Stellungnahme des Österreichischen Behindertenrats zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktservicegesetz und das Ausbildungspflichtgesetz geändert werden
Der Österreichische Behindertenrat dankt für die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme und erlaubt sich diese wie folgt auszuführen:
Allgemeines
Schon lange wird vom Österreichischen Behindertenrat gefordert, dass es zu keiner automatischen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei Personen unter 25 Jahren kommen darf.
Die Beseitigung dieser Zugangsbarriere ist nämlich ein wichtiger Baustein, um einen chancengleichen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen – wie Art. 27 UN-BRK dies fordert – zu ermöglichen.
Daher begrüßt der Österreichische Behindertenrat auch den mit dieser Novelle gesetzten Schritt außerordentlich.
Damit junge Menschen jedoch tatsächlich von der Novelle profitieren und ihren Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt finden, ist es notwendig, dass neben der legistischen Veränderung insb. Schulungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen ausgebaut bzw. geschaffen werden.
Ohne einen Ausbau der Angebote wird die Novelle nämlich an der Lebensrealität von jungen Menschen mit Behinderungen nichts ändern.
Zu den einzelnen Regelungen
Zu Art 1 (AlVG)
§ 8 Abs 5
Die hier vorgeschlagene Regelung entspricht einer langjährigen Forderung der Organisationen von und für Menschen mit Behinderungen.
Jedoch ergeben sich in der konkreten Ausgestaltung zwei Problembereich, die einer Klärung bedürfen.
Zum einen geht es um jene jungen Menschen (unter 25 Jahren) denen bereits vor dem geplanten Inkrafttreten der Gesetzesnovelle von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde. Nach dem vorliegenden Entwurf würden diese Personen nicht von der Novelle profitieren. Es sollte daher gesetzlich vorgesehen werden, dass Personen unter 25 Jahren (denen von der PVA bis zum 31.12.2023 Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde) trotzdem Zugang zu den Leistungen des Arbeitsmarktservices (AMS) haben.
Zum anderen kann die strikte zeitliche Befristung (Vollendung des 25. Lebensjahres) der Regelung dazu führen, dass Jugendliche bzw. junge Erwachsenen vom einen auf den anderen Tag aus einer Qualifizierungsmaßnahme, die sie gerade besuchen, gerissen werden und ihnen damit die Zeit genommen wird, die erforderlichen Qualifikationen zu erwerben. Daher sollte im Gesetz festgeschrieben werden, dass eine begonnene Maßnahme (auch wenn sie über den 25. Geburtstag hinaus andauert) auf jeden Fall beendet werden darf, bevor vom AMS eine Untersuchung der Arbeitsfähigkeit angeordnet werden darf.
Zu Art 2 (AMSG)
§ 38 Abs 1
Hier wird normiert, dass die regionalen Geschäftsstellen nur jenen Personen geeignete Schulungs- oder Wiedereingliederungsmaßnahmen anzubieten haben, die „zumindest eingeschränkt bestimmte, auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete Tätigkeiten ausüben können.“
Wann dies vorliegt und wann nicht, wird weder im Gesetz noch in den Erläuterungen näher definiert.
Um zu verhindern, dass jede regionale Geschäftsstelle diese Frage nach eigenen Vorstellungen – und damit uneinheitlich – beantwortet, sind in den Erläuterungen ganz klare Kriterien zu definieren.
Angemerkt sei dazu noch, dass diese Regelung zwar vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern nachvollziehbar ist, jedoch nicht konform mit Art 27 UN-BRK – der einen Zugang zu einem allgemeinen Arbeitsmarkt für alle Menschen mit Behinderungen vorsieht – geht.
§ 38a Abs 2
Hier wird u.a. ausgeführt, dass das AMS und das Sozialministeriumservice (SMS) Schulungsmaßnahmen für die neue Zielgruppe (junge Menschen mit Behinderungen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres) kreieren müssen.
Dazu ist anzumerken, dass der Personenkreis im Begutachtungsentwurf mit dem Wort „Jugendliche“ bezeichnet wird. Um die erforderliche Klarheit im Gesetzestext zu schaffen, ist dieser Begriff durch den Begriff „junge Menschen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres“ zu ersetzen.
Weiters ist ganz wesentlich, dass entweder im Gesetz oder zumindest in den Erläuterungen ausgeführt wird, dass die Bereitstellung, Entwicklung und der Ausbau dieser Maßnahmen koordiniert und abgestimmt zwischen dem AMS und dem SMS erfolgen muss. Außerdem ist sicherzustellen, dass die in einigen Bundesländern bestehenden guten Qualifizierungsmaßnahmen auch in dieses Gefüge einbezogen werden und ein klarer Betreuungspfad (mit aufeinander aufbauenden Maßnahmen) über die Zuständigkeitsgrenzen hinweg (Land, SMS, AMS) definiert wird. Dieser Prozess muss unter Einbeziehung aller beteiligten Player insb. auch den Interessenvertretungen von und für Menschen mit Behinderungen stattfinden und in verbindliche Vereinbarungen münden.
Dass in den Erläuterungen ausgeführt wird, dass den Begleitmaßnahmen (z.B. Jugendcoaching, usw.) bei der Entscheidung und Auswahl der Beschäftigungs- und Schulungsangebote eine wichtige Rolle zukommen soll, wird als positiv gesehen. Jedoch geht dies nicht weit genug. Um die Jugendlichen tatsächlich an ihr Ziel zu führen, braucht es eine dauerhafte Begleitung (Case Management) bis zur Arbeitsaufnahme.
Zu Art 3 (APflG)
§ 15 Abs 2
Da die Ermächtigung auch die Verarbeitung von Gesundheitsdaten (die eine besonders schutzwürdige Kategorie personenbezogener Daten darstellt) umfasst, ist gesetzlich jedenfalls klarzustellen welche Gesundheitsdaten vom SMS zu welchen konkreten Zwecken verarbeitet werden dürfen.
Zur WFA
Offensichtlich wird hier nur von jenen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen ausgegangen (ca. 100), die in der Vergangenheit vom AMS an das Kompetenzzentrum Begutachtung überwiesen wurden und bei denen von der PVA die Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde.
Tatsächlich gibt es aber einige Jugendliche mit Behinderungen, die bisher aus diversen Gründen nicht zum AMS gegangen sind und bei denen daher formal niemals durch die PVA die Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde. Diese Jugendlichen mit Behinderungen befinden sich in Qualifizierungsmaßnahmen der Länder.
Daraus ergibt sich zum ersten, dass die veranschlagten Budgetmittel erhöht werden müssen – weil die Gruppe potenziell größer ist – und zum zweiten macht es nochmals deutlich, wie wichtig es ist eine gut funktionierende Schnittstelle zu den Qualifizierungsprojekten der Länder (die unbedingt erhalten werden müssen) einzurichten, damit die Novelle zu einem Erfolg führt.
Mit besten Grüßen
Für Präsident Klaus Widl
Mag. Bernhard Bruckner