Assistierter Suizid nur restriktiv, kontrolliert und nach gerichtlicher Genehmigung
Offener Brief des Österreichischen Behindertenrates
Sehr geehrte Klubobleute,
sehr geehrte Behindertensprecher*innen,
sehr geehrte Justizsprecher*innen,
sehr geehrte Abgeordnete zum Nationalrat,
mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof (VfGH) vom 11.12.2020 wurde das ausnahmslose Verbot der Hilfe zum Suizid als verfassungswidrig aufgehoben. Das verfassungsmäßige Recht auf freie Selbstbestimmung würde damit verletzt werden. Bis 31.12.2021 muss die Regierung eine verfassungskonforme Lösung gefunden haben, andernfalls ist ab 1. Jänner 2022 jede Form der Beihilfe zum Suizid straffrei. Es sind sowohl gesetzgeberische als auch sonstige staatliche Maßnahmen festzulegen, um die Entscheidung des VfGH umzusetzen.
Der Österreichische Behindertenrat ist über eine schrankenlose Legalisierung der Sterbehilfe besorgt. Menschen mit Behinderungen oder pflegebedürftige Menschen könnten in die Lage kommen, sich für ihr Leben rechtfertigen zu müssen oder sich dazu gedrängt fühlen, ihrem Leben ein Ende setzen zu müssen.
Die Hochhaltung des Rechts auf Selbstbestimmung durch den VfGH im Fall des assistierten Suizids erscheint gerade für Menschen mit Behinderungen zynisch. Österreich ist noch immer säumig dabei, die Rahmenbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen zu schaffen. BEVOR also eine selbstbestimmte Entscheidung zum Sterben in Erwägung gezogen werden kann, muss die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt und damit Menschen mit Behinderungen ein Selbstbestimmungsrecht im Leben ermöglicht werden. Dazu zählen u.a. die rasche Umsetzung der De-Institutionalisierung, die Versorgung mit Hilfsmitteln und die Gewährung von umfassender Persönlicher Assistenz.
Um eine selbstbestimmte Entscheidung für den Tod zu ermöglichen, müssen darüber hinaus die Palliativ- und Hospizpflege in ganz Österreich flächendeckend angeboten und in die Regelfinanzierung übernommen werden. Maßnahmen zur Suizidprävention müssen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe vom Staat entsprechend gefördert und verstärkt eingesetzt werden und eine niederschwellige Beratung über die Alternativen, sowie die Unterstützung und Begleitung der Menschen muss sichergestellt werden. Nur so kann in einer freien Entscheidung der beste Weg für jeden Menschen gefunden werden.
Ein würdevolles Lebensende ist auch ohne Sterbehilfe möglich. Menschen müssen von Palliativmediziner*innen begleitet werden, Angst und Einsamkeit müssen durch Assistenz (wenn notwendig auch rund um die Uhr) vermindert, Schmerzen gelindert und soziale und finanzielle Sorgen genommen werden.
Der Österreichische Behindertenrat appelliert an die Bundesregierung die oben angeführten Angebote und alternativen Unterstützungsmöglichkeiten vorrangig einzurichten. Regelungen zum assistierten Suizid müssen so restriktiv wie möglich gestaltet und nur in einem eng kontrollierten Rahmen nach einer gerichtlichen Genehmigung ermöglicht werden.
Mit freundlichen Grüßen
Mag. Michael Svoboda
Präsident des Österreichischen Behindertenrates
Die ausführliche Position des Österreichischen Behindertenrates finden Sie unter: Position Österreichischer Behindertenrat Assistierter Suizid 09.2021.PDF