Allgemeines
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet die Republik Österreich Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe in vollem Umfang zu ermöglichen. Menschen mit Behinderungen sind auf barrierefreie, sichere Gehbereiche und auf einen barrierefreien öffentlichen Verkehr angewiesen. Die Sicherheit bei der Nutzung der Gehbereiche und des öffentlichen Verkehrs sind essenziell.
Die Klimaschutzziele machen es erforderlich, dass aktiven Mobilitätsformen wie dem zu Fuß Gehen bzw. dem Nutzen von Gehbereichen und dem Radfahren mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. In den Gehbereichen, sowie den Fahrradbereichen werden künftig mehr Menschen unterwegs sein. Da praktisch alle Menschen mit Behinderungen Gehbereiche nutzen, haben für den Österreichischen Behindertenrat sichere Gehbereiche höchste Priorität. Generell ist anzumerken, dass Menschen in den Gehbereichen vermehrt durch die Zweiradnutzung unter Druck geraten.
Steigende Zahlen an Radfahrer*innen, E-Scooter Nutzer*innen und neuen Fahrzeugtypen machen besondere Anstrengungen zur Bewahrung und Schaffung sicherer und attraktiver Gehbereiche erforderlich.
Zu den einzelnen Regelungen
Der Österreichische Behindertenrat begrüßt und unterstützt ausdrücklich die Umsetzung einiger langjähriger Forderungen im Zuge der bevorstehenden 33. Novelle der Straßenverkehrsordnung.
Folgende Neuerungen bedeuten wesentliche Verbesserungen für die Sicherheit von Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Raum:
➢ Das Verbot, an einem in der Haltestelle stehenden Schienenfahrzeug oder Omnibus vorbeizufahren gemäß Z 6 (§ 17 Abs. 2)
Der Behindertenrat ersucht die Regelung noch zu ergänzen: Sofern nicht durch Haltestellenkaps die Länge der Haltestellen klar erkennbar ist, sollte die Länge der Haltestelle durch farbliche Markierungen am Gehsteig oder Bodenmarkierungen auf der Fahrbahn, ev. auch durch Hinweiszeichen Beginn- und Ende des Haltestellenbereichs angezeigt werden.
Die Abgrenzung des Haltestellenbereichs mit 15 Metern vor und nach der Haltestellentafel ist möglicher Weise nicht mehr ausreichend. Bei Doppelstationen ist die Länge der Haltestelle unter Umständen unklar und Haltestellentafeln werden generell nicht unbedingt als solche erkannt, etwa die neuen Wiener Haltestellentafeln. Ebenso zu beachten ist, dass neuere Schienenfahrzeuge auch länger als 30 m sind.
Zur deutlichen optischen Erkennung eines in einer Fahrbahnhaltestelle stehenden öffentlichen Verkehrsmittels und damit der erforderlichen Einhaltung des Vorbeifahrverbotes, sind an den Fahrzeugen Lichtzeichen während des Ein- und Aussteigevorganges zu aktivieren, z.B. Betätigen der rechten Blinker der öffentlichen Verkehrsmittel.
➢ Das Gebot zum Freihalten eines Querschnitts von 1,5 m von bestimmten Hindernissen auf Verkehrsflächen für den Fußgängerverkehr gemäß Z 9 (§ 23 Abs. 1)
Der ÖBR begrüßt die Regelung, ersucht jedoch keine Ausnahme für Gerüste vorzusehen. Diese schränken den Bewegungsraum für Fußgänger*innen oft länger ein, obwohl durch heutige Gerüstbautechnik eine 1,5 Meter Durchgangsbreite technisch machbar ist (z.B. Brückenkonstruktionen über dem Gehsteig). Der Behindertenrat schlägt vor die Einrichtung eines barrierefrei nutzbaren Ersatzgehsteigs verpflichtend vorzuschreiben, wenn der bestehende Gehsteig bedingt durch Bauarbeiten oder eine Baustelle nicht benützt werden kann.
