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Startseite › Aktuelles › News › UN-Behindertenrechtskonvention: Umsetzung durch EU

UN-Behindertenrechtskonvention: Umsetzung durch EU

14. März 2025

Am 11. und 12. März 2025 unterzog sich die Europäische Union der Prüfung durch den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die Anhörung fand im Palais des Nations, dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf, statt und konnte online mitverfolgt werden.

Flagge der Vereinten Nationen weht vor blauem Himmel im Wind

Die EU hat die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) am 23. Dezember 2010 als „supranationale Organisation“ ratifiziert. Das bedeutet, dass der Ausschuss nicht die Umsetzung der UN-BRK in den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern ausschließlich der spezifischen rechtlichen Zuständigkeiten der EU überprüft. Hervorzuheben ist außerdem, dass die UN-BRK die einzige Konvention ist, die die Europäische Union als „Organisation“ bislang ratifiziert hat.

Die Staatenprüfung ist ein regelmäßiger Prozess für alle Staaten, die die UN-BRK ratifiziert haben und findet in mehrjährigen Abständen statt. So wurde beispielsweise Österreich zuletzt 2023 überprüft.[1]

Während der zweitägigen Prüfung führte der Ausschuss einen konstruktiven Dialog mit offiziellen Vertreter*innen der EU. Im Zentrum des Dialogs stand die Frage, inwiefern die EU ihre Verpflichtungen aus der UN-BRK erfüllt. Die abschließende Bewertung des Ausschusses wird entscheidend sein, um Fortschritte und bestehende Herausforderungen in der europäischen Behindertenpolitik sichtbar zu machen.

Ablauf der Prüfung und Beteiligung der Zivilgesellschaft

Bereits im Vorfeld des Dialogs hatten verschiedene Organisationen Berichte eingereicht, die als Grundlage für die Erstellung einer Fragenliste durch den Ausschuss dienten. Diese Liste musste von der Europäischen Kommission schriftlich beantwortet werden. Während des Dialogs wurden zudem weitere mündliche Fragen gestellt, die von den Vertreter*innen der EU direkt beantwortet werden mussten.

Weiteres Vorgehen

Als Ergebnis dieses Dialogs wird der Ausschuss voraussichtlich im April 2025 konkrete Handlungsempfehlungen für die EU veröffentlichen. Diese Empfehlungen werden ein wichtiges Instrument für die politischen Interessenvertretungen sein und dazu beitragen, die Umsetzung der UN-BRK in den Zuständigkeitsbereichen der EU weiter voranzutreiben.

Nun wird der zweitägige Dialog zusammengefasst und die wesentlichsten Punkte hervorgehoben.

Dialog

Neue EU-Gesetzgebung nicht konform mit der UN-BRK?

Markus Schefer, Mitglied des Ausschusses, kritisierte, dass neue EU-Gesetze nicht mit der UN-BRK im Einklang stehen. Er verwies insbesondere auf die geplante Verordnung zum grenzüberschreitenden Schutz von Erwachsenen sowie den kürzlich verabschiedeten Artificial Intelligence Act (Gesetz über Künstliche Intelligenz), in welchem zwar grundlegende Grund- und Menschenrechte berücksichtigt wurden, jedoch nicht in dem Umfang, den man sich erhofft hatte.

Markus Schefer gab hierzu an: „Ich bin mir nicht sicher, ob die notwendigen Prozesse existieren, um sicherzustellen, dass neue Gesetzgebung mit der Konvention übereinstimmt.“[2]

Eine Vertreterin der Europäischen Kommission nahm hierzu Stellung und erläuterte, dass ein Verfahren entwickelt und implementiert wurde, das darauf abzielt, die Auswirkungen neuer Gesetzesvorschläge – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht – auf Menschen mit Behinderungen systematisch zu evaluieren. Dieses Verfahren wurde speziell etabliert, um die Konformität der Gesetzesvorschläge mit der UN-BRK sicherzustellen.

