Am 21. Juni 2023 kündigten Bundesminister Johannes Rauch, Bundesminister Martin Kocher und ÖBR-Vizepräsident Markus Neuherz beim Pressefoyer nach dem Ministerrat eine Novelle an, die ab 2024 den Zugang zu Angeboten des Arbeitsmarktservice (AMS) für bislang als „arbeitsunfähig“ geltende Personen unter 25 Jahren ermöglicht. Die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit soll erst im Alter von 25 Jahren stattfinden und nicht wie bisher bereits im Jugendalter. Somit wird die vom Österreichischen Behindertenrat lange kritisierte Praxis beendet, junge Menschen vorzeitig als arbeitsunfähig zu erklären. Stattdessen erhalten Menschen mit Behinderungen bis zu ihrem 25. Geburtstag endlich eine Betreuung durch das Arbeitsmarktservice. In Zusammenarbeit mit dem Sozialministeriumsservice (SMS) soll eine Beschäftigung am regulären Arbeitsmarkt ermöglicht werden.
Ende Mai 2023 waren rund 13.300 Personen mit Behinderungen beim AMS arbeitslos gemeldet. Die Pensionsversicherungsanstalt stellt für das AMS fest, ob eine Person als „arbeitsunfähig“ einzuordnen ist. Liegt eine solche „Arbeitsunfähigkeitsfeststellung“ vor, werden betroffene Personen nicht von den Services des AMS erfasst. Die Arbeitsunfähigkeit äußert sich darin, dass Betroffene nicht an Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen des AMS teilnehmen können, da dafür eine Arbeitsfähigkeit vorausgesetzt wird.
Auch Jugendliche bzw. Personen unter 25 Jahren mit gewissen körperlichen bzw. intellektuellen Behinderungen werden aktuell nach Feststellung ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht vom AMS betreut und können daher nicht auf Angebote des AMS zurückgreifen. Darüber hinaus haben diese Personen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Für sie besteht lediglich die Möglichkeit auf Hilfeleistung nach den Landesbehindertengesetzen, da das AMS an die Beurteilung der Pensionsversicherungsanstalt gebunden ist. Sind Jugendliche im Bereich der Behindertenhilfe der Länder platziert, ist die Rückkehr in Richtung Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt schwierig.
Maßnahmen für mehr Inklusion von jungen Menschen am Arbeitsmarkt
Im Pressefoyer gaben Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher und Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch den aktuellen Stand der Umsetzung der verbesserten Datenlage zur Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen sowie der erweiterten Flexibilität beim Zugang zu Programmen des Arbeitsmarktservices trotz Arbeitsunfähigkeit bekannt.
Das Kompetenzzentrum für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship der Wirtschaftsuniversität Wien wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft beauftragt, die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen zu analysieren. Die Analyse zeigt, dass zwar zahlreiche Datenquellen zur Erwerbsbeteiligung und Ausbildungslage von Menschen mit Behinderungen vorhanden sind, es aber an Aussagekraft mangelt, um ein umfassendes Bild zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen zeichnen zu können. Hierfür wird seitens des Kompetenzzentrums eine Verknüpfung von Befragungs-und Verwaltungsdaten als wesentlich erachtet.
Jugendliche und Personen unter 25 Jahren sollen trotz fehlender Arbeitsfähigkeit vom Arbeitsmarktservice betreut und vorgemerkt werden sowie entsprechende Dienstleistungsangebote in Anspruch nehmen können. Schritt für Schritt werden nun entsprechende Angebote geschaffen. Darüber hinaus soll der Bezug von Arbeitslosengeld ermöglicht werden, sofern die Anwartschaft erfüllt ist.
Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher erklärte beim Pressfoyer, dass Inklusion am Arbeitsplatz nicht nur ein Akt der Fairness, sondern auch eine Investition in die Zukunft sei. „Denn wenn wir junge Menschen von Anfang an unterstützen und befähigen, ihre Talente und Ideen einzubringen, schaffen wir eine Gesellschaft, die auf Innovation, Kreativität und nachhaltigem Erfolg aufbaut. Daher müssen wir bestehende Barrieren abbauen und insbesondere junge Menschen auf ihrem frühen beruflichen Weg unterstützen“, so Kocher. Nur so könne volle Inklusion am Arbeitsmarkt gelingen. Mit den geplanten Änderungen würden noch mehr junge Menschen Zugang zu Angeboten und Ausbildungen des Arbeitsmarktservice erhalten.
