Der für die UN-Behindertenrechtskonvention zuständige Ausschuss plant die Erstellung eines Leitfadens zu intersektionaler und Mehrfachdiskriminierung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen.
In diesem Zusammenhang wurde ein „Call for Input“ also ein Aufruf, Informationen und Sichtweisen zu schildern, gestartet, an dem sich der Österreichische Behindertenrat beteiligt hat.
Diskriminierungsschutz
Die Eingabe startet mit einem Überblick über den vorhandenen Diskriminierungsschutz. Hier wird auf Fragen, die den Ausschuss besonders interessieren, etwa ob und inwiefern auch angemessene Vorkehrungen umfasst sind, und welche Diskriminierungsgründe es gibt, eingegangen.
Es wird aufgezeigt, dass es abseits der Bereiche Behinderung, Geschlecht und ethnische Herkunft keinen umfassenden gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung Bundesebene gibt. Die anderen Diskriminierungsgründe (sexuelle Orientierung, Religion oder Weltanschauung und Alter) gelten nur im Bereich der Beschäftigung.
Fällt die Diskriminierung in die Regelungskompetenz der Bundesländer, muss sie in einem gesonderten Verfahren geltend gemacht werden. Hier kann das Schutzniveau von jenem auf Bundesebene abweichen. Betreffend des Diskriminierungsschutzes wurde einerseits veranschaulicht, dass Mehrfachdiskriminierung ausdrücklich gesetzlich erwähnt wird. Andererseits wurde auch aufgezeigt, dass die Tatsache, dass Diskriminierungen mit jedem zusätzlichen Diskriminierungsgrund nicht nur zunehmen, sondern exponentiell wachsen, wenig, bis gar keine Beachtung findet.
Österreich verfügt über keine systematischen Maßnahmen oder politischen Rahmenbedingungen zur effektiven Verhinderung von intersektionaler und Mehrfachdiskriminierung. Dies wird sowohl in der Frauen- als auch in der Behindertenpolitik deutlich.
Rechtsschutz
Abgesehen vom Vorgehen gegen große Unternehmen fehlen im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz noch immer Bestimmungen über Unterlassungsklagen oder Ansprüche auf Beseitigung von Barrieren oder diskriminierendem Verhalten. Dies schränkt die Wirksamkeit des Rechtsschutzes erheblich ein. Immerhin ist vorgesehen, dass Mehrfachdiskriminierungen bei der Festlegung der Höhe der Entschädigung für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot berücksichtigt werden.
Die Gleichbehandlungsanwaltschaft ist die zuständige Behörde für alle Diskriminierungsgründe mit Ausnahme von Behinderung. Daher ist sie nicht zuständig für Fälle von intersektionaler und Mehrfachdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen, wenn einer der geltend gemachten Diskriminierungsgründe Behinderung ist. Das bedeutet, dass die Betroffenen bereits während der Beratungen vor der eigentlichen Rechtsdurchsetzung strategisch entscheiden müssen, ob sie Behinderung als einen der Diskriminierungsgründe geltend machen, da diese Entscheidung zu unterschiedlichen Rechtsdurchsetzungswegen führt.
Sobald Behinderung als Grund für die Diskriminierung genannt wird, ist verpflichtend ein Mediationsverfahren beim Sozialministeriumsservice durchzuführen, bevor eine Klage vor einem Zivilgericht eingereicht werden kann.
Daten
Die Diskriminierungen, der Frauen mit Behinderungen ausgesetzt sind, sind offensichtlich, aber schwer zu beziffern, da diese Diskriminierungen oft nicht gemeldet werden. Das Fehlen zuverlässiger Daten zu allen Bereichen – mit Ausnahme der Beschäftigung – in Bezug auf Frauen mit Behinderungen ist in Österreich nach wie vor ein großes Problem.
Gruppen von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die von intersektionaler und Mehrfachdiskriminierung betroffen [VB1] sind
Hier werden in der Eingabe Gruppen aufgezählt. Einerseits wird inhaltlich vorgebracht, inwiefern sie betroffen sind; andererseits wird auf den danach folgenden Text verwiesen.
- Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die in ländlichen oder abgelegenen Gebieten leben
- Frauen und Mädchen mit Behinderungen aus ethnischen Minderheiten; Asylsuchende oder Frauen und Mädchen mit Behinderungen auf der Flucht oder mit Migrationsgeschichte
- Ältere Frauen mit Behinderungen
- Junge Mädchen mit Behinderungen
- Frauen und Mädchen mit Lernschwierigkeiten oder psychosozialen Behinderungen
- Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben
- Frauen und Mädchen mit Behinderungen im Sinne der UN-BRK, denen dieser Status von den österreichischen Behörden verweigert wird
- Mütter mit Behinderungen, Mütter von Kindern mit Behinderungen und Frauen mit Behinderungen, die Kinder haben möchten
- Frauen mit Behinderungen, die eine Erwachsenenvertretung haben
- Mädchen* und Frauen* mit Behinderungen, die Mitglieder der LGBTIQ+-Gemeinschaft sind oder eine andere sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität haben
Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen
Frauen mit Behinderungen sind in Österreich deutlich häufiger von Gewalt betroffen. Obwohl wichtige Erkenntnisse zu diesem Thema bekannt sind, bleiben wirksame Maßnahmen und umfassende Forschungsarbeiten nach wie vor begrenzt.
