Interview mit Harald Vilimsky, Spitzenkandidat FPÖ für die EU-Wahl am 9. Juni 2024
Martin Ladstätter: Die European Disability Card, der Europäische Behindertenausweis, ist Ihnen ja bekannt. Was halten Sie vom Europäischen Behindertenausweis? Und welche Maßnahmen müssten Ihrer Meinung nach noch gesetzt werden, um die Richtlinie bestmöglich in nationales Recht umzusetzen?
Harald Vilimsky: Wir unterstützen diese Initiative vor allem vor dem Hintergrund, dass Betroffene sehr stark dahinter sind, um auf Ebene der Europäischen Union zumindest eine gleiche Definition zu haben, eine Ausweichmöglichkeit zu haben, und damit den Zugang zu kulturellen Einrichtungen und sonst für Menschen mit Behinderung wichtigen Einrichtungen sicherzustellen. Dies soll durch bestimmte unterstützende Bedingungen möglich werden. Das unterstützen wir mit allem Nachdruck, wie wir alles unterstützen, um Menschen mit Behinderungen das Leben einfacher zu machen.
Uns unterscheidet, was Europapolitik und Menschen mit Behinderungen anbelangt, ein Punkt von den anderen Parteien: Wir sind diejenigen, die sagen, dass wir die rot-weiß-rote Entscheidungshoheit über unser Land möglichst beibehalten wollen. Und wir wollen nicht, weil wir das bei vielen anderen Dingen erleben, eine Nivellierung der Standards auf europäischer Ebene, weil das möglicherweise auch eine Nivellierung in Österreich zur Folge haben könnte. Weil wir diejenigen sind, die sagen: Ja, Zusammenarbeit in Europa auf Basis von Frieden, Freiheit, Wohlstand, auf Basis von Freundschaft, aber weitestgehend souveräner Staaten. Und die Entscheidungshoheit über alle Belange, das betrifft auch Menschen mit Behinderung hier in Österreich, soll weitestgehend gehalten werden. Wir wollen auch nicht, dass eine neue Form der Migration entsteht, indem man hier mit europäischen Standards eine Situation schafft, die zum Beispiel einen Zustrom von Menschen mit Behinderung nach Österreich zur Folge hätte. Dies könnte– wie wir in vielen anderen Bereichen der Migration sehen – eine Überforderung unserer sozialen Infrastruktur und auch der kulturellen Situation zur Folge haben.
Martin Ladstätter: Was hat das jetzt mit dem Europäischen Behindertenausweis zu tun?
Harald Vilimsky: Das werden wir unterstützen. Es werden aber auf europäischer Ebene in vielen Bereichen im Kielwasser guter Dinge auch Dinge mitpaktiert und mitbeschlossen, die nicht unser Wohlwollen haben.
Martin Ladstätter: Welche Maßnahmen haben Sie gesetzt, um Ihre Kampagne sowie Ihr Wahlprogramm und Veranstaltungen barrierefrei zu gestalten?
Harald Vilimsky: Was wir versuchen, ist, dass wir all unsere Informationen auch in einem reinen Audioformat anbieten, um für Menschen mit Sehbehinderung einen Zugang zu Informationen möglich zu machen. Dafür gibt es auch unsere neue Podcast-Reihe. Wir haben außerdem eine Untertitelungsmöglichkeit von unseren FPÖ-TV-Videos. Wir versuchen dort, wo es möglich ist, Zugang zu gewährleisten, da sind wir aber alle sehr stark abhängig von den Veranstaltungsorten, auf die wir da nur sehr bedingt Einfluss nehmen können. Wir haben in unseren Reihen zwei Personen, nämlich Norbert Hofer und Christian Ragger, die sehr, sehr engagiert in Fragen der Förderung von Menschen mit Behinderungen sind. Vor allem bei diesen beiden Herren treffen Menschen mit Behinderung immer auf ein offenes Ohr, was deren Anliegen betrifft. Wir hätten ja, wäre Norbert Hofer zum Bundespräsidenten gewählt worden, quasi den ersten Menschen mit Behinderung an der Spitze des Staates gehabt. Und das zeigt, dass wir nicht nur die Thematik ernst nehmen, sondern für Menschen mit Behinderungen auch die erste Funktion im Staat möglich gemacht hätten, hätte der Wähler die paar Prozentpunkte mehr möglich gemacht.
Martin Ladstätter: Wer gestaltet ihre Kampagnen und werden Menschen mit Behinderungen mit einbezogen?
Harald Vilimsky: Die Kampagne reduziert sich im Wesentlichen auf Slogans und auf Inhalte. Da bin ich derjenige, der die Koordinierungsfunktion diesbezüglich wahrnimmt. Ich weiß, dass wir über die Podcast-Reihe und über die FPÖ-TV-Videos unsere Programmatik auch jenen Menschen, die nicht mit erforderlicher Sehkraft oder Hörkraft ausgestattet sind, den Zugang möglich machen und kümmern uns um viele andere Dinge, die indirekt für Menschen mit Behinderung relevant sind. Unter anderem die Frage österreichischer Souveränität, die Frage der ursprünglichen Konzeption der Europäischen Union – Frieden, Freiheit, Wohlstand – für möglichst alle zu generieren und auch Sorge dafür zu tragen, dass der Zustrom von Personen aus Arabien und Afrika nicht zu einem Kollaps unserer Sozialpolitik führt. Das sind alles Dinge, die indirekt für Menschen mit Behinderung wichtig sind, weil die Frage des Füllstands sozialer Töpfe für jene Menschen, die Hilfe der öffentlichen Hand brauchen, auch in Österreich maßgeblich ist. Und daher glaube ich, dass wir da viel im Angebot haben für Menschen mit Behinderung.
Martin Ladstätter: Haben Sie Menschen mit Behinderungen auf Ihrer Liste?
Harald Vilimsky: Nein, haben wir nicht. Aber ich mache seit knapp zehn Jahren die EU-Politik für unsere Partei. Und es müsste ein Mensch mit Behinderung schon sehr viel innere Überzeugung und sehr viel Kraft und Elan haben, um zu sagen, dass er auch so ein Mandat ausüben sollte. Ich würde nicht mit gutem Gewissen zuraten. Aus der einfachen Situation heraus, weil das ständige Herumreisen unglaublich kräftezehrend ist. Es ist auch schwer kalkulierbar, selbst wenn der Transport zum Flughafen da ist und man Zeitbudget hat: Aber manchmal fallen Flieger auch aus. Man muss sehr mobil sein oder es empfiehlt sich, sehr mobil zu sein. Man muss sehr lange Wegstrecken berücksichtigen.
Martin Ladstätter: Das ist der Alltag von Menschen mit Behinderungen, mit Herausforderungen umzugehen. Das ist jetzt nichts Besonderes.
Harald Vilimsky: Ja, aber es muss jemand diesen Wunsch in sich tragen, weil er sich abhängig macht davon, wie es beispielsweise in Belgien oder Frankreich gestaltet ist. So wie ich Brüssel kenne, ist es auch nicht einfach für jemanden, der Behinderungen hat, das Leben der Stadt so in Anspruch zu nehmen, wie es vielleicht in einer gewohnteren Umgebung ist.
Martin Ladstätter: Ich muss Ihnen da leicht widersprechen. Es ist relativ wurscht, ob Brüssel nicht barrierefrei ist oder Wels nicht barrierefrei ist, wenn ich dorthin arbeiten muss. Es ist, herausfordernd, da bin ich bei Ihnen.
Harald Vilimsky: Ja, da gebe ich Ihnen recht, aber ich erzähle nur aus der Praxis. Wenn man sich jetzt einem Thema widmet, kann man das in Österreich auch machen. Und das ständige Reisen ist eine hohe Belastung. Man kann diese Belastung eingehen, man muss es wollen. Und es ist nicht so, dass die internationale Reisewelt für Menschen mit Behinderungen überall rote Teppiche ausrollt. Das fängt an bei Sehbehinderungen, bei Hörbehinderungen, bei Gehbehinderungen, und und und. Da bräuchte man, glaube ich, auch ein kleines Team von Begleitern, die ständig mit einem unterwegs wären. Da muss man schon ganz bewusst das Konzept haben: Ja, ich will. Es ist nicht nur einmal in der Woche zu irgendeinem Ausschuss zu fahren. Da sind in der Woche mitunter zwei Flüge zu absolvieren, einmal nach Belgien, einmal nach Frankreich. Und nach Straßburg gibt es nicht einmal direkte Flüge. Das ist alles sehr anstrengend. Und daher sage ich: Hilfe und Unterstützung für all die, die es machen wollen und in sich wirklich das Feuer lodern haben und sagen: Ja, ich mach‘ das. Und ja, ich überwinde all diese Probleme, um das Thema voranzubringen. Oder auch: Wenn ich politischen Veränderungswillen in mir trage, kann ich den auch auf österreichischer Ebene haben und mich mit meinen Vertretern der jeweiligen Partei auf internationaler Ebene so verständigen, dass ich diese Themen durchbringe und Gehör finde. Deswegen gibt es Parteien, damit man nicht alles alleine machen muss, sondern überall seine Gewährsleute und Vertrauensleute hat und so Themen vorantreiben kann.
Martin Ladstätter: Wie beabsichtigen Sie sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit mit der Behindertenbewegung nicht nur eng, sondern auch effektiv ist?
Harald Vilimsky: Indem wir einen der profiliertesten Politiker für Menschen mit Behinderungen in unseren Reihen haben, nämlich Norbert Hofer.
Martin Ladstätter: Also, wir sind jetzt im EU-Bereich.
Harald Vilimsky: Ja, schon, aber ich telefoniere öfter mit Norbert Hofer. Wir stimmen uns oft mit seinem Büro ab. Und damit ist all das, was für uns Thema ist, in einem permanenten Rückkoppelungsprozess mit unseren Verantwortungsträgern in Österreich. Wir haben derzeit drei Abgeordnete der FPÖ im Europäischen Parlament und haben mit Norbert Hofer und Christian Ragger zwei Menschen, die sich diesen Themen wirklich sehr annehmen. Immer wenn Themen zur Abstimmung sind oder zur Diskussion stehen, kontaktieren wir sie und fragen: Was haltet ihr davon, wo seht ihr Schwachstellen, wo seht ihr Pluspunkte? Da die dann wiederum im Rückkoppelungsprozess mit den Vereinigungen hier stehen, ist diese Verzahnung für mich sehr gut gewährleistet.
Martin Ladstätter: Werden Sie die Wiedereinsetzung der Disability Intergroup, der Arbeitsgruppe zum Thema Menschen mit Behinderungen im Europäischen Parlament, unterstützen?
Harald Vilimsky: Ich habe nichts dagegen. Es gibt im Europäischen Parlament so viele Gruppen, die sich mit so vielen Themen beschäftigen, wo in der Sache selbst aber oft große Säumigkeit herrscht. Es kommt auch in Österreich vor, dass Menschen sich rühmen, viel für Menschen mit Behinderungen zu tun, dies dann aber nicht ernsthaft verfolgen. Ich habe vor ein paar Tagen einen Zeitungsbericht gelesen, dass beispielsweise das Innenressort oder das Bildungsressort ihrer Verpflichtung, Menschen mit Behinderung anzustellen, nicht mal im Ansatz nachgekommen sind und viele hunderte Positionen, die man Menschen mit Behinderungen hätte geben können, nicht gegeben hat. Und weil ich die Kompetenzen gerne in Österreich sehe, sage ich, dass ich es hier im Land entschieden haben will. Ich möchte nicht sagen, dass ich meine Verpflichtung erfüllt habe, indem ich da in der Gruppe bin, die sich mit diesen Fragen beschäftigt und das Ganze zerredet bis zum Gehtnimmermehr. Wir haben hier in Österreich ganz klar die die Situation, dass das Innenressort und das Sozialressort hier säumig sind, weil Menschen mit Behinderungen einen Platz hätten finden müssen, ihn aber nicht gefunden haben, weil man ihn nicht angeboten hat. Daher bin ich jetzt nicht der, der sagt: Ich erfülle meine Verpflichtung schon damit, mit dieser Gruppe da irgendwo mitzudiskutieren. Ich schaue lieber, dass ich den Druck hier in Österreich mache und vor Ort dort den Finger in die Wunde lege, in den Diskussionen, die ich führe. Ich werde die Kollegen von der ÖVP diesbezüglich ansprechen und sagen: Freunde, ihr tut nur so, als ob. Aber da, wo ihr tun könntet und tun solltet, da geht gar nichts. Und dort ist mein Schwerpunkt.
Ich bin generell nicht der Europapolitiker Österreichs, sondern ich bin der Österreichpolitiker, der im EU-Parlament sitzt. Und mein Ziel ist es, diese Europäische Union als Konstrukt für Frieden, Freiheit, Wohlstand, Binnenmarkt zu erhalten – aber für unser Land und unseren Nationalrat und für das Instrument der direkten Demokratie Kompetenzen massiv zurückzuholen. Das ist unser Zugang.
Martin Ladstätter: Wir haben als Österreichischer Behindertenrat zu dem, was sie gerade angesprochen habe, vor zwei Tagen eine Presseaussendung versandt, weil der Bund das erste Mal seit 15 Jahren die Beschäftigungspflicht nicht mehr erfüllt. Da geht es jetzt nicht um einzelne Ministerien, sondern generell, wenn man alles zusammenzählt.
Harald Vilimsky: Das wird die Disability Group nicht lösen.
Martin Ladstätter: Das ist kein Thema der EU. Nächste Frage: Bereits im Jahr 2008 hat die EU-Kommission einen Entwurf zu einer Gleichbehandlungsrichtlinie vorgestellt. Was werden Sie tun, damit die Gleichbehandlungsrichtlinie wieder ins Leben gerufen wird und bestenfalls auch verabschiedet wird, falls Sie das unterstützen?
Harald Vilimsky: Man muss bei diesen europäischen und internationalen Dingen immer sehr aufpassen, weil natürlich Dinge dabei sind, die gut und richtig sind. Mit diesen Richtlinien haben wir jedoch das Problem, dass im Kielwasser immer auch jede Menge anderer Dinge hineingepackt werden, die für uns überschießend sind. Nicht, weil es nicht ausreichend Menschen mit Behinderung erfassen würde, sondern weil es dann plötzlich gleichzeitig unter anderem um transsexuelle Frauen und um Migrationsfragen geht. In Vorhaben mit guten Forderungen wie der Gleichbehandlung und bestmögliche Unterstützung von Menschen mit Behinderung – was wir natürlich unterstützen – werden dann oft Sachen integriert, die wir als nicht unterstützendwürdig oder nicht notwendig ansehen.
Es wird hoffentlich niemanden geben, der sagt, dass Menschen mit Behinderung nicht bestmöglich gefördert werden sollen, weil jeder Verständnis dafür hat, wenn jemand Einschränkungen hat. Das sehe ich als eine Verpflichtung der Allgemeinheit, der Staatsgemeinschaft, diesen Menschen die helfende Hand zu reichen, um zu tun, was immer möglich ist.
Martin Ladstätter: Jetzt konkret bei dieser Gleichbehandlungsrichtlinie, haben Sie sich da eine Meinung gebildet?
Harald Vilimsky: Können Sie die Frage präzisieren?
Martin Ladstätter: Unterstützen Sie, dass die Gleichbehandlungsrichtlinie beschlossen wird, so wie sie derzeit diskutiert wird, oder eher nicht?
Harald Vilimsky: Soweit ich es in Erinnerung habe, ist der Kern der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung überhaupt keine Frage, das ist außer Streit zu stellen. Das unterstützen wir natürlich auch. Jedoch sind in der Beschlussfassung gleichzeitig häufig auch Themen mitenthalten, die für uns schwierig sind. Beispielsweise geht es da um Migrations- oder LGBTQ-Themen, weshalb wir uns bei Richtlinien dieser Art meist enthalten.
Martin Ladstätter: Ja, es ist eine umfassende Richtlinie.
Genau da haben wir die Problematik. Da sind wir wieder bei der LGBTQ-Thematik, wo sehr viel Geld und sehr viel politischer Aufwand zur Vorantreibung der ganzen Regenbogen-Philosophie gemacht wird, und auf der anderen Seite bei Menschen mit Behinderung das Geld fehlt und nicht eingesetzt wird. Hier wird Ideologie betrieben, anstatt als Gemeinschaft der Staatsbürger das Bestmögliche zu tun, um mehr Menschen, die Unterstützung brauchen, nicht weiter hintanzustellen.
Martin Ladstätter: Unterstützen Sie die Wiederernennung der Kommissarin bzw. des Kommissars für Gleichstellung?
Harald Vilimsky: Ich unterstütze, dass wir einen entsprechenden Inklusionsfonds in Österreich dotieren. Und da brauche ich Ihnen nichts erzählen, weil Sie diejenigen sind, die die Forderungen selbst immer wieder auf den Tisch bringen. Ich sag‘ jetzt einmal beispielsweise: Ein ordentliches Gehalt statt einem Taschengeld für die Menschen, die in Einrichtungen tätig sind. Ich löse das Problem nicht mit der Einrichtung einer Kommissarin oder einer Kommission. Wir sind diejenigen, die sagen: Halbiert diese Kommission, halbiert dieses Europäische Parlament. Die Hälfte kann man einsparen. Das ganze Geld, das in der Corona-Zeit verschwendet worden ist, hätte man aus meiner Sicht auch besser nutzen können, um auch in Ihrem Interessensbereich Dinge zu bewerkstelligen. Ich glaube, ich kenne die ganzen Kommissare. Das ist nur ein Herumplappern, das ist nur ein Herumbürokratisieren. Es gibt nur Vorschriften, in der Sache selbst passiert aber meist überhaupt nichts an Erfolgen. Davon, einen Kommissar oder eine Kommissarin für Gleichstellungsfragen zu installieren, wird keiner etwas haben. Ich will eine starke Dotierung eines österreichischen Inklusionsfonds, das unterstützen wir. Sie sollen damit die Forderungen, die in Ihrem Kernbereich liegen, nach Möglichkeit erfüllt bekommen – Stichwort noch einmal: Gehälter statt Taschengelder. Und ich bin auch der, der diese EU, die in vielen Bereichen ein Fehlkonstrukt ist, redimensionieren und die Gelder hier in Österreich halten will, damit wir österreichische Anliegen bedienen. Das ist mein Zugang zu den Themen.
Martin Ladstätter: Danke für das Gespräch.
Das Interview mit Harald Vilimsky fand am 5. April 2024 in Wien statt.