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Rückblick: Stand der Staatenprüfung LIVE-Berichterstattung – BIZEPS
Eintrag vom 23. August 2023
Die österreichische Zivilgesellschaft bei der Staatenprüfung
Im August 2023 stand die zweite Staatenprüfung Österreichs in Genf an. Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Fachausschuss) überprüfte dabei die Umsetzung der UN-BRK in Österreich.
von Felix Steigmann
Statement der Zivilgesellschaft zu den größten Baustellen in Österreich
Im Rahmen des privaten Meetings der zivilgesellschaftlichen Delegation mit dem Fachausschuss wurde von den Delegierten ein Statement verlesen. Das Statement beinhaltet die größten Mängel bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich aus Sicht der Zivilgesellschaft. Im Anschluss an die Verlesung des Statements stellten die Mitglieder des Fachausschusses viele (Nach-)Fragen an die Delegation, um die Probleme in Österreich noch besser zu verstehen. Das private Meeting ist ein wichtiger Teil der Staatenprüfung und diente dem Fachausschuss zur Vorbereitung auf den konstruktiven Dialog zwischen dem Fachausschuss und der österreichischen Staatendelegation am 22. und 23. August.
Untenstehend die leicht gekürzte Übersetzung des englischen Originalstatements in deutscher Sprache:
Hintergrundinformation
Österreich ratifizierte die UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 – wie alle UN-Menschenrechtsverträge unter Erfüllungsvorbehalt. Das heißt, dass die Bestimmungen der Konvention erst in österreichisches Recht umgewandelt werden müssen, damit sie die Gerichte direkt anwenden können.
Österreich wurde erstmals 2013 auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Genf überprüft. Das Ergebnis waren sehr gute und treffende Empfehlungen, die Österreich umsetzen sollte. Allerdings wurden die Empfehlungen nicht koordiniert, umfassend und schrittweise aufgearbeitet. Nur einzelne Empfehlungen trafen auf engagierte Personen in wenigen Ministerien, die die Aufarbeitung in die Wege leiteten. Die meisten zuständigen Stellen blieben untätig.
Generell gibt es kein Verständnis für partizipative Prozesse. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, fehlt es sowohl am Bewusstsein für die Bedeutung echter Partizipation, also auch am Willen oder den dafür zur Verfügung gestellten Ressourcen. Sehr oft endet die Partizipation in reinen Informationsveranstaltungen oder scheitern Konsultationsprozesse an mangelnden barrierefreien Formaten.
Der meistens vorgebrachte Grund, warum menschenrechtliche Vorgaben nicht umgesetzt werden können, ist die föderale Struktur, also die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Auch hier scheitert es am Willen und an der Koordination, ebenso an der Motivation, kreative Lösungen zu finden und die österreichweite Harmonisierung im Behindertenrecht voranzutreiben. Generell fühlen sich Länder und Gemeinden für die Umsetzung von Menschenrechtsverträgen nicht verantwortlich. Immer wieder wiesen die Bundesländer darauf hin, dass lediglich der Bund Vertragspartner und somit gebunden sei. Das ist natürlich hoch problematisch für die Umsetzung wesentlicher Menschenrechte.
Nationaler Aktionsplan Behinderung (NAP) 2022 – 2030
An sich war die Entstehung des NAP als umfassend partizipativer Prozess seitens des Sozialministeriums geplant. Allerdings hielt sich kaum ein Ministerium und definitiv kein Bundesland an die Vorgaben zur Partizipation. Sie verfassten ihre Teile ohne jegliche Beteiligung von Menschen mit Behinderungen. Das Ergebnis spricht für sich. Die Länder boykottieren den NAP, indem sie bei wesentlichen Maßnahmen nicht mitmachen oder in der Folge eigene Landesaktionspläne machen, die sie weder auf den NAP noch untereinander abstimmen. Als besonders nichtssagend sticht im NAP das Kapitel Bildung hervor. Die Themenbereiche Kinder und Frauen mit Behinderungen, Intersektionalität oder Migration werden auffallend vernachlässigt. Der NAP stieß bei der Zivilgesellschaft auf geschlossene Kritik und landesweite Demonstrationen.
Inklusive Bildung
Die 2015 in drei Bundesländern eingeführten inklusiven Modellregionen wurden 2019 wieder eingestellt. Die Situation im Bildungsbereich hat sich seitdem laufend verschlechtert. Kinder mit Behinderungen haben nach wie vor keinen gleichberechtigten Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung. Nach wie vor haben wir in Österreich ein zweigleisiges Schulsystem. Eltern müssen entscheiden, ob sie ihre Kinder in die Sonderschule geben oder in die Regelschule integrieren wollen. Erst vor kurzem wurde von einem Gericht festgestellt, dass das Bildungsministerium diskriminiert, weil Persönliche Assistenz in Bundesschulen nur Schüler*innen mit körperlichen Behinderungen ab einer bestimmten Pflegestufe bekommen.
Selbstbestimmt Leben
Es gibt weder Pläne noch den Versuch der Koordination eines österreichweiten De-Institutionalisierungsprozesses. Stattdessen wird nach wie vor Geld in den Bau neuer oder in die Renovierung alter Institutionen für Kinder und Erwachsene mit Behinderungen gesteckt. Das Leben von Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen gilt als normal und gut für sie geeignet – sowohl bei der Allgemeinheit als auch bei den politischen Verantwortlichen. Wieder wird die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern als Hauptgrund herangezogen, das System nicht zu verändern. Die Länder sind für die meisten Bereiche verantwortlich, die für ein Leben inmitten der Gemeinschaft notwendig sind. Das betrifft zum Beispiel Wohnen, Persönliche Assistenz und gemeindenahe Unterstützungsdienste. Es gibt einen großen Mangel an barrierefreien Wohnmöglichkeiten. Schätzungen zufolge sind nur 4 Prozent des Wohnbestandes barrierefrei zugänglich. Deshalb müssen auch viele ältere Menschen mit Behinderungen in Institutionen leben.
