Als Präsident des Österreichischen Behindertenrates, Präsident des ÖZIV Bundesverbandes, Vorstandsmitglied von dabei-austria und Leiter des Chancen-Nutzen Büros im ÖGB setzte sich Herbert Pichler für Menschen mit Behinderungen ein. Sein tragischer Tod bewegte weit über die Gemeinschaft der Menschen mit Behinderungen hinaus. Mit 56 Jahren wurde Herbert am Höhepunkt seiner Karriere aus dem Leben gerissen. Drei Organisationen taten sich zusammen und gestalteten eine Erinnerungsschrift.PDF. Der Österreichische Behindertenrat, der Dachverband berufliche Integration dabei-austria und der ÖZIV Bundesverband stellten sich dieser Herausforderung. Die Öffentlichkeitsarbeiter*innen der drei Organisationen widmeten sich diesem Projekt, beginnend im Mai 2021. Heidemarie Egger (Österreichischer Behindertenrat), Doris Kreindl (ÖZIV Bundesverband), Hansjörg Nagelschmidt (ÖZIV Bundesverband) und Monika Thurner (dabei-austria) recherchierten in Medienberichten, Videos, Büchern und führten zwölf Interviews. Hinzu kamen eigene Erfahrungen der intensiven Zusammenarbeit mit Herbert Pichler, denn die Öffentlichkeitsarbeit war ein wichtiges Werkzeug für ihn. Es wurde versucht, dem langjährigen, erfolgreichen Wirken in unterschiedlichsten Funktionen von Herbert Pichler und dem Menschen Herbert mit seinen unterschiedlichen Facetten gerecht zu werden. Ein Exemplar kann gerne kostenlos beim Österreichischen Behindertenrat bestellt werden.
Nachruf auf Herbert Pichler
Von Hansjörg Nagelschmidt (erschienen im ÖZIV INKLUSIV 2/2021)
Anfang April wurde unser Präsident Herbert Pichler ganz plötzlich bei einem tragischen Autounfall mitten aus dem Leben gerissen. Aus einem Leben, in dem er es nicht immer leicht hatte. Dass er 2017 Präsident des Behindertenrats und 2019 ÖZIV-Präsident wurde, war nicht unbedingt vorgezeichnet. Herbert Pichler wurde 1964 in Passau geboren. Dass seine Kindheit mit einer Behinderung schwierig war, hat er immer wieder erzählt. Als Kind seiner Zeit wurde er bei seinen Großeltern „versteckt“. In relativ jungen Jahren kam er in eine Sonder-Schule und Heim nach Wien, wo er und seine Schulkolleg*innen strukturelle Gewalt erfahren mussten. Diese Erfahrungen motivierten ihn später auch ganz besonders dazu, sich für inklusive Bildung und verbesserte Bildungschancen für Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Herbert selbst musste Schulbildung aufgrund der Umstände nachholen: zuerst machte er den Abschluss der Handelsschule, später die Matura und begann ein Jus-Studium. Diese Umwege für andere zu verkürzen und für Chancengleichheit zu sorgen, wurde ihm aus eigenem Erleben ein dringendes Anliegen.
Gleichberechtigung für ALLE!
