„Menschenrechte sind kein Luxus.“ Julia Moser, Vorsitzende des Unabhängigen Monitoringausschusses, setzt sich für die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein.
Als Vorsitzende des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen steht Julia Moser an einer zentralen Schnittstelle zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Menschenrechtsarbeit. Ihr Ziel: die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Österreich.
Im Gespräch mit dem Österreichischen Behindertenrat gibt Julia Moser Einblick in Fortschritte und Rückschritte, beleuchtet die Situation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, intersektionale Perspektiven und den langen Weg zu einer wirklich inklusiven Gesellschaft.
2025 rückte der Monitoringausschuss das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in den Mittelpunkt. Julia Moser erklärt, warum ihre Stimmen in der Gesellschaft noch zu leise sind, welche politischen Schritte jetzt nötig sind – und weshalb Menschenrechte keine Frage des Budgets sein dürfen.
Österreichischer Behindertenrat: Liebe Julia, du übernimmst in einer zentralen Funktion eine große Verantwortung für die Rechte von Menschen mit Behinderungen – und 2025 steht besonders das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen im Fokus. Was treibt dich persönlich an, diese Aufgabe mit so viel Engagement und Tatkraft anzugehen?
Julia Moser: Ich setze mich schon seit vielen Jahren in führenden Rollen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein, und die Grundlage meines Handelns war immer die UN-Behindertenrechtskonvention. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass es viele Player braucht, um gemeinsam die Umsetzung der UN-BRK voranzutreiben. Das muss aus allen Richtungen kommen und auf allen Ebenen passieren. Es ehrt mich daher besonders, nun als Vorsitzende des Unabhängigen Monitoringausschusses für die Überwachung der Umsetzung der UN-BRK auf Bundesebene verantwortlich zu sein.
Bevor wir auf einzelne Themenfelder eingehen, lass uns einen Blick auf deine Rolle im Ausschuss werfen.
Welche Bedeutung hat es für dich persönlich, den Ausschuss im Team mit Daniela Rammel und Silvia Oechsner zu führen?
Julia Moser: Die Vorsitzaufgaben sind sehr vielfältig. Es war uns daher wichtig, die Verantwortung für diese Aufgaben als Team zu übernehmen. Einerseits bedeutet dies ein barrierefreies und inklusives Arbeiten sowie Vereinbarkeit mit Beruf und Familie. Andererseits können Aufgaben nach persönlichen Stärken aufgeteilt werden. Das ist wichtig, da der Unabhängige Monitoringausschuss österreichweit zuständig ist, und hohe Verantwortung trägt.
Warum wurde 2025 explizit das Thema Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen ausgewählt? Was möchte der Monitoringausschuss damit erreichen?
Julia Moser: Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sind in der Gesellschaft weitgehend unsichtbar. Am meisten wissen wir noch von ihrer (fatalen!) Situation im Bildungssystem. Wir wissen jedoch wenig über ihre persönlichen Lebensrealitäten, Wünsche und Ideen in den verschiedensten Lebensbereichen, wie z.B. Freizeitaktivitäten, Freundschaften, Familienleben, ehrenamtlichem Engagement. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen haben in Österreich kaum eine Stimme – wir wollen, dass es dafür künftig Ressourcen gibt, so wie es die UN-BRK vorsieht. Mit unserer Öffentlichen Sitzung im Oktober 2025 setzten wir den Startpunkt für einen solchen Prozess.
Der Monitoringausschuss hat die Aufgabe, die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu prüfen und auf Missstände hinzuweisen. Dabei spielen die inhaltlichen Schwerpunkte eine wichtige Rolle. Inwieweit hilft das breite Expertiseprofil des Ausschusses – etwa zu De-Institutionalisierung, inklusiver Bildung und intersektionaler Diskriminierung – bei der praktischen Umsetzung der UN-BRK?
Julia Moser: Die UN-BRK betrifft alle Lebensbereiche. Der breite Blick, den die Ausschussmitglieder mit ihren jeweiligen Expertisen haben, ist wesentlich, um gemeinsam die Überwachungsaufgabe bestmöglich wahrnehmen zu können. In Österreich fehlt noch ein Bewusstsein dafür, wie sich Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung in allen Lebensbereichen auswirken. So ist etwa eine geflüchtete Frau mit einer Sehbehinderung nie einfach nur eine geflüchtete Person, nie einfach nur eine Frau und nie einfach nur eine Person mit Behinderungen – Diskriminierungen wirken zusammen und verstärken sich. Das muss ebenso adressiert werden, und auch dafür haben wir wichtige Expertise im Ausschuss.
Welche aktuellen Entwicklungen oder Rückschritte, beispielsweise im Erwachsenenschutzrecht, bereiten dir Sorgen?