Die Europäische Kommission verfügt über das Initiativrecht, d.h. das Recht, Gesetzesvorschläge vorzulegen, die in der Folge vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union beschlossen werden. Dieses soeben erwähnte Überprüfungsverfahren zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses ist zwar ein wichtiger Schritt, um die Konformität mit der UN-BRK sicherzustellen. Allerdings werden Gesetzesvorschläge im Laufe der oft jahrelangen Verhandlungen grundlegend überarbeitet, sodass das ursprüngliche Evaluierungsergebnis am Ende kaum noch relevant sein kann.

Fehlende Berücksichtigung von Frauen mit Behinderungen

Laverne Jacobs, ebenfalls Mitglied des Ausschusses, zeigte sich besorgt darüber, dass Frauen mit Behinderungen in der neuen EU-Roadmap für Frauenrechte nicht berücksichtigt wurden. Diese politische Erklärung war erst am Freitag vor dem Dialog veröffentlicht worden. Die „Roadmap für Frauenrechte“ ist eine politische Erklärung der EU, die Maßnahmen und Strategien zur Förderung der Rechte von Frauen und zur Gleichstellung der Geschlechter in der Union festlegt.[3]

Jacobs erklärte: „Es scheint keine Diskussion über Frauen mit Behinderungen in der Roadmap für Frauenrechte zu geben.“[4]

Generell wurde vom Ausschuss angemerkt, dass Frauen mit Behinderungen in der EU-Politik nicht ausreichend berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang betonte der Ausschuss, dass die Europäische Kommission dringend Maßnahmen ergreifen muss, um die Zwangssterilisation von Frauen mit Behrinderungen in der gesamten EU abzuschaffen.

Selbstbestimmt Leben

Schefer wies zudem auf eine weitere besorgniserregende Entwicklung hingewiesen: In 13 EU-Ländern leben mittlerweile mehr Erwachsene mit Behinderungen in segregierten Einrichtungen als noch vor zehn Jahren. Schefer stellte die entscheidende Frage, wie die Europäische Kommission sicherstellt, dass EU-Mittel nicht für die Finanzierung dieser segregierenden Einrichtungen verwendet werden.

Eine Vertreterin der EU betonte, dass die EU 1,7 Milliarden Euro in familien- und gemeinschaftsnahe Dienstleistungen investiert habe, was das starke Engagement der EU für die Förderung eines selbstbestimmten Lebens widerspiegle.

Hierzu ist anzumerken, dass trotz des theoretischen Verbots, EU-Gelder in institutionelle Einrichtungen zu investieren, immer wieder Beschwerden eingehen, dass diese Mittel weiterhin zur Renovierung bestehender Einrichtungen genutzt werden.[5] Auch in Österreich war dies Thema: Bereits zum zweiten Mal reichten Behindertenorganisationen eine Beschwerde gegen Österreich bei der EU-Kommission ein. Dabei ging es um die missbräuchliche Verwendung von geschätzten € 3,2 Mio. aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (E-LER), die in Tirol für die Renovierung und den Neubau von aussondernden Behinderteneinrichtungen verwendet wurden.[6] Die anhaltende EU-Finanzierung für solche Institutionen wurde im Februar 2023 auch im Bericht des UN-Sonderberichterstatters für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu seiner Reise in die Europäische Union scharf kritisiert. [7]

Exkurs: Klaus Widl, Präsident des Österreichischen Behindertenrats, hat bereits am 23. Mai 2023 beim 5. Europäischen Parlament der Menschen mit Behinderungen in Brüssel darauf hingewiesen, dass in der Europäischen Union mit öffentlichen Geldern soziale Ausgrenzung gefördert werde. „Immer wieder werden Um- und Neubauten von Heimen und sonstigen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen finanziert anstatt bedarfsgerechte, gemeindenahe und inklusive Unterstützungsleistungen zu fördern“, zeigte Widl auf. Systematische Überprüfungen und Kontrollen der Einhaltung der Vorgaben und entsprechende Sanktionen seien daher zwingend notwendig, so Widl, der dringendst dazu aufforderte, diese auf allen Ebenen einzuführen.

