Landesstelle Oberösterreich, Abteilung Marktüberwachung digitale Barrierefreiheit

Accessible Europe
Das Europäische Ressourcenzentrum für Barrierefreiheit wird in Österreich von Klaus Höckner, Vorstand der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreich, vertreten. Als österreichischer Länderrepräsentant für die Umsetzung des European Accessibility Act erklärte Höckner, wer hinter Accessible Europe steckt und welchen Aufgaben sich das Referenzzentrum verschrieben hat, etwa der Unterstützung bei der Umsetzung von Rechtsvorschriften, dem Aufbau von Kapazitäten sowie dem Entwurf von Ausbildungsschienen und Zertifizierungen. Insgesamt 34 nationale Expert*innen aus den 27 Mitgliedsstaaten der EU versuchen dafür einzutreten, dass der European Accessibility Act umgesetzt wird. Zudem stellt Accessible Europe weitere Ressourcen wie beispielswiese eine Online-Bibliothek zur Barrierefreiheit, aber auch Vernetzung innerhalb eines „Commity of Practice“ zur Verfügung.

Mag. Klaus Höckner
Nationaler Experte für das AccessibleEU Centre, Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreich
Die Veranstaltung wurde via YouTube gestreamt: Livestream
UNIKATE Ideenwettbewerb
Ein weiteres Highlight war die Preisverleihung im Rahmen des UNIKATE Ideenwettbewerbs – neue Technologien für mehr Inklusion im Anschluss an die Konferenz. Im Rahmen der Veranstaltung wurden Schüler*innen und Student*innen für die Entwicklung als UNIKATE ausgezeichneter Projekte prämiert. So stellten diese beispielsweise Drohnen, die der Orientierung dienen vor, aber auch ein inklusives Brettspiel, einen Schminkroboter, einen Basketballkorb für blinde Menschen oder die Kommunikations-App „SpecialBond“. Alle UNIKATE konnten von den Konferenzteilnehmer*innen ausprobiert werden.
Auch dieser Live-Stream ist online verfügbar.