„Menschen, die im Berufsleben stehen, haben die Möglichkeit, ihr Leben selbstbestimmt und nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Eine Behinderung darf Menschen davon nicht ausschließen“, betonte Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch. Nur wenn die Gesellschaft Talente und Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen in den Fokus rücke, lasse sich volle Inklusion realisieren.
„Heute stellen wir sicher, dass junge Menschen nicht vorzeitig als arbeitsunfähig erklärt werden. Mit der Anhebung der verpflichtenden Überprüfung der Arbeitsfähigkeit auf 25 Jahre geben wir jungen Menschen mit Behinderungen genügend Zeit, ihre Fähigkeiten und Talente zu entwickeln. Sie erhalten dadurch die volle Unterstützung des AMS und damit auch einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt. Für Menschen mit Behinderungen bedeutet das eine Chance auf ein faires Entgelt für ihre geleistete Arbeit und damit auch eine Chance auf ein gutes und selbstbestimmtes Leben“, schloss Rauch.
„Entscheidungen, die nach der Schule getroffen werden, beeinflussen üblicherweise den Werdegang für die nächsten Jahrzehnte. Für junge Menschen mit Behinderungen wurden die Weichen bisher aber leider viel zu oft Richtung Abstellgleis gestellt. Das Abstellgleis lautet Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Wer als arbeitsunfähig eingestuft wird, hat keinen Zugang du den Angeboten des AMS und findet kaum einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz“, verdeutlichte Markus Neuherz, Vizepräsident des Österreichischen Behindertenrates.
„Wir sind sehr erfreut, dass sich das mit der heute angekündigten Novelle ändern soll. Wichtig ist nun, dass vom Arbeitsmarktservice und vom Sozialministeriumservice auch die entsprechenden Angebote und Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden, um Menschen mit Behinderungen bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten und sie bei der Arbeitssuche und beim Jobeinstieg zu unterstützen“, so Neuherz, dem zufolge es ebenso wichtig sei, dass es ein gutes Zusammenwirken zwischen den Angeboten der Länder und des Bundes gibt.
Markus Neuherz, Vizepräsident des Österreichischen Behindertenrates, verdeutlichte im Rahmen des Pressefoyers, dass in jungen Jahren die Weichen für das weitere Berufsleben gestellt werden.
„Die Entscheidungen, die nach der Schule getroffen werden, beeinflussen üblicherweise den Werdegang für die nächsten Jahrzehnte. Für junge Menschen mit Behinderungen wurden die Weichen bisher aber leider viel zu oft Richtung Abstellgleis gestellt. Das Abstellgleis lautet Arbeitsunfähigkeit. Ist einmal die Arbeitsunfähigkeit festgestellt, hat man diesen Stempel ein Leben lang und wird ihn auch nicht mehr los. Das hat auch zur Folge, dass man keinen bezahlten Arbeitsplatz bekommt und auch keinen Pensionsanspruch erwirbt.
Aber warum ist das so?
Das Arbeitsmarktservice ist aktuell gesetzlich verpflichtet, festzustellen, ob jemand arbeitsfähig ist oder nicht. Die Feststellung erfolgt nach rein medizinischen Kriterien und es wird entlang einer willkürlich gezogenen Grenze festgelegt, wer noch als arbeitsfähig gilt und wer schon als arbeitsunfähig eingestuft wird und somit keinen Zugang zu den AMS Leistungen und Angeboten erhält.
Warum ist das zu ändern?
In Österreich ist seit 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Laut dieser Konvention sind Bund, Länder, Gemeinden und alle nachgelagerten Stellen dazu verpflichtet, auch Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu einem inklusiven Arbeitsmarkt zu gewährleisten.
Das bedeutet auch, dass Menschen mit Behinderungen – wie auch allen anderen Menschen – die entsprechende Unterstützung durch das AMS zusteht. Diese Unterstützung war bisher nicht gewährleistet, weil das AMS für sogenannt „arbeitsunfähige“ Personen nicht zuständig war.