Während der COVID-Pandemie waren Menschen, die in Einrichtungen leben, viel stärker in ihrer Freiheit eingeschränkt als andere. Auch die Kontakte nach draußen waren extrem beschränkt. In Altersheimen sind viele Menschen gestorben, für Behindertenheime gibt es keine Zahlen. Trotzdem werden die Einrichtungen nicht in Frage gestellt.
Es gibt eine neue Richtline des Bundes zur Persönlichen Assistenz. Aber es ist nur eine Richtlinie, die sagt, dass die Bundesländer Konzepte für Persönliche Assistenz entwickeln sollen und der Bund dafür den Ländern Geld gibt. Außerdem verwendet die Richtlinie das medizinische Modell von Behinderung, einige Gruppen sind wieder ausgeschlossen, und es gibt kein gemeinsames Vorgehen der Bundesländer.
Auch das Recht auf Familie und Partnerschaft gehört zum selbstbestimmten Leben. Es gibt aber viel zu wenig Information und Beratung in Leichter Sprache über das Elternsein, selbstbestimmte Sexualität und Partnerschaft. Es fehlt auch an Assistenz während der Schwangerschaft und danach. Außerdem deuten zahlreiche Berichte darauf hin, dass die Behörden bei Menschen mit Behinderungen sehr schnell annehmen, dass sich nicht gut um ihre Kinder kümmern können. Eltern mit Lernschwierigkeiten wird die Obsorge oftmals entzogen.
Barrierefreiheit
In Österreich gibt es neun verschiedene Landesbauordnungen. Barrierefreiheit ist bei Gebäuden erst ab einer bestimmten Größe oder einer bestimmten Anzahl an Wohnungen zwingend vorgeschrieben. Seit 2015 gibt es viele Verschlechterungen in den Landesbauordnungen, weil es eine rechtliche Änderung auf nationaler Ebene gegeben hat.
Es gibt keine Strafe und keine geeignete Abhilfe, wenn Standards zur Barrierefreiheit nicht eingehalten werden. |
Allgemein gibt es kein Bewusstsein dafür, was umfassende Barrierefreiheit bedeutet und dafür, dass Barrierefreiheit eine Querschnittsmaterie ist. Das heißt, dass Barrierefreiheit alle etwas angeht. Auch die Projekte der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigen Barrierefreiheit oder Menschen mit Behinderungen nicht durchgehend. Das gilt auch für die humanitäre Hilfe.
Gesundheit und Hilfsmittel
Auch Gesundheitseinrichtungen sind noch nicht umfassend barrierefrei. So gibt es zum Beispiel viel zu wenig Information und Material in einfacher Sprache. Zudem gibt es lange Wartezeiten bei Kassenärzt*innen oder für kassenfinanzierte Therapien. Wegen der mangelnden Barrierefreiheit und der langen Wartezeiten sind Menschen mit Behinderungen oft dazu gezwungen, ihre Behandlung oder Therapie selbst zu bezahlen oder länger auf eine Behandlung zu warten.
Es gibt deutlich zu wenig psychiatrische Versorgung und präventive Maßnahmen für Erwachsene und besonders für Kinder und Jugendliche, weil die Gesundheitseinrichtungen schlecht ausgestattet sind und es zu wenig spezialisiertes Personal gibt. Außerdem gibt es große Mängel in der ambulanten Versorgung, was durch die COVID-Pandemie noch verschlimmert wurde. Es gibt tragische Berichte über Selbstmorde von Personen, denen wiederholt aufgrund Ressourcenmangels die Therapie verweigert wurde. Psychische Gesundheit ist immer noch nicht ausdrücklich in den nationalen und regionalen Gesundheitszielen verankert.
In Österreich werden die unterschiedlichen Formen der Rehabilitation (medizinische, berufliche oder soziale) von zahlreichen unterschiedlichen öffentlichen Trägern übernommen. Die Rehabilitationsleistungen hängen von der Ursache der Behinderung und dem Versicherungsstatus der Person ab. Verschlimmert wird die Situation dadurch, dass die Kosten für Hilfsmittel oft nicht ganz übernommen werden und die Personen auf Spenden angewiesen sind, um sich notwendige Hilfsmittel leisten zu können.
Digitalisierung
Alle österreichischen Behörden und Ämter müssen ihre digitalen Dienste barrierefrei zur Verfügung stellen. Allerdings werden dabei die notwenigen Kriterien nicht eingehalten. Während der COVID-Pandemie waren die entsprechenden Webseiten meist nicht barrierefrei. Wichtig ist auch, dass öffentliche Dienste nicht nur digital, sondern auch analog zur Verfügung gestellt werden.
Bewusstseinsbildung
Das Bild von Menschen mit Behinderungen in Österreich ist noch immer stark von Vorurteilen und Stereotypen geprägt. Besonders betroffen sind Menschen mit psychosozialen Behinderungen. Generell sind Menschen mit Behinderungen in den Massenmedien stark unterrepräsentiert, auch auf deren Social Media-Kanälen. Nach wie vor werden die Personen als Mitleids- und Almosenempfänger*innen dargestellt. Es mangelt in Österreich stark an der Förderung von Strukturen zur Selbstvertretung. Außerdem findet weder Gender Mainstreaming in der Behindertenpolitik noch Disability Mainstreaming in Genderfragen statt. Behinderung ist als Querschnittsmaterie noch nicht in der österreichischen Politik und Verwaltung angekommen.
