Forderungen von Menschen mit Behinderungen
Von Susanne Buchner-Sabathy
Ob man sich nun für alte Burgen oder neue Architektur interessiert, für Dinosaurier oder Lokomotiven, für Michelangelos Skulpturen oder für die Gemälde von Maria Lassnig –Museen und Ausstellungen sind attraktive Freizeit- und Bildungsangebote. Für alle Menschen. Ich habe kunst- und kulturinteressierte Menschen mit Behinderungen gefragt, worauf Museen achten sollten, damit ihr Kulturgenuss ungetrübt ist.
Für den Weg ins Museum und für die Wege im Museum, für die Ausstellungsgestaltung und für die Ausstattung nannten meine Gesprächspartner*innen folgende wichtige Punkte:
- Gibt es einen barrierefreien Zugang, der mit Rollstuhl oder Rollator problemlos genutzt werden kann?
- Wie ist die Bodengestaltung im Außenbereich? „Unverfugtes Kopfsteinpflaster ist mit Rollstuhl kaum befahrbar“, sagt Mag.a Karin Chladek.
- Ist die Webseite des Museums barrierefrei? Gibt es dort Informationen zur Barrierefreiheit? Wird eine Ansprechperson genannt?
- Gibt es auf der Webseite des Museums eine Wegbeschreibung, die blinden und sehbehinderten Menschen ermöglicht, den Weg zum Museum zu finden? Wird eine Abholung von öffentlichen Verkehrsmitteln angeboten?
- Gibt es ein tastbares Leitsystem, das blinden Menschen das Auffinden des Eingangs ermöglicht?
- Gibt es in mehrstöckigen Gebäuden gut auffindbare Lifte, die alle Ausstellungsbereiche erschließen?
- Sind die Toiletten mit Rollstuhl zugänglich?
- Gibt es ein tastbares Leitsystem, einen tastbaren Plan oder andere technische Einrichtungen, die blinden und sehbehinderten Menschen Orientierung im Gebäude und in Ausstellungen ermöglichen?
- Werden Ausstellungsobjekte und Beschriftungen so präsentiert, dass sie aus sitzender Position gut gesehen werden können?
- Gibt es Beschriftungen in Brailleschrift, sodass auch blinde Menschen rasch erfassen können, um welches Objekt es sich handelt?
Bauliche Barrierefreiheit betrifft Menschen mit unterschiedlichen Formen von Behinderungen. Um Mängel in diesem Bereich zu rechtfertigen, wird oft der Denkmalschutz angeführt. „Davon sollte man sich nicht abschrecken lassen“, sagt Mag.a Karin Chladek, „Denkmalschutz und bauliche Barrierefreiheit lassen sich durchaus vereinbaren.“ Monika Schmerold erzählt begeistert von der ehemaligen Königliche Yacht Britannia, die in allen Teilen mit Rollstuhl besichtigt werden kann.
Sehbehinderte und blinde Menschen schätzen es sehr, wenn sie sich mittels Tastmodelle oder Tastreliefs einen Eindruck von einem Objekt oder einem Bild verschaffen können. In seltenen Fällen dürfen Skulpturen oder Gerätschaften berührt werden, manchmal gibt es gute Nachbildungen. „Auch wenn ich sehr gute Beschreibungen bekomme“, sagt Mag.a Marion Putzer-Schimack, „möchte ich ganz unmittelbare, eigene Erfahrungen machen. Ich wünsche mir ein Erlebnis für alle Sinne, wie zum Beispiel im Loisium oder bei den archäologischen Ausgrabungen in Aquileia.“ Erich Schmid fand das Museum der Deutschen Einheit beeindruckend: „Es gibt viele Hörstationen und eine Reliefdarstellung des Brandenburger Tors.“ Veronika Mayer besichtigte die Britischen Kronjuwelen im Tower von London: „Bei jeder Vitrine gibt es ein tastbares Relief.“
Wertvolle Informationen beziehen blinde und sehbehinderte Menschen auch aus Beschreibungen von Objekten oder Gemälden. Die visuelle Erfahrung eines sehenden Menschen vor einem Bild ist komplex und vielschichtig und kann wohl nie vollständig wiedergegeben werden. Wichtig ist aber, dass alle Details genau beschrieben und kulturgeschichtlich und kunstgeschichtlich erklärt werden. „Auch die Empfindungen, die das Bild bei sehenden Menschen auslöst, gehören zu einer guten Bildbeschreibung“, betont Erich Schmid, „aber sie sollten klar getrennt sein von objektiveren Teilen der Beschreibung.“
Der direkte Kontakt mit Expert*innen, die Ausstellungsobjekte beschreiben, wird sehr geschätzt. Wolfgang Kremser empfiehlt das Technische Museum Wien, das persönliche Führungen für blinde Menschen anbietet.
In vielen Museen gibt es Audioguides, mit denen akustische Informationen zu Ausstellungsinhalten abgerufen werden können.
- Ist das Gerät auch für Menschen bedienbar, die einen Touchscreen nicht sehen können oder die darauf nicht gut tasten können?
- Kann man das Gerät umhängen und den Kopfhörer anstecken, sodass die Hände frei sind – zum Händchenhalten oder für die Betätigung eines Rollstuhls?
Das Mehr-Sinne-Prinzip ist auch für Film und Videos wichtig.
- Können die Audioinhalte auch abgeschirmt vom Umgebungslärm angehört werden? Ist eine Kopplung mit Hörsystemen möglich?
- Gibt es Audiobeschreibungen für Video-Material?
- Gibt es bei Führungen Unterstützung durch Gebärdensprach- oder Schriftdolmetscher*innen?
Die Inhalte, die in Museen vermittelt werden, sind oft sehr komplex.
- Gibt es auf der Webseite des Museums und in den Ausstellungen Informationen in leichter Sprache?
„Davon profitieren nicht nur Menschen mit kognitiven Einschränkungen“, betont Jörgis Maislinger, „sondern auch gehörlose Menschen und Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache.“
All meine Gesprächspartner*innen wünschen sich in Museen einen respektvollen und entspannten Umgang mit dem Thema Behinderung. Um das zu erreichen, müssen Mitarbeiter*innen sensibilisiert und alte Konzepte hinterfragt werden. Wobei sich Museen, wie Monika Schmerold betont, unbedingt von erfahrenen Expert*innen mit Behinderungen beraten lassen sollten. Franz Mayer sieht hier viel Raum für spannende Experimente und eine Chance für einen fruchtbaren Dialog.
„Wir möchten genauso wahrgenommen werden wie alle anderen Besucher“, betonen Veronika und Franz Mayer. „Es geht lediglich darum, den fehlenden visuellen Eindruck zu kompensieren.“ Stefan Musil hat im Projekt ARCHES erlebt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: eine Begegnung mit Wertschätzung und auf Augenhöhe.
Ich danke all meinen Gesprächspartner*innen für Ihre Zeit und für die Bereitschaft, ihre Expertise zu teilen.
Dr. Susanne Buchner-Sabathy
Barrierefreiheit / Übersetzungen
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