➢ Das Anheben des Mindestabstands für Halten und Parken im Kreuzungsbereich zur Verbesserung der Sichtbeziehungen gemäß Z 10 (§ § 24 Abs. 1 lit. d)
➢ Die verpflichtende Berücksichtigung einer zuzugestehenden längeren Zeitdauer zur Fahrbahnquerung gemäß Z 16 (§ 36 Abs. 2 1. Satz)
➢ Die Änderung von § 78 zum Verhalten auf Verkehrsflächen mit Fußverkehr mit dem Verbot „andere Straßenbenützer zu gefährden, insbesondere mit Gegenständen, die scharf, spitz oder sonst gefährlich sind“ sowie „den Fußgängerverkehr mutwillig zu behindern“
➢ Die Änderung des Begriffs „gehindert“ auf „erheblich behindert“ als Bedingung zum Entfernen von verkehrsbehindernden Gegenständen auf Gehsteigen und Gehwegen gemäß Z 40 (§ 93 Abs. 3 1. Satz)
Der Österreichische Behindertenrat sieht in den zwei zuletzt genannten Regelungen wichtige Voraussetzungen dafür, um die Unfallgefahr in Gehbereichen – etwa durch nicht regelkonform abgelegten oder abgestellten E-Scootern – zu reduzieren und die sichere Nutzung der Gehbereiche zu fördern.
Die oben angeführten Regelungen sind nach Auffassung des Österreichischen Behindertenrats zur Erhöhung der Sicherheit von Fußgänger*innen mit Behinderungen im Straßenverkehr geeignet.
Der Österreichische Behindertenrat unterstützt die fundierte Stellungnahme des BSVÖ zur 33. StVO-Novelle und teilt die Einschätzung der problematischen Aspekte.
Folgende Aspekte im Entwurf schätzt der Behindertenrat problematisch ein:
➢ Zu Z 17 (§ 38 Abs. 5a. und 5.b) – Rechtsabbiegen bei Rot
Der ÖBR begrüßt die Tatsache, dass die Möglichkeit entfallen soll, zu Versuchszwecken das Rechtsabbiegen bei Rot für alle Fahrzeuggruppen zu erlauben. Dass es nunmehr für den Fahrradverkehr erlaubt werden soll, wird als höchst problematisch betrachtet und entschieden abgelehnt.
➢ Zu Z 22 (§ 53 Abs. 1 Z 2d) – Gemeinsame Straßenquerung für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen
Der ÖBR betrachtet die mit der 30. Novelle der StVO eingeführte Variante eines gemeinsam geführten Schutzwegs und einer Radfahrerüberfahrt genau wie die gemischten Geh- und Radwege, als deren Fortführung sie vorgesehen werden, als höchst problematisch. Da die Situation im Zusammenhang mit der Querung einer Fahrbahn hinsichtlich des Gefahrenpotenzials massiv verschärft ist, wird die Regelung umso entschiedener abgelehnt.
Bei folgenden Aspekten regt der Behindertenrat weitere Änderungen in der STVO an:
➢ Zu § 52 Z 17a. – Trennung zwischen Geh- und Radweg
Die Trennung von Geh- und Radweg bzw. die Zuordnung der Verkehrsflächen zu den jeweiligen Verkehrsteilnehmer*innen, die durch das Straßenverkehrszeichen § 52 Z 17b. vermittelt wird, ist für blinde Menschen nicht und für sehbehinderte Menschen unter Umständen sehr schwer erkennbar.
Fußgänger*innenbereiche sind unbedingt von Fahrradbereichen – wie z.B. in der Radfahr-RVS angeführt – baulich zu trennen.
Adaptierungsvorschlag:
Ergänzen einer Vorschrift an geeigneter Stelle – z.B. § 52 Z 17a. – zur baulichen und taktil wahrnehmbaren Trennung von Geh- und Radwegen am Boden entlang des gesamten Wegverlaufs.
Gemischte Geh- und Radwege, wie sie unter Z 17a. lit a) beschrieben sind, werden im Sinne der Nutzungssicherheit und Nutzungsqualität (Stress) von Menschen mit Behinderungen generell abgelehnt. Insbesondere im Sinne von blinden und sehbehinderten Menschen, Menschen mit Lernschwierigkeiten, sowie Personen, die einen Rollstuhl nutzen und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen.
Wie bei anderen gemischten Verkehrsflächen muss zumindest ein Fußgänger*innen alleine vorbehaltener Bereich definiert und taktil sowie visuell deutlich erkennbar gemacht werden (vgl. auch RVS Arbeitspapier Nr. 27 und ÖNORM V 2102:2018).
Fußgänger*innenbereiche sind unbedingt von Fahrradbereichen – wie z.B. in der Radfahr-RVS angeführt – baulich zu trennen.