Das neue Erwachsenenschutzgesetz
Das neue Erwachsenenschutzgesetz von 2017 ist das Ergebnis eines vorbildlichen Gesetzwerdungsprozesses unter wirksamer Partizipation von Menschen mit Behinderungen. Der Prozess wurde vom Justizministerium in Reaktion auf die Empfehlungen des UN-Fachausschusses 2013 angestoßen und dauerte drei Jahre. Das Ergebnis war ein deutlich besseres Gesetz, das den Grundstein für eine echte Veränderung im Leben von Menschen mit Lernschwierigkeiten und/oder psychosozialen Behinderungen legte.
Leider zeigen sich große Probleme in der praktischen Umsetzung. Dies liegt vor allem an den Bundesländern, die für die Serviceleistungen der unterstützten Entscheidungsfindung zuständig sind. Trotz ihrer Zuständigkeit stellen die Bundesländer nicht die notwendigen Budgetmittel hierfür zur Verfügung, auch wird die benötigte Sozialarbeit abgebaut.
Maßnahmenvollzug
Höchst problematisch ist die Situation von Menschen im Maßnahmenvollzug. Maßnahmenvollzug bezeichnet vorbeugende, freiheitsentziehende Maßnahmen zur Unterbringung von Täter*innen mit psychosozialen Behinderungen oder Lernschwierigkeiten. Mehr als die Hälfte der Menschen sind wegen geringfügiger Vergehen wie gefährlicher Drohung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt im Maßnahmenvollzug. Die Unterbringung erfolgt auf unbestimmte Zeit und ohne Aussicht auf vorzeitige Haftentlassung. Betroffene Personen haben zu wenig Rechtsschutz, Überprüfungen finden zu selten und zu oberflächlich statt. Zudem herrscht ein großer Mangel an Therapiemöglichkeiten, die medizinische Versorgung ist nicht nur innerhalb des Maßnahmenvollzugs schlecht. Es gibt Berichte von Menschen, die straffällig wurden, obwohl dies mit der notwendigen therapeutischen Hilfe im Vorhinein hätte verhindert werden können.
Nach jahrelangen Vorarbeiten und Ankündigungen ist am 1. März 2023 ein Gesetz zur Reform des Maßnahmenvollzugs in Österreich in Kraft getreten. Es reicht aber bei weitem nicht aus, um die großen Mängel zu beseitigen, auch fehlt noch der angekündigte zweite Teil der Reform.
Arbeit und Beschäftigung
In Folge des Ausschlusses von Kindern mit Behinderungen vom allgemeinen Bildungssystem und des Mangels an inklusiven Bildungsangeboten werden Menschen mit Behinderungen oft direkt nach der Schule als „arbeitsunfähig“ eingestuft. Viel zu viele Menschen mit Behinderungen haben keinen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Für den Großteil bleibt so nur die Arbeit in Werkstätten. Dort erhalten sie keinen Lohn, sondern nur ein Taschengeld. Sie sind auch nicht kranken- und sozialversichert. Das ist mit ein Grund für die Altersarmut von Menschen mit Behinderungen.
Trotz der Empfehlung des UN-Fachausschusses von 2013 ist der Anteil von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten um 30 Prozent gestiegen. |
Schaffen es Menschen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt, stoßen sie dort auf viele Barrieren. Die Maßnahmen des Arbeitsmarktservice sind nicht vollständig barrierefrei. Auch bestehen auf Seite der Arbeitgeber*innen weiterhin viele Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen.
Für Menschen mit psychosozialen Behinderungen gibt es zu wenige vorbeugende und frühzeitige Maßnahmen zum Erhalt des Arbeitsplatzes. Auch gibt es nicht genug individuelle und maßgeschneiderte Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.
Die Situation von Menschen mit Behinderungen, die keinen Arbeitsplatz haben, hat sich durch das neue Sozialhilfe-Grundsatzgesetz von 2019 weiter verschlechtert. Wegen der neuen finanziellen Obergrenze für Familien und dem Abzug anderer Sozialleistungen bekommen Menschen mit Behinderungen nun noch weniger Unterstützung vom Staat.
Daten und Statistiken
Die Datenlage zu Menschen mit Behinderungen in Österreich ist äußerst mangelhaft. Dies betrifft vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, sowie Menschen, die in Institutionen leben. Die Methoden der Datenerhebung schließen Menschen mit Behinderungen, etwa jene, die in Institutionen leben, aus. Zudem werden Menschen mit Behinderungen und ihre Organisationen nur unzureichend in die Entwicklung und Durchführung von Datenerhebungen einbezogen.
Zu Menschen mit Behinderungen, die nach Österreich geflüchtet sind, gibt es gar keine verlässlichen Daten. Behinderungsarten werden bei der Erstaufnahme nicht standardmäßig erhoben. Dadurch bekommen Flüchtlinge mit Behinderungen nicht die Versorgung, die ihnen Österreich laut Völkerrecht geben müsste.
Info-Video: Was ist die UN-Staatenprüfung?
Martin Ladstätter, MA, Präsidiumsmitglied des Österreichischen Behindertenrats, erklärt im nachfolgenden Video, worum es bei der Staatenprüfung geht.
Eintrag vom 1. August 2023
Pressekonferenz zur bevorstehenden Staatenprüfung
Am 1. August 2023 informierten Überwachungsorgane und die zivilgesellschaftliche Delegation bei einer Pressekonferenz im Presseclub Concordia in Wien über die bevorstehende Staatenprüfung.