Was wird jetzt neu?
Mit der heute angekündigten Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes und des Arbeitsmarktservicegesetztes wird eine viel kritisierte Diskriminierung abgestellt und die langjährige Forderung vieler Menschen mit Behinderungen, Angehöriger und Behindertenorganisationen umgesetzt:
Menschen mit Behinderungen sollen nun – unabhängig vom Ausmaß ihrer Arbeitsfähigkeit – bis zu ihrem 25. Lebensjahr endlich den vollen, gleichberechtigten Zugang zu den Unterstützungsleistungen des AMS und des Sozialministeriumsservice erhalten, um ihre Chancen auf Ausbildung und Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt maßgeblich zu erhöhen.
Das ist aus meiner Sicht eine durchaus historische und maßgebliche Weichenstellung hin zu einem inklusiveren Arbeitsmarkt. Und ich möchte mich an dieser Stelle auch bei Ihnen, Herr BM Kocher und bei Ihnen, Herr BM Rauch für Ihren sehr klar erkennbaren politischen Willen, die Situation von Menschen mit Behinderungen mit dieser Maßnahme zu verbessern, bedanken.
Ist nun bereits alles getan, was zu tun ist, um allen Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren?
Nein, noch nicht. Es ist ein guter Anfang gemacht, aber es gibt noch einiges zu tun.
Als erster wichtiger Schritt ist nun sicherzustellen, dass vom AMS und vom Sozialministeriumservice auch die entsprechenden Angebote und Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden, um Menschen mit Behinderungen bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten und sie bei der Arbeitssuche und beim Jobeinstieg zu unterstützen.
Ebenso wichtig ist, dass es ein gutes Zusammenwirken zwischen den Angeboten der Länder und des Bundes gibt. Es gibt hier wichtige Schnittstellen, die eine gute Kooperation und Abstimmung zwischen Bund und Ländern erfordern, um Menschen mit Behinderungen Zugang zu Qualifizierung und letztlich zu dauerhaften Jobs zu gewährleisten. Ebenso ist weiterhin mit großer Achtsamkeit auf die Bedarfe und Bedürfnisse von Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf einzugehen, die primär tagesstrukturierende und therapeutische Angebote benötigen.
Ebenso ist – wie schon erwähnt – die langjährige Forderung „Gehalt statt Taschengeld“ für jene Menschen umzusetzen, die als arbeitsunfähig eingestuft wurden und auf Taschengeld-Basis in Behindertenwerkstätten arbeiten.
Was wurde hier noch nicht erwähnt?
Abschließend darf ich noch auf eine ganz wesentliche Voraussetzung für den gleichberechtigten Zugang aller Menschen zu einem inklusiven Arbeitsmarkt eingehen:
Alle Maßnahmen, die heute erwähnt wurden, sind ausgesprochen wichtig. Sie benötigen aber ein Fundament, auf dem sie aufgebaut werden können. Dieses Fundament ist ein inklusives Bildungssystem.
Ein inklusives Bildungssystem ist ein Bildungssystem, das allen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Behinderungen gewährleistet, gemeinsam mit allen anderen Kindern in den Kindergarten und in die Schule gehen zu können, Berufsausbildung zu machen und studieren zu können.
Ich möchte mich daher noch einmal bei Ihnen beiden für die heute präsentierten, sehr entscheidenden rechtlichen Weichenstellungen bedanken, bin zuversichtlich, dass das AMS, das Sozialministeriumservice und die Länder auch entsprechend abgestimmt die notwendigen Unterstützungsmaßnahmen konzipieren werden und hoffe nun auch auf einen ähnlichen politischen Gestaltungswillen des Herrn Bildungsministers und der Länder im Hinblick auf die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems.
Es ist hier ein Maßnahmenpfad zu entwickeln, der von der Elementarbildung, über die schulische Bildung bis hin zur Berufsausbildung und zur universitären Bildung allen Menschen mit Behinderungen eine chancengleiche Teilhabe ermöglicht.“
Service-Links
Beschlussprotokoll des 64. Ministerrates vom 21. Juni 2023
Arbeitsmarktservice: Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen