Behinderung und “black lives matter“
12.11.2020: ILO Global Business and EDF Webinar
Zusammengefasst und übersetzt von Gudrun Eigelsreiter.
Teilnehmende:
- Moderator – Dr. Lamondre Pough: Chief Strategic Officer “Ruh Global Impact”[1] (Strategiechef bei Ruh Global Impact)
- Kimberlee Bradshaw: Director Public Relations, „Huawei“[2], USA/China (Direktorin der Öffentlichkeitsarbeit bei Huawei in den USA und in China)
- Firehiwot Siyum Tadese: Junior Technical Officer, „ILO“[3] Geneva (Junior Referentin für Technik bei der ILO in Genf)
- Heather Dowdy: „Microsoft“[4] Program Manager USA – AI for Accessibility (Programm-Managerin bei Microsoft in den USA – Künstliche Intelligenz für Barrierefreiheit)
Das Webinar beschäftigte sich mit Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit Behinderungen und schwarzer Hautfarbe. Primär ging es um Diskriminierung am Arbeitsmarkt: Menschen mit Behinderungen erleben tagtäglich Diskriminierungen am Arbeitsplatz, aber auch schon im Bewerbungsprozess. Kommt ein zusätzliches Diskriminierungsmerkmal hinzu, nämlich beispielsweise eine andere Hautfarbe als weiß, dann entstehen neue Arten der Diskriminierung.
So berichteten alle Teilnehmenden unabhängig voneinander, dass sie bei Vorstellungsgesprächen Sätze wie diese zu hören bekamen: „Oh you didn´t sound like you look“ (zu Deutsch: „Oh du hast dich nicht so angehört, wie du aussiehst“) oder sogar bei einer Teilnehmerin noch direkter „You didn´t sound black on the phone“ („Du hast dich am Telefon gar nicht schwarz angehört.“).
Dazu der Moderator Dr. Lamondre Pough: “Wir leben an der Schnittstelle. Menschen mit Behinderungen die zu beiden Gruppen gehören, sowohl zur Gruppe der Menschen mit Behinderungen als auch zur Gruppe der Menschen mit nicht-weißen Hautfarben, müssen viel härter daran arbeiten einen Job zu bekommen, weil sie mehrere Sets an Diskriminierungen erfahren.“ „Inclusion is a chance“: Viele Unternehmen sehen Inklusion als Bürde, statt als Chance für ihre Dienstleistungen, Produkte, etc. Außerdem sagt er, dass schwarze Frauen mit Behinderungen zu den am meisten diskriminierten Menschen gehören, da sie aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts und ihrer Behinderungen diskriminiert werden.
Einig sind sich auch alle Teilnehmenden darin, dass sie sich in einer privilegierten Situation befinden, da sie nicht nur eine sehr gute Ausbildung genossen (sie konnten Universitäten besuchen und haben alle einen akademischen Abschluss), sondern auch weil sie in Berufsspaten arbeiten, wo ihr „anders-sein“ als Qualität und Chance angesehen wird und nicht als Mangel. Sehr viele schwarze Menschen und Menschen mit Behinderungen bekommen diese Chancen nicht.
So erzählt Firehiwot Siyum Tadese – eine junge schwarze Frau mit Behinderung aus Äthiopien, die seit einiger Zeit in Genf lebt und bei der ILO arbeitet – dass sie sich vor Jobinterviews auch immer die Webseiten der Unternehmen/Organisationen ansieht. Meistens spiegelt sich schon auf den Webseiten wider, ob die Unternehmen für Diversität offen sind oder nicht: Wie viele Menschen mit Behinderungen und Menschen mit anderen Hautfarben als weiß arbeiten dort? Wie viele Frauen arbeiten bei dem Unternehmen? Bzw. werden diese Personengruppen, so sie nicht bereits Teil des Teams (und des Managements) sind, zumindest explizit angesprochen sich zu bewerben? Dies war bei der ILO der Fall, sie hat dort keine Angst durch ihre Behinderung und ihre schwarze Hautfarbe „aufzufallen“, weil sie als Mitarbeiterin genauso wie die anderen behandelt wird. Diese Erfahrung hat sie bei früheren Arbeitsplätzen nie gemacht, deshalb plädiert sie für einen Kulturwechsel in Unternehmen, Sensibilisierung sowohl für das Management als auch für die Angestellten. „Inclusion is not a favour, it´s a benefit for the company. You also get a better reputation, if you are inclusive and diverse”. (“Inklusion ist kein Gefallen, den man jemanden macht, Inklusion ist ein Vorteil für das Unternehmen. Der Ruf verbessert sich, wenn es inklusiver und diverser ist.“)
„Representation matters“ („Repräsentation ist wichtig“) sagt auch Dr. Heather Dowdy. Sie wuchs als älteste Tochter von gehörlosen, schwarzen Eltern auf und beherrscht die amerikanische Gebärdensprache seit sie 6 Monate alt ist. Sie ist nach einem erfolgreich absolvierten technischen Ingenieursstudium nun als Programm-Managerin bei Microsoft tätig. Das sagt sie, war ganz und gar nicht absehbar. Sie erfuhr bereits als Kind, dass ihre Eltern nicht nur aufgrund ihrer Gehörlosigkeit, sondern auch aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe diskriminiert wurden. Sie selbst war von Kindheit an und während ihrer Ausbildung zur technischen Ingenieurin, mit hauptsächlich weißen Studierenden, oft mit Vorurteilen und rassistischen Kommentaren konfrontiert. Die Vize-Dekanin ihrer Universität sagte ihr mehrmals, dass sie sicher niemals einen Abschluss im Ingenieurswesen erlangen wird. Sie hat es trotz der vielen Steine, die ihr in den Weg gelegt wurden, geschafft. Durch ihre Kindheit wusste sie schon früh, wie hilfreich Technologie sein kann, um Menschen mit Behinderungen gesellschaftlich zu inkludieren und ihren Alltag zu erleichtern. „Technology can be a great equalizer“ („Technologie kann ein großer Gleichmacher sein“). Sie arbeitet heute bei Microsoft und ist für das Programm „Künstliche Intelligenz für Barrierefreiheit“ zuständig. Sie ist der Meinung, dass man sich als Organisation, aber auch als Einzelperson immer fragen sollte, wer nicht mit am Tisch sitzt. Wenn man Personen nicht inkludiert, exkludiert man sie aktiv. Oft hat sie erlebt, dass Frauen und Menschen mit anderer Hautfarbe und Behinderungen nicht vertreten sind. Das muss und kann sich durch Solidarität untereinander ändern. Vor allem Frauen mit und ohne Behinderungen und unterschiedlichen Hautfarben sollten sich gegenseitig unterstützen, um in der Arbeitswelt besser repräsentiert zu sein. Bei Microsoft werden Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen angestellt, um die Teams möglichst divers zu gestalten, da Diversität als Chance und kreative Quelle gesehen wird.
Kimberlee Bradshaw arbeitet als Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit bei Huawai. Die junge schwarze Frau hat einen Sohn mit Down-Syndrom. Wie alle Diskussionsteilnehmende ist sie schon seit ihrer Kindheit mit Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihrer Hautfarbe konfrontiert. „I always felt the need for code-switching“: Sie hatte immer das Gefühl sich in der weißen Mehrheitsgesellschaft „maskieren“ zu müssen, also ihre Weise zu sprechen, ihr Verhalten und ihre Körpersprache an die anderen anzupassen – ihren „Code“ zu ändern. Das hat sie bis zur Geburt ihres Sohnes auch in der Arbeitswelt gemacht: „Als eine schwarze Frau, die in amerikanischen Unternehmen gearbeitet hat, habe ich immer versucht, Teile meiner selbst zu verstecken.“ Seit ihr Sohn auf der Welt ist, hat sich vieles geändert: sie möchte ihn selbstbewusst erziehen, sie möchte, dass er auf seine Identität als schwarzer Junge mit Behinderung stolz ist und sich nicht vor den Urteilen anderer Leute fürchtet. Sie hat sich auch einen Job in einem Unternehmen gesucht, das Diversität lebt und eine Vision von Inklusion hat, denn sie möchte aktiv daran beteiligt sein, sowohl die Arbeitswelt, als auch die Gesellschaft als Ganzes inklusiver und barrierefreier zu gestalten. Ihr großer Wunsch: ihr Sohn soll irgendwann mehr Akzeptanz erfahren, als sie und dass „Anders-Sein“ Teil einer pluralen Gesellschaft wird.
Alle sind sich einig, dass es in der Arbeitswelt, bei den Unternehmen und Organisationen einen systemischen Ansatz braucht, um die gängige, oft diskriminierende Praxis zu ändern. Dr. Lamondre Pugh endet die Sitzung mit dem Thema Sichtbarkeit von schwarzen Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt: „Sie können keine Menschen einstellen, befähigen und fördern, die Sie nicht sehen. Als Arbeitgeber sollten Sie Ihre Teams aktiv diverser gestalten, Menschen mit anderen Hautfarben als weiß, Menschen mit Behinderungen und Menschen, die beiden Gruppen angehören. Es gibt viele dieser Menschen und sie wollen arbeiten und können für Unternehmen eine Bereicherung sein.“
Mehr Infos unter: https://us02web.zoom.us/webinar/register/WN_jda1bcC3QKyzdm6QC4Fflg
[1] Die amerikanische Organisation Ruh Global Impact bieten international für Unternehmen und Organisationen Inklusions- und Barrierefreiheits- Programme an
[2] Huawei ist ein international tätiger Telekommunikationsausrüster und Hardwarehersteller aus China
[3] Die ILO ist die „Internationale Arbeitsorganisation“. Eine Organisation der Vereinten Nationen, die für Arbeitsrechte und soziale Gerechtigkeit kämpft
[4] Microsoft ist eines der erfolgreichsten international tätigen Softwareunternehmen aus den USA