Anti-Diskriminierungsrichtlinie

Die EU-Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, die besonders für Menschen mit Behinderungen von zentraler Bedeutung ist, wurde nach 16 Jahren Verhandlung fallen gelassen. Schefer äußerte sich besorgt dazu: „Ich bin etwas besorgt über das Schicksal der Anti-Diskriminierungsrichtlinie.“[8]

Von der Vertreterin der Europäischen Kommission wurde jedoch angemerkt, dass dies noch nicht endgültig beschlossen sei und es eine Frist von sechs Monaten gebe, innerhalb derer eine finale Entscheidung getroffen werden könnte. Diese Antwort ist jedoch wenig zufriedenstellend, da eine Einigung innerhalb der nächsten sechs Monate als sehr unrealistisch gilt und derzeit auch keine Alternativvorschläge auf dem Tisch liegen.

EU-Institutionen und Mitarbeiter*innen mit Behinderungen

Berichte zeigen, dass der EU-Bewerbungsprozess von Anfang an erhebliche Barrieren für Menschen mit Behinderungen aufweist, insbesondere durch unzugängliche Rekrutierungsverfahren des Europäischen Personalbeschaffungsamts (EPSO).[9]  Der Ausschuss forderte die EU auf, ihre Prozesse zu verbessern, um Bewerber*innen mit Behinderungen besser zu unterstützen.

Diese Probleme setzen sich auch nach der Einstellung fort, da es an umfassenden Richtlinien für angemessene Vorkehrungen am Arbeitsplatz mangelt. Mitarbeitende und Bürger*innen mit Behinderungen haben zudem große Schwierigkeiten, die Gebäude und digitalen Werkzeuge der EU-Institutionen zu nutzen, da diese oft nicht den internationalen und europäischen Barrierefreiheitsstandards entsprechen.

Resümee

Die Fragen des UN-Ausschusses verdeutlichen, dass weiterhin erheblicher Handlungsbedarf besteht, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der EU-Politik umfassend zu verankern. Die endgültigen Handlungsempfehlungen des Ausschusses, die für April 2025 erwartet werden, könnten wichtige Impulse für notwendige Reformen liefern.

Service Links

Das European Disability Forum hat einen eigenen Bericht im Vorfeld eingebracht (Englisch):
Alternative report for the second review of the European Union by the CRPD Committee

Easy to Read version (Englisch): EDF alternative CRPD report ETR

List Of Issues

Verweise

[1] Staatenprüfung zur Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention – Österreichischer Behindertenrat

[2] Zitat auf Englisch, wortwörtliche Übersetzung durch Victoria Biber.

[3] The EU Roadmap for Women’s Rights: a renewed push for gender equality – European Commission

[4] Zitat auf Englisch, wortwörtliche Übersetzung durch Victoria Biber.

[5] Alternative report for the second review of the European Union by the CRPD Committee S. 67

[6] Behindertenorganisationen bringen wegen missbräuchlicher Verwendung von EU-Mitteln zweite Beschwerde gegen Österreich ein – BIZEPS, EU-Strukturfonds werden in Österreich zur Aussonderung von Menschen mit Behinderungen verwendet – BIZEPS;

[7] UNSR-Report-on-visit-to-Europe.pdf

[8] Zitat auf Englisch, wortwörtliche Übersetzung durch Victoria Biber.

[9] Decision on how the European Personnel Selection Office (EPSO) handled a request for the reasonable accommodation of the needs of a candidate with disabilities in the context of an EU staff selection procedure (case 173/2023/VS) | Decision | European Ombudsman

von Victoria Biber

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