Themen der Pressekonferenz:
- Staatenprüfung durch den UN-Fachausschuss: Prozedere / Relevanz / Auswirkungen
- Entwicklungen seit der ersten Staatenprüfung 2013
- Fokusthemen und Kernelemente der Monitoringberichte und des zivilgesellschaftlichen Berichts an den UN-Fachausschuss
Am Podium:
- Tobias Buchner und Daniela Rammel, Monitoringausschuss
- Volksanwalt Bernhard Achitz
- Behindertenanwältin Christine Steger
- Martin Ladstätter, Österreichischer Behindertenrat
- Volker Schönwiese, SLIÖ Dachverband der Selbstbestimmt Leben Initiativen Österreich
Eintrag vom 13. Juli 2023
Staatenprüfung in Genf
Ziemlich genau 15 Jahre ist es her, dass Österreich am 26. September 2008 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, auch UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK von Österreich) ratifiziert hat. Nun prüft der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Fachausschuss) in Genf am 22. und 23. August 2023 zum zweiten Mal die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich.
Zu diesem Anlass reist eine vom Österreichischen Behindertenrat organisierte zivilgesellschaftliche Delegation nach Genf. Hauptziel ist es dabei, dem Bericht des Staats Österreichs eine alternative Perspektive auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gegenüberzustellen und den UN-Fachausschuss auf besonders kritische Punkte aufmerksam zu machen.
Die letzte Staatenprüfung 2013
Die erste und bisher letzte Staatenprüfung fand im Jahr 2013 statt. Das Ergebnis waren am 30. September 2013 veröffentlichtn „Abschließende Bemerkungen“. Diese beinhalten die Einschätzungen der Expert*innen des UN-Fachausschusses zu positiven Aspekten der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich, zu wesentlichen Problembereichen sowie Empfehlungen, die es bis zur nächsten Staatenprüfung umzusetzen galt. Hierzu gehörten u.a. eine bundes- und landesregierungenübergreifende einheitliche Behindertenpolitik, bewusstseinsbildende Maßnahmen mit einem Fokus auf Selbstermächtigung von Menschen mit Behinderungen, das Vorantreiben der De-Institutionalisierung, die Förderung inklusiver Bildungsangebote in allen Bereichen und vieles mehr.
Die sogenannte „List of Issues“
In der kombinierten zweiten und dritten Staatenprüfung am 22. und 23. August 2023 – eigentlich ist eine Staatenprüfung alle vier Jahre vorgesehen – muss Österreich dem Fachausschuss unter Berücksichtigung der Empfehlungen von 2013 über den Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention berichten. Die Grundlage hierfür bildet die sogenannte „List of Issues“, eine Frageliste, die der Fachausschuss Österreich 2018 übermittelte. Diese Liste beinhaltet Fragen zu einzelnen thematischen Artikeln der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Beantwortung der Frageliste, die die österreichische Bundesregierung 2019 beschlossen hat, stellt den Bericht des Staats Österreich zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention dar. Auch der Österreichische Behindertenrat beantwortete diese Frageliste in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, kommentierte nicht in der Frageliste vorkommende Artikel der UN-Behindertenrechtskonvention und formulierte Vorschläge für Empfehlungen des Fachausschusses an die Österreichische Bundesregierung.
Was macht der Österreichische Behindertenrat in Genf?
Für das Team des Österreichischen Behindertenrates werden es drei spannende und vor allem arbeitsintensive Tage. Das Highlight aus Sicht des Österreichischen Behindertenrates stellt hierbei der 21. August 2023 dar: Das private Meeting der Mitglieder des UN-Fachausschusses mit der zivilgesellschaftlichen Delegation unter Ausschluss der Öffentlichkeit im „Palais des Nations“. Dieses 90-minütige Meeting besteht aus einem Statement seitens der zivilgesellschaftlichen Delegation zum Umsetzungsstand der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich, gefolgt von Nachfragen seitens des UN-Fachausschusses und entsprechenden Antworten durch die Delegierten. Im Anschluss sind noch ein Treffen mit dem sogenannten „country rapporteur“, dem im Rahmen der Staatenprüfung für Österreich zuständigen Mitglied des UN-Fachausschusses, sowie weitere informelle Austauschtreffen geplant.
Am 22. und 23. August 2023 steht die eigentliche Staatenprüfung an, bei der es einen konstruktiven Dialog zwischen dem UN-Fachausschuss und der österreichischen Staatendelegation geben wird. An dem Dialog nehmen zusätzlich auch die Volksanwaltschaft und der Unabhängige Monitoringausschuss teil.
Das Ergebnis der Staatenprüfung sind erneut die „Abschließenden Bemerkungen“ des UN-Fachausschusses, die die Umsetzungsempfehlungen bis zur nächsten Staatenprüfung beinhalten.
Die Staatenprüfung am 22. und 23. August 2023 wird live via UN Web TV übertragen.
LiveStream Staatenprüfung am 22. August von 15 bis 18 Uhr
LiveStream Staatenprüfung am 23. August von 10 bis 13 Uhr
Eintrag vom 1. August 2023
Presseaussendung: Vereinte Nationen prüfen menschenrechtliche Verpflichtungen
Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen in Österreich werden bei der Staatenprüfung in Genf unter die Lupe genommen.
Die Republik Österreich wird vom Fachausschuss der Vereinten Nationen (UN) am 22. und 23. August 2023 in Genf geprüft. Im Rahmen der Staatenprüfung wird kontrolliert, ob Österreich die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) umsetzt.
Der Österreichische Behindertenrat verweist auf die bedeutende Rolle der Zivilgesellschaft bei dieser Staatenprüfung. Die Zivilgesellschaft soll ein realistisches Bild der österreichischen Lage präsentieren, da Menschen mit Behinderungen am besten wissen, wo sie auf Probleme stoßen. Laut der UN-BRK kommt Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen die Aufgabe zu, dem Fachausschuss der Vereinten Nationen deutlich zu machen, wo die Defizite liegen, und aufzuzeigen, welche Stellen in Österreich der Umsetzung der UN-BRK im Weg stehen.