In der Folge wurde zu folgenden Bereichen näher vorgebracht:
- Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen
- Sexuelle Gewalt
- Zwangssterilisation und Zwangsverhütung
- Menschenhandel
- Hassrede
Lebensbereiche
Die Eingabe gipfelt mit einer Aufstellung jener Lebensbereiche, in denen Frauen und Mädchen mit Behinderungen intersektionaler und Mehrfachdiskriminierung besonders ausgesetzt sind.
Wohnen
Die Abhängigkeit von Frauen mit Behinderungen von Einrichtungen ist größtenteils die Folge fehlender Investitionen und Bemühungen, gemeindenahe Wohn- und Unterstützungsangebote bereitzustellen. Diese Abhängigkeit führt zu einem Machtungleichgewicht, das verschiedene Formen von Gewalt, insbesondere sexuelle Gewalt, begünstigt.
Bildung und Fortbildung
Das Bildungssystem in Österreich ist nach wie vor eher exklusiv als inklusiv, da Menschen mit Behinderungen in vielen Fällen von Anfang an getrennt in separaten Einrichtungen unterrichtet werden.
Geschlechterrollen und Stereotypen werden in Unterrichtsmaterialien, einschließlich Lehrbüchern perpetuiert. Bezeichnend ist daher die hohe Anzahl von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in traditionell von Frauen dominierten Studienfächern und ihre Unterrepräsentation in den MINT-Fächern. Darüber hinaus mangelt es auf allen Bildungsebenen an inklusiven Ausbildungsmöglichkeiten, die auf die Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen zugeschnitten sind. Im Allgemeinen gehen die Ausbildungsmöglichkeiten nicht auf die intersektionalen Herausforderungen ein, mit denen Frauen mit Behinderungen konfrontiert sind. Nur etwa halb so viele Frauen mit Behinderungen wie Männer mit Behinderungen verfügen über einen Lehrabschluss. Für die wenigen, die eine Hochschulausbildung erreichen, gibt es keine spezifischen Stipendien, was zu hohen Abbruchquoten und/oder einer Spannung zwischen anhaltender Überforderung und Erschöpfung führt.
Zugang zum Recht
Frauen mit Behinderungen, die Opfer von Gewalt sind, sind beim Zugang zur Justiz und wirksamer Unterstützung während Gerichtsverfahren mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Es mangelt an barrierefreiem Zugang zu Gerichtsgebäuden, barrierefreier Kommunikation, einschließlich leicht verständlicher Sprache und Pausen während der Verhandlungen für Frauen mit psychosozialen Behinderungen und/oder Lernschwierigkeiten.
Arbeit
In Österreich ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Behinderungen geringer als die von Frauen ohne Behinderungen und geringer als die von Männern mit Behinderungen.
Frauen mit Behinderungen übernehmen nach wie vor häufig Pflegeaufgaben, und der Mangel an Persönlicher Assistenz schränkt die Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen mit Behinderungen weiter ein. Infolgedessen sind Frauen mit Behinderungen öfter gezwungen, Teilzeitjobs anzunehmen, und sind überwiegend in schlecht bezahlten, spezifisch weiblichen Berufsfeldern und auf niedrigeren Hierarchieebenen beschäftigt, was ihr Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung erhöht. Laut dem Gleichstellungsindex 2024 sind Frauen mit Behinderungen stärker von Armut betroffen als Frauen ohne Behinderungen und Männer mit Behinderungen.
Niedrige Einkommen, unbezahlte Pflegearbeit und geringe Pensionszahlungen verstärken die Anfälligkeit von Frauen für Armut zusätzlich. Innerhalb der Gruppe der Frauen sind alleinerziehende Mütter, Frauen mit Behinderungen, Frauen mit Migrationshintergrund und ältere Frauen, die allein leben, besonders betroffen.
Politische Teilhabe
Frauen und Mädchen mit Behinderungen sowie ihre Vertretungsorganisationen werden selten aktiv in die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen miteinbezogen.
Sie sind auch in politischen Entscheidungspositionen – insbesondere auf Landes- und Gemeindeebene – sowie in Führungs- und Managementpositionen sowie in den Vorständen privater Unternehmen deutlich unterrepräsentiert.
Es mangelt an finanzierten und systematischen Maßnahmen, um die Unterrepräsentation von Frauen mit Behinderungen und den sie vertretenden Organisationen im politischen und öffentlichen Leben zu bekämpfen und ihre Teilhabe an der Politik in allen Bereichen sicherzustellen.