➢ Zu § 76c. – Sicherheit und Orientierung in Begegnungszonen
In Begegnungszonen ist durch das Konzept der gemeinsamen Nutzung von Verkehrsflächen und die damit einhergehende einheitliche Gestaltung der Verkehrsflächen die Orientierung und damit die sichere Mobilität blinder und sehbehinderter Menschen massiv beeinträchtigt. Gewisse Mindestanforderungen müssen gesetzlich verankert werden, um dem entgegenzuwirken (vgl. auch RVS Arbeitspapier Nr. 27 und ÖNORM V 2102:2018).
Adaptierungsvorschlag:
Ergänzen einer Bestimmung in § 76c., gemäß derer die gesamte Begegnungszone durch einen Bereich zu erschließen ist, der von Fahrzeugen nicht befahren werden darf und sowohl visuell als auch taktil deutlich erkennbar sein muss.
Ergänzen einer Bestimmung in § 76c., die visuell und taktile Leiteinrichtungen für blinde und sehbehinderte Menschen in Begegnungszonen verpflichtend vorsieht
➢ Zu § 9 Abs.2 und § 28 Abs. 2 – Sicherheit auf Schutzwegen gegenüber Schienenfahrzeugen
Für die Sicherheit von Fußgänger*innen ist es sehr wichtig, dass das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn auf Schutzwegen gewährleistet ist, indem sie darauf uneingeschränkt Vorrang gegenüber anderen Verkehrsteilnehmer*innen haben. In Bezug auf Schienenfahrzeuge ist das derzeit gemäß StVO nicht der Fall.
Adaptierungsvorschlag:
In § 9 Abs. 2 Entfernen des Zusatzes „das kein Schienenfahrzeug ist“ an allen Textstellen, die Lenker*innen eines Fahrzeugs dazu verpflichten, vor Schutzwegen bremsbereit zu fahren und eine ungehinderte sichere Querung zu ermöglichen.
§ 28 Abs. 2 dahingehend ändern bzw. ergänzen, dass die rechtliche Sicherheit (v.a. bzgl. Haftung) von Personen, denen es nicht möglich ist, das Herannahen eines Schienenfahrzeugs rechtzeitig wahrzunehmen oder die Gleisquerung schnell genug zu verlassen, gewährleistet ist.
Zur Steigerung der Sicherheit auf Schutzwegen fordert der Österreichische Behindertenrat ergänzend legistische Maßnahmen, um die Einrichtung unvollständiger Verkehrslichtsignalanlagen einzustellen. Wir ersuchen in der StVO sicherzustellen, dass zur Steigerung der Sicherheit auf Schutzwegen gegenüber Schienenfahrzeugen ausschließlich vollständige VLSA zur Anwendung kommen dürfen.
➢ Zu § 88b. Abs.1 „Rollerfahren“
Der Entwurf sieht zu § 88b keine Veränderung vor. Der Österreichische Behindertenrat sieht jedoch gerade im Bereich E-Scooter einen immensen Handlungsbedarf.
Daher sollte gesetzlich festgeschrieben werden, dass das Fahren mit Klein- und Minirollern mit elektrischem Antrieb (elektrisch betriebene Klein- und Miniroller) auf Gehsteigen, Gehwegen und Schutzwegen grundsätzlich verboten ist.
Die Geschwindigkeit rollender Fahrzeuge in den Gehbereichen darf die Schrittgeschwindigkeit von 5 km/h nicht übersteigen.
In den Bestimmungen ist zu ergänzen, dass das Parken von E-Rollern auf Gehsteigen verboten ist.
Für Mietroller sind von den Anbietern Abstellanlagen (Docking-Stations), wie für Mietfahrräder verpflichtend anzubieten, um gefährdendes Abstellen und Ablegen der Fahrzeuge vor allem für sehbehinderte und blinde Fußgänger*innen zu verhindern und um die Wege von Menschen, die einen Rollstuhl nutzen nicht zu blockieren.
➢ Vermeidung scharfkantiger Verkehrszeichen
Temporäre Verkehrszeichen dürfen – gemäß RVS Fußgänger*innen – nicht scharfkantig sein, um Verletzungsgefahren, vor allem für blinde und sehbehinderte Menschen zu vermeiden.
Der Österreichische Behindertenrat regt an, legistisch die Verwendung von Verkehrszeichen mit scharfen Kanten zu verbieten. Insbesondere bei Verkehrszeichen zur Baustellenabsicherung und Verkehrszeichen in Gehbereichen, wo die Gefahr von Zusammenstößen und folglich Schnittverletzungen bestehen.
Wir ersuchen um Berücksichtigung der eingebrachten Punkte im Sinne der Menschen mit Behinderungen in Österreich.