Ebenso, was die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt betrifft. Sein Einstieg ins Berufsleben war für die Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen nämlich symptomatisch: bei einem Versicherungsunternehmen wurde er allein in ein fensterloses Büro gesetzt, wo er den ganzen Tag Ordner mit Etiketten bekleben musste und andere Tätigkeiten verrichtete, die seinen Talenten nicht gerecht wurden. Der Anblick eines Kollegen mit Behinderungen sei den anderen nicht zuzumuten, Kundenkontakt stand sowieso außer Frage, musste er sich damals sagen lassen. Später erzählte er diese „Sonder-Behandlung“ mit einem Augenzwinkern – aber sie trug wohl wesentlich zu seinem Engagement für Menschen mit Behinderungen bei. Im Nachhinein betrachtet, war es daher kein Wunder, dass Herbert zum Aktivisten wurde, um sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Mit der ihm eigenen Beharrlichkeit schaffte er es, Verantwortliche beim Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) zu überzeugen, dass die Rechte von Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen dringend gestärkt werden müssen. So erhielt er schließlich die Möglichkeit, beim ÖGB, das „Chancen-Nutzen-Büro“ aufzubauen. Mit dem Chancen-Nutzen-Büro konnte das Thema Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen nachhaltig in der sozialpartnerschaftlichen Arbeit etabliert werden. Der Vernetzungs-Künstler Herbert selbst verfolgte unermüdlich seine Ziele, suchte die Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten und Gegner*innen gleichermaßen und baute sich mit der Zeit ein unglaubliches Netzwerk auf, das er nützte um Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen zu erreichen. Wie er es genau schaffte, dieses Netzwerk aufzubauen und auch zu pflegen, war nicht immer ganz klar – wahrscheinlich halfen sein Charme ebenso wie seine Beharrlichkeit. Jedenfalls hatte er stets die richtige Telefonnummer parat, um seine Anliegen den richtigen Personen vorzutragen, damit sich etwas bewegt oder zum Besseren verändert. Diskussionen ist er nie ausgewichen, letztendlich aber – so berichteten uns in den letzten Wochen viele politische Entscheidungsträger*innen – ging es Herbert immer um den tragfähigen Kompromiss. Was nicht bedeutete, dass er nicht schon längst den nächsten Schachzug in Planung hatte…
Früh kam er logischerweise auch mit dem ÖZIV in Kontakt, bekleidete bald Funktionen im ÖZIV und absolvierte sogar die ÖZIV-Coaching-Ausbildung, ein wichtiger und entscheidender Meilenstein in seinem Leben, wie er oftmals betonte. In der Folge erkannte er, wie wichtig es ist in Organisationen und Gremien vertreten zu sein, um Menschen mit Behinderungen adäquat vertreten zu können. Herbert wurde zum „Multi-Funktionär“ im besten Sinne – nicht für sich selbst und um der Funktionen willen, sondern um sich für alle Menschen mit Behinderungen einzusetzen. 2017 trat er schließlich die Nachfolge von Klaus Voget als Präsident des Österreichischen Behindertenrats an, 2019 wurde er auch zum ÖZIV-Präsidenten gewählt. Die letzten 2 Jahre waren sicher seine erfolgreichsten, und Kraft seiner Ämter konnte er Vieles bewegen.
Einer seiner letzten großen Erfolge ist für Herbert exemplarisch: die Impfpriorisierung für Menschen mit Behinderungen, die er gemeinsam mit Martin Ladstätter (BIZEPS) und Gregor Demblin (myAbility) erreichte. Diese Kooperationspartner auch zu nennen war ihm wichtig, die Lorbeeren allein für sich beanspruchen, das wollte er nicht.
Film & Fußball
Seine zwei großen privaten Hobbies betrafen Filme (er besaß eine riesige Film-Sammlung) und Fußball. Seinen Lieblingssport übte er als Zuseher ebenso begeistert aus – insbesondere wenn „seine Bayern“ in der Championsleague spielten – wie als Aktiver auf den Fußballfeldern. Die Mehrzahl ist hier mit Absicht gewählt, denn Herbert spielte mit Begeisterung bei vielen unterschiedlichen Teams bzw. Clubs mit. Das gemeinsame Fußballspielen von Menschen mit und ohne Behinderungen war für ihn der Inbegriff der Inklusion, die er gerne in allen Lebensbereichen verwirklicht gesehen hätte. Allen, die mit Herbert zusammenarbeiteten – egal ob Kooperationspartner*innen oder Mitarbeiter*innen – war bekannt, dass Herbert beinahe rund um die Uhr erreichbar und im Einsatz war. Manche trieb er mit seiner Unpünktlichkeit oder den „verspäteten“ Rückrufen auch gelegentlich zur Verzweiflung, aber wenn Herbert dann anrief, hatte man seine (fast) ungeteilte Aufmerksamkeit und aus beruflichen Gesprächen wurde oft auch privater Austausch. Herbert war ein Großer in der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen, ein Aktivist und Verbinder – er hinterlässt eine große Lücke, die kurzfristig nicht zu schließen ist. Viele Organisationen verlieren einen engagierten und loyalen Mitstreiter mit fester Handschlagqualität, wir verlieren einen Präsidenten mit strategischem Weitblick und einen charmanten und loyalen Freund. Herbert, wir werden dich nie vergessen!