Gesundheitssystem
Der österreichische Frauengesundheitsbericht aus dem Jahr 2022 zeigte, dass Frauen insgesamt länger leben als Männer. Allerdings verbringen Frauen mehr Zeit bei schlechter Gesundheit. Der erhebliche Mangel an barrierefreien Gesundheitseinrichtungen und gesundheitskassenfinanzierten gynäkologischen Praxen stellt Frauen und Mädchen mit Behinderungen vor erhebliche Herausforderungen.
Selbstbestimmung
In ländlichen Gebieten mangelt es an Angeboten. Dies betrifft insbesondere Frauen mit psychosozialen Behinderungen und/oder Lernschwierigkeiten, die in Einrichtungen leben, aber auch Frauen mit körperlichen Behinderungen, vor allem in Gebieten mit schlecht ausgebautem barrierefreiem Nahverkehr. Der mangelnde Zugang zu Persönlicher Assistenz, insbesondere für Freizeitaktivitäten, führt zu einer erhöhten Abhängigkeit.
Empowerment von Frauen und Mädchen mit Behinderungen spielt systematisch und finanziell eine sehr untergeordnete Rolle, und die vorhandenen Angebote sind bis an ihre Grenzen ausgelastet. Das Konzept der Selbstvertretung wird jungen Menschen mit Behinderungen kaum vermittelt, und Mädchen mit Behinderungen werden noch weniger dazu befähigt, für sich selbst einzustehen. Insbesondere der Mangel an Wissenstransfer zu Frauenfragen, feministischer Grundbildung und die Wahrnehmung der eigenen Person als Frau sowie die Reflexion über diese Themen werden von Vertretungsorganisationen kritisiert.
Privat- und Familienleben
Frauen und Mädchen mit Behinderungen erhalten oft keine Aufklärung über sexuelle und reproduktive Gesundheit. Dies führt zu Schwierigkeiten, autonome Entscheidungen über Sexualität und Familienplanung zu treffen und diese zu äußern.
Frauen mit Behinderungen, die eine Erwachsenenvertretung haben, können ihr Recht auf Eheschließung ohne die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters nicht ausüben.
Die Themen Sexualität von Frauen mit Behinderungen sowie der Kinderwunsch, die Erfahrung von Schwangerschaft und Mutterschaft, insbesondere bei Frauen mit psychosozialen Behinderungen und/oder Lernschwierigkeiten, sind in Österreich nach wie vor Tabuthemen. Viele Frauen mit psychosozialen Behinderungen und/oder Lernschwierigkeiten Behinderungen haben kaum Zugang zu Beratungsangeboten über ihre Sexualität oder ihrem Kinderwunsch.
In Österreich mangelt es an angemessenen und spezifischen Hilfsangeboten für Mütter mit Behinderungen, insbesondere für Mütter mit psychosozialen Behinderungen und/oder Lernschwierigkeiten und alleinerziehende Mütter von Kindern mit Behinderungen.
Medien
Menschen mit Behinderungen sind in den österreichischen Massenmedien deutlich unterrepräsentiert und nur etwa ein Drittel der dargestellten Personen mit Behinderungen sind Frauen mit Behinderungen.
Beispiele für positive Initiativen, Pläne, Programme, Strategien oder Rechtsvorschriften
Am Ende der Eingabe wird auf Good practices eingegangen.
Es gibt zwar einige positive Beispiele für Initiativen, denen jedoch gemeinsam ist, dass sie größtenteils aus eigener Initiative der Community der Frauen mit Behinderungen entstanden sind. Die Mitgliedsorganisation des Österreichischen Behindertenrats „FmB – Interessenvertretung Frauen mit Behinderungen” und das Kompetenzteam „Frauen mit Behinderungen” des Österreichischen Behindertenrats sind zwei Beispiele dafür.
Als weiteres positives Beispiel ist Ninlil, eine NGO mit Sitz in Wien, die Peer-Beratung, Beratungsdienste, Empowerment und Networking für Frauen mit Behinderungen anbietet. Allerdings ist die Finanzierung hier ein immer wiederkehrendes Thema und derzeit gibt es keine Bestrebungen seitens der öffentlichen Hand, diese Angebote in ganz Österreich verfügbar zu machen und ausreichende Mittel dafür bereitzustellen.
Zuletzt wurde der sich in Entwicklung befindliche Aktionsplan gegen Gewalt gegen Frauen und die begrenzte Einbindung des Österreichischen Behindertenrats bzw. von den die Interessen von Frauen mit Behinderungen vertretenden Organisationen an diesem Prozess thematisiert.
Service-Links
Submission guidelines multiple and intersectional discrimination Austrian Disability Council (PDF)
ÖBR-Beteiligung an UN-Guidelines zu intersektionaler und Mehrfachdiskriminierung (PDF)