Die Pflegegeld-Einstufungsverordnung muss psychische Beeinträchtigungen besser berücksichtigen. Denn derzeit zielen die Regeln, mit denen die Höhe des Pflegegelds festgelegt wird, vor allem auf körperliche Behinderungen und Erkrankungen ab.
„Psychische Beeinträchtigungen wie Demenz werden nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl die Betroffenen viel Pflege brauchen“, kritisiert Volksanwalt Bernhard Achitz. Aus diesem Grund müsse die Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz überarbeitet werden. Es sei erforderlich, Angehörige bei den Gutachten besser einzubinden. Zudem müsse die Pensionsversicherung besser auf die Spezialisierung der Gutachter*innen achten.
Diese Forderungen veranschaulichte Achitz zuletzt am Beispiel der seit einigen Jahren von einer weit fortgeschrittenen Demenz betroffenen Elisabeth P. in der ORF-Sendung „Bürgeranwalt“. Seit 2021 bezieht Frau P. nach Einstufung durch eine Pflegefachkraft Pflegegeld der Stufe 3. Nur acht Monate danach schickte ihr die Pensionsversicherung einen neuen Gutachter, diesmal einen Allgemeinmediziner, der Frau P. auf Stufe 1 abstufte, was in Summe eine monatliche Reduktion des Pflegegelds von rund 300 Euro bedeutet. „Und das, obwohl sich ihr Zustand verschlechtert hat: Sie braucht Hilfe bei Körperpflege und am Klo, beim Aus- und Anziehen und bei vielen anderen alltäglichen Verrichtungen“, schildert der Volksanwalt.
Erhöhter Unterstützungsbedarf trotz körperlicher Fähigkeiten
Häufig würden Pflegegeldeinstufungen von geistig oder körperlich schwer behinderten Menschen bei weitem nicht der zeitlichen und psychischen Belastung, die mit ihrer Betreuung verbunden ist, entsprechen. So würden die Richt- und Mindestwerte der Einstufungsverordnung zum Pflegegeldgesetz primär auf den Hilfe- und Betreuungsbedarf bei körperlichen Beeinträchtigungen abstellen, verdeutlicht Achitz. Die Pflegeabhängigkeit geistig oder psychisch beeinträchtigter Menschen werde in der Einstufungsverordnung nicht ausreichend abgebildet. Daran habe auch der seit 2009 bestehende Erschwerniszuschlag für geistig oder psychisch schwer beeinträchtigte Personen wenig geändert.
Die Einstufungsverordnung gehe beispielsweise nicht auf Situationen ein, in denen pflegende Angehörige glaubhaft schildern, rund um die Uhr darauf gefasst sein zu müssen, demenzerkrankte Angehörige jederzeit zu unterstützen. Der erhöhte Unterstützungsbedarf lasse sich nicht auf physische Beeinträchtigungen reduzieren. Öfters komme es vor, dass Pflegegeldbezieher*innen zwar rein körperlich in der Lage wären, Alltagsverrichtungen selbsttätig durchzuführen, sie aber dennoch nicht selbstständig vornehmen können.
Es seien neurologische (etwa Gedächtnisleistungen), psychiatrische (Angstzustände, Depression, Verwirrtheit), psychosoziale (Strukturlosigkeit) Beeinträchtigungen sowie lebenssituative Aspekte (Tod des Ehepartners oder anderer Bezugspersonen, Einsamkeit etc.), die gesamtheitlich erfasst werden müssten. Einstufungskriterien, die all das berücksichtigen, würden die Alltagsrealität Betroffener und deren pflegender Angehöriger lebensnäher abbilden, so Achitz.
Einstufung nur durch Gutachter*innen mit speziellen Fachkenntnissen
Bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Menschen mit Demenz seien spezielle Fachkenntnisse nötig, die die Auswirkungen der Beeinträchtigungen auf den Pflegebedarf richtig einschätzen können. Aber oft würden keine Fachärzt*innen für Psychiatrie oder Neurologie herangezogen, sondern Allgemeinmediziner*innen, kritisiert der Volksanwalt.
Angehörige mit ins Boot holen
Zur Einschätzung des Pflegebedarf sei es nicht ausreichen, von Demenz betroffenen Menschen selbst zu befragen. Denn wenn man sie frage, was sie noch selbst können, würden sie sich häufig besser darstellen. Aus diesem Grund müssten die Gutachter*innen auch Angehörige einbeziehen, um ein realistisches Bild zu bekommen. Am besten sollten Gutachter*innen auch ein Gespräch mit Angehörigen führen, an dem der/die Pflegebedürftige nicht dabei sei. Schließlich würden zahlreiche Angehörige auf die Gefühle der an Demenz Erkrankten Rücksicht nehmen und diesen ihnen nicht widersprechen, wenn sie ihre Fähigkeiten besser darstellen, als sie tatsächlich sind. „Diese Schonung darf nicht zu einer schlechteren Pflegegeldeinstufung führen“, appelliert Achitz.
Die Volksanwaltschaft ist unter post@volksanwaltschaft.gv.at sowie unter der kostenlosen Servicenummer 0800 223 223 erreichbar.
Servicelink: Pflegegeld-Einstufungsverordnung
Kerstin Huber-Eibl