Die Gegendarstellung des Österreichischen Behindertenrates zu der Beantwortung der Fragenliste durch die Republik liegt dem UN Fachausschuss seit 12. Juli 2023 vor (siehe bit.ly/list-of-issues). Diese rückt die geschönten Darstellungen Österreichs in ein ehrlicheres Licht und legt Realitäten offen, die Menschen mit Behinderungen täglich erleben.
Nicht öffentliches Treffen
Vor der Staatenprüfung findet ein nicht öffentliches Treffen zwischen der zivilgesellschaftlichen Delegation und dem UN-Fachausschuss statt. Bei diesem Treffen haben wir nochmals die Möglichkeit, dem Fachausschuss die größten Probleme in der österreichischen Behindertenpolitik aufzeigen.
Dazu zählen u.a.
- der Mangel an Koordination zwischen dem Bund und den Bundesländern,
- das Fehlen eines inklusiven Bildungssystems und
- das Fehlen von österreichweit einheitlichen verpflichtenden Barrierefreiheitsstandards.
Die Fokussierung der Staatenprüfung sowie deren Ergebnisse werden sich weitgehend an den Berichten und Empfehlungen der Zivilgesellschaft ausrichten. Es ist eine Chance für Menschen mit Behinderungen, sich international Gehör zu verschaffen und den österreichischen Staat dazu zu bringen, seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Politisch und völkerrechtlich verbindliche Empfehlungen
Die Prüfungsergebnisse führen zu politisch und völkerrechtlich verbindlichen Empfehlungen, die Österreich bis zur nächsten Prüfung umsetzen muss.
Martin Ladstätter, Präsidiumsmitglied des Österreichischen Behindertenrats, betonte bei einer Pressekonferenz am 1. August 2023 im Presseclub Concordia: „Die Einhaltung der UN-BRK ist nicht nur eine Frage der Menschenwürde, sondern eine dringende Verpflichtung des österreichischen Staates einschließlich der Bundesländer. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass diese Verpflichtung ernst genommen wird. Wir zeigen auch auf, wo die Verpflichtung bisher nicht erfüllt wurde.“
Eintrag vom 13. Juli 2023
Presseaussendung: Behindertenrat informiert Vereinte Nationen
UN-Behindertenrechtskonvention unzureichend umgesetzt: Gegendarstellung der Zivilgesellschaft vor Staatenprüfung in Genf
Österreich wird von 22. bis 23. August 2023 vom Fachausschuss der Vereinten Nationen (UN) für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zum zweiten Mal auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) überprüft. Das Ergebnis der Staatenprüfung sind politisch und völkerrechtlich verbindliche Empfehlungen an Österreich, die spätestens bis zur nächsten Staatenprüfung umgesetzt sein müssen.
Den Vereinten Nationen liegt seit 2019 der Bericht des Staates Österreich vor, in dem dieser seine Sicht der Umsetzung der UN-BRK darlegt. Der Staatenbericht ist eine Antwort auf eine vom UN-Fachausschuss nach Rücksprache mit der Zivilgesellschaft beschlossene Fragenliste (sogenannte List of Issues). Mit 12. Juli 2023 liegt dem Fachausschuss nun auch die Gegendarstellung der Zivilgesellschaft vor, mit der dieser auf den neuesten Stand gebracht wird.
Die vom Österreichischen Behindertenrat verfassten Antworten sind in englischer Sprache hier und in deutscher Sprache hier einzusehen.
So zeigt die Fragenliste auf zahlreichen Ebenen Stillstand, in den Bereichen barrierefreier Wohnbau, Bildung und Gesundheit sogar Rückschritte auf.
Nicht-öffentliches Treffen der Zivilgesellschaft mit UN-Fachausschuss
Zusätzlich zur schriftlichen Beantwortung des Fragenkatalogs tauscht sich eine zivilgesellschaftliche Delegation am Tag vor der Staatenprüfung persönlich mit dem UN-Fachausschuss aus. Bei diesem Treffen berichtet die Zivilgesellschaft unter Koordination des Österreichischen Behindertenrates über die schwerwiegendsten Lücken in der Umsetzung der UN-Konvention und legt den Handlungsbedarf dar. Die Delegation besteht aus Personen mit weitgefächerter Expertise und unterschiedlichen Formen von Behinderungen.
Dieses Treffen dient der Vorbereitung der Fragen für die Staatenprüfung und wirft nochmals einen Gesamtblick auf die österreichische Situation. Nach einem Überblick über die größten Baustellen hat der UN-Fachausschuss über eine Stunde Zeit, Fragen an die Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zu stellen. Wie bereits bei der ersten Überprüfung im Jahr 2013 orientieren sich der Fokus der Staatenprüfung sowie die Ergebnisse maßgeblich an den Berichten und Empfehlungen der Zivilgesellschaft. So haben Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, ihre eigenen Belange international zu vertreten und den österreichischen Staat indirekt zur Einhaltung seiner menschenrechtlichen Verpflichtungen zu ermahnen. Damit steht ein maßgebliches Instrument zur Verfügung, um tatsächliche Partizipation bei der Durchsetzung der UN-BRK zu verwirklichen.
Eintrag vom 13. Juli 2023
Response to the List of Issues
Response to the List of Issues prior to submission of the combined second and third periodic reports of Austria (CRPD/C/AUT/QPR/2-3) by the Austrian Disability Council
Submitted on the occasion of the 29th session (14 August–8 September 2023) of the UN Committee on the Rights of Persons with Disabilities
Vienna, 12 July 2023
Response to the List of Issues (PDF)
Eintrag vom 10. September 2018
Statement vor UN-Ausschuss über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im September 2018
Präsentation des Österreichischen Behindertenrats anlässlich des 2. Staatenberichtsverfahrens vor dem UN-Ausschuss über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Als Teil der Delegation der Österreichischen Zivilgesellschaft wurde dieses Statement vom Team des Österreichischen Behindertenrats dem UN-Ausschuss vorgebracht:
„Zunächst möchte die Delegation des österreichischen Behindertenrats für die Möglichkeit danken, die Situation von Menschen mit Behinderungen aus Sicht der Zivilgesellschaft in Österreich zu präsentieren. Der österreichische Behindertenrat dankt dem Ausschuss für seine unermüdlichen Bemühungen, die Umsetzung der Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen zu fördern. Es ist eine große Ehre für uns, heute hier zu sein.
Ein besonderer Dank geht auch an die International Disability Alliance für ihre großartige Unterstützung bei der Bereitstellung von Anleitungen für die Teilnahme unserer Delegation.
Seit 2013, als die letzte Staatenprüfung stattfand, hat sich für Menschen mit Behinderungen in Österreich kaum etwas zum Besseren verändert. In den Bereichen Bildung, Arbeit, Gesundheit und Barrierefreiheit kommt es sogar durch die neue Regierung bzw. das neue Regierungsprogramm zu erheblichen Verschlechterungen. Die teilweise angekündigten und teilweise bereits umgesetzten Kürzungen in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheitsversorgung, Soziales und Forschung treffen Menschen mit Behinderungen in einem hohen Ausmaß.
Die Ratifizierung der UN-BRK (Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) führte nicht zu einer Änderung der Politik der Segregation von Menschen mit Behinderungen. Es gibt immer noch Sonderschulen, Tagesstrukturen und große Institutionen. Damit wird die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen verhindert.
In Bezug auf Beteiligungs- und Konsultationsprozesse möchten wir erwähnen, dass in Österreich Organisationen von Menschen mit Behinderungen aufgefordert werden, Stellungnahmen zu Gesetzesänderungen einzubringen. Es gibt jedoch keinen umfassenden Konsultationsprozess von Anfang an. Organisationen werden zwar aufgefordert Stellungnahmen abzugeben, aber es ist nicht klar, ob und wie diese Anregungen berücksichtigt werden.
Themen bezüglich Menschen mit Behinderungen werden weiterhin als Aufgabe des Sozialministeriums angesehen. Wir denken jedoch, dass es ein bereichsübergreifendes Thema für alle Ministerien sein sollte – damit würde die Umsetzung der UN-BRK in Österreich umfassend gefördert werden.
Die folgenden Bereiche beinhalten unserer Meinung nach die drängendsten Probleme: Österreichs föderales System, der nicht erfüllte Paradigmenwechsel vom medizinischen Modell zum menschenrechtsbasierten Ansatz, die Mehrfachdiskriminierung von Frauen und Kindern mit Behinderungen, Bildung, Barrierefreiheit, Arbeit, Gesundheit, selbstbestimmtes Leben, Daten und Bewusstseinsbildung.
Föderalismus
In Österreich besteht ein föderales System mit zersplitterten politischen Zuständigkeiten. Die Länder sind nach wie vor für die meisten sozialen Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen verantwortlich. Dies führt zu unterschiedlichen Standards bei der Hilfe für Menschen mit Behinderungen und bei Hilfsmitteln. Gleichartigen Bedürfnissen stehen ungleiche (materielle und finanzielle) Leistungen gegenüber. Es hängt also vom Wohnort der Person mit Behinderungen ab, ob und welche Leistungen sie erhält. Darüber hinaus behindert der Föderalismus die Schaffung eines umfassenden, österreichweiten Konzepts von Behinderung.
Paradigmenwechsel
Die Umsetzung der UN-BRK in Österreich hat in vielen Bereichen noch nicht stattgefunden. So hat das menschenrechtliche Modell in Österreich noch keinen Einzug gehalten. Sowohl die Einschätzung von Behinderung als auch die Zuerkennung von Leistungen erfolgt nach wie vor nach dem medizinischen Modell.
Die Mehrfachdiskriminierung von Frauen und Kinder mit Behinderungen
Frauen mit Behinderungen werden in Österreich mehrfach diskriminiert – ob es nun um Bildung, Beruf, Berufsausbildung oder Gewalterfahrungen geht. Auch die öffentliche Sichtbarkeit von Frauen mit Behinderungen ist kaum gegeben. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Behinderungen ist niedriger als jene von Frauen ohne Behinderungen und auch niedriger als von Männern mit Behinderungen. Sie sind daher auch stärker von Armut bedroht. Auch der barrierefreie Zugang zu Opferschutzeinrichtungen und diesbezüglicher Information ist in Österreich kaum gegeben. In den Bereichen Familie, Mutterschaft und soziale Teilhabe von Frauen mit Behinderungen wurden keine Maßnahmen umgesetzt.
Kinder: Institutionalisierung und ein separierendes Bildungssystem, tragen dazu bei, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen immer noch einem höheren Risiko ausgesetzt sind, körperliche, psychische und sexuelle Gewalt zu erfahren als Gleichaltrige. Dem österreichischen Monitoringausschuss zufolge wurde die Deinstitutionalisierung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen noch nicht beschleunigt. Im Gesundheitssektor werden mehr Plätze für die psychiatrische Betreuung von Kindern mit Behinderungen benötigt. Es gibt auch einen Mangel an Fachärzten mit Praxis.
Finanzielle Förderungen für Familienberatungsstellen wurden mit dem neuen Regierungsprogramm massiv zurückgefahren, wodurch weniger Angebote zur Verfügung gestellt werden können. Auch Menschen mit Behinderungen und ihre Familien sind von diesen Einsparungen betroffen.
Die Basis für volle Inklusion und Partizipation: Bildung und Barrierefreiheit
Bildung: Das Bildungssystem in Österreich ist nicht inklusiv, sondern orientiert sich nach wie vor an dem Integrationskonzept. Es fehlt ein klares politisches Bekenntnis zu einem inklusiven Schulsystem. So wird im Bildungsreformgesetz aus dem Jahr 2017 inklusive Bildung weder in Wort noch in Form von Maßnahmen erwähnt.
Nach wie vor bestehen eigene Sonderschulen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Der Weg aus einer Sonderschule führt meist direkt in eine Tagesstruktur.
Im Schuljahr 2015/16 wurden in drei Bundesländern (Steiermark, Kärnten, Tirol) Modellregionen eingerichtet, um ein inklusives Schulwesen im Sinne der UN-BRK zu erproben. Ursprüngliches Ziel war es, dass Bildungssystem bis 2020 in ganz Österreich auf ein inklusives umzustellen. Bis jetzt liegen jedoch noch keine verwertbaren Evaluierungsergebnisse aus den Modellregionen vor und es gibt keinen Zeitplan für die weitere Umsetzung.
Es drohen Verschlechterung im Bildungssystem. Die aktuelle Bundesregierung plant die „Pädagog*innenbildung Neu“ (2013) abzuschaffen und die Sonderschullehrer*innenausbildung wieder einzuführen. Die Pädagog*innenbildung Neu wurde mit dem Ziel geschaffen, ALLEN PädagogInnen Wissen zur inklusiver Bildung zu vermitteln.
Die Folge der fehlenden Inklusion im Bildungssystem sind, dass Menschen mit Behinderungen weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. So werden sie ihres Rechts beraubt, ihr Leben selbstbestimmt zu führen.
Barrierefreiheit
Es besteht kein übergreifender inklusiver Ansatz von Barrierefreiheit in Österreich und es gibt keinen generellen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch von Barrieren und diskriminierenden Verhalten.
Gerade im Bereich der baulichen Barrierefreiheit erschwert der Föderalismus die Schaffung von einheitlichen, der UN-BRK entsprechenden Standards und es bestehen noch immer 9 unterschiedliche Bauordnungen. Das OIB (Österreichisches Institut für Bautechnik), welches mit 15a-Vereinbarung eingerichtete wurde, erfüllt seinen Zweck – die Vereinheitlichung der Bauordnungen durch Richtlinien – nicht. Im Jahr 2015 wurde erstmals der Verweis auf die ÖNORM B 1600 (nationale Norm zur Barrierefreiheit) aus der OIB-Richtlinie entfernt und stattdessen geringere Voraussetzungen an die Barrierefreiheit definiert. Das führte zu gravierenden Verschlechterungen in den Baugesetzen der Länder.
Es bestehen keine gesetzlichen Regelungen für barrierefreie Flucht- und Evakuierungsmaßnahmen sowie Personensicherheit in öffentlichen Gebäuden. Für den Straßenraum bestehen ebenfalls keine verbindlichen Regelungen die Barrierefreiheit vorschreiben.
Darüber hinaus gibt es einen Mangel an barrierefreier Information und Kommunikation (z.B. Gesundheitsinformationen, Nachrichten, Kontakt mit Ämtern, Produktinformationen, usw.) in einfacher Sprache, Braille oder ÖGS. Es fehlen in Österreich z.B. ca. 500 Gebärdensprachdolmetscher*innen. Für gehörlose Menschen sind damit viele Einrichtungen und Dienstleistungen des öffentlichen Lebens faktisch nicht, oder nur unter erheblichen Mehraufwand und mit Einschränkungen nutzbar.
Menschen mit Behinderungen werden daher vielfach durch das Nichtvorhandensein von Barrierefreiheit im öffentlichen Raum von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen.
Arbeit
Die schlechte Lage für Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren kaum verbessert.
Dies liegt insbesondere daran, dass es kein inklusives Schulsystem gibt und damit auch nicht die Basis geschaffen wird, um Menschen mit Behinderungen dieselben Voraussetzungen und Chancen am Arbeitsmarkt zu ermöglichen wie Menschen ohne Behinderungen.
Nach langem Kampf wurden nun endlich Menschen mit Behinderungen als eigene Zielgruppe im AMS (Arbeitsmarktservice) eingerichtet. Bis jetzt gibt es jedoch kein eigenes Budget für diese Zielgruppe.
Die deutlichen Kürzungen des AMS-Budgets im Jahr 2018 spüren Menschen mit Behinderungen in Form von Kürzung diverser Fördermaßnahmen ganz besonders.
Die Mittel in Höhe von € 45 Mio. aus dem 2017 beschlossenen Inklusionspaket, welches das Ziel hat Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt zu inkludieren, werden im Moment vom Sozialministerium nicht eingesetzt.
Ein weiteres Problem ergibt sich durch die föderale Struktur von Österreich. Betreffend Tagestrukturen und persönliche Assistenz in der Freizeit gibt es neun unterschiedliche Landesgesetze, die unterschiedliche Voraussetzungen definieren. Es gibt auch keinen einheitlichen rechtlichen Begriff von Behinderung und die Einschätzung von Behinderung erfolgt weiterhin nach dem medizinischen Modell.
Nach aktuellen Arbeitsmarktdaten sind Menschen mit Behinderungen öfter und länger als Menschen ohne Behinderungen von Arbeitslosigkeit betroffen.
Obwohl es in Österreich ein Quotensystem für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen gibt, gilt diese Verpflichtung nur für Unternehmen mit mehr als 24 Beschäftigten. Diese repräsentieren nur 2,9 Prozent aller österreichischen Unternehmen. Von diesen Unternehmen erfüllen nur rund 22 Prozent ihre Verpflichtung.
Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf finden kaum Zugang zu Maßnahmen der beruflichen Orientierung und Qualifizierung. Ihnen wird oftmals frühzeitig (nach der Schule) von den Behörden Arbeitsunfähigkeit attestiert und damit sind sie auf Formen der Tagesstruktur angewiesen. Die Tätigkeit in einer Tagesstruktur wird jedoch von der Politik nicht als Erwerbsarbeit angesehen und daher bekommen die dort arbeitenden Menschen nur ein Taschengeld und sind auch nicht in der Kranken- und Pensionsversicherung versichert.
In Wien passiert dies in einer Form von Zwangsarbeit. Die Leistung „vollbetreutes Wohnen“ ist davon abhängig, ob NutzerInnen an einer Tagesstruktur, Berufsqualifizierung, Berufs- oder Arbeitsintegration teilnehmen.
Bei der Aufnahme einer Erwerbsarbeit fällt ab einem gewissen Einkommen die Transferleistung, die man vom Staat bekommt, weg. Es ist jedoch nicht gesichert, dass man diese Transferleistungen nach einem Jobverlust wiederbekommt. Dieses Risiko hält Menschen mit Behinderungen oftmals davon ab eine Erwerbsarbeit anzunehmen – gesetzt dem Fall, dass man ihnen überhaupt eine Chance auf dem 1. Arbeitsmarkt gibt.
Gesundheit
Grundsätzlich besteht eine lückenlose Krankenversicherung in Österreich. Seit dem Jahr 2010 wurden auch Menschen, die eine „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ erhalten, in das System der Krankenversicherung einbezogen (dazu zählen auch sehr viele Menschen mit Behinderungen). Diese Regelung läuft jedoch mit 31.12.2018 aus. Danach würden die Menschen wieder stigmatisierende Sozialhilfekrankenscheine erhalten, welche nicht von allen Ärzten akzeptiert werden. Somit verfügen sie nicht mehr über eine freie Arztwahl. Dies ist aber sehr wichtig für Menschen mit Behinderungen, da nur wenige Arztpraxen barrierefrei zugänglich sind. Die Gesetzgebung ignoriert vielfach die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen. Deshalb sind beispielsweise barrierefrei zugängliche Kommunikation und Information nicht vorgeschrieben und somit kaum vorhanden.
Im Gesundheitsbereich werden für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen zwischen 60000 und 80000 mehr Plätze für die psychologische Behandlung benötigt. Hier gibt es somit einen erheblichen Mangel.
Selbstbestimmt Leben
Derzeit besteht kein Plan für eine umfassende De-Institutionalisierung, weshalb viele Menschen mit Behinderungen nicht die Möglichkeit haben unabhängig zu leben. Einige junge Menschen mit Behinderungen müssen sogar in Altenheimen wohnen. Die Auslegung der Selbstbestimmung wird noch immer nach dem medizinischen Modell von Behinderung ausgerichtet.
Ein anderes Problem besteht darin, dass die persönliche Assistenz in der Freizeit je nach Bundesland unterschiedlich geregelt wird und auch zu wenig Ressourcen vorhanden sind – die (Länder-) Finanzierung der persönlichen Assistenz pro Assistenzstunde deckt nicht annähernd die tatsächlichen Kosten. Nur die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz wird bundeseinheitlich geregelt, aber diese steht nur einer kleinen Gruppe zur Verfügung (beispielsweise sind Menschen mit Lernschwierigkeiten generell davon ausgeschlossen)
Das Pflegegeld zur Abdeckung der pflegebedingten Mehraufwendungen wurde seit seiner Einführung 1993 nicht angemessen valorisiert, was zu einem Wertverlust von 30 Prozent geführt hat. Dies führt dazu, dass Menschen mit Behinderungen in prekäre, finanzielle Situationen kommen.
Statistische Daten und Bewusstseinsbildung
Abgesehen zu den Statistiken bezüglich Beschäftigung gibt es in Österreich kaum Daten zu Menschen mit Behinderungen. Diese Daten wären aber dringlich erforderlich, als Basis für effektive, politische Maßnahmen beziehungsweise um die Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu untermauern.
Außerdem ist es diesbezüglich sehr problematisch, dass es keine einheitliche Definition von Behinderung gibt: Da die unterschiedlichen Institute – AMS (Arbeitsmarktservice), SMS (Sozialministeriumsservice) und Statistik Austria, welche Daten sammeln, unterschiedliche Definitionen verwenden, ist es schwierig jene Daten miteinander zu vergleichen.
Verbunden mit dem Daten-Problem ist auch ein anderes Thema, das für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen eine grundlegende Rolle spielt: die Bewusstseinsbildung für die Situation von Menschen mit Behinderungen, ihre Fähigkeiten und ihre Menschenrechte. Denn es ist von hoher Wichtigkeit, die Barrieren in den Köpfen in Bezug auf Menschen mit Behinderungen anzusprechen. Bis jetzt wurden jedoch von staatlicher Seite keine Schritte gesetzt effektive Kampagnen zu lancieren, um die Bewusstseinsbildung und die Wichtigkeit der UN-BRK zu unterstreichen.
Die Fähigkeiten und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen stehen weder im Großteil der österreichischen Gesellschaft, noch in den Medien im Fokus. Die vorherrschenden Bilder sind nach wie vor von Mitleid geprägt. Es ist also von großer Bedeutung, dass die Medien endlich das Potential von Menschen mit Behinderungen anerkennen und dies auch entsprechend in ihrer Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen transportieren.“
Service-Links
Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2023). Abschließende Bemerkungen zum kombinierten zweiten und dritten periodischen Bericht Österreichs (PDF)
UN-Behindertenrechtskonvention. Zweiter und dritter Staatenbericht Österreichs