Julia Moser: Ich finde es besorgniserregend, dass Österreich sogar dort Rückschritte macht, wo es einst international als Vorreiter galt. Das haben wir deutlich im Erwachsenenschutzrecht gesehen. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2025 wurden positive Schritte der letzten Jahre zunichte gemacht – obwohl diese gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen und deren Organisationen erarbeitet worden waren. Zwar könnten ursprüngliche Verschlechterungen nachträglich noch etwas abgemildert werden, insgesamt gibt es hier noch Handlungsbedarf. Wichtig ist hier vor allem die Rückkehr zu einem partizipativen Prozess, dessen Ergebnisse dann auch umgesetzt werden. Auch in anderen Bereichen gibt es Rückschritte. Wenn Baunormen der Länder die Vorgaben zur Barrierefreiheit abschwächen, entsteht noch weniger barrierefreier Wohnraum. Das behindert den Prozess der De-Institutionalisierung. Oder wenn neue Sonderschulen gebaut werden, anstatt das Schulsystem in ein längst überfälliges inklusives Modell zu überführen. Und wenn in Zeiten des Spardrucks die Beschneidung von Menschenrechten damit legitimiert wird, dass „alle beitragen müssen“ – da sagt die UN-BRK ganz klar: Das Budget kann nie die Ausrede für die Verletzung von Menschenrechten sein.
Von der Analyse zur Wirkung: Die Arbeit des Ausschusses endet nicht beim Aufzeigen von Problemen, sondern soll auch konkrete Veränderungen anstoßen. In der Pressekonferenz vom 13. Juni 2025 kritisiertest du gemeinsam mit dem Behindertenrat und der Volksanwaltschaft geplante Änderungen im Budgetbegleitgesetz, die die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen einschränken würden. Welche Schritte folgen daraus politisch?
Julia Moser: Der Dialog mit den relevanten Stakeholdern ist wesentlich. Gleichzeitig muss auch klar sein: Der Monitoringausschuss ist ein Überwachungsorgan, keine Interessensvertretung. Es ist wichtig, dass diese Rollen entsprechend wahrgenommen werden. Das hat gerade beim Thema Erwachsenenschutzrecht hervorragend funktioniert. Ich schätze die konstruktive Zusammenarbeit.
Welche Rolle spielt deine Stimme als Vorsitzende des Ausschusses bei der Durchsetzung der UN-Fachausschuss-Empfehlungen gegenüber der neuen Regierung?
Julia Moser: Meiner Erfahrung nach sind konstruktive Austausche sowie das konkrete Aufzeigen von Problemfeldern und Lösungsmöglichkeiten wesentlich. Die Handlungsempfehlungen sind hier eine zentrale Leitlinie, da sie klar benennen, was diese Handlungsfelder sind.
Ein zentrales Instrument der Ausschuss-Arbeit sind öffentliche Sitzungen, die Raum für Dialog und Beteiligung bieten. Wie nutzt der Monitoringausschuss solche Formate, um Veränderungen anzustoßen?
Julia Moser: Die Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen sind entscheidend, um Umsetzungsversäumnisse und nötige Schritte zu benennen. Der Einbezug von Menschen mit Behinderungen in der Umsetzung der UN-BRK ist ein wesentlicher Grundsatz. Öffentliche Sitzungen schaffen den Raum dafür, und sie machen Problemlagen sichtbar. Im Anschluss entstehen Stellungnahmen, die als weitere Grundlage in unserer Arbeit dienen.
Welche Themen standen bei der öffentlichen Sitzung am 13. Oktober 2025 zum Schwerpunktthema „Aufwachsen mit Behinderungen“ besonders im Fokus?
Julia Moser: Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sind unser Fokus 2025. Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns gelungen ist, eine hohe Beteiligung von jungen Menschen mit Behinderungen zu erreichen. Sie haben selbst Stellung bezogen zu ihren Lebensrealitäten. Dabei haben wir gemeinsam verschiedene Themen bearbeitet, z.B. Bildung, Arbeit, Liebe und Partnerschaft, Freizeit, oder Familienleben. Das ist ein ganz wichtiger Startpunkt, die Stimmen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen hörbar und sichtbar zu machen. Ganz wichtig sind ausreichend Ressourcen, damit Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sich künftig empowern und selbst vertreten können.
Lass‘ uns zum Abschluss den Blick nach vorne richten. Wenn wir im Jahr 2029 am Ende deiner Funktionsperiode zurückblicken: Worauf möchtest du besonders stolz sein?
Julia Moser: Wenn wir als Monitoringausschuss sagen können, „Wir haben Menschenrechte konkret gemacht – nicht als Ideal, sondern als Anspruch. Und wir haben dabei den Stimmen von Menschen mit Behinderungen Raum gegeben, die zuvor nicht gehört wurden.“
Welche strukturellen Veränderungen wünschst du dir im Sinne der UN-BRK – etwa im Bildungssystem, im Kinderschutz oder in Unterstützungsstrukturen?
Julia Moser: Die UN-BRK darf nicht weiter als ein lästiger völkerrechtlicher Vertrag gesehen werden, dessen Umsetzung einfach nur Geld kostet. Sondern die UN-BRK muss als wesentliche Grundlage für eine inklusive Gesellschaft gesehen werden, als Leitfaden zur Umsetzung. Und es muss klar sein, dass es dafür Geld braucht, und dass Bund, Länder und Gemeinden konstruktiv an der Umsetzung arbeiten müssen. Ein Haus ohne Fenster ist auch billiger als ein Haus mit Fenstern – dennoch stellt niemand in Frage, dass Häuser mit Fenstern gebaut werden. Es ist notwendig, es ist selbstverständlich.
Danke für